08.03.2015 | St. Lukas 9,57-62 | Okuli
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Wir können Jesus nicht nachfolgen. Das müssen wir uns zunächst einmal ganz klarmachen. Wir können nicht tun und nachahmen, was die Jünger Jesu damals gemacht haben, die ihre Familien zurückgelassen haben, die sich auf Wanderschaft begeben haben hinter Jesus her und Tag für Tag sehen konnten, wo der Weg lang ging: Eben dort, wo Jesus herging.

Nein, das können wir nicht. Jesus wandert nicht mehr durch das Heilige Land, macht sich nicht mehr auf den Weg nach Jerusalem, um dort zu leiden und zu sterben. Selbst wenn wir unsere Wohnungen aufgeben würden, allen Besitz verkaufen würden, uns von unseren Familien verabschieden würden und uns einfach nur noch ohne alles auf die Straße stellen würden – wohin sollten wir dann gehen? Dadurch würden wir auch nicht zu Nachfolgern Jesu werden. Wir leben, um es kurz zu sagen, nicht mehr vor Ostern, sondern nach Ostern; diese Zeit der Nachfolge, wie sie uns hier im Heiligen Evangelium des heutigen Tages geschildert wird, ist und bleibt vorbei.

Sollen wir das, was St. Lukas uns hier schildert, also als nette Anekdoten aus längst vergangenen Zeiten abhaken, die für uns heute eigentlich nicht mehr von Belang sind? Dann hätten wir noch nicht begriffen, worum es im Heiligen Evangelium des heutigen Sonntags in Wirklichkeit geht, ja, warum dieses Evangelium auch für uns heute von größter Bedeutung ist.

Um zu erkennen, was dieses Evangelium mit unserem Leben zu tun hat, empfiehlt es sich, mit der dritten Antwort Jesu zu beginnen, die uns der Evangelist hier überliefert. Da hatte er uns drei Menschen vor Augen gestellt: Einen ersten, der von sich aus Jesus seine Bereitschaft bekundet, ihm nachzufolgen, wo auch immer er hingeht. Und Jesus – der macht ihm deutlich, dass das Leben in seiner Nachfolge keine Kuschelreise ist, dass es im Gegenteil den Verzicht auf alle menschlichen Absicherungen darstellt: Wer ihm nachfolgt, kann noch nicht einmal wissen, wo er wohl die nächste Nacht verbringen wird. Wer ihm nachfolgt, ist in dieser Welt letztlich heimatlos. Und dann ist da ein Zweiter, der meldet sich nicht freiwillig für die Nachfolge Jesu, sondern wird von Jesus gerufen. Und seine Antwort ist bemerkenswert: Ja, er ist allen Ernstes bereit, Jesus nachzufolgen – aber er muss zuvor noch eine wichtige Aufgabe erledigen, muss sich um die Beerdigung seines Vaters kümmern. Die galt damals in Israel als eine der allerwichtigsten Pflichten, die ein Mensch überhaupt zu beachten hatte; dafür war es ihm sogar erlaubt, das Sabbatgebot zu übertreten, wenn es denn nur dazu diente, dem verstorbenen Vater den letzten Respekt zu erweisen. Doch Jesus wischt diesen so einleuchtenden Einwand einfach zur Seite: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! Was für ein Anspruch, was für ein radikaler Ruf in seine Nachfolge! Und dann ist da noch ein Dritter, der sich auch freiwillig bei Jesus meldet, ihm auch nachfolgen will. Aber er will sich zuvor wenigstens noch kurz von seiner Familie verabschieden. Doch auch diesen Wunsch wehrt Jesus ab: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“

Ein sehr eindrückliches Bild ist das: Wenn damals ein Bauer pflügte, dann musste er seinen Blick ganz fest auf einen Punkt am Ende des Feldes richten und den Pflug immer in diese Richtung lenken. Wenn er stattdessen zur Seite guckte oder sich gar umschaute, dann wurde die Furche völlig schief; dann kam er schließlich ganz woanders an als dort, wo er ursprünglich einmal hinwollte. Genau darum ging es damals den Jüngern: Jesus rief sie in seine Gemeinschaft, lud sie ein in das Reich Gottes, lud sie ein, für immer in diesem Reich Gottes mit ihm zu leben und feiern. Und diese Gemeinschaft mit Jesus faszinierte die Jünger so sehr, dass sie dafür in der Tat schließlich alles stehen und liegen ließen. Und genau darum geht es auch heute noch bei uns: Dass wir dieses Ziel unseres Lebens immer ganz klar vor Augen haben und uns durch nichts und niemanden daran hindern oder davon ablenken lassen, dieses Ziel zu erreichen: Das Ziel des ewigen Lebens in der Gemeinschaft mit Christus, das jetzt schon dort beginnt, wo wir ihm, Christus, begegnen und mit ihm verbunden werden.

Ein Ziel vor Augen zu haben – das ist nicht bloß eine schöne allgemeine Wahrheit, sondern wenn es um dieses ganz konkrete Ziel des ewigen Lebens in der Gemeinschaft mit Christus geht, dann kann das ganz massive Auswirkungen auf unser Leben haben, so bezeugen es gerade unsere Schwestern und Brüder aus dem Iran und Afghanistan mit ihrem Leben.

Menschlich gesprochen war das doch Wahnsinn, sich dort im Iran einer Hausgemeinde anzuschließen und damit wirklich alles zu riskieren, was man besaß: Das Haus, den Beruf, die Familie, die Gesundheit, die Freiheit. Doch diese Menschen, diese unsere Schwestern und Brüder, die hatten und haben dieses Ziel des ewigen Lebens in der Gemeinschaft mit Christus so fest im Blick, dass sie sich von nichts anderem mehr ablenken ließen. Und als die Geheimdienste sie dann schließlich erwischten, da mussten sie fliehen, erfuhren sie genau das gleiche Schicksal wie ihr Herr und Heiland Jesus Christus auch: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. Nein, das ist nicht romantisch, das ist bedrückend, auf der Straße leben zu müssen, sich immer wieder neu einen Übernachtungsplatz auf der Flucht suchen zu müssen. Wie das geht? – Es gibt viele hier unter uns, die das den anderen erklären könnten.

Und dann sind sie schließlich hier in Deutschland angekommen – und müssen aus der Ferne miterleben, wie ihre Eltern erkranken, wie am Ende vielleicht der Vater sogar stirbt, und wie sie bei der Beerdigung nicht mit dabei sein können. Und das alles nur, weil sie wegen dieses Jesus nicht zurückkehren können in ihre Heimat. Und so mancher hat auch hier in Deutschland immer noch daran zu knabbern, dass es ihm vor der Flucht noch nicht mal mehr möglich war, sich von der eigenen Familie zu verabschieden, oder dass die Familie nun gar nichts mehr von ihm wissen will, jetzt wo er sich hat taufen lassen. Ja, was Jesus hier über das Leben in seiner Nachfolge sagt, das erweist sich auch heute wieder für so viele Menschen in unserer Mitte als ganz aktuell.

Aber die Worte Jesu haben uns auch dann etwas zu sagen, wenn wir nicht um Christi willen die Heimat, den Besitz, die Familie aufgegeben haben, wenn wir, menschlich gesprochen, eigentlich die ganze Zeit ein gut bürgerliches Leben geführt haben und immer noch führen.

Die Worte Jesu haben unseren Konfirmanden etwas zu sagen, wenn sie jetzt auf ihre Konfirmation zugehen. Wenn ihr jetzt nur noch auf die gute alte Zeit zurückblickt, in der ihr im Konfirmandenunterricht mehr oder weniger Spaß gehabt habt, dann habt ihr noch nicht kapiert, worum es im christlichen Glauben geht: Eben darum, dass ihr euren Blick gerade auch bei eurer Konfirmation nach vorne ausrichtet und sagt: Ja, ich kenne das Ziel meines Lebens: Ich will für immer bei Jesus Christus bleiben – und das soll für mich immer das Wichtigste in meinem Leben bleiben.

Die Worte Jesu haben uns als Gemeinde insgesamt etwas zu sagen: Da gibt es vielleicht immer noch so manche unter uns, die auch noch ein wenig der guten alten Zeit nachtrauern, als hier in der Gemeinde alles noch kleiner und überschaubarer und gemütlicher war, gibt es vielleicht gar manche, die immer noch hoffen, man könnte die Zeit wieder zurückdrehen. Nein, sagt Jesus, das geht nicht, dass man als Gemeinde immer wieder nur zurückblickt und sich nach dem zurücksehnt, was einmal war. Blickt nach vorne, ganz klar und konsequent. Denn wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Und die Worte Jesus haben uns allen auch etwas für unser Leben zu sagen: Sie fragen auch uns: Was hindert dich ganz persönlich daran, dein Leben ganz auf das Ziel deines Lebens auszurichten? Was lenkt dich davon ab, hindert dich vielleicht gar daran, immer Jesus Christus ganz klar im Blick zu haben, von ihm dein Leben bestimmen zu lassen? Ja, gibt es da vielleicht Dinge in deinem Leben, die du, wenn auch vielleicht nicht leichten Herzens, aufgeben solltest, weil sie dich von Jesus Christus fernhalten? Kann es dir das wert sein, ordentlich Geld zu verdienen und dafür nicht mehr zum Gottesdienst kommen zu können? Kann es dir das wert sein, auf deine Familie mehr Rücksicht zu nehmen als auf Jesus, dass du dir für ihn keine Zeit mehr nimmst, weil andere deine ganze Zeit beanspruchen? Kann es dir das wert sein, auf deine Bequemlichkeit mehr Rücksicht zu nehmen als auf den gewiss sehr unbequemen Ruf deines Herrn, der darin doch nur dies eine will: Dass du leben darfst, für immer, in alle Ewigkeit?

Schwestern und Brüder: Wenn uns das auch nur ein wenig aufgeht, was es bedeutet, dass wir das Ziel des ewigen Lebens vor Augen haben dürfen, dann verliert all das Andere, was scheinbar in unserem Leben so wichtig ist, sein Gewicht: Die Schulnoten, die Karriere, ja selbst die Wohnung, der Aufenthalt in Deutschland. Hauptsache, wir bleiben bei Jesus.

Ja, das ist und bleibt doch darum die Hauptsache, weil er uns doch die Tür zum ewigen Leben so weit aufgestoßen hat, als er für uns am Kreuz gestorben ist. Für uns – ja, das heißt in der Tat, dass er, Christus, die oft so krummen Furchen in unserem Leben wieder geradebiegen will, dass er, Christus, uns befreit von den Lasten der Schuld aus unserer Vergangenheit, ja, auch heute hier an seinem Altar, dass er uns hier eine wunderbare Aussicht schenkt, die weit über den Tag unserer Beerdigung hinausreicht.

Habe darum immer wieder das Kreuz deines Herrn und Heilandes Jesus Christus vor Augen; blicke darauf und ordne von daher ein, was in deinem Leben zählt und was nur scheinbar so wichtig ist. Denn wirklich wichtig ist und bleibt tatsächlich nur eines, damals vor 2000 Jahren genauso wie heute: Hauptsache, wir bleiben bei Jesus! Amen.