01.02.2015 | St. Matthäus 20,1-16 | Septuagesimae
Pfr. Dr. Gottfried Martens
„Der Pastor kümmert sich bei uns ja nur noch um die Neuen! Für uns, die wir schon länger hier in der Gemeinde mit dabei sind, hat er keine Zeit mehr!“ Schwestern und Brüder – immer wieder höre ich in letzter Zeit solche Klagen in unserer Gemeinde, gerade von den farsisprachigen Gemeindegliedern, die schon eine längere Zeit hier in der Gemeinde mit dabei sind. Und ich kann diese Klagen ja durchaus ein ganzes Stück verstehen: Da bildet sich jedes Mal nach einem Taufunterricht oder einer Bibelstunde und erst recht am Sonntag nach dem Mittagessen ein größerer Pulk um die Tür zu meinem Besprechungszimmer. Die Leute drängeln sich – und alle wollen sie die Ersten sein, alle behaupten sie, sie hätten keine Zeit, müssten gegenüber den anderen bevorzugt behandelt werden. Und dann gibt es daneben noch viele andere, die sich erst gar nicht anstellen, die von vornherein sagen: Ich komme ja doch nicht dran, was soll ich da schon warten!
Im Heiligen Evangelium des heutigen Tages wird auch von solch einem Pulk, von solch einer großen Gruppe von Menschen gesprochen, die sich alle mit ganz bestimmten Erwartungen um einen Verwalter versammeln, der etwas zu verteilen hat. Hinter vielen von ihnen liegt ein ganz langer Arbeitstag. Seit dem frühen Morgen, seit Sonnenaufgang hatten sie in einem Weinberg gearbeitet, hatten dort schwere körperliche Arbeit geleistet. Aber sie waren froh gewesen, als der Besitzer des Weinbergs sie gleich morgens als Arbeiter dort eingestellt hatte. Denn sie hatten doch keine feste Arbeit, hatten dafür aber eine Familie, die sie ernähren mussten. Einen Silbergroschen pro Tag brauchten sie, um sich und ihre Familie durchbringen zu können. Und genau diesen Silbergroschen hatte der Besitzer des Weinbergs ihnen versprochen, als er sie am Morgen für einen Tag angestellt hatte. Was für ein Glück, dass sie diese Arbeit gefunden hatten! Und dann standen da vor diesem Verwalter andere, die an diesem Tag auch schon schwer gearbeitet hatten. Etwas später waren sie allerdings gekommen, weil der Besitzer des Weinbergs sie erst später eingestellt hatte. Und dann standen da schließlich auch Leute, die im Vergleich zu denen, die schon am Morgen in den Weinberg gekommen waren, ziemlich wenig gearbeitet hatten, die erst am späten Nachmittag vom Besitzer des Weinbergs geholt und eingestellt worden waren. Die Sonne ging nun schon unter; es war die Stunde der Lohnausgabe.
Doch da läuft nun alles ganz anders ab, als diejenigen, die seit dem frühen Morgen gearbeitet hatten, sich das wohl vorgestellt hatten: Da nimmt doch der Verwalter des Weinbergs auf Anordnung seines Chefs allen Ernstes diejenigen als erste bei der Lohnausgabe dran, die als letzte in den Weinberg gekommen waren. Ich kann mir vorstellen, wie diejenigen, die den ganzen Tag gearbeitet hatten, wohl geguckt haben mögen: Wieso kommen die denn zuerst dran? Wir haben ja wohl mehr Aufmerksamkeit verdient; wir haben doch viel mehr getan! Und dann staunen sie alle miteinander – diejenigen, die lange gearbeitet haben, und diejenigen, die nur kurz gearbeitet hatten: Denn diejenigen, die nur eine Stunde gearbeitet hatten, bekommen einen ganzen Silbergroschen, bekommen den Lohn, den sie brauchten, um selber zusammen mit ihrer Familie überleben zu können. So viel Lohn für so wenig Arbeit! Nun ja, dachten sich diejenigen, die länger gearbeitet hatten, dann soll der Verwalter diesen Leuten ruhig den einen Silbergroschen geben – Hauptsache, wir bekommen entsprechend mehr, Hauptsache, wir bekommen dann auch entsprechend, was wir mit unserer langen Arbeit verdient haben! Doch wie groß ist dann bei ihnen die Enttäuschung, als sie auch den einen Silbergroschen bekommen, genau wie diejenigen, die erst nachmittags mit der Arbeit angefangen hatten: Wieso werden die Leute, die so wenig getan haben, uns gleichgestellt? Warum werden wir nicht besser behandelt als sie, warum bekommen wir nicht mehr?
So protestieren sie bei dem Weinbergsbesitzer persönlich. Doch der erklärt ihnen sein Verhalten: Ich habe euch doch genau gegeben, was ich versprochen hatte; ich habe mein Wort gehalten. Warum regt ihr euch darüber auf, dass ich auch anderen das gebe, was sie zum Leben brauchen? Ihr bekommt deswegen doch nicht weniger!
Schwestern und Brüder: Natürlich geht es im Heiligen Evangelium des heutigen Tages nicht um biblische Ratschläge für Tarifverhandlungen oder für die Verhandlungen zwischen Griechenland und der EU. Natürlich geht es hier um Gott und die Art und Weise, wie er mit uns umgeht. Doch mit dieser Einsicht wird nicht weniger provozierend, was Jesus hier in dieser Geschichte schildert, denn Jesus stellt damit auch an uns, an einen jeden von euch genau diese eine Frage: Was erwartest du eigentlich von der Kirche, was erwartest du eigentlich hier in dieser Gemeinde, ja, was kannst und darfst du hier eigentlich erwarten?
Und da müssen wir uns in der Tat auf das besinnen, was der uns versprochen hat, dem der Weinberg, dem die Kirche gehört, der hier das Sagen hat: Er, Jesus Christus. Und der hat dir, als er dich in seine Kirche gerufen hat, eines versprochen: Leben, ewiges Leben, ein Leben, in dem du all das bekommst, was du für immer und ewig brauchst. Und zu diesem Versprechen steht er, der Herr. Immer wieder neu teilt er dir dies Leben aus hier in der Kirche. Gewiss, um dieses Leben zu bekommen, musst auch du mitunter ein wenig länger warten und Schlange stehen, bis dir schließlich hier am Altar die Hand aufgelegt wird und dir wieder neu der Eintritt ins ewige Leben zugesagt wird, bis du schließlich hier vorne knien darfst und den Leib und das Blut des Herrn empfangen darfst, so unscheinbar, und doch nicht weniger als die Speise des ewigen Lebens. Ja, Christus hält sich an seine Versprechen, er gibt dir, was er dir zugesagt hat. Und dafür bist du hier, heute Morgen und immer wieder. Anderes hat dir Christus hingegen nicht versprochen: Dass er nur einer kleinen, überschaubaren Gruppe dieses Geschenk machen will, dass er das Geschenk nur Leuten machen will, die mindestens so lange hier in seinem Weinberg mit dabei sind wie du selber. Und er hat dir erst recht nicht eine Mindestzahl von Stunden versprochen, die du im Monat ganz allein mit dem Pastor verbringen darfst. Nur, falls du es dir noch nicht klar gemacht hast: Das ewige Leben ist mehr und nicht weniger als ein persönliches Zusammensein mit dem Pastor!
Warum kommst du also hierher in die Kirche? Weil du hier den Silbergroschen bekommst, das ewige Leben aus der Hand deines Herrn, der hält, was er verspricht! Und wenn du das verstanden hast, dann wirst du dich auch nicht ärgern über die, die nach dir kommen und dieses ewige Leben ebenfalls von Christus erhalten. Du bekommst deshalb nicht weniger vom ewigen Leben ab, weil es so viele andere auch bekommen. Und verdient hast du dir das ewige Leben genauso wenig wie jeder andere auch. Für uns alle, den Pastor natürlich eingeschlossen, ist dieser Silbergroschen, ist diese Gabe des ewigen Lebens ganz und gar ein unverdientes Geschenk, über das wir uns immer wieder nur freuen können. Wir verdienen uns dieses Leben nicht dadurch, dass wir jeden Sonntag in die Kirche gehen, nicht dadurch, dass wir viel in der Gemeinde mitarbeiten. All das ist schon Folge der Freude darüber, dass wir den Silbergroschen, dass wir das Leben bekommen.
Freu dich daher darüber, dass auch du hier in der Gemeinde mitarbeiten darfst! Warte nicht darauf, dass du hier von irgendjemandem bedient wirst, sondern packe selber mit an! Hilf mit, es anderen leicht zu machen, auch hier in der Gemeinde zu Hause zu sein, auch hier in der Gemeinde mitarbeiten zu können! Diese Arbeit ist doch keine Strafe, sie ist doch hier und jetzt schon die Erfüllung unseres Lebens. Diejenigen, die in der Geschichte den ganzen Tag lang auf dem Marktplatz herumhingen, hatten es doch nicht besser als diejenigen, die im Weinberg gearbeitet haben. Wer Christ wird, versaut sich doch nicht sein Leben, sodass man das am besten so weit wie möglich nach hinten in seinem Leben schieben sollte; sondern etwas Besseres kann uns doch gar nicht passieren, als in der Kirche zu Hause zu sein, in der Kirche mitarbeiten zu können! Seien wir Christus von daher von Herzen dankbar, wenn wir schon länger hier mit dabei sein dürfen! Das allein ist doch schon Belohnung genug! Und freuen wir uns darüber, wenn auch andere genau das entdecken, was wir nun schon entdeckt haben! Nehmt dabei einfach den Verwalter, der die Gaben austeilt, nehmt den Pastor nicht so wichtig! Hauptsache, ihr habt den Silbergroschen, Hauptsache, ihr habt das ewige Leben. Und das bekommt ihr jetzt auch gleich wieder – hundert Prozent – sad dar sad! Amen!