Ich glaube, daß Christus für mich gestorben ist.

Ich glaube, daß Christus für mich gestorben ist.

 

Die erste und wichtigste Frage, die ich in den Tests während des Konfirmandenunterrichts immer wieder stelle und von den Konfirmanden beantworten lasse, lautet: „Warum ist es so wichtig, daß Christus am Kreuz gestorben ist?“ Ja, das gehört zum absoluten Grundwissen eines Christen, daß er um die Bedeutung des Kreuzestodes Christi weiß, daß er darum weiß, was für eine Bedeutung dieser Kreuzestod Christi für ihn persönlich, für sein Leben hat.
Das Bildnis des gekreuzigten Christus ist ein Ärgernis, ein „Skandal“, wie es der Apostel Paulus formuliert. Von daher ist es kein Wunder, daß vor einiger Zeit eine evangelische Bischöfin vorgeschlagen hat, das Symbol des Kreuzes als christliches Erkennungszeichen durch das scheinbar „freundlichere“ Bild des Kindes in der Krippe zu ersetzen. Und gegen die Aufhängung von Kruzifixen in öffentlichen Gebäuden wird nun sogar mit Gerichtsprozessen zu Felde gezogen. Man weiß: Mit dem gekreuzigten Christus trifft man das Herzstück des christlichen Glaubens überhaupt. Was bedeutet es also für uns, daß Christus am Kreuz gestorben ist?


1. Der Kreuzestod Christi war kein Betriebsunfall.
Menschlich gesprochen ist die Hinrichtung Jesu am Kreuz aus heutiger Sicht ein Justizskandal: Weil Jesus von sich behauptet, Er sei der Sohn Gottes und spreche in der Vollmacht Gottes, wird Er vom obersten jüdischen Gericht in einer nächtlichen Sitzung zum Tode verurteilt. Da jüdische Behörden selber jedoch in dem von den Römern besetzten Land keine Todesurteile vollstrecken durften, wurde Jesus dem römischen Statthalter Pontius Pilatus unter dem Vorwurf überstellt, es handele sich bei Jesus um einen politischen Aufrührer. Unter dem Druck einer aufgewiegelten Volksmenge verurteilte Pilatus Jesus daraufhin zum Tode und verhängte mit der Kreuzigung die grausamste Todesstrafe seiner Zeit, die von den Römern vor allem auch zur Abschreckung eingesetzt wurde: Wer ans Kreuz genagelt wurde, starb schließlich einen qualvollen Erstickungstod.

Die Berichte der Evangelien machen jedoch sehr deutlich, daß der Kreuzestod Jesu in Wirklichkeit kein unvorhersehbares Scheitern Jesu war, gegen das dieser sich vergeblich zur Wehr gesetzt hätte. Sie zeigen vielmehr, daß Jesus diesen Weg ans Kreuz ganz bewußt gegangen ist, ja den Tod am Kreuz als den eigentlichen Sinn und das eigentliche Ziel Seines Weges angesehen und gedeutet hat. Daß Er nach Gottes Willen leiden und sterben muß, betont Jesus ebenso immer wieder wie dies, daß Sein Tod am Kreuz für euch, für die Vielen, das heißt: für alle Menschen, geschieht. Von daher beansprucht Jesus selber, daß Sein Tod noch einmal eine ganz andere Bedeutung, noch einmal eine ganz andere Qualität hat als bloß der Tod eines Märtyrers oder eines unschuldig Verfolgten.


2. Der Kreuzestod Christi war notwendig.
Als Jesus am Abend vor Seiner Verhaftung das Heilige Mahl einsetzt und den Jüngern Seinen Leib und Sein Blut austeilen läßt, deutet Er Seinen eigenen bevorstehenden Tod als stellvertretende Lebenshingabe zur Vergebung der Sünden: Er, Jesus Christus, erleidet, was sie, die Jünger, und mit ihnen alle Menschen insgesamt verdient hätten. So können wir angesichts des gekreuzigten Christus zunächst und vor allem erkennen, in was für einer Situation wir uns als Menschen eigentlich befinden: Wir haben uns alle miteinander von Gott abgewendet, wollen Seinen Anspruch auf unser Leben nicht akzeptieren, leben immer wieder gerade nicht so, wie Gott dies von uns erwartet, hätten es verdient, daß wir am Ende unseres Lebens von Gott getrennt bleiben und uns nur der Ausruf bleibt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Ja, die Schuld unseres Lebens wiegt schwer, und entsprechend nimmt Gott sie auch ernst, verharmlost sie nicht, wischt sie nicht mit einer Handbewegung beiseite. Damit würde Er ja die Verbindlichkeit Seines Anspruchs auf unser Leben in Frage stellen, wenn die Ablehnung dieses Anspruchs keinerlei Konsequenzen hätte. Nein, Gott straft unsere Abwendung von Ihm, unsere Schuld mit aller Härte – doch dies Strafe trifft nicht uns, sondern Seinen eigenen Sohn Jesus Christus. Der geht im Auftrag Seines Vaters stellvertretend für uns ans Kreuz – Er, der einzige, der wirklich unschuldig war, der im Unterschied zu uns überhaupt nicht hätte sterben müssen. Er nimmt die Strafe auf sich und erleidet, was wir Menschen alle miteinander verdient haben. Einfacher ging es nicht; billiger war die Vergebung unserer Schuld nicht zu haben, als eben so, daß in Jesus Christus Gott selbst sich freiwillig für uns opfert. Angesichts des gekreuzigten Christus sollen und dürfen wir also zum einen über die Folgen unserer Abwendung von Gott erschrecken: Wir selber sind mit unserer Schuld der Grund dafür, daß Jesus Christus am Kreuz sterben mußte – und nicht etwa bloß irgendwelche anderen Menschen, „die Juden“ etwa, wie dies fatalerweise im Verlauf der Geschichte von Christen immer wieder behauptet worden ist. Zum anderen aber und vor allem sollen und dürfen wir über die Liebe Gottes staunen, der dazu bereit ist, für uns zum Opfer zu werden und den Tod zu erleiden.


3. Der Kreuzestod Christi ist Tat der Liebe Gottes.
Daß Jesus Christus stellvertretend für uns am Kreuz die Strafe für unsere Schuld auf sich genommen hat, bedeutet nicht, daß Gott in diesem Geschehen am Kreuz gleichsam nur das „Objekt der Versöhnung“ wäre, also der, der durch den Kreuzestod Jesu versöhnt und besänftigt wird. Nein, so betont es der Apostel Paulus, „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber.“ (2. Korinther 5,19) Gott selber ist in dem, was da am Kreuz geschieht, selber die handelnde und treibende Kraft; Seine Liebe ist es, die Ihn dazu bewog, Seinen Sohn zu uns Menschen zu senden und durch Seinen Tod das Verhältnis der Menschen zu Ihm, Gott, wieder in Ordnung zu bringen. Ja, so sagt es Christus selber im wohl wichtigsten Satz der Heiligen Schrift: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn (in den Tod) gab, damit alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ (Johannes 3,16) Der Kreuzestod Jesu ist Ausdruck des unbändigen Versöhnungswillens Gottes, Ausdruck Seiner unendlichen Liebe zu uns. Und dieser Versöhnungswille und diese Liebe gilt in der Tat der ganzen Welt, nicht nur einigen ausgewählten Personen, nicht nur einigen ausgewählten Frommen. „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt“ (Johannes 1,29) – so stellt Johannes der Täufer gleich zu Beginn des Evangeliums Ihn, Christus, vor. Jesus Christus stirbt am Kreuz auch für die Schuld eines Adolf Hitler, eines Josef Stalin oder eines Osama bin Laden – und Er stirbt eben auch für meine und deine Schuld, so gewiß wir beide auch zu dieser Welt gehören. So wird am Kreuz die Schuld der Menschheit nicht verharmlost oder schön geredet; sie wird aber auch nicht einfach bloß „problematisiert“ – sondern sie wird vergeben. Mit seinem Tod am Kreuz hat Christus unumkehrbar Fakten geschaffen: „Es ist vollbracht!“ (Johannes 19,30)


4. Der Kreuzestod Christi zeigt, wie Gott mit uns Menschen umgeht.
Die Kreuzigung Jesu war zweifellos ein schlimmes Verbrechen – und doch hat Gott aus dieser Untat Heil für die Menschen entstehen lassen. Eben dies ist Gottes Art, selbst aus Bösem und Entsetzlichem schließlich doch noch Gutes entstehen zu lassen. Von daher kann uns der Blick auf den Gekreuzigten immer wieder ein Halt und ein Trost sein, wenn wir selber in unserem Leben auch Böses und Entsetzliches erfahren müssen: Gott kann auch aus diesem Bösen noch Gutes schaffen – und Er steht uns in unserer Erfahrung des Bösen zur Seite, hat dieses Böse selber bis in die letzte Konsequenz erlitten, ist solidarisch mit uns geblieben bis in den Tod hinein.

Wenn wir auf den Gekreuzigten schauen, erkennen wir zudem, daß Gott sich uns immer wieder ganz anders zu erkennen gibt, als wir dies von Ihm erwarten würden, ja daß Er uns geradezu „unter der Gestalt des Gegenteils“ erscheint, wie Martin Luther dies formuliert hat: Nicht als der Starke, sondern als der ganz Schwache, eben als gekreuzigter Mensch, nicht als der Große, sondern als der ganz Kleine, der zu uns kommt in einer Hostie und einem Schluck Wein.

Und der Blick auf den Gekreuzigten zeigt uns zugleich, wie Gott Menschen für sich zu gewinnen sucht: nicht mit Gewalt oder Heiligen Kriegen, nicht mit Druck und Zwang, nicht mit Propaganda oder Werbegags, sondern so, daß Er uns Menschen in der scheinbar so machtlosen Gestalt des Gekreuzigten gegenübertritt. Dieser gekreuzigte Christus lädt ein und bittet, und mit Ihm bitten Seine Botschafter an Christi Statt: „Laßt euch versöhnen mit Gott!“ (2. Korinther 5,20) Das einzige Machtmittel, das Christus und die Botschafter an Seiner Statt haben, ist das Mittel Seines einladenden Wortes, ist Seine unendliche Liebe, mit der Er für uns am Kreuz hängt und um uns wirbt – mit ausgebreiteten Armen.