Neues Testament Teil IV: Die "Katholischen Briefe".

Neues Testament Teil IV: Die "Katholischen Briefe".

 

Unter den „Katholischen Briefen“ versteht man die Briefe des Neuen Testaments, die im Unterschied zu den Briefen des Apostels Paulus nicht an eine bestimmte Gemeinde oder Person gerichtet sind, sondern einen umfassenderen, allgemeinen Empfängerkreis haben. „Katholisch“ bedeutet ja so viel wie „allumfassend“; in diesem ursprünglichen Sinne sind wir ja gerade auch als lutherische Christen wahrhaftig katholisch, weil wir den Glauben der einen, allumfassenden Kirche bekennen und teilen. Im Unterschied zu den vier Evangelien, der Apostelgeschichte und den Briefen des Apostels Paulus waren einige dieser letzten Schriften des Neuen Testaments bereits in der Alten Kirche umstritten; es war nicht klar, ob sie wirklich zum Kanon des Neuen Testaments gehören sollten oder nicht. Zu diesen Schriften zählen der 2. Petrusbrief, der Hebräerbrief, der Judasbrief, der Jakobusbrief und die Johannesoffenbarung. In Bezug auf diese so genannten „Antilegomena“ (Schriften, denen widersprochen wurde) gilt in der lutherischen Kirche die Regel, dass aus diesen Schriften allein keine kirchliche Lehre gewonnen werden kann, wenn diese Lehre nicht durch andere Schriften des Neuen Testaments unterstützt und bekräftigt wird. Das bedeutet nicht, dass wir nicht auch aus diesen Schriften das apostolische Evangelium vernehmen können; entsprechend dienen auch Abschnitte aus diesen Büchern immer wieder als Episteln und Predigtlesungen in der Kirche. Andere Katholische Briefe, wie zum Beispiel der 1. Petrusbrief oder der 1. Johannesbrief, zählen ganz sicher zum Kern des Neuen Testaments.
 

1. Der Erste Petrusbrief
Der Erste Petrusbrief wurde vermutlich Anfang der 60er Jahre von Petrus, dem „Apostel Jesu Christi“, aus Rom geschrieben, das damals von den Christen mit dem Wort „Babylon“ (1. Petr 5,13) umschrieben wurde. Petrus hat diesen Brief wohl nicht selber niedergeschrieben, sondern ihn „durch Silvanus, den treuen Bruder“ (1. Petr 5,12) verfassen lassen. Gerichtet ist der Brief „an die auserwählten Fremdlinge, die verstreut wohnen in Pontus, Galatien, Kappadozien, der Provinz Asien und Bithynien“ (1. Petr 1,1), also an Christen, die in Gemeinden im Gebiet der heutigen westlichen Türkei lebten. Der Brief ist ein Trostschreiben, das die Empfänger ermutigen will, trotz aller Bedrängnisse und Leiden, die sie um ihres Glaubens willen zu erdulden haben, am Glauben an Jesus Christus festzuhalten. Die Empfänger des Briefes stammten wohl ursprünglich aus dem Heidentum. Mit ihrer Taufe hatte sich in ihrem Leben ein deutlicher Wandel vollzogen; genau damit, dass sie jetzt nicht mehr bei allem mitmachten, riefen sie in ihrer Umgebung nun jedoch Anfeindungen hervor, die zu ertragen für sie nicht einfach war: „Denn es ist genug, dass ihr die vergangene Zeit zugebracht habt nach heidnischem Willen, als ihr ein Leben führtet in Ausschweifung, Begierden, Trunkenheit, Fresserei, Sauferei und gräulichem Götzendienst. Das befremdet sie, dass ihr euch nicht mehr mit ihnen stürzt in dasselbe wüste, unordentliche Treiben, und sie lästern.“ (1. Petr 4,3+4) Dagegen erinnert der Apostel die Adressaten an das große Geschenk ihrer Heiligen Taufe: Dort sind sie „wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“ (1. Petr 1,3); dort sind sie erlöst worden „nicht mit vergänglichem Silber oder Gold …, sondern mit dem teuren Blut Christi“ (1. Petr 1,19); als Getaufte sind sie „das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.“ (1. Petr 2,9) Eben darum richtet Petrus an die Christen nun auch ganz konkrete Mahnungen in Bezug auf ihren Lebenswandel: Er ermutigt sie, sich nicht der Welt anzupassen und auch zum Leiden bereit zu sein. Gerade so können die Christen mit ihrem ganzen Leben Zeugen für Christus sein: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.“ (1. Petr 3,15) Im 1. Petrusbrief finden sich eine ganze Reihe von Formulierungen, die fast wörtlich in das Apostolische Glaubensbekenntnis übernommen worden sind (vgl. 1. Petr 3,22; 4,5); nur in diesem Brief finden wir im übrigen auch biblische Belegstellen für die Aussage, dass Christus „niedergefahren zur Hölle“ ist (vgl. 1. Petr 3,18-20; 4,6). Am Schluss des Briefes finden sich wichtige Mahnungen an die Amtsträger in der Gemeinde (1. Petr 5,1-4) sowie der Aufruf, der uns aus der Complet, dem Nachtgebet der Kirche, vertraut ist: „Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben.“ (1. Petr. 5,8-9)


2. Der Zweite Petrusbrief
Ob der Zweite Petrusbrief tatsächlich wie der Erste vom Apostel Petrus verfasst worden ist, wurde bereits in der Alten Kirche bezweifelt. Bis ins fünfte Jahrhundert hinein bestritten viele Kirchenväter, dass der Brief von Petrus geschrieben worden sei, und sahen ihn entsprechend nicht als Teil des neutestamentlichen Kanons an. Schließlich wurde er ab dem Ende des vierten Jahrhunderts aber doch in viele Verzeichnisse der neutestamentlichen Schriften aufgenommen. In der Tat verwendet der Zweite Petrusbrief eine ganz andere Ausdrucksweise als der Erste Petrusbrief; auch die Situation, auf die er sich bezieht, ist eine ganz andere als die des Ersten Petrusbriefs: Das Ausbleiben der Wiederkunft des Herrn hat bei den Christen zu großer Verunsicherung geführt; darauf geht der Verfasser in dem uns bekanntesten Abschnitt des 2. Petrusbrief, in 2. Petr 3 ausführlich ein. Der Verfasser des 2. Petrusbriefs blickt bereits auf eine Sammlung der Briefe des Apostels Paulus zurück und setzt sich mit deren Auslegung auseinander (2. Petr 3,15-16); vermutlich kennt er auch den Judasbrief und macht von ihm bis in den Wortlaut hinein Gebrauch. Zentrales Anliegen des Zweiten Petrusbriefs ist die Auseinandersetzung mit so genannten gnostischen Irrlehrern, die die Leiblichkeit des Menschen für unwichtig erklärten und entsprechend eine allgemeine Freizügigkeit, besonders auch auf sexuellem Gebiet, als Konsequenz des christlichen Glaubens propagierten – möglicherweise unter Berufung auf die Verkündigung der christlichen Freiheit durch Paulus. Vermutlich dieselben Irrlehrer bestritten auch die Wiederkunft Christi und verwirrten damit ebenfalls die Gemeinde. Dagegen setzt sich der 2. Petrusbrief mit Berufung auf die Autorität des Apostels Petrus leidenschaftlich zur Wehr und legt ihm die Worte dieses Briefes gleichsam als Vermächtnis in den Mund. Insofern die Aussagen dieses Briefes, der „an alle, die mit uns denselben teuren Glauben empfangen haben“ (2. Petr 1,1) gerichtet ist und damit einen universalen Anspruch erhebt, mit den sonstigen neutestamentlichen Aussagen übereinstimmen, dürfen wir auch in diesem Brief das apostolische Zeugnis hören, auch wenn der Brief, wie uns die Alte Kirche bereits deutlich gemacht hat, nicht unmittelbar von dem Apostel Petrus stammt.


3. Der Erste Johannesbrief
Der 1. Johannesbrief weist keinerlei Absender- und Adressatenangabe auf; dass er dem Apostel und Evangelisten Johannes zugeschrieben wird, hängt damit zusammen, dass die Sprache und Ausdrucksweise dieses Briefes der Sprache und Ausdrucksweise des Johannesevangeliums sehr ähnelt, so dass man vermuten kann, dass beide vom selben Verfasser stammen oder dass der 1. Johannesbrief zumindest aus dem Schülerkreis des Verfassers des Johannesevangeliums stammt. Jedenfalls erhebt der Verfasser des Briefs den Anspruch, gesehen, gehört und betastet zu haben, „was von Anfang an war“ (1. Joh 1,1), also Zeuge der Geschehnisse zu sein, die im Johannesevangelium beschrieben werden. Die Situation, in die der Brief hineingeschrieben ist, ist deutlich erkennbar: Innerhalb der Gemeinde, an die der Brief gerichtet ist, sind gnostische Irrlehrer aufgetreten. Diese behaupteten, der Mensch sei in seinem innersten Kern wesensgleich mit Gott; dagegen sei alles Äußere, Materielle völlig irrelevant. Jesus sei nur ein himmlisches Wesen, das von Gott gekommen sei, um den Menschen die Augen für ihre Wesensgleichheit mit Gott zu öffnen. Eine wirkliche Menschwerdung, ja Fleischwerdung Jesu wird von diesen Irrlehrern dagegen abgelehnt, da unsere Erlösung ja von allem Irdisch-Leiblichen unabhängig sei. Der Mensch, der erkannt habe, dass er Gott wesensgleich sei, sei von daher sündlos; umgekehrt habe das konkrete irdische Verhalten, etwa auch der Umgang mit anderen Menschen keinerlei Einfluss auf die Beziehung des Menschen zu Gott. Mit dieser Irrlehre setzt sich Johannes nun eindringlich auseinander: „Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit.“ (1. Joh 1,8+9) „Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen: Ein jeder Geist, der bekennt, dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist, der ist von Gott; und ein jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Antichrists.“ (1. Joh 4,2+3) „Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?“ (1. Joh 4,20) Weil wir unser Selbst nicht von unserer Leiblichkeit trennen können, sind wir nicht sündlos. Umgekehrt ist es gerade darum wichtig, dass Christus wirklich „in das Fleisch gekommen ist“, uns leibhaftig erlöst hat und uns diese Erlösung leibhaftig in den Sakramenten, in Taufe und Abendmahl, zukommen lässt: „Denn drei sind, die das bezeugen: Der Geist und das Wasser und das Blut; und die drei stimmen überein.“ (1. Joh 5,7-8) Diese Erlösung wirkt sich aus im ganz konkreten Umgang der Gemeindeglieder untereinander, die sich ihre Nähe zueinander gerade nicht aussuchen können. Johannes entfaltet seine Gedanken immer wieder von neuem in meditativem Kreisen; im Zentrum stehen dabei immer wieder die Aussagen, dass Gott Licht ist (1. Joh 1,5) und dass Gott die Liebe ist (1. Joh 4,16). 


4. Der Zweite Johannesbrief
Der 2. Johannesbrief ist geschrieben von einem „Ältesten“, dessen Name nicht genannt wird, den Empfängern aber offenbar selbstverständlich bekannt war. Da seine Sprache und Ausdruckweise dem 1. Johannesbrief sehr ähneln, wird er als „2. Johannesbrief“ bezeichnet. Das Thema dieses kurzen Briefes entspricht dem des 1. Johannesbriefs: Er ermahnt zur Liebe untereinander in der Gemeinde und warnt vor den gnostischen Irrlehrern; dabei macht er deutlich, dass zwischen diesen Irrlehrern und der Gemeinde keine Sakramentsgemeinschaft besteht und bestehen darf (2. Joh 10).


5. Der Dritte Johannesbrief
Der 3. Johannesbrief entspricht in Länge und Ausdrucksweise dem 2. Johannesbrief. Auch er ist von „dem Ältesten“ verfasst, im Unterschied zum 2. Johannesbrief jedoch an eine konkrete Person namens Gajus gerichtet. Anlass für den Brief ist die Erfahrung, dass ein Gemeindeleiter namens Diotrephes Glieder aus der Gemeinde des „Ältesten“, vermutlich umherziehende Wandermissionare, nicht aufgenommen hat, sie also bei sich nicht hat predigen lassen. Der Älteste klagt: „Er macht uns schlecht mit bösen Worten“ (3. Joh 10); worin die Vorwürfe bestanden, ist nicht klar erkennbar. Möglicherweise warf Diotrephes diese Wandermissionare mit den gnostischen Irrlehrern in einen Topf; da diese ja, wie 1. Joh 2,19 bezeugt, aus der Gemeinde des Johannes selber stammten. Vielleicht waren es aber auch einfach zwischenmenschliche Probleme. Jedenfalls macht gerade auch der 3. Johannesbrief deutlich, was für Konflikte innerhalb der christlichen Gemeinden es schon in der Frühzeit der Kirche gab.


6. Der Hebräerbrief
Über den Verfasser des Hebräerbriefs wissen wir sehr wenig; der Brief hat keinen Absender. Mitunter wurde er in der kirchlichen Tradition dem Apostel Paulus zugeschrieben; doch sind seine Sprache und sein Gedankengang ganz anders, erhebt der Brief auch selber nicht den Anspruch, von dem Apostel zu stammen. Im Gegenteil blickt der Verfasser des Hebräerbriefs in Hebr 2,3 auf die apostolische Zeit bereits zurück. Auch der Name des Briefes „Hebräerbrief“, der ihm in der kirchlichen Tradition gegeben worden ist, ist irreführend. Der Brief ist weder an Gemeinden in Israel noch an „Hebräer“ gerichtet, sondern vermutlich an Hausgemeinden in Italien, die sich sehr intensiv mit der griechischen Übersetzung des Alten Testaments befasst hatten, so dass der Verfasser des Hebräerbriefes in seiner Argumentation sehr oft auf das Alte Testament zurückgreifen kann. Eben dies ist auch der Grund für das Missverständnis, wonach der Brief an Christen mit jüdischem Hintergrund gerichtet sei.

Die Situation, in die hinein der Hebräerbrief geschrieben ist, lässt sich aus dem Brief gut erkennen: Nach anfänglicher Begeisterung ist in den Gemeinden Müdigkeit eingekehrt; Leidensdruck von außen und das Verblassen der Erwartung der baldigen Wiederkunft des Herrn haben dazu geführt, dass so manche Glieder der Gemeinde im Glauben erlahmen und den Gottesdiensten fernbleiben. Dagegen will der Verfasser des Hebräerbriefs die Gemeinden ermutigen: „Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken!“ (Hebr 10,23) Eindrücklich stellt er der Gemeinde vor Augen, was für ein Privileg es ist, zu Christus gehören zu dürfen, der als der große Hohepriester denen, die zu ihm gehören, den Weg zu Gott gebahnt hat und damit eine Heilswirklichkeit geschaffen hat, die alle Ankündigungen des Alten Testaments bei weitem übertrifft. Die Gemeinde ist das wandernde Volk Gottes des neuen Bundes, das sich nicht durch sein Murren und seine Müdigkeit den Zugang zur versprochenen „Ruhe“ der Vollendung verspielen sollte, wie dies das Volk Israel in der Wüste einst getan hatte. Die ganzen Glaubenszeugen des Alten Testaments führt der Verfasser des Hebräerbriefs in Hebr 11 in einer großen Übersicht auf, um die Gemeinde zum Festhalten „an dem, was man nicht sieht“ (Hebr 11,1) zu ermutigen. Problematisch ist im Hebräerbrief die Behauptung, dass es für diejenigen, die einmal vom Glauben abgefallen sind, keine Möglichkeit einer erneuten Buße gibt (Hebr 6,4-8; 10,26-31). Dies entspricht nicht dem sonstigen Zeugnis des Neuen Testaments, und aus eben diesem Grund war die Zugehörigkeit des Hebräerbriefs zum Kanon des Neuen Testaments in der Alten Kirche auch lange umstritten. Wenn wir auch diese Behauptung des Hebräerbriefs über die Unmöglichkeit einer erneuten Umkehr nach dem Abfall vom Glauben nicht annehmen können, enthält der Hebräerbrief insgesamt doch die ganz zentrale apostolische Christusverkündigung des Neuen Testaments; viele Abschnitte aus dem Hebräerbrief dienen als Episteln und Predigtlesungen in unseren Gottesdiensten, vor allem in der Fasten- und Passionszeit, in der das Leiden und Sterben Jesu Christi als priesterlicher Dienst für uns durch den Hebräerbrief in wunderbarer Weise entfaltet wird. In einer Zeit, in der viele, die noch zur christlichen Gemeinde gehören, ebenfalls allmählich im Glauben müde werden und den Gottesdiensten fernbleiben, erscheinen die mahnenden und ermutigenden Aussagen des Hebräerbriefs heute wieder ganz aktuell.


7. Der Jakobusbrief
Was Martin Luther vom Jakobusbrief gehalten hat, ist bekannt. In der Vorrede zu seiner Übersetzung des Neuen Testaments schreibt er: „Darum ist Sankt Jakobs Epistel eine recht stroherne Epistel, denn sie doch kein evangelisch Art an sich hat.“ Und an anderer Stelle äußert er: „Darum kann man wohl spüren, dass die Epistel Jakobi keine rechte apostolische Epistel ist.“ Dabei schließt sich Luther ausdrücklich dem Urteil der Alten Kirche an, in der der Jakobusbrief vor allem in der Westkirche lange Zeit nicht als Bestandteil des Neuen Testaments angesehen wurde. Luthers Ablehnung des Jakobusbriefs liegt vor allem in den Aussagen in Jak 2 begründet, wo es heißt: „Willst du nicht einsehen, du törichter Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist? Ist nicht Abraham, unser Vater, durch Werke gerecht geworden, als er seinen Sohn Isaak auf dem Altar opferte? … So seht ihr nun, dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben allein.“ (Jak 2,20.21.24) Der Bezug auf die Verkündigung des Apostels Paulus ist unverkennbar; dennoch darf man nicht übersehen, dass Jakobus unter „Glauben“ etwas ganz anderes als Paulus versteht und dass er mit seiner Argumentation darum nicht Paulus selber, sondern einen missverstandenen Paulus trifft. Dennoch bleibt die Argumentation des Jakobus problematisch, tun wir von daher gut daran, die Reserve der Alten Kirche gegenüber dem Jakobusbrief auch heute ernst zu nehmen. Der Verfasser des Briefes nennt sich „Jakobus, ein Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus“ (Jak 1,1); vermutlich handelt es sich bei ihm nicht um den Apostel Jakobus, sondern um Jakobus, den Bruder Jesu, der in Jerusalem Leiter der dortigen Gemeinde war. Sein Brief richtet sich an die „zwölf Stämme in der Zerstreuung“; gemeint sind damit vermutlich judenchristliche Gemeinden. Ihnen gegenüber betont Jakobus in seinem Brief die Bedeutung des christlichen Tuns: „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein!“ (Jak 1,22) In besonderer Weise wendet sich Jakobus in seinem Brief gegen die Verachtung der Armen in der Gemeinde und warnt vor leichtfertigem Reden. Bekannt ist die Anweisung des Jakobusbriefes, nicht einfach zu sagen: „Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen …“, sondern: „Dagegen sollt ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.“ (Jak 4,15) Auch die Krankensalbung wird im Jakobusbrief erwähnt und empfohlen: „Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.“ (Jak 5,14) So können wir auch dem Jakobusbrief viel Hilfreiches entnehmen, auch wenn wir ihn nicht auf eine Stufe mit den unumstrittenen Schriften des Neuen Testaments stellen können.


8. Der Judasbrief
Der Verfasser des Judasbriefes nennt sich „Judas, ein Knecht Jesu Christi und Bruder des Jakobus“ (Jud 1); es legt sich von daher nahe, dass er sich damit als Bruder Jesu vorstellt. Ob der Brief tatsächlich von einem Bruder des HERRN stammt, war bereits in der Alten Kirche umstritten. Inhaltlich lässt sich der Judasbrief als „antihäretisches Flugblatt“ (Karl Hermann Schelkle) bezeichnen: In großer Schärfe wendet er sich gegen Irrlehrer, die sich in die Gemeinde „eingeschlichen“ haben und die er als „Gottlose“ bezeichnet, die „die Gnade unseres Gottes für ihre Ausschweifung“ missbrauchen „und verleugnen unsern alleinigen Herrscher und Herrn Jesus Christus“ (Jud 4). Dabei setzt er sich weniger inhaltlich mit ihren Aussagen auseinander, die wohl denen der Irrlehrer in den Johannesbriefen weitgehend entsprechen, sondern stellt der Gemeinde das Strafgericht vor Augen, das diese Irrlehrer erwartet. Dabei führt er Beispiele aus dem Alten Testament und auch aus Schriften heran, die nicht in den Kanon des Alten Testaments aufgenommen wurden, wie z.B. das Buch Henoch (Jud 14). Der Brief endet mit der positiven Mahnung, sich fest auf den überlieferten „allerheiligsten Glauben“ zu gründen (Jud 20), und mit dem Lobpreis dessen, „der euch vor dem Straucheln behüten kann“ (Jud 24)


9. Die Offenbarung des Johannes
Als Verfasser der Offenbarung wird ein „Johannes“ genannt; dies war damals ein sehr gebräuchlicher Name. Deutlich erkennbare sprachliche Unterschiede zu den Johannesbriefen sprechen dagegen, dass es sich um denselben Verfasser handelt; dies wird auch von dem Verfasser der Offenbarung nicht behauptet. Johannes ist um seines Glaubens willen auf die Insel Patmos in der Ägäis verbannt und damit getrennt von den christlichen Gemeinden aus Kleinasien, aus denen er stammt. Dort auf Patmos erscheint ihm der auferstandene Christus; er beauftragt ihn mit der Weitergabe von sieben Sendschreiben an Gemeinden an der Westküste der heutigen Türkei, die jeweils sehr konkret auf die einzelnen gemeindlichen Verhältnisse eingehen und in denen Lob und Tadel jeweils sehr unterschiedlich gewichtet ist (Offbg 2+3). Auf diese Sendschreiben folgt eine Schilderung von Visionen, die Johannes zuteil geworden sind und in denen er sieht, wie das scheinbar übermächtige römische Kaiserreich letztlich untergeht und Christus sich als der Herr der Geschichte erweist, der am Ende einen neuen Himmel und eine neue Erde schafft. Die Johannesoffenbarung ist eine Trostschrift: Den verfolgten christlichen Gemeinden, die gezwungen werden sollen, den römischen Kaiser als ihren Herrn und Gott anzubeten, wird vor Augen gehalten: Im Himmel hat jetzt schon die große Siegesfeier derer begonnen, die im Glauben an Christus festgehalten haben; die Macht des Kaisers ist schon gebrochen, auch wenn sie jetzt noch so überwältigend erscheint. Lasst euch darum durch nichts vom Bekenntnis zu Christus abbringen, auch wenn dieses Bekenntnis euch das Leben kostet! Die Johannesoffenbarung verwendet dafür eine verschlüsselte Sprache, die mit Anspielungen und Begriffen aus dem Alten Testament arbeitet. Den damaligen Empfängern der Offenbarung waren diese Worte und Begriffe vertraut; sie wussten, wer mit diesen Worten jeweils gemeint war. Auch wir können die Bedeutung der Worte heute weitgehend historisch rekonstruieren. Viele Sekten verwenden die Bildersprache der Johannesoffenbarung jedoch völlig willkürlich-assoziativ und unhistorisch, um ihre eigenen Vorstellungen und Lehren darin einzutragen. Dies Problem bestand schon in der Alten Kirche; darum war die Zugehörigkeit der Johannesoffenbarung zum Neuen Testament lange umstritten. Wenn man die Johannesoffenbarung jedoch auf dem historischen Hintergrund der damaligen Zeit auslegt, wird sie als ein Trostbuch erkennbar, das mit der Mahnung zum Festhalten am Glauben auch uns heute viel zu sagen hat.