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5. Das Kirchenjahr (Teil1)

5. Das Kirchenjahr (Teil1)
Im Unterschied zu anderen Religionen ist der christliche Glaube seinem Wesen nach nicht zyklisch geprägt. Das heißt: Ihm liegt nicht der Gedanke an einen ewig gleichen Kreislauf zugrunde, sondern er ist linear ausgerichtet auf ein Ziel: auf die Wiederkunft Christi. Das Kirchenjahr, in dem wir einmal im Jahr die großen Geheimnisse des christlichen Glaubens feiern und den Heilsweg Christi nachvollziehen, ist von daher seinem Wesen nach eine „Übergangslösung“: Mit jedem Abschluß eines Kirchenjahres haben wir uns wieder ein Stück der endgültigen Erscheinung des Herrn am „Ende aller Dinge“ genähert. Das Kirchenjahr hat eine komplexere Gestalt als das bürgerliche Kalenderjahr; es wird gleich von drei Faktoren bestimmt:1. Die älteste Einheit, auf der das Kirchenjahr beruht, ist die Woche: Die Sieben-Tage-Woche übernahm die christliche Kirche aus dem Judentum; zugleich beging sie jedoch innerhalb dieser Sieben-Tage-Woche in besonderer Weise den ersten Tag der Woche, den „Sonntag“, wie er später genannt wurde, als den Tag der Auferstehung des Herrn. Erst dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts war es vorbehalten, aus dem Sonntag als dem ersten Tag der Woche wieder den letzten Tag der Woche zu machen und die Woche als „Arbeitswoche“ mit dem Montag beginnen zu lassen. Für uns Christen bleibt jedoch der Sonntag der erste Tag der Woche, von dem her wir die Kraft für die Woche schöpfen und der auch die ganze folgende Woche prägt. Schon im Neuen Testament selber wird berichtet, daß sich die Christen am ersten Tag der Woche versammelt haben, um miteinander das Mahl des Herrn zu feiern.2. Das älteste und wichtigste christliche Fest ist das Osterfest, das von den Christen von Beginn an an jedem Sonntag im Gottesdienst gefeiert wurde, dann aber auch bald als eigenständiges Fest einmal im Jahr begangen wurde. Bei der terminlichen Festsetzung des Osterfestes orientierte man sich dabei am jüdischen Passahfest, das jeweils am ersten Frühlingsvollmond gefeiert wird. Da man jedoch Ostern immer an einem Sonntag feiern wollte, setzte man das Osterfest auf den ersten Sonntag nach Vollmond nach Frühlingsanfang an. Das wichtigste Fest des christlichen Glaubens orientiert sich also nicht am Sonnen-, sondern am Mondkalender. Dies hat zur Folge, daß der Termin des Osterfestes um mehr als vier Wochen schwanken kann, je nachdem, wie groß der Abstand zwischen Frühlingsanfang und dem darauffolgenden Vollmond ist. Zum Ausgleich dieses Schwankens des Ostertermins gibt es in jedem Jahr eine unterschiedliche Zahl von Sonntagen nach Epiphanias (in der Zeit zwischen Weihnachten und Ostern) und von Sonntagen nach Trinitatis (in der Zeit zwischen Ostern und Weihnachten). Vom Ostertermin abhängig sind entsprechend auch die Feste der Himmelfahrt Christi (40 Tage nach Ostern), das Pfingstfest (50 Tage nach Ostern) und das Trinitatisfest (Sonntag nach Pfingsten).3. Das zweite wichtige Fest des Kirchenjahrs, das Weihnachtsfest, ist im Vergleich zum Osterfest jüngeren Datums und orientiert sich bereits am Sonnenkalender, das heißt: Es wird jedes Jahr am 25. Dezember gefeiert. Entgegen früherer Vorstellungen, wonach es sich bei diesem Datum zunächst um ein heidnisches Fest gehandelt habe, das dann später von der Kirche „christianisiert“ wurde, dürfte die Terminwahl des Weihnachtsfestes wohl ebenfalls vom jüdischen Festkalender bestimmt sein: Im Judentum wird der 25. Tag des 9. Monats als Chanukka, als Tempelweihfest, begangen. Auf diesen 25. Tag des 9. Monats nehmen auch altkirchliche Schriftsteller bezug und begründen die Feier dieses Tages damit, daß in Christus der neue Tempel, der neue Ort der Gegenwart Gottes in dieser Welt, errichtet worden ist, dessen Geburt die Grundlegung dieses neuen Tempels bedeutet. Auf den Sonnenkalender angewendet war der 25. Tag des 9. Monats der 25. Dezember; denn die Festsetzung des Jahresbeginns auf den 1. Januar erfolgte ja erst lange nach der Reformationszeit! Richtig ist jedoch, daß im Unterschied zum Osterfest kein direkter historischer Bezug das Datum des Weihnachtsfestes bestimmt hat, sondern „lediglich“ ein theologischer. Die Orientierung des Datums des Weihnachtsfestes am Sonnenkalender bedeutet zugleich, daß Weihnachten im Unterschied zu Ostern jeweils an ganz verschiedenen Wochentagen gefeiert wird. Da das Kirchenjahr selber jedoch stets mit einem Sonntag, dem Ersten Sonntag im Advent, beginnt, schwankt der Beginn des Kirchenjahres auch datumsmäßig: Fällt Weihnachten auf einen Sonntag, so beginnt das Kirchenjahr bereits am 27. November, dem frühestmöglichen Termin; fällt Weihnachten dagegen auf einen Montag, ist der 24. Dezember, der Tag vor Weihnachten, zugleich auch der Vierte Sonntag im Advent; entsprechend beginnt das Kirchenjahr in diesem Fall erst am 3. Dezember. In der ersten Zeit der Kirche feierte man das Osterfest noch als ein christliches Passah, das heißt: Man feierte an diesem Fest sowohl den Opfertod Christi als des neuen Passahlamms (vgl. 1. Korinther 5,7) als auch seine Auferstehung; man feierte also das ganze zentrale Heilsgeschehen in einem einzigen Fest. Diesen Gedanken hat später auch Martin Luther noch einmal aufgegriffen, der kein einziges Passionslied gedichtet hat, dafür aber sein Osterlied als ein christliches Passahlied gestaltet hat (vgl. ELKG 76: Christ lag in Todesbanden). Erst später wurde das Osterfest dann gleichsam nach hinten und nach vorne hin „verlängert“: Die Wochen vor dem Osterfest wurden als Buß- und Fastenzeit begangen, und die Wochen nach Ostern wurden zu einer österlichen Freudenzeit ausgestaltet.Seit alters her rüstet sich die Christenheit auf ihre beiden großen Feste Ostern und Weihnachten mit einer mehrwöchigen Fastenzeit. Die „große“ Fastenzeit vor Ostern beginnt am Aschermittwoch und dauert insgesamt – in Anlehnung an das Fasten Jesu (vgl. Matthäus 4,2) vierzig Tage. Da die Sonntage dabei jedoch als fastenfreie Freudentage nicht mitgezählt werden, dauert die Fastenzeit in Wirklichkeit sogar 46 Tage. Fasten ist ein biblisches begründetes Zeichen der Buße, der Umkehr zu Gottes Willen, der Sammlung aller geistlichen Kräfte hin auf Christus. Dabei muß sich das Fasten nicht unbedingt auf den Verzicht auf Essen beschränken oder konzentrieren. Die Fastenzeit kann für Christen auch ein Anstoß sein, eine Zeitlang auf andere Genußmittel oder Gewohnheiten zu verzichten, sich damit selber zu prüfen, ob man als Christ noch ein freier Mensch oder von etwas abhängig ist, und vor allem auf diese Weise Kopf, Herz und Körper in besonderer Weise auf Christus und Sein Wort auszurichten. Dies kann gerade in unserer heutigen Überflußgesellschaft sehr heilsam sein. In früherer Zeit war die Fastenzeit besonders der Vorbereitungsweg der Katechumenen, der Taufbewerber, die in der Osternacht die Heilige Taufe empfangen sollten, wie auch der Bußweg der öffentlichen, von der Kommunion ausgeschlossenen Sünder, die am Gründonnerstag wieder in die volle Gemeinschaft der Kirche aufgenommen werden sollten. Es ist sinnvoll, die Fastenzeit von daher nicht bloß als eine Zeit des Verzichts in Erinnerung an das Leiden Christi anzusehen und zu begehen, sondern als Zeit der besonderen Konzentration auf die Grundlagen unseres Glaubens und der Rückbesinnung auf die Gabe der Heiligen Taufe. Diesem Ziel dienen in unserer Gemeinde in besonderer Weise die Fastenpredigten in den Wochengottesdiensten. Mit der Reform der Ordnung der gottesdienstlichen Lesungen im Jahr 1978 wurde die Fastenzeit in den evangelischen Kirchen in Deutschland zu einer „Passionszeit“ umgestaltet, das heißt: Schon mit dem Beginn der Fastenzeit dominiert in den Lesungen das Thema des Leidens und Sterbens Christi. Gerade weil dies ein so wichtiges und zentrales Thema ist, ist diese Ausdehnung der Passionszeit eine problematische Entwicklung: Wenn das Thema des Leidens und Sterbens Christi schon sechs Wochen zuvor die Gottesdienste bestimmt, verliert die eigentliche Passionszeit im engeren Sinne, die mit dem Sonntag Judika beginnt, und vor allem die Karwoche selber ihr Gewicht: Sie ist gleichsam nur noch ein „Nachklapp“ dessen, was schon in all den Wochen zuvor behandelt wurde. Darum ist es sinnvoll, die ersten Wochen der Fastenzeit auch weiter trotz der Reform der Leseordnung tatsächlich als Fastenzeit und noch nicht als Passionszeit zu begehen, um so den Gottesdiensten der Karwoche die ihnen eigene Gewichtung zu belassen. Die Dramatik des Kirchenjahrs, die auf das Geschehen von Karfreitag und Ostern zielt, kommt auch in der Gestaltung unserer Liturgie deutlich zum Ausdruck: Schon in den Wochen vor Beginn der Fastenzeit fällt das Halleluja im Gottesdienst fort; mit dem Beginn der Fastenzeit entfällt dann auch das Gloria, das „Ehre sei Gott in der Höhe“; zugleich tritt an die Stelle des Nizänischen Glaubensbekenntnisses das Taufbekenntnis der Kirche, das Apostolische Glaubensbekenntnis. Auch das Sanctus, das „Heilig, heilig“, wird in einer schlichteren Weise gesungen. Mit Beginn der Passionszeit im engeren Sinne entfällt im Gottesdienst dann auch das Gloria Patri, das „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist“. Nach dem Gottesdienst am Gründonnerstag schweigen dann auch die Glocken; am Karfreitag erklingen dann weder Glocken noch Orgel, bevor dann in der Heiligen Osternacht wieder das „Ehre sei Gott in der Höhe“ und das „Halleluja“ unter Orgelklang und Glockengeläut ertönt.

Der Aschermittwoch, mit dem die Fastenzeit beginnt, hat seinen Namen daher, daß seit dem Mittelalter in der römischen Kirche die Stirn der Büßer mit einem Kreuz aus Asche gezeichnet wird. Die Asche symbolisiert dabei die Hinfälligkeit aller Kreatur, der der Sünder in seiner Abwendung von Gott verfällt, und mahnt damit zur Umkehr zu Gott. Dieser Brauch des Aschenkreuzes ist auch in manchen Gemeinden unserer lutherischen Kirche üblich. Die Sonntage der Fastenzeit haben ihren Namen jeweils von dem lateinischen Beginn des Introitus, des Eingangspsalms des Gottesdienstes. Latein war über viele Jahrhunderte die Gottesdienstsprache der westlichen Kirche; wer des Lateinischen kundig ist, wird den Rückbezug des Beginns des Introitus auf den Sonntagsnamen in den Fasten leicht erkennen können. Der erste Fastensonntag ist bestimmt von dem Evangelium von der Versuchung Jesu. Das Thema des Sieges Christi über die Mächte des Bösen zog sich früher durch die Sonntage der Fastenzeit hindurch; es korrespondierte mit der Taufvorbereitung der Taufbewerber, die sich darauf rüsteten, in ihrer Taufe in der Osternacht mit ihrem Taufgelübde dem Teufel zu entsagen und sich ganz dem dreieinigen Gott hinzugeben. Innerhalb der Sonntage der Fastenzeit nimmt der Sonntag „Laetare“ („Freude dich“) eine besondere Stellung ein: Er wird wegen seiner fröhlichen Grundstimmung auch als „Klein-Ostern“ bezeichnet und hatte früher eine eigene liturgische Farbe, nämlich rosa (= Mischung aus dem Violett der Fastenzeit und dem Weiß des Osterfestes).