1. - Artikel 11 + 25: Von der Beichte

Artikel 11: Von der Beichte
Von der Beichte wird so gelehrt, dass man in der Kirche die persönliche Absolution (privata absolutio) beibehalten und nicht wegfallen lassen soll, obwohl es in der Beichte nicht nötig ist, alle Missetaten und Sünden aufzuzählen, weil das doch nicht möglich ist, Psalm 19: „Wer kennt seine Missetat?“

Artikel 25: Von der Beichte
Die Beichte ist in den Kirchen bei uns nicht abgeschafft worden. Denn diese Gewohnheit wird bei uns beibehalten, das Sakrament denen nicht zu reichen, die nicht vorher verhört und absolviert wurden. Dabei wird das Volk fleißig unterrichtet, wie tröstlich das Wort der Absolution ist, wie hoch und teuer die Absolution zu achten ist. Denn es ist nicht die Stimme des anwesenden Menschen oder sein Wort, sondern das Wort Gottes selbst, der hier die Sünde vergibt. Denn die Absolution wird an Gottes Statt und auf Gottes Befehl ausgesprochen. Wie tröstlich, wie notwendig dieser Befehl und diese Gewalt der Schlüssel für die erschrockenen Gewissen sind, wird mit großem Fleiß gelehrt; dazu, dass Gott fordert, dieser Absolution nicht weniger zu glauben, als wenn Gottes Stimme selbst vom Himmel erschallt, und uns der Absolution fröhlich zu getrösten und zu wissen, dass wir durch diesen Glauben Vergebung der Sünde erlangen. Von diesen notwendigen Dingen haben früher die Prediger, die über die Beichte viel gelehrt haben, nicht ein Wörtlein gesagt, sondern nur die Gewissen mit langen Aufzählungen der Sünden, mit Genugtun, Ablass, Wallfahrten und dergleichen gemartert. Und viele unserer Gegner geben selbst zu, dass bei uns über die rechte christliche Buße sachgemäßer geschrieben und gelehrt wird, als es lange Zeit vorher geschrieben und getan wurde.
So wird über die Beichte gelehrt, dass man niemand zwingen soll, die Sünden einzeln aufzuzählen; denn das ist unmöglich, wie der Psalm sagt: „Wer kennt seine Missetat?“ Und Jeremia sagt: „Des Menschen Herz ist so arg, dass man’s nicht ergründen kann“. Die elende menschliche Natur steckt so tief in den Sünden, dass sie dieselben nicht alle sehen oder kennen kann, und sollten wir allein von denen absolviert werden, die wir aufzählen können, wäre uns wenig geholfen. Deshalb ist es nicht nötig, die Leute zu zwingen, die Sünden einzeln aufzuzählen …
 

Nach der Heiligen Taufe und dem Heiligen Abendmahl folgt in Artikel 11 nun die Heilige Beichte als drittes Sakrament. Sie wird im Augsburger Bekenntnis gleich in zwei Artikeln behandelt: innerhalb der grundlegenden Lehrartikel und dann auch noch einmal im zweiten Teil des Bekenntnisses, das die Missbräuche in der Kirche behandelt. Lehre und Praxis der Beichte hängen also offenkundig ganz eng miteinander zusammen.

In beiden Artikeln wird zu Beginn erst einmal deutlich betont, dass die Beichte – gemeint ist damit im historischen Kontext zunächst einmal die Einzelbeichte – in der lutherischen Kirche nicht abgeschafft, sondern beibehalten worden ist. Offenbar sind Abschaffung und Beibehaltung der Beichte ein Thema, das sich durch die Geschichte der lutherischen Kirche bis heute hindurchzieht. Ganz klar halten die Bekenner von Augsburg fest: Man soll die persönliche Absolution beibehalten und nicht wegfallen lassen.

Zugleich wird von Melanchthon hier im Augsburger Bekenntnis – ganz im Sinne Luthers – eine ganz bezeichnende Akzentuierung vorgenommen: Auch wenn die Überschrift „Von der Beichte“ lautet, spricht Melanchthon anschließend immer wieder von der Absolution gleichsam als Synonym für die Beichte: Die Beichte ist ihrem Wesen nach nicht Handeln des Menschen, sondern Handeln Gottes, der durch die Absolution den Beichtenden die Sünden vergibt. Die Beichte ist „privata absolutio“, persönliche Absolution, Zuspruch des Vergebungswortes Gottes auf den Kopf des einzelnen Beichtenden.

Dahinter steht eine zentrale reformatorische Erkenntnis Martin Luthers, die bei ihm den entscheidenden reformatorischen „Durchbruch“ auslöste, wie er es selber im Rückblick schildert: Lange hatte Luther sich mit der Frage herumgequält, ob es einen Weg geben könne, auf dem er seines Heils gewiss werden könne. Schließlich wurde ihm über der Meditation der Stiftungsworte Christi aus Johannes 20 und Matthäus 16 („Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen“, „alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein“) klar, dass das Absolutionswort, das er hier auf Erden vernimmt, identisch ist mit Gottes Freispruch im letzten Gericht: Die Absolution ist nicht nur ein „Zwischenbescheid“, sondern endzeitliches Handeln Gottes: Nicht ein Mensch spricht mich frei, sondern es ist „Gottes Stimme“, die im Wort des Absolvierenden „vom Himmel erschallt“. In der Absolution wird mir nicht bloß eine allgemeine Wahrheit verkündigt, auf die ich mit etwas Nachdenken auch selber hätte kommen können. Sondern sie ist ein durch und durch sakramentales Geschehen: Im menschlichen Wort der Lossprechung ist Christus mit seinem Wort real gegenwärtig und versetzt den Menschen, dem die Absolution zugesprochen wird, in ein neues Verhältnis zu Gott.

Dies ist ein so großartiges Geschehen, dass es eigentlich für jeden Christen selbstverständlich sein sollte, immer wieder von diesem Freispruch der Absolution Gebrauch zu machen. Doch offensichtlich tut sich der Christ immer wieder schwer damit, die Größe dieses Geschehens zu erfassen und entsprechend das Geschenk der Absolution immer wieder zu suchen. Darum war es schon zur Zeit der Reformation nötig, das Volk „fleißig zu unterrichten“, „wie tröstlich das Wort der Absolution ist, wie hoch und teuer die Absolution zu achten ist.“

Dies war nicht zuletzt deshalb nötig, weil die Menschen vor der Reformation ganz andere Erfahrungen mit der Beichte gemacht hatten: In ihrer Wahrnehmung lag das Schwergewicht des Bußsakraments auf ihrer Aufzählung der ihnen erinnerlichen Sünden. Gewiss wusste man auch zuvor schon in der Kirche, dass dem Christen viele seiner Sünden, die er begangen hat, gar nicht bewusst sind. Aber mit der Verpflichtung, alle Sünden, an die man sich erinnern konnte, aufzuzählen, da bewusste, aber nicht gebeichtete Sünden nicht vergeben würden, bestand die große Gefahr, dass die Beichte zu einem frommen Werk wurde, bei dem von dem Beichtenden doch eine erhebliche Anstrengung verlangt wurde – ohne dass er am Ende gewiss sein konnte, ob ihm nun wirklich auch alle Sünden vergeben sind. Es könnte ja sein, dass ihm schon bald nach der Beichte wieder eine Sünde ins Bewusstsein kommt, die er nicht bekannt hatte. Martin Luther hatte mit den daraus resultierenden Ängsten seinen Beichtvater mitunter fast zum Wahnsinn getrieben, wenn er ihn bereits kurze Zeit nach der Beichte wieder in den Beichtstuhl bat, weil ihm noch etwas eingefallen war. Auf diesem Hintergrund ist die doppelte Thematisierung der Frage der Aufzählung der Sünden in den Artikeln 11 und 25 zu verstehen: Es ging hier um ganz existentielle Anliegen, die eben nicht nur Luther selber, sondern offenbar auch viele andere Christenmenschen ganz praktisch im Vollzug der Beichte betrafen.

Das lutherische Bekenntnis hingegen lenkt die Aufmerksamkeit ganz weg von dem, was der Mensch in der Beichte tut, hin zu dem, was Gott tut. Die Beichte ist Absolution, ist wirksamer Zuspruch der ungeteilten und ganzen Vergebung Gottes, die vollzogen wird, weil Gott sich an das von Menschen ausgesprochene Wort bindet, und die darum nicht von den Fähigkeiten des Menschen zur Auflistung seiner Sünden abhängig ist: Der Christ darf ganz und gar von sich selber wegschauen hin auf das wirksame sakramentale Wort der Vergebung.  

Selbstverständlich sprachen auch in der lutherischen Kirche diejenigen, die zur Beichte kamen, die Sünden, die ihnen bekannt waren und ihnen auf dem Herzen lagen, aus. Die Kritik des Augsburger Bekenntnisses richtet sich natürlich nicht dagegen, dass Beichtende bei ihrer Beichte konkret werden, sondern sie richtet sich einzig und allein gegen die Vorschrift einer – nicht zu erreichenden – Vollständigkeit des Sündenbekenntnisses. Auch in der lutherischen Kirche werden die, die das Altarsakrament empfangen, zuvor „verhört“, so formuliert es Melanchthon hier. Dabei ist natürlich nicht an ein „Polizeiverhör“ gedacht, sondern ganz einfach daran, dass der Beichtvater dem Beichtenden zuhört, ihm gegebenenfalls aber auch in seiner Beichte weiterhilft. Doch das, was die Beichte „lieblich und tröstlich macht“, wie Luther es im Großen Katechismus formuliert, ist einzig und allein der Losspruch, die Absolution: Gott wird mich in aller Ewigkeit nicht mehr auf das ansprechen, was er mir nun gerade vergeben hat.

Die Beichte wurde in der Gestalt der Einzelbeichte in der lutherischen Kirche noch Jahrhunderte nach der Reformation ganz selbstverständlich praktiziert. Lutherische Beichtstühle aus dem 17. und 18. Jahrhundert legen davon noch heute in so manchen älteren Kirchen, zum Beispiel der Peterskirche in Görlitz, Zeugnis ab. Die Beichte wurde als etwas so Tröstliches angesehen, dass die Menschen mitunter stundenlang Schlange standen, um die Absolution zu empfangen. In gewisser Weise ist dieser „Erfolg“ der Einzelbeichte in der lutherischen Kirche auch ein Grund für ihren späteren Niedergang: Die Pfarrer waren mit den Massen, die zur Beichte strömten, einfach überfordert, sodass Sündenbekenntnis und Absolution nicht selten zu einem Mechanismus im Fünfminutentakt wurden. So kam es dazu, dass allmählich an die Stelle der Einzelbeichte gemeinsame Beichtgottesdienste traten. Der Pietismus, der mit den Gnadenmitteln wenig anfangen konnte und sich mit der häuslichen Pflege der eigenen Herzensfrömmigkeit begnügte, sowie der Rationalismus, dem die Rede von Sünde und Gnade ohnehin ganz fremd wurde, taten zum Niedergang der Einzelbeichte das Ihre. Dazu kam dann auch noch der Einfluss des Calvinismus, in dem die Einzelbeichte als angebliches Relikt finsterster römisch-katholischer Zeiten längst abgeschafft worden war.

Von diesem Niedergang der Einzelbeichte hat sich die lutherische Kirche bis heute nicht erholt. Gewiss ist es erfreulich, dass der Trost der persönlich in der Einzelbeichte zugesprochenen Absolution heute in unserer Kirche, gerade auch in unserer Gemeinde von vielen, gerade auch jüngeren Gemeindegliedern wiederentdeckt wird. Doch davon, dass die Mehrzahl der Gemeindeglieder regelmäßig zur Einzelbeichte kommen würde, kann in unserer Gemeinde und Kirche insgesamt wohl nicht die Rede sein.

Wie sollen wir damit umgehen? Die Bekenntnisse lehren uns, dass wir an diesem Punkt in keiner Weise mit Zwang oder moralischem Druck arbeiten dürfen. Das einzige Mittel, das wir haben, um zur Beichte zu locken, ist die Einladung, ist die Predigt über den Segen der Absolution. Es ist auch nicht recht, damit Gemeindeglieder zur Einzelbeichte zu führen, dass man ihnen die Absolution, die im Beichtgottesdienst zugesprochen wird, in irgendeiner Weise madig macht, als ob in ihr nicht die vollgültige sakramentale Sündenvergebung zugesprochen würde. Im Gegenteil muss es der allererste Schritt sein und bleiben, dass uns die Absolution als Gnadenmittel in unserer lutherischen Kirche nicht auf schleichendem Wege ganz verloren geht. Hier ist es schon die besondere Aufgabe der Hirten der Gemeinde, die Absolution in der Gemeinde in „beiderlei Gestalt“, in der Einzelbeichte und im Beichtgottesdienst, immer wieder anzubieten und sie nicht aus scheinbar so naheliegenden praktischen Gründen entfallen zu lassen, weil es doch auch „ohne“ geht und der Mensch von heute für den Empfang der Vergebung einfach keine Zeit mehr hat.   

Gewiss darf man die in Artikel 25 genannte „Gewohnheit“, das Sakrament denen nicht zu reichen, die nicht vorher verhört und absolviert wurden, nicht so auslegen, als ob man niemals einen Sakramentsgottesdienst ohne vorherige Beichtandacht halten dürfe oder als ob man gar denjenigen das Sakrament verweigern müsse, die vorher weder in der Einzelbeichte waren noch an der Beichtandacht teilgenommen hatten. Auch in unserer Gemeinde gibt es beispielsweise Werktagsmessen ohne vorherige Beichtandacht. Doch wo Gemeindeglieder grundsätzlich meinen, auf den Segen des Empfangs der Absolution verzichten zu können, ist es dringend geboten, ihnen die Bedeutung von Beichte und Absolution wieder neu vor Augen zu stellen. Und dies wird man kaum dadurch erreichen können, dass man das Angebot von Beichte und Absolution in der Gemeinde zugleich reduziert.

Nicht vergessen werden darf schließlich auch, dass in der Beichte das Amt der Schlüssel ausgeübt wird. Die Absolution ist keine Selbstverständlichkeit; sie muss denen verwehrt werden, die „unbußfertig“ sind, das heißt: die die Schuld nicht bei sich selber, sondern nur bei den anderen sehen. Und sie kann auch nur denen gespendet werden, die getauft sind, denn die erste grundlegende Sündenvergebung findet in der Taufe statt. Die Beichte ist immer wieder neu Rückkehr zur Taufe. Aus diesen Gründen verbietet sich eine allgemeine „Schnellabsolution“ der Gemeinde zu Beginn eines Hauptgottesdienstes, der sich Ungetaufte und Unbußfertige oft gar nicht schnell genug entziehen können. Auch da, wo die Sündenvergebung im Beichtgottesdienst gespendet wird, macht die Handauflegung deutlich, dass sie immer „privata absolutio“, persönliche Absolution, bleibt.