09.07.2014 | Micha 7,18-20 | Mittwoch nach dem 3. Sonntag nach Trinitatis
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Neulich hat der Berliner Senat endlich konkrete Schritte unternommen gegen die hohe Zahl von Schülern, die hier in Berlin beim Versuch, den Mittleren Schulabschluss zu erreichen, durchfallen. Die Maßnahme ist sehr einfach und effektiv: Der Senat hat einfach die Anforderungen zur Erreichung des Mittleren Schulabschlusses gesenkt. Dadurch wird zwar kein Schüler besser für den Verlauf seiner weiteren Ausbildung vorbereitet sein, aber es wird in Zukunft voraussichtlich doch erheblich weniger Durchfaller geben.

Wir mögen über diese Maßnahme den Kopf schütteln und mit Recht feststellen, dass sich damit letztlich alle Beteiligten nur selber etwas in die Tasche lügen, dass damit das dicke Ende für die, die nur dank der Senkung der Anforderungen nun die MSA-Prüfungen bestehen, letztlich nur ein Stück nach hinten verschoben worden ist. Doch was der Berliner Senat nun in Bezug auf die MSA-Prüfungen machen will, ist letztlich nichts Anderes, als was wir in unserem Leben, in unserem Verhältnis zu Gott auch immer wieder versuchen und anstellen: Da lesen wir in Gottes Wort eigentlich immer wieder sehr klar und eindeutig, was Gott von uns erwartet und will. Und wir lesen auch, was er nicht will. Doch so manches von dem, was Gott da sagt, passt uns einfach nicht, weil es dem nicht entspricht, was wir gerne möchten, ja, was wir tatsächlich in unserem Leben immer wieder auch tun. Das kann unseren Umgang mit Geld und Besitz ebenso betreffen wie unsere Sexualität, unser Reden über andere Menschen genauso wie unseren Umgang mit Fremden und Flüchtlingen, unseren Umgang mit Gottes Einladung am Sonntag genauso wie unsere Bereitschaft zur Vergebung. Immer wieder, so stellen wir fest, reißen wir da die Latte, werden Gottes Erwartungen und Ansprüchen an unser Leben nicht gerecht.

Und da liegt sie dann eben auch so nahe, diese Lösungsmöglichkeit, dass wir uns vormachen, Gott würde das alles ja wohl doch nicht ganz so eng sehen – ganz so, wie er es in seinem Wort sagt, würde er es ja wohl doch nicht meinen. So hart kann Gott doch gar nicht sein; der hat doch Verständnis dafür, dass wir auch unseren Spaß im Leben haben wollen, dass wir uns nicht einfach an all das halten können, was er uns sagt. Jesus hätte das doch sicher auch alles nicht so eng gesehen.

Doch genau darin täuschen wir uns gewaltig: Die Botschaft, die Jesus verkündigt hat, lautet gerade nicht: Gott meint das alles gar nicht so ernst, was er in seinen Geboten sagt; seht das alles nicht so eng! Im Gegenteil, so lesen wir es in der Bergpredigt, hat Jesus den Willen Gottes für unser Leben sogar noch einmal zugespitzt: Das Schimpfwort gegen den Bruder bringt uns in die Hölle, das Anschauen der verheirateten Frau ist schon Ehebruch, und wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dem reiche die linke auch dar. Ja, das meint er so – von Jesus können wir keine Senkung der Standards erwarten.

Gott macht etwas ganz Anderes: Er ändert nicht seine Erwartungen an uns und unser Leben, sondern er vergibt, so hören wir es in der Predigtlesung des heutigen Abends. Und Vergeben ist etwas ganz Anderes, als etwas nicht ganz so eng zu sehen. Genau das kann Jesus Christus am allerbesten bezeugen: Vergeben ist nicht Ausdruck einer Gönnerlaune, sondern Ergebnis der Lebenshingabe unseres Herrn am Kreuz. Gott ist nicht ein nachsichtiger alter Opa, sondern ein glühender Backofen voller Liebe, der in seiner Liebe auf alles verzichtet, um uns seine Vergebung zu schenken.

Genau davon ist in diesen letzten Versen des Buches des Propheten Micha die Rede: davon, was es heißt, dass Gott tatsächlich vergibt. Und eben davon können gerade diejenigen unter uns ein Lied singen, die früher in ihrem Leben tatsächlich ganz Anderes von Gott vernommen haben: Ja, dass Gott barmherzig ist, davon hatten sie auch etwas gehört; aber das bedeutete eben nicht, dass auch nur ein Mensch wirklich gewiss sein konnte, dass Gott auch ihm tatsächlich seine Schuld vergeben hat. Ja, Gott ist bereit zu vergeben dem, der umkehrt – aber ob er es tatsächlich dann auch tut – wer weiß? Und ob es am Ende dazu reicht, tatsächlich ins Paradies zu kommen – das kann erst recht keiner von sich mit Gewissheit sagen.

Wie ganz anders klingen da die Worte unserer heutigen Predigtlesung: „Wo ist solch ein Gott, wie du bist?“ Nein, im Islam kann man diesen Gott gewiss nicht finden, diesen Gott, der nicht nur die Sünden vergeben will, sondern tatsächlich Sünde vergibt und erlässt – so konkret, so direkt, dass uns dies auf den Kopf zugesprochen werden kann: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Gott hält an seinem Zorn nicht ewig fest – ja, das ist Realität, das gilt auch für dich, so gewiss Christus Gottes Zorn, der auch dir galt, weggetragen hat.

Und dann gebraucht der Prophet Micha hier noch zwei wunderbare plastische Bilder, um zu beschreiben, was die Einzigartigkeit Gottes ausmacht: nicht seine Größe, nicht seine Allmacht, sondern seine Vergebung, die er uns schenkt: Gott trampelt auf unserer Schuld herum, macht sie platt, macht sie unschädlich, dass sie uns nicht mehr bedrohen, uns nicht mehr für immer von Gott trennen kann. Ja, gerade wenn du selber merkst, dass du mit dem Trick nicht weiterkommst, dass Gott es mit seinen Erwartungen an dich und dein Leben vielleicht doch nicht so ernst meint, gerade wenn du selber merkst, dass du Gottes Willen in deinem Leben immer wieder so gar nicht entsprichst, dann halte dir dieses Bild vor Augen, wie Gott deine Schuld unter seine Füße tritt, sie richtig kaputt macht, dass von ihr keine Gefahr mehr ausgehen kann.

Und dann spricht Micha hier noch davon, dass Gott all unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen wird. Wir haben heute ja ein sehr ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein. Wir wissen, dass es sehr kurzsichtig ist, irgendwelchen Müll im Meer zu verklappen, irgendwo im Meer Giftmüll zu versenken, weil das Zeug früher oder später direkt oder indirekt doch wieder hochkommt und in unsere Nahrungskette gelangt. Das ist bei der Verklappung, von der Micha hier spricht, anders: Wenn Gott unsere Sünden im Meer versenkt, dann kommen sie nicht irgendwann doch wieder hoch, spätestens im Jüngsten Gericht. Sondern was Gott versenkt, das ist endgültig weg, in alle Ewigkeit, das wird nie mehr an die Oberfläche gelangen. Das ist der Segen der Beichte, der Segen der Absolution, den wir immer wieder in unseren Gottesdiensten erfahren dürfen. Da erleben wir es immer wieder ganz konkret, was es bedeutet, dass wir einen wirklich einzigartigen Gott haben, einen Gott, der Sünden vergibt.

Gott vergibt Sünden, vergibt deine Sünden – diese Botschaft ruft bei dir nur noch ein leichtes Gähnen hervor, weil du das doch schon längst wusstest? Dann hast du es noch nicht begriffen, dass dies tatsächlich das wichtigste Thema deines Lebens ist und bleibt, ganz gleich, wie sehr oder wie wenig du dich dafür auch interessieren magst. Ja, dann tust du gut daran, dir diese drei letzten Verse aus dem Buch des Propheten Micha immer wieder neu durchzulesen und sie zu bedenken – bis du schließlich auch selber wieder einstimmen kannst in den Jubel des Propheten, ja, bis dir selber wieder neu aufgeht, was die Beichte so froh und tröstlich macht! Amen.