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Vorgeschichte und Sinn des Katechismus

Vorgeschichte und Sinn des Katechismus

 

Seit der auferstandene Christus seinen Jüngern den Auftrag gegeben hat, alle Völker zu seinen Jüngern zu machen, indem sie sie taufen und sie alles lehren, was er, Christus, ihnen befohlen hatte (Mt 28,18-20), steht die Kirche vor der Aufgabe, ihre künftigen und auch gegenwärtigen Glieder zu unterweisen. Diese Unterweisung konnte je nach den äußeren Umständen eine recht unterschiedliche Gestalt haben. Während die Reihenfolge „taufen und lehren“ bei Matthäus nahe legt, dass die Menschen zunächst relativ schnell getauft und anschließend unterwiesen wurden – eine Praxis, die beispielsweise auch dem Befund in der Apostelgeschichte entspricht –, ging man bald dazu über, der Taufe einen ausführlicheren Unterricht vorzuschalten. In den folgenden Jahrhunderten wurde dieser „Taufkatechumenat“ so aufgeteilt, dass zunächst die Diakone die Anfänger im Glauben, die „rudes“, unterrichteten, dass daraufhin die Priester den Unterricht der Taufbewerber in der biblischen Geschichte übernahmen und dass schließlich in den Wochen vor Ostern, in der Fastenzeit, der Bischof die Taufbewerber in das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser sowie in die Sakramente einführte. Liturgische und dogmatisch-ethische Unterweisung gingen dabei Hand in Hand. Nachdem die Kirche aus einer Minderheitenkirche zur Volkskirche und die Taufe von Kindern damit zur Normalsituation geworden war, veränderte sich dieser Katechumenat grundlegend. Die Verantwortung für die kirchliche Unterweisung der Kinder wurde den Eltern und Paten übertragen, die diese jedoch oftmals kaum wahrnahmen. Im Mittelalter versuchte man, die Privatbeichte als Instrument der kirchlichen Erziehung zu verwenden; der Priester fragte die Beichtenden gleichsam ab und erhielt dafür von der Kirche auch so genannte „Fragekatechismen“ für das „Beichtverhör“ an die Hand. Der Unterrichtsstoff – auch „Katechismus“ genannt –  bestand dabei in der Regel aus dem Vaterunser, verbunden mit dem Ave Maria, dem Glaubensbekenntnis und den Zehn Geboten. Während es auf der einen Seite in der spätmittelalterlichen Kirche Bemühungen gab, den Kirchgliedern diese Grundtexte des christlichen Glaubens nahe zu bringen und auch zu erklären, was durch Predigten und Abkündigungen im Gottesdienst und auch in der Unterweisung in den Lateinschulen geschah, schwand andererseits in vielen Gegenden selbst das elementarste Wissen über den christlichen Glauben. Dies musste auch Martin Luther bald erkennen. Schon zu Beginn der Reformation versuchte er durch Predigten und durch den Druck von Plakaten und kleinen Heften, den Gemeindegliedern Grundlagen des christlichen Glaubens zu vermitteln. Dabei lag ihm neben der Kenntnis der Hauptstücke Zehn Gebote, Glaubensbekenntnis und Vaterunser vor allem auch an einer Sakramentsunterweisung. So sollte beispielsweise nur der zum Altarsakrament zugelassen werden, der zuvor in der Einzelbeichte die Einsetzungsworte hatte aufsagen können. Einen besonderen Impuls zur Abfassung der Katechismen erhielt Martin Luther dann durch seine Mitwirkung an Visitationen in Gemeinden des Kurfürstentums Sachsen, die ihn zu dem Ausruf in der Vorrede des Kleinen Katechismus veranlasste: „Hilf, lieber Gott, wie manchen Jammer habe ich gesehen, dass der gemeine Mann doch so gar nichts weiß von der christlichen Lehre.“ Luther hielt daraufhin Predigtreihen über die Katechismusstücke in Wittenberg, aus denen sein Großer Katechismus entstand, der im Grunde genommen nichts anderes als eine solche Sammlung von Predigten darstellt. Parallel dazu entwarf er Plakatdrucke im Frage-Antwort-Stil, die in den Häusern aufgehängt werden und so das gemeinsame Lernen der Katechismusstücke in der Hausgemeinschaft ermöglichen sollten. Daraus entstand dann in den Folgemonaten im Jahr 1529 der Kleine Katechismus in Buchform. Mit der Aufnahme von Zehn Geboten, Glaubensbekenntnis und Vaterunser stellte sich Luther bewusst in die Tradition der Kirche; der einfache Mann sollte sehen, dass die evangelische Verkündigung die alte, unverfälschte christliche Lehre ist. Mit der Einführung der Hauptstücke von Taufe und Abendmahl sowie des Lehrstücks von der Beichte setzte Luther daneben aber seinen eigenen Akzent: Den Gemeindegliedern sollte vor allem auch die Bedeutung der heiligen Sakramente nahe gebracht werden. Außerdem konzipierte Luther den Kleinen Katechismus auch als Gottesdienstbuch: Er enthält Anleitungen zur Taufe, zur Trauung und zur Beichte sowie zur Durchführung von täglichen Hausgottesdiensten durch die Hausväter. 

Mit diesem Katechismus plante Luther einen „Volkskatechumenat“. Durch seine Visitationserfahrungen hatte er erkannt, dass der größte Teil des Volkes als „Katechumenen“ anzusprechen ist, bei denen der Taufunterricht erst noch nachgeholt werden muss. Dabei legte Luther besonderes Gewicht auf die Unterweisung der Jugend; doch ist der Katechismus nach dem Willen Luthers ebenso für die Erwachsenen bestimmt. Luther plante, dass dieser „Volkskatechumenat“ auf verschiedenen Ebenen ablaufen sollte: Zunächst einmal dient der Kleine und noch mehr der Große Katechismus den „Pfarrherrn und Predigern“ als Grundlage für ihre Katechismusunterweisung in der Predigt und für die Anleitung der Hausväter, in ihren jeweiligen Häusern den Katechismus zu lehren. Das eigentliche (auswendig) Lernen des Katechismus sollte Luther zufolge in den Häusern geschehen, wo im Rahmen der täglichen Hausgottesdienste der Katechismus Stück für Stück eingeprägt werden sollte. Daneben wurde der Kleine Katechismus aber auch in den Schulen als Lehrbuch, ja oft genug auch als Lesebuch verwendet und wurde so schnell zu „dem“ Volksbuch überhaupt. Seitdem dient der Kleine Katechismus in der Lutherischen Kirche als Grundlage der kirchlichen Unterweisung, die bald nach der Zeit Luthers die Form des „Konfirmandenunterrichts“ zur Vorbereitung auf die Konfirmation erhielt. Dabei entstanden im Laufe der Zeit so genannte „exponierte Katechismen“, in denen die wenigen Fragen des Kleinen Katechismus durch eine Vielzahl weiterer Fragen ergänzt und erläutert wurden; dadurch wurde der Kleine Katechismus zu einer „Laiendogmatik“ ausgebaut.

Im Laufe der Jahrhunderte gab es immer wieder Versuche, den Kleinen Katechismus durch andere, scheinbar „zeitgemäßere“ Katechismen zu ersetzen, in denen nicht allein Form und Sprache, sondern damit zugleich auch der Inhalt der Katechismusunterweisung Luthers verändert wurde. Wo sich dagegen die Lutherische Kirche wieder neu auf ihre Wurzeln besann, war dies immer wieder auch mit einer Hinwendung zum Kleinen Katechismus verbunden. So ist der Kleine Katechismus bis heute ein einigendes Band der Lutherischen Kirchen in der ganzen Welt: Russlanddeutsche Aussiedler, die bereits in ihrer alten Heimat in der Lutherischen Kirche zu Hause waren, erkennen den Kleinen Katechismus als Unterrichtsbuch auch in unserer Kirche in Deutschland wieder, und auch in der Mission wird der Katechismus als Unterrichtsbuch bis heute eingesetzt. So arbeitet unsere Lkhamaa zurzeit in der lutherischen Missionsgemeinde in Ulaanbaatar an einer Übersetzung des Kleinen Katechismus ins Mongolische mit.

Probleme bereitet die Verwendung des Kleinen Katechismus im heutigen kirchlichen Unterricht vor allem dadurch, dass die wunderbare, kraftvolle Sprache Luthers von den Konfirmanden einfach nicht mehr verstanden wird; die sprachliche Entfremdung von Luther hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv beschleunigt. Dies bringt die Unterrichtenden in die missliche Situation, dass sie den Konfirmanden den Wortlaut der Erklärung selber erst einmal erklären müssen. Hier haben es lutherische Kirchen in anderen Ländern, die in ihrer Übersetzung nicht an die Sprachgestalt des 16. Jahrhunderts gebunden sind, sehr viel einfacher. Dennoch wäre es kurzsichtig, im Konfirmandenunterricht heutzutage auf das Auswendiglernen des Kleinen Katechismus einfach zu verzichten. Es ist gut und hilfreich, eine „eiserne Ration“ an geistlichen Texten für das Leben und Sterben an der Hand zu haben, die sich auch in ihrer sprachlichen Gestalt bewusst von der Alltagssprache unterscheiden und sich in ihrem tieferen Sinn vielleicht erst im Laufe der Zeit erschließen. Zudem stellen die Texte des Kleinen Katechismus auch sprachliche Kunstwerke dar, an denen man schwerlich sprachlich „herumdoktern“ kann und die den Konfirmanden vielleicht doch auch etwas von der Schönheit der Sprache erschließen. Bildung und Glaubenslernen gingen ja bereits zu Zeiten Luthers Hand in Hand. Wichtig ist es jedoch im Sinne Luthers, dass der Katechismus seinen Platz nicht nur im Konfirmandenunterricht für die Jugendlichen hat, sondern auch danach in der Gemeinde immer wieder vorkommt und memoriert wird. Eben dies wollen wir in der Gemeinde in diesem Jahr und hoffentlich auch darüber hinaus wieder neu versuchen: Gemeinsam wollen wir den Katechismus (wieder) neu lernen und dabei die Schätze entdecken, die sich in ihm befinden. Dies kann uns als lutherischen Christen wieder neu zur Sprachfähigkeit in Glaubensfragen befähigen und uns dazu helfen, auch in Zukunft ganz bewusst den Weg einer lutherischen Bekenntniskirche zu gehen, weil wir wissen, was wir an dieser Kirche auch inhaltlich – abgesehen von allen persönlichen Bindungen – haben. Oder, um es mit biblischer Sprache auszudrücken: „damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen“ (Eph 4,14) und vielmehr der Mahnung des Apostels Petrus nachkommen können: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert von der Hoffnung, die in euch ist.“ (1. Petr 3,15) Eben dazu kann der Kleine Katechismus auch heute noch einen wichtigen Beitrag leisten.