Geistliches Wort für Oktober / November 2025


Schulze 500pxOffenbar vor dem Richterstuhl Christi
– Gedanken zum Ende des Kirchenjahrs


Der November führt in den Schriftlesungen unsere Gedanken zum Ende aller Zeiten. Wir werden ermahnt, an den Tod zu denken und an unsere Verantwortung vor Gott. Paulus nimmt diesen Gedanken im 2. Korintherbrief Kapitel 5 so auf:

Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein jeder empfange nach dem, was er getan hat im Leib, es sei gut oder böse.

Eine Frage drängt sich mir auf: Wie wird es mir da wohl ergehen?

Ich erinnere mich an eine andere Situation:

Ein wichtiger offizieller Termin steht an. Die Zeit drängt, aber alles geht nur zäh voran, Wichtiges, was ich unbedingt brauche, lässt sich nicht finden: Das Manuskript, der Talar. Gleichzeitig suche ich fieberhaft meine Kleidungsstücke zusammen. Sie sind einfach weg, unauffindbar. Noch nicht fertig angezogen, laufe ich voller Panik los, erreiche den Veranstaltungsort, den Prüfungsraum, das Kirchgebäude, nehme irritierte Blicke wahr. Dann stehe ich am Lesepult vor den Leuten - in Unterhose und Socken. Voller Scham stockt mir der Atem - ... und ich schrecke schweißgebadet hoch.

Gott sei Dank: nur ein Traum!

Vor anderen nackt und bloß schutzlos dazustehen: ein menschlicher Alptraum. Seit frühestem Menschengedenken, seit dem Vertrauensbruch von Adam und Eva im Paradies gegen Gott versuchen wir auf alle erdenkliche Weise, dem urteilenden Blick anderer zu entgehen; wir bauen Mauern auf, um uns zu schützen, die uns aber doch nur voneinander trennen. Es wäre zu peinlich, könnte jeder erkennen, wie ich wirklich bin und denke! Was würde man mit mir anstellen? Mich verachten? Ausgrenzen?

Schuld und Konflikte werden so aber nicht eingedämmt, geschweige denn abgebaut. Im Gegenteil: Sie wachsen und nehmen zu. Was wir zum Leben brauchen, ist Gemeinschaft miteinander – und ganz besonders mit Gott. Mauern geben nur scheinbare Sicherheit, machen dafür einsam. Und dann kommt einer, bricht sie auf und reißt sie nieder, und alles tritt zutage, was ich so gerne verborgen gehalten hätte.

Ich habe mich schon gefragt, was mir vor dem Richterstuhl Christi wohl peinlicher sein wird: Dass die andern alles erfahren, was ich in meinem Leben gedacht und getan habe, oder dass Gott alles weiß, und zwar jetzt schon!?

Die Leute können mir dann eigentlich gleich sein. Aber die unendliche Liebe Christi und des himmlischen Vaters, die trägt mich hindurch ins Leben, und nichts anderes. Darauf möchte ich vertrauen. Bis dahin berge ich mich in Gottes Barmherzigkeit. Ihr möchte ich in meinem Leben Raum geben und bitte den Herrn um die Gnade, in allem, was ich tue, seiner Liebe zu vertrauen und sie mit den Menschen zu teilen. Dann wird hoffentlich jegliche Angst ihren Schrecken verlieren, und ich kann zuversichtlich auch dem Tag des Gerichts entgegensehen. Denn wer mich da erwartet, das ist doch der unendlich liebende Vater und Christus, sein Sohn und mein Herr und Bruder, der aus Liebe sich für mich dahingegeben hat, damit ich mit ihm lebe. Wovor sollte ich mich also überhaupt fürchten? So wünsche ich uns allen Gottes Frieden und seinen Segen – vom Erntedankfest bis zum Ende des Kirchenjahrs und weit darüber hinaus.

Herzliche Grüße, auch von Pfarrer Markus Büttner,
Ihr / Euer Pfarrer Christoph Schulze