26.04.2015 | St. Johannes 15,1-8 | Jubilate
Pfr. Dr. Gottfried Martens
„Es gibt nichts, was mich hält, Au Revoir. Vergesst, wer ich war, vergesst meinen Nam’n. Es wird nie mehr sein, wie es war. Ich bin weg, Au Revoir, Au Revoir!“ – So sang im vergangenen Jahr Mark Forster in Kooperation mit dem Rapper Sido. Nur weg von hier, bloß nicht da bleiben, wo ich jetzt bin, wo ich immer schon gewesen war – diese Botschaft kam gut an bei den Hörern, brachte die Lebenseinstellung, die Lebenssehnsucht vieler gerade junger Menschen zum Ausdruck: Bloß nicht immer da bleiben, wo man ist, bloß immer wieder woanders hin!
Im Heiligen Evangelium des heutigen Sonntags Jubilate hören wir scheinbar genau die gegenteilige Botschaft unseres Herrn Jesus Christus: Bleibt, bleibt dort, wo ihr seid, geht nicht weg, lasst euch dort halten, wo ihr gerade seid! Sind die Worte unseres Herrn Jesus Christus also die Worte eines Spießers, der nicht möchte, dass in unser Leben auch mal Veränderung und Bewegung hineinkommt? O nein, wer die Worte unseres Herrn so hört, der hat sie völlig missverstanden. Denn in Wirklichkeit bringen diese Worte viel mehr Bewegung in unser Leben, als man diese mit einer Flucht aus dem Alltag, wie sie Mark Forster anpreist, jemals bewerkstelligen könnte. Ja, Christus geht es hier ums Bleiben. Aber dieses Bleiben hat nichts Miefiges an sich, sondern etwas zutiefst Befreiendes. Und das wollen wir uns nun noch einmal genauer anschauen:
Da haben wir eben hier im Gottesdienst miterlebt, wie acht Schwestern und Brüder in der Heiligen Taufe in den Weinstock Jesus Christus eingepflanzt wurden, in seine Lebensgemeinschaft aufgenommen wurden, Anteil erhalten haben an seinem ewigen, unvergänglichen Leben. Was für ein großartiges, was für ein wunderbares Geschehen. Nein, das lässt sich in der Tat nicht mehr toppen! Und das brauchen wir auch nicht mehr zu toppen, brauchen es nicht zu ergänzen, brauchen nicht von unserer Seite irgendetwas noch hinzuzufügen. Es geht für die acht Täuflinge, es geht für uns alle, die wir getauft sind, nun tatsächlich nur noch um dies eine: Dass wir da bleiben, wo wir sind: bei Christus, ja mehr noch: in Christus, verwurzelt, eingepflanzt in ihm. Ja, du hast schon das ewige Leben, du hast schon das ewige Heil. Du musst es dir nicht noch erst erarbeiten, musst nicht erst noch etwas tun, musst nicht alle möglichen Regeln und Gesetze einhalten, damit du eine Chance bekommst, vielleicht auch mal im Paradies zu landen. Wie schön: Du hast in der Tat schon das Heil im Rücken; es wurde dir geschenkt von Christus in deiner Taufe. Und das heißt nun tatsächlich: Du darfst dich als Christ hängenlassen, hängenlassen an Christus. Du musst nicht immer etwas tun, musst dich nicht hocharbeiten. Du bist schon da, wo du einmal für immer sein sollst: bei Christus, in Christus, in seiner Gemeinschaft. Was für eine wunderbare Botschaft, gerade in einer Zeit, in der wir sonst dauernd unter Leistungsstress stehen, dauernd etwas machen müssen, dauernd mehr machen müssen! Bei Christus darfst du aufatmen, darfst einfach an ihm hängen wie die Rebe am Weinstock! Du musst dir dein Leben nicht erst noch erschaffen – auch nicht durch irgendwelche abenteuerlichen Fluchten aus dem Alltag. Wenn du bei Christus bleibst, hast du allemal mehr, als du jemals woanders, und sei es irgendwo am Ende der Welt, finden könntest. Du musst nicht mehr weg. Das, was du suchst, was du ersehnst und erhoffst, ist doch so nahe. Christus ruft es dir zu: Bleibe bei mir, bleibe in mir!
Was Christus hier seinen Jüngern, was er auch uns zuruft, das klingt so selbstverständlich, dass man es doch eigentlich gar nicht mehr extra aussprechen und thematisieren muss: Ich muss eine Rebe an einem Weinstock nicht extra dazu auffordern, am Weinstock hängen zu bleiben, sich von dem Saft des Weinstocks durchströmen zu lassen. Das macht sie, weil sie Rebe ist, weil sie doch am Weinstock hängt. Genauso ist es eigentlich völlig selbstverständlich, dass jemand, der durch die Taufe in den Weinstock Christus eingefügt worden ist, mit Christus verbunden worden ist, in ihm lebt und er in ihm, da auch bleibt. Eigentlich ist das überhaupt nicht vorstellbar, dass es anders sein könnte, dass eine Rebe sich von dem Weinstock, aus dem sie ihr Leben bezieht, wieder losreißen könnte, ohne diesen Weinstock für sich weiterexistieren wollte oder könnte. Eigentlich ist das überhaupt nicht vorstellbar, dass jemand, der getauft ist, der zu Jesus Christus gehört, meint, er könne in seinem Leben ohne Christus auskommen. Ja, eigentlich ist das unvorstellbar, dass jemand, der mit Christus verbunden ist, nicht immer wieder neu durchströmt wird von dem Leben seines Herrn, wenn er dessen Leib und Blut im Heiligen Mahl empfängt.
Aber nun hat es Christus doch für nötig gehalten, den Reben am Weinstock dies ausdrücklich noch einmal zu sagen: Bleibt in mir und ich in euch! Ja, es gibt sie tatsächlich, diese eigentlich unmögliche Möglichkeit, dass Menschen, die schon mit Christus verbunden waren, an seinem Leben schon Anteil hatten, sich wieder aus der Gemeinschaft mit Christus ausklinken, nicht selber bei ihm bleiben wollen, allen Ernstes glauben, ohne ihn, Christus, das Leben haben zu können, vielleicht gar ein noch besseres Leben haben zu können. Das gibt es allen Ernstes, dass Menschen, die doch mit Christus schon so eng verbunden waren, erklären, sie hätten nun keine Zeit mehr für ihn, hätten so viel anderes zu tun, dass sie nicht auch noch bei ihm, Christus, bleiben könnten. Ja, das gibt es allen Ernstes, dass Menschen das Leben in der Gemeinschaft mit Christus als Einengung empfinden: „Es gibt nichts, was mich hält! Au revoir!“ Was für ein Wahnsinn, was für eine Kurzsichtigkeit! Sich vom Leben abzuschneiden in der Hoffnung, dadurch Leben zu gewinnen. Sehr deutlich und drastisch beschreibt Christus hier, was diejenigen in Wirklichkeit erwartet, die meinen, ihr Leben aus anderen Quellen schöpfen zu können als aus der Verbindung mit ihm, Christus, allein: Sie verdorren, sie vertrocknen, sie gehen ein.
Bleibt darum, so ruft es Christus unseren acht Neugetauften, so ruft er es einem jeden von euch zu. Bleibt doch bloß in mir! Ohne mich könnt ihr nichts tun, nichts, was auf die Dauer gut ist und Bestand hat, nichts, was wirklich Frucht bringen würde! Ja, bleibt doch nur bei Christus, so rufe ich es euch heute hier auch wieder neu im Auftrag des Herrn zu! Es geht in unserem Leben als Christen doch letztlich um nichts Anderes als darum allein: in Christus zu bleiben, in ihm zu leben, verbunden zu bleiben mit ihm durch seinen Leib und sein Blut. Alles andere kann man in der Tat knicken, alles andere bringt uns am Ende kein Leben, das Bestand hat, ja auch noch über den Tod hinaus!
Bleiben – das bedeutet aber gerade nicht: sich langweilen, sich anöden, keine Veränderung erfahren. Im Gegenteil: Gerade dadurch, dass wir in Christus bleiben, passiert etwas, was sonst gar nicht möglich wäre: Wir bringen Frucht, so beschreibt es Christus hier. Das ist im Bilde gesprochen klar: Eine Rebe, die nicht am Weinstock hängt, wird ganz sicher keine Weintrauben aus sich selber hervorbringen. Das kann sie nur, weil sie mit dem Weinstock verbunden ist. Und wenn sie an ihm hängt, dann verändert sich tatsächlich etwas an ihr, dann wächst da etwas, was man zunächst gar nicht für möglich halten würde.
Und genauso ist das auch bei uns: Gerade dadurch, dass wir an Christus hängen, passiert in unserem Leben, passiert in unserer Gemeinde viel mehr, als wir erwarten würde, passiert viel mehr, als wir mit eigenen Aktionen, Konzepten und Programmen jemals bewerkstelligen könnten. Weil wir an Christus hängen, mit ihm verbunden sind, verändert sich unser Leben, prägt seine Liebe auch unser Leben, unseren Umgang mit anderen. Weil wir an Christus hängen, mit ihm verbunden sind, liegt uns daran, dass auch andere davon erfahren, wie gut es ist, zu ihm, Christus, zu gehören. Und dann kann es passieren, dass von solch einer Frucht, die daraus erwächst, auch einiges sehr direkt sichtbar wird, wie wir dies heute in diesem Taufgottesdienst und auch sonst immer wieder erleben durften und dürfen. Ja, so macht es uns Christus deutlich, wenn wir so mit ihm verbunden sind, dann wird sich das auswirken auch auf die Art und Weise, wie wir beten, um was wir beten. Dann wird es nicht mehr zuerst um uns und um unseren Vorteil gehen, sondern dann wird unser Wille immer mehr geprägt werden von dem Willen des Vaters. Dann erlebe ich gerade dadurch, dass ich an und in Christus bleibe, viel mehr Veränderung in meinem Leben, als wenn ich durch die halbe Weltgeschichte reisen würde.
„Es gibt nichts, was mich hält. Au revoir!“ – So singt Mark Forster. „Es gibt einen, der mich hält, im Leben und im Sterben“, so bekennen wir es dagegen als Christen. Und darum fahren wir nicht fort mit Au revoir, sondern singen es viel mehr ganz fröhlich: „Bei dir, Jesu, will ich bleiben.“ Denn besser geht’s gar nicht. Amen.