15.04.2015 | 1. Petrus 1,22-25 | Mittwoch nach Quasimodogeniti
Pfr. Dr. Gottfried Martens

„Der christliche Glaube ist besser als der Islam. Da darf man Alkohol trinken und sich mit seiner Freundin in der Öffentlichkeit zeigen!“ Solche Kommentare höre ich immer wieder einmal von Menschen, die in unsere Gemeinde kommen und sich für den christlichen Glauben interessieren. Was sie sagen, ist ja auch nicht unbedingt ganz falsch. Aber wenn ich solche Äußerungen höre, dann versuche ich natürlich, deutlich zu machen, dass der Grund dafür, weshalb wir als Christen Alkohol trinken und auch öffentlich eine Freundin haben dürfen, doch noch einmal sehr viel tiefer liegt und es im christlichen Glauben nicht einfach bloß darum geht, dass dort alles erlaubt ist, was im Islam verboten ist.

In der heutigen Tageslesung fasst der Apostel Petrus sehr eindrücklich zusammen, was denn nun wirklich das Besondere, das Entscheidende ist, was den christlichen Glauben ausmacht und ihn von anderen religiösen oder nichtreligiösen Angeboten, den Islam eingeschlossen, klar und eindeutig unterscheidet.

Da spricht der Apostel zunächst einmal davon, dass wir im christlichen Glauben eine Zusage, ein Versprechen haben, das bleibt, auf das wir uns verlassen können: Das Wort, das unter uns verkündigt ist, das uns ganz konkret in der Taufe zugesprochen worden ist, das bleibt, das hat keine Halbwertszeit, sondern bleibt in Ewigkeit.

Für uns als Christen mag das so selbstverständlich erscheinen, dass wir von einem bleibenden Versprechen Gottes leben, dass wir uns gar nicht mehr klar machen, was für ein Geschenk, was für ein Privileg es ist, dass  wir als Christen dieses bleibende Wort Gottes haben, das uns hält und trägt, ganz gleich, was wir in unserem Leben erfahren mögen. Was das bedeutet, kann uns daran klar werden, wenn wir miterleben, wie bei anderen Menschen eine Welt zusammenbricht, wenn sie merken, dass das, woran sie immer geglaubt hatten, worauf sie sich immer verlassen hatten, keinen Bestand mehr hat. Wir denken in diesen Tagen und Wochen an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren. Wie viele junge Menschen sind noch in den letzten Tagen und Wochen hier in Deutschland gestorben, weil sie immer noch an ihren großen Führer Adolf Hitler glaubten und dann, wie es in ihren Todesanzeigen hieß, schließlich starben „im festen Glauben an den Endsieg“. Doch der kam nicht, denn das Versprechen, dem sie vertrauten, war nichts als Lüge und Betrug. Oder wie schwer tun sich bis heute manche Menschen, die an den Kommunismus geglaubt hatten, damit, einzusehen, dass auch der Kommunismus Versprechen gemacht hat, die sich am Ende doch als nicht haltbar herausstellten! Bei wie vielen Menschen bricht eine Welt zusammen, wenn sie ihren Lebensstandard, den sie immer gewohnt waren, nicht mehr halten können, oder wenn sie erkennen müssen, dass ihre Gesundheit, die bisher für sie das Wichtigste im Leben war, sie verlassen hat. Petrus zitiert aus dem Buch des Propheten Jesaja: „Alles Fleisch ist wie Gras, und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume.“ Nichts, worauf wir uns ansonsten in unserem Leben verlassen mögen, hat am Ende doch noch Bestand. Bestand hat wirklich nur eines: Gottes Wort – nein, nicht eine Theorie, sondern seine Zusage, die er uns in der Taufe gegeben hat. Das bleibt bestehen, auch wenn die Weltgeschichte oder die persönliche Geschichte sich noch so sehr verändern mögen, das bleibt bestehen, auch wenn sonst alles zusammenbricht. Ja, Gott hat sich uns gegenüber festgelegt in seinem Wort – was für ein großartiges Geschenk, und was für ein Unterschied zum Islam, in dem Menschen in der Tat niemals gewiss sein können, wie Allah eigentlich zu ihnen steht, was er ihnen einmal als letztes Wort sagen wird. Wir dürfen es wissen, was Gott uns zugesagt hat: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Das gilt, das wird selbst dann noch feststehen, wenn einmal die ganze Welt an ihr Ende kommen wird. Wie gut, dass wir diesen festen Halt als Christen in unserem Leben haben!

Ein Zweites ist kennzeichnend und entscheidend wichtig für unseren christlichen Glauben: Wir sind, so betont es der Apostel, wiedergeboren aus dem lebendigen Wort Gottes, das in unserer Taufe an uns ergangen ist. Der christliche Glaube ist nicht bloß eine religiöse Theorie, nicht bloß ein religiöses Angebot, das wir ausprobieren können und vielleicht ganz nett finden können, das wir auch einmal eine Weile in Anspruch nehmen können. Im christlichen Glauben geht es um unendlich mehr: Es geht darum, dass in unserem Leben eine unumkehrbare Lebenswende stattgefunden hat, dass wir in ein neues, unvergängliches Leben hineingeboren worden sind in unserer heiligen Taufe. Christ zu sein bedeutet nicht bloß: Etwas Bestimmtes zu denken oder zu akzeptieren oder etwas Bestimmtes zu machen. Christ zu sein bedeutet zunächst und vor allem: wirklich ganz neu und anders zu sein, neu geboren zu sein, mit einem neuen Leben unwiderruflich beschenkt worden zu sein.

Ja, ich werde immer wieder einmal darauf angesprochen, ob Menschen, die in unsere Gemeinde kommen, denn wirklich Christen sind, wenn sie sich in manchem nicht so verhalten, wie man es von einem Christen erwartet – oder manchmal vielleicht auch nur von einem Menschen, der in der deutschen Kultur zu Hause ist, erwartet. Ja, natürlich tut es auch mir weh, wenn Menschen, die in unserer Gemeinde getauft wurden, mit ihrem Verhalten nicht dem entsprechen, was man eigentlich von ihnen erwarten könnte, wenn sie es etwa an Respekt vor dem Gottesdienst, vor der Gegenwart Christi in unserer Mitte, fehlen lassen. Das ist manchmal mühselig, das immer wieder neu zu vermitteln. Und doch: Sie sind und bleiben wiedergeboren durch die Taufe, können und sollen an das erinnert werden, was unwiderruflich an ihnen geschehen ist. Und wir sollen dabei erst einmal auch bei uns selber anfangen, dass wir uns selber immer wieder neu klar machen, warum wir Christen sind – nicht, weil wir besser wären als andere, weil wir besonders intensiv glauben würden, sondern weil auch wir wiedergeboren sind, weil auch wir aus dem leben, was wir nicht selber gemacht haben, sondern was auch uns ohne allen Verdienst widerfahren ist.

Aber dann macht uns der Apostel hier noch ein Drittes sehr eindrücklich deutlich: Er nennt das Ziel, die Bestimmung unserer Wiedergeburt in der Taufe: Wir sind dort gereinigt worden zu ungefärbter Bruderliebe, so formuliert er es hier. Christlicher Glaube ist nie bloß eine persönliche Angelegenheit zwischen mir und dem lieben Gott, sondern die Taufe stellt uns immer wieder ganz konkret in die Gemeinschaft der Familie Gottes, umgibt mich zugleich mit Schwestern und Brüdern, die ich mir nicht ausgesucht habe und die zu lieben mir Gott doch als Aufgabe gegeben hat. Christlicher Glaube heißt nicht einfach bloß, alles tun zu können und zu dürfen, was man möchte. Er zielt nicht auf die eigene Selbstverwirklichung, auf den eigenen Vorteil. Sondern gerade weil wir Gottes verlässliche Zusage haben, gerade weil wir durch die Taufe ein neues Leben haben, soll der Inhalt unseres Lebens nicht darin bestehen, dass wir uns nur mit unserer eigenen Gottesbeziehung beschäftigen. Nein, Leben als Christ heißt ganz konkret, sich untereinander in der Gemeinde beständig lieb zu haben aus reinem Herzen. Nein, Liebe ist nicht ein emotionales Gefühl, das andere Gemeindeglieder mit ihrem Anblick bei mir hervorrufen. In der Liebe spiegelt sich vielmehr Gottes Zuwendung zu mir wider, Gottes Zuwendung, die so handgreiflich gewesen ist, dass sie ihn am Kreuz das Leben gekostet hat.

Liebe heißt also für uns Christen: Auch die Schwestern und Brüder in der Gemeinde auszuhalten, die ganz anders sind als wir selber, die sich vielleicht auch ganz anders verhalten als wir selber, sich nicht aus der Gemeinde auszuklinken, weil mir diese oder jene Nase nicht passt. Liebe heißt: Den Bruder, die Schwester mit Gottes Augen wahrzunehmen, sie wertzuschätzen, weil auch ihnen Gottes Vergebung gilt. Liebe beschränkt sich für uns Christen also gerade nicht auf das Händchenhalten mit der Freundin. Sie umfasst auch diejenigen, die uns mitunter ganz schön auf den Keks gehen mögen. Und doch ist es eben so wunderbar, dass wir zugleich in der Gemeinschaft der Christen erfahren dürfen, dass wir zugleich selber auch geliebt werden – zuerst und vor allem von Gott, aber dann eben auch von den anderen Schwestern und Brüdern, die uns immer wieder auch mit unseren Macken tragen und annehmen. Ja, das ist eine Realität auch hier in unserer Gemeinde, Gott sei Dank. Ja, wir haben es als Christen wirklich gut! Amen.