9. Der Taufgottesdienst

Der Taufgottesdienst wird in unserer Gemeinde in aller Regel zu Beginn des Hauptgottesdienstes gefeiert. Auch wenn dies zu einer nicht unerheblichen Verlängerung des Gottesdienstes führt, gibt es doch gute Gründe, den Taufgottesdienst nicht aus dem Gemeindegottesdienst zu lösen und ihn als eigenständigen Gottesdienst zu feiern: Die Taufe wird heute vielfach nur noch als ein Anlass zu einer Familienfeier verstanden, bei der die Familie die Geburt des Kindes gemeinsam feiert; die Taufe selber erscheint als eine Art von „rite de passage“, als ein Ritus, der eine wichtige Phase im Leben eines Menschen religiös umrahmt. Solche Vorstellungen haben mittlerweile auch längst in der Kirche selber Einzug gehalten, wie dies etwa in dem heute sehr beliebten Tauflied „Kind, du bist uns anvertraut“ zum Ausdruck kommt: „Kind, du bist uns anvertraut. Wozu werden wir dich bringen? Wenn du deine Wege gehst, wessen Lieder wirst du singen? Welche Worte wirst du sagen und an welches Ziel dich wagen?“ Das klingt nett, ist aber nicht weniger als eine Verdrängung und Verleugnung von Gabe und Wirkung der Taufe. Durch die Einbindung des Taufgottesdienstes in den gemeindlichen Hauptgottesdienst wird deutlich erkennbar, dass die Taufe Einfügung in den Leib Christi ist; umgekehrt ist es für die Gemeindeglieder hilfreich und wichtig, daran Anteil zu nehmen, wenn ein neues Familienmitglied in die Familie Gottes aufgenommen wird, und sich durch diese Taufe immer wieder an die eigene Taufe erinnern zu lassen.

In unserem Taufgottesdienst ist weiterhin die Struktur der alten römischen Taufordnung erkennbar. In der Alten Kirche ging der Taufe in einem größeren zeitlichen Abstand die Annahme des Taufbewerbers als Katechumene voraus; dies geschah durch die Bezeichnung mit dem Kreuzeszeichen, eine Handauflegung und die sogenannte „Öffnung der Ohren“, bei der der Täufer Ohren und Nase des Täuflings mit dem Finger berührte und dabei das Wort „Effata“, das heißt: „Tu dich auf“ (vgl. St. Markus 7,33+34) spricht. Auch die weitere Zeit der Taufvorbereitung wurde durch liturgische Handlungen begleitet, die sogenannten „Skrutinien“. Dazu zählten der Exorzismus und die Übergabe des Glaubensbekenntnisses und des Vaterunsers, deren Text dem Taufbewerber erst einmal nicht bekannt war. Direkt vor der Taufe erfolgten dann die Absage an den Teufel und die Frage nach dem Glauben sowie die Salbung mit dem Öl der Katechumenen. Auf die Taufe selber folgte dann eine weitere Salbung mit dem Chrisma, eine Handauflegung zur Mitteilung der siebenfachen Gaben des Heiligen Geistes (vgl. Jesaja 11,2), das Anlegen des Taufkleides, die Übergabe der Taufkerze und die Erstkommunion der Getauften. Bei der Taufe von Kindern wurde dieser Prozess der Vorbereitung auf die Taufe in den Taufgottesdienst selber integriert Martin Luther behielt in seinem „Taufbüchlein“ diese Grundstruktur des Taufgottesdienstes bei und strich lediglich einige der begleitenden, ausdeutenden Handlungen.

In unserer heutigen Taufordnung lässt sich weiterhin eine Dreiteilung des Taufgottesdienstes erkennen, wobei die einzelnen Teile auch an verschiedenen Orten abgehalten werden können: Der erste Teil, die „Schnellaufnahme ins Katechumenat“, könnte an der Eingangstür der Kirche erfolgen; Nach dem Tauflied und dem einleitenden Friedensgruß erfolgt die Verlesung der Stiftungsworte zur Taufe (St. Matthäus 28,18-20 und St. Markus 16,16); mit den Worten aus Matthäus 28 wird zugleich auch das Taufwasser gesegnet. Die Verlesung der Stiftungsworte macht deutlich: Die Taufe ist Stiftung und Befehl Christi und nicht Erfindung der gläubigen Gemeinde. An die Stiftungsworte schließen sich der Exorzismus und die Segnung des Täuflings mit dem Kreuzeszeichen an: „Fahre aus, du unreiner Geist, und gib Raum dem Heiligen Geist. Nimm hin das Zeichen des Heiligen Kreuzes, beides + an der Stirn + und an der Brust.“ Durch die Taufe wird der Täufling der Herrschaft des Teufels und aller bösen Mächte entrissen und unter die Herrschaft Christi gestellt. Dies wird durch den Exorzismus sehr eindrücklich erkennbar, der natürlich mit irgendwelchen Gruselfilmen nichts gemein hat. Wohl aber sollen wir wissen, dass sich jetzt in der Taufe ein lebensentscheidender Kampf vollzieht, in dem der Täufling dem Teufel „aus dem Hals gerissen“ wird, wie Martin Luther es im Großen Katechismus so drastisch formuliert. Es folgt ein Gebet, in dem die Gemeinde für den Täufling bittet, dass ihm Gott die Tür öffnet und ihn an den Gaben des Sakraments Anteil gewinnen lässt. Der zweite Teil der Taufliturgie wird, wie in der Regel auch schon der erste, am Altar vollzogen: Er beginnt mit der Taufansprache über den Taufspruch des Täuflings. Darauf folgen bei der Taufe eines Kindes die Versprechen von Eltern und Paten, das Kind christlich zu erziehen. Derjenige, der tauft, muss sich vergewissern, dass das Kind anschließend auch von seiner Taufe erfährt und im christlichen Glauben, und das heißt: in der Gemeinschaft der Kirche, erzogen wird. Das Patenamt ist im Unterschied zum Trauzeugen kein familiäres Ehrenamt, sondern ein kirchliches Amt, zu dem die Kirche in der Regel auf Vorschlag der Eltern beauftragt. Wer selber kein Christ ist, also nicht getauft oder nicht Glied einer christlichen Kirche ist oder zu erkennen gibt, dass er den christlichen Glauben nicht bekennen kann, kann kein Pate werden. Vor Gottes Altar soll es ehrlich zugehen; dies gilt auch für das Versprechen der christlichen Erziehung, die ja bekanntlich am besten durch gutes Vorbild erfolgt. Auf das Versprechen von Eltern und Paten folgt das Kinderevangelium aus St. Markus 10,13-16, in dem deutlich wird, warum es gut und wichtig ist, schon Kinder zu taufen: Die Taufe ist ganz und gar Geschenk: Kinder können in der Art und Weise, wie sie sich beschenken lassen, Erwachsenen sogar Vorbild sein. An das Kinderevangelium schließt sich dann die Segnung des Täuflings unter Handauflegung an; das Vaterunser hat in diesem Zusammenhang die besondere Funktion eines Segensgebetes für den Täufling und stellt von daher auch keine Doppelung dar zur späteren Verwendung in der Sakramentsliturgie. Bei Erwachsenen tritt an die Stelle des Versprechens der Eltern und Paten und des Kinderevangeliums eine Lesung aus St. Johannes 3,5-8, die die Bedeutung der Taufwiedergeburt herausstellt, und die Wiedergabe des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, mit dem der Taufbewerber bekundet, dass er in den christlichen Glauben eingeführt worden ist. Der dritte Teil der Taufliturgie wird sodann am Taufstein selber vollzogen. Hierzu werden in unserer Gemeinde die Kinder nach vorne an den Taufstein eingeladen. Nach dem Eingangsvotum aus Psalm 121,8 folgt die Frage an die Eltern und Paten, ob sie ihr Kind taufen lassen wollen. Daraufhin übernehmen Eltern und Paten die Rolle eines Rechtsanwalts für ihr Kind und sprechen stellvertretend für den Täufling die Absage an den Teufel und das Glaubensbekenntnis, indem sie die an den Täufling gerichteten Fragen jeweils mit „Ja“ beantworten. Handelt es sich bei dem Täufling nicht um ein kleines Kind, beantwortet er die Fragen natürlich selber. Die Taufe selber wird durch die dreimalige Begießung des Täuflings mit dem Taufwasser und die Worte der Taufformel: „N.N., ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ vollzogen. Diese Worte der Taufformel sollte jeder Christ auswendig können, da jeder Christ in der Not taufen kann und soll, wenn kein ordinierter Pfarrer zur Verfügung steht. Auf die Taufe folgt unter Handauflegung das sogenannte „Votum postbaptismale“: „Der allmächtige Gott und Vater unsers Herrn Jesus Christus, der dich von neuem geboren hat durch das Wasser und den Heiligen Geist und hat dir alle deine Sünde vergeben, der stärke dich mit seiner Gnade zum ewigen Leben.“ Diese Worte waren ursprünglich mit der Ölsalbung an dieser Stelle verbunden; in der orthodoxen Kirche gilt diese Segnung nach der Taufe sogar als eigenständiges Sakrament, die sogenannte „Myronsalbung“. An diese Segnung schließt sich das Anlegen des Taufgewandes, des sogenannten „Westerhemdes“ (vom lateinischen alba vestis = weißes Kleid), an, das daran erinnert, dass die, die auf Christus getauft sind, Christus angezogen haben wie ein Kleid (vgl. Galater 3,27) und darum von nun an „in Christus“ sind. Dieses Anlegen des Westerhemdes entfällt bei größeren Kindern und bei Erwachsenen. Auf das Anlegen des Westerhemdes folgt die Übergabe der Taufkerze, die an der Osterkerze entzündet wird und eindrücklich deutlich macht, dass der Täufling durch die Taufe Anteil an dem Auferstehungsleben Christi gewonnen hat und nun im Licht Christi lebt: „Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern das Licht des Lebens haben.“ (St. Johannes 8,12) In unserer Gemeinde ist es üblich, dass sich an die Übergabe der Taufkerze noch das Anlegen des Taufkreuzes anschließt. Dies ist eine schöne Sitte, die Gemeindeglieder aus Russland in unsere Gemeinde eingebracht haben. Das Taufkreuz ist natürlich kein „Maskottchen“, sondern erinnert den Getauften täglich neu an seine Taufe, in der er mit Christus gestorben und auferstanden ist. Ein Dankgebet schließt diesen dritten Teil der Taufliturgie ab.

Bei Kindertaufen folgt anschließend noch eine Elternsegnung. Diese geht auf den früheren Brauch der Muttersegnung zurück: Bei ihrem ersten Kirchgang, der oftmals nach 40 Tagen erfolgte, wie Marias Besuch im Tempel gemäß den alttestamentlichen Vorschriften für eine Wöchnerin (Lukas 2,22-24; vgl. 3. Mose 12,1-4), dankte die Mutter für die Bewahrung der Geburt und wurde gesegnet. Diese Segnung erfolgte früher unabhängig von der Taufe, die ja meistens bereits am Tag nach der Geburt erfolgte. Heute wird die Muttersegnung zumeist mit der Taufe verbunden; dabei hat man aus der Muttersegnung heute eine Elternsegnung gemacht, um auch die Verantwortung des Vaters für die Erziehung des Kindes herauszustellen. Im einleitenden Dankgebet wird jedoch noch einmal in besonderer Weise der Dank für die Bewahrung der Mutter ausgesprochen.