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Das Sakrament des Altars oder das Heilige Abendmahl (3).

Das Sakrament des Altars oder das Heilige Abendmahl: Zum Vierten.

 

ZUM VIERTEN

Wer empfängt denn solch Sakrament würdiglich?
Fasten und leiblich sich bereiten ist wohl eine feine äußerliche Zucht;
aber der ist recht würdig und wohl geschickt,
wer den Glauben hat an diese Worte:
Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden.
Wer aber diesen Worten nicht glaubt oder zweifelt,
der ist unwürdig und ungeschickt;
denn das Wort „Für Euch“ fordert eitel gläubige Herzen.

Luthers Ausführungen zum würdigen Empfang des Altarsakraments müssen verstanden werden auf dem Hintergrund der Sakraments- und Kommunionfrömmigkeit seiner Zeit: Während es in der Alten Kirche durchaus üblich war, täglich oder zumindest mehrmals in der Woche die Kommunion zu empfangen, sank die Kommunionhäufigkeit im Mittelalter immer weiter ab. Dies führte dazu, daß auf dem IV. Laterankonzil 1215 ausdrücklich verfügt werden mußte, daß jeder römisch-katholische Christ, der zum Kommunionempfang zugelassen ist, wenigstens einmal im Jahr in der Osterzeit die Heilige Kommunion zu empfangen habe. Sehr viel häufiger als dieses eine vorgeschriebene Mal im Jahr wurde tatsächlich zumeist auch nicht kommuniziert; lediglich die Priester selber, die ja täglich die Messe zu feiern hatten, kommunizierten entsprechend auch täglich, während die Gemeindeglieder, wenn sie denn bei der Meßfeier überhaupt präsent waren, sich damit begnügten, die Elevation, die Emporhebung der geweihten Schauhostie, bei der Sakramentsfeier zu betrachten. Dies galt als eine Art von „geistlicher Kommunion“. Zur Zeit Luthers galt es zum Teil sogar als Zeichen besonderer Frömmigkeit, in einer Stadt von einer Kirche zur nächsten zu laufen, um dort jeweils gerade die Elevation mitzuerleben.

Der Grund für die Scheu vor dem häufigen Sakramentsempfang lag in der Furcht, den Leib des Herrn im Sakrament „unwürdig“ zu empfangen. Die Betonung der realen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi führte also paradoxerweise gerade zu einer Frömmigkeit, die sich auf eine „geistige“ Teilhabe am Sakrament konzentrierte. Für einen würdigen Sakramentsempfang gab es eine ganze Reihe von Vorschriften. Dazu zählte vor allem das Fastengebot: Das Altarsakrament durfte nur nüchtern empfangen werden. Dies wurde dabei nicht nur auf die Enthaltung von Nahrung bezogen, sondern betraf beispielsweise auch die Enthaltung vom Geschlechtsverkehr in der Nacht vor dem Sakramentsempfang. Außerdem war der vorherige Empfang des Bußsakraments unabdingbare Voraussetzung für einen würdigen Empfang der Kommunion. Furchtbare Schauergeschichten waren im Umlauf, was mit solchen geschehen konnte, die das Sakrament unwürdig empfingen. So war der Kommunionempfang oftmals ein sehr angstbesetztes Geschehen.

Von daher muß nun die Frage Luthers verstanden werden: „Wer empfängt denn solch Sakrament würdiglich?“ In seiner Antwort äußert sich Luther bemerkenswert positiv über das Fasten und die leibliche Vorbereitung auf den Sakramentsempfang: Er tut sie nicht als unwichtig ab, sondern bezeichnet sie im Gegenteil als „feine äußerliche Zucht“. Gleich darauf aber betont er das letztlich Entscheidende: die Worte Christi, die unseren Blick weglenken von uns selber und unserem Tun und unserer Würdigkeit hin auf die Zusage Christi: die Vergebung der Sünden, die nicht von uns und unserer eigenen Verfassung abhängt. Im Gegenteil: Gerade da, wo wir erkennen, daß wir unwürdig sind, sind wir würdig, das Sakrament zu empfangen. Dagegen wären wir gerade da unwürdig, das Sakrament zu empfangen, wenn wir glaubten, selber „recht bereitet“ und würdig zu sein.

Wenn Luther daraufhin betont, daß derjenige unwürdig ist, der nicht glaubt oder zweifelt, will er damit keine neue, womöglich noch schwerer einzuhaltende Bedingung für einen würdigen Sakramentsempfang aufstellen und unsere Aufmerksamkeit nun doch wieder auf den eigenen „frommen Bauchnabel“ richten. Vielmehr sind diese Worte als Ermutigung gemeint, daß wir uns als Kommunikanten wirklich ganz und gar auf Christi Zusage des „Für Euch“ verlassen und von daher in der Tat ganz von uns selber wegblicken dürfen: Der Glauben ist eben nicht unser Tun, sondern nur die Art und Weise, in der die Gabe Christi uns zu unserem Heil erreicht.

Die Erkenntnis Luthers, wie sie im Kleinen Katechismus formuliert ist, hatte zur Folge, daß die lutherische Reformation wesentlich auch eine sakramentale Erweckung, eine Wiederentdeckung der häufigen Kommunion, war. Eine tiefe Sakramentsfrömmigkeit prägte die lutherische Kirche in der Zeit nach der Reformation bis ins 18. Jahrhundert hinein. Noch zur Zeit Johann Sebastian Bachs gab es in Leipzig sonntags nicht selten Tausende von Kommunikanten in den lutherischen Kirchen. Zugleich aber kamen aber auch in der lutherischen Kirche wieder Gedanken über die „Würdigkeit“ des Kommunionempfängers auf, die denen des Mittelalters nicht unähnlich waren. Dies, verbunden mit dem Vordringen von Pietismus und Aufklärung, die beide mit dem Altarsakrament letztlich nichts anfangen konnten, führte innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem abrupten Rückgang der Kommunikantenzahlen. Von diesen Vorstellungen hat sich die lutherische Kirche lange nicht „erholt“. Luthers Äußerung in seiner Vorrede zum Kleinen Katechismus: „Wer das Sakrament nicht sucht noch begehrt zum wenigsten viermal im Jahr, da ist zu besorgen, daß er das Sakrament verachte und kein Christ sei“, wurde völlig mißverstanden als Regel, daß ein anständiger Christ nur viermal im Jahr zum Sakrament gehen solle. Erst im 20. Jahrhundert ist es in der lutherischen Kirche zu einer Neuentdeckung der Einsichten Luthers und der Kommunionpraxis der Alten Kirche gekommen: Anstelle eines angstbesetzten Empfangs des Sakraments ist immer stärker die Freude über die wunderbare Gabe des Sakraments und die damit verbundene Teilhabe am himmlischen Freudenmahl getreten, die dem neutestamentlichen Befund sehr viel eher entspricht: „Sie brachen das Brot hier und dort und in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott.“ (Apostelgeschichte 2,46-47)

Wie dies so oft bei uns Menschen der Fall ist, stehen wir allerdings auch in der Frage des Kommunionempfangs in der Gefahr, gleichsam von einem Extrem ins andere zu verfallen: Auch wenn es in unserer lutherischen Kirche nicht die Entartungen des „Feierabendmahls“ gibt, bei dem das Allerheiligste leider oft genug völlig banalisiert und profaniert wird, tun wir auch in unserer Kirche gut daran, die ersten Worte in der Antwort Martin Luthers wieder neu zu bedenken: „Fasten und leiblich sich bereiten ist wohl eine feine äußerliche Zucht.“ Auch wenn das Heilige Mahl ein Freudenmahl ist und bleibt, so ist und bleibt es zugleich doch auch das Allerheiligste, dessen Empfang auch eine entsprechende Vorbereitung nahelegt. Dazu können gerade auch „Äußerlichkeiten“ dienen, weil wir als Christen darum wissen, wie unauflöslich Leib und Seele bei einem Menschen zusammengehören. Der Verzicht auf das Essen vor dem Sakramentsempfang ist gewiß keine „Pflicht“ und sollte keinesfalls zur Folge haben, daß uns unser knurrender Magen von der Mitfeier des Sakraments ablenkt. Dennoch kann solch ein Essensverzicht für manchen eine Vorbereitungshilfe sein. Daß man im Gottesdienst oder gar beim Sakramentsempfang selber auf das Kauen von Kaugummi verzichtet, versteht sich hoffentlich ohnehin von selbst. Auch die regelmäßige Teilnahme an der Beichtandacht vor dem Sakramentsempfang ist zwar kein Kirchengesetz, aber gerade heutzutage eine wichtige und heilsame Übung, um wahrnehmen zu können, wie nötig wir das Sakrament immer wieder brauchen. Es tut uns geistlich nicht gut, wenn wir auf die Teilnahme an der Beichtandacht fast grundsätzlich verzichten und ohne diese Vorbereitungsmöglichkeit an der Kommunion teilnehmen.

Zu dem „leiblich sich bereiten“ gehört beispielsweise auch das Niederknien der Gemeinde zur Konsekration und zur Kommunion. Natürlich können Gottesdienstteilnehmer, die zum Knien körperlich nicht mehr in der Lage sind, dazu auch stehen bleiben, und wer nicht einmal mehr zum Stehen in der Lage ist, mag zur Konsekration auch sitzen. Wer aber knien kann, der wird auch etwas davon erfahren, daß die Körperhaltung eben nicht bloß eine „Äußerlichkeit“, sondern eine wichtige Hilfe zum Mitvollzug dessen ist, was bei der Feier und beim Empfang des Sakraments geschieht. Auch für das Knien gilt, daß bei uns Menschen Leib und Seele zusammengehören und einander beeinflussen.

Zur Vorbereitung auf den Sakramentsempfang gehört schließlich aber auch, daß wir uns um Versöhnung mit den Menschen bemühen, mit denen wir im Unfrieden leben. Wie die anderen auf unser Bemühen um Versöhnung reagieren, haben wir nicht in der Hand; daß wir aber „zuerst hingehen“ (vgl. Matthäus 5,24) und unsere Hand zur Versöhnung ausstrecken, sollte uns vor dem Empfang des Sakraments ein wichtiges Anliegen sein.

Wichtiger als alles, was wir tun, ist und bleibt jedoch, daß uns stets vor Augen steht, daß das Sakrament ganz und gar Geschenk Gottes an uns ist und bleibt, das wir nicht durch unser Mitwirken zu ergänzen brauchen. „Für euch“, so lautet die Einladung Christi an uns. Mögen wir diese Einladung an jedem Sonntag wieder neu im Ohr und im Herzen haben. Denn eben so empfangen wir das Sakrament „würdiglich“.