30.03.2014 | Jesaja 54,7-10 | Laetare
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Habt ihr schon einmal ein Erdbeben miterlebt? Das muss eine Erfahrung sein, die einen nicht nur äußerlich durcheinanderschüttelt, sondern einen auch tief im Inneren erschüttert – wenn plötzlich alles, was so fest zu stehen schien, ins Wanken gerät, wenn scheinbar Unveränderliches mit einem Mal in sich zusammenbricht.

Es gibt Erdbeben, deren Stärke man nicht an der Richter-Skala ablesen kann und die einem doch ebenso, ja noch mehr den Boden unter den Füßen wegziehen können, Erdbeben, bei denen in wenigen Augenblicken im Leben von Menschen zusammenbricht, worauf immer Verlass zu sein schien, ja, was einem bisher im Leben Halt und Sicherheit gab.

Das kann die Nachricht vom Tod eines geliebten Menschen sein, die solch ein Erdbeben im Leben von Menschen auslöst. Das kann die Erfahrung sein, dass ein geliebter Mensch, dem man immer vertraut hatte, einen in Wirklichkeit schon längst hintergangen und betrogen hatte. Das kann ein Brief sein, aus dem hervorgeht, dass Menschen, auf die man sich bisher immer verlassen hatte, einen schon längst haben fallen lassen. Das kann das Wort des Arztes sein, der einem zu verstehen gibt, dass unser Leben in Zukunft nie mehr so sein wird, wie es das bisher gewesen war. Das kann das Kündigungsschreiben des Arbeitgebers sein, dass man zitternd in seinen Händen hält. Und das kann eben auch der Anruf auf dem Handy sein, der einem zu verstehen gibt, dass man von jetzt auf gleich alles aufgeben und zurücklassen muss, was gewesen ist, wenn man denn noch weiter am Leben bleiben will. Ja, da stürzen dann in der Tat Berge im Leben von Menschen ein, da gerät alles durcheinander, bleibt nichts mehr so, wie es war – und man ahnt: Das lässt sich auch nicht wieder rückgängig machen. Das bleibt so. Dieses Erdbeben wird Folgen haben für mein ganzes weiteres Leben, wenn ich denn überhaupt noch eine Zukunft habe.

Doch solche Erdbeben erschüttern eben nicht nur unsere Daseinsgewissheit, sie erschüttern darüber hinaus immer wieder auch unsere Gottesgewissheit, die Gewissheit von dem lieben Gott, der es immer gut mit uns meint. Gott, wo bist du? Warum lässt du so etwas zu? Warum zeigst du dich nicht, antwortest nicht? – So fragen wir dann verständlicherweise.

Solche Erdbeben-Erfahrungen hatten damals auch die Israeliten gemacht, die im Exil in Babylon saßen: Alles, was ihrem Leben früher Halt und Stabilität verliehen hatte, war ihnen genommen worden, war unter ihren Augen zusammengebrochen, ja, verschwunden: Die Heimat, der Tempel, in dem sie Gott begegnen konnten, ja, so meinten sie, mit dem Tempel auch Gott selber. Und so saßen sie nach dem Erdbeben ihrer Verschleppung nach Babylon in ihren Flüchtlingsunterkünften, sahen für sich selber eigentlich keine Zukunft mehr, ja, fühlten sich nicht zuletzt von Gott selber verlassen. Gott – er schien für sie nur noch in der Vergangenheit zu existieren.

Doch da meldet sich nun nach diesem Erdbeben, nach dieser quälend langen Zeit des Schweigens, nach etlichen Jahren und Jahrzehnten Gott selber bei den Israeliten, meldet sich, indem er einen Propheten zu seinem Volk schickt und ihm deutlich macht, dass er, der lebendige Gott, in Wirklichkeit in diesem großen Erdbeben eben doch nicht untergegangen ist, dass er auch weiter der Herr der Geschichte bleibt, ja, dass er darum auch seinem Volk eine neue Zukunft zu schenken vermag, mit der es selber so gar nicht mehr rechnet.

Ja, so macht es Gott seinem Volk deutlich: Ich bin zornig gewesen, zornig über eure Abwendung von mir. Ja, ich habe euch verlassen, das habt ihr schon ganz richtig gespürt. Aber nun ist die Zeit meines Zornes vorbei. Jawohl, ich höre auf, zornig zu sein, ich höre auf, euch zu verlassen. Jetzt beginnt eine neue Zeit, und in dieser neuen Zeit hat mein Zorn keinen Platz mehr. Ja, ich lege mich fest, unwiderruflich, endgültig, ewig, dass ich euch nie mehr zürnen will, dass nichts Anderes mehr mein Verhältnis zu euch bestimmen wird als meine Liebe, meine Gnade, mein Erbarmen. Das Erdbeben, das ihr erfahren habt, jawohl, es kam von mir. Aber ab jetzt sollt ihr nur noch erfahren, wie mein Herz voller Liebe für euch bebt.

Gott legt sich endgültig fest, schließt ganz einseitig einen Bund mit seinem Volk, in dem er sich selber in alle Ewigkeit begrenzt. Natürlich hätte Gott die Möglichkeit gehabt, auch weiter zornig zu sein über die Sünde seines Volkes, natürlich hätte er die Möglichkeit gehabt, sein Volk auch weiter im Stich zu lassen, ja, es zu strafen, es zu vernichten. Wer hätte ihn daran hindern sollen? Doch Gott schränkt sich selber mit seinen Möglichkeiten ein, die er als der Allmächtige eigentlich hat, streicht sich selber jede Menge Handlungsoptionen, will seine Allmacht nur noch zu einem Zweck und Ziel gebrauchen: sein Volk seine Liebe, seine Zuwendung erfahren zu lassen. Ja, dieses Versprechen steht so fest, dass auch kein Erdbeben es je erschüttern und in Frage stellen könnte. Was für eine starke Zusage, was für ein Halt für das Volk in seiner scheinbar so aussichtslosen Situation: Vor ihm liegt eine so großartige Zukunft, dass selbst die langen Jahre der Gottesferne, der Erfahrung des Zornes Gottes im Vergleich dazu nur ein kleiner Augenblick, ein Wimpernschlag sind, mehr nicht.

Heute haben hier an unserem Taufstein wieder 14 Menschen gestanden, Menschen, die alle miteinander auf je ihre Weise schon eine ganze Serie von Erdbeben in ihrem Leben durchgemacht haben, Erschütterungen erlebt haben, die allemal ausreichen, einem den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Alle 14 haben früher einmal gehört, dass Gott ein ferner Gott sei, ein Gott, der Menschen bestraft und in die Hölle befördert, ja, ein Gott, der Menschen seinen Zorn gerade auch dadurch spüren lässt, dass er sie Schicksalsschläge erfahren lässt. Nein, dieser Gott eröffnet einem keine Zukunft, der drückt einen immer nur noch tiefer zu Boden.

Doch dann haben diese Menschen, haben so viele von euch, die heute hier in der Kirche sitzen, erfahren, dass der lebendige Gott in Wirklichkeit etwas ganz Anderes zu sagen hat: Er droht nicht, er straft nicht, er will nicht vernichten. Sondern er, der lebendige Gott, er lässt auch uns verkündigen, dass sein Zorn an sein Ende gekommen ist, dass nun die Zeit der Gnade gekommen ist, die Zeit seiner unbedingten Liebe zu uns. Nein, das lässt Gott uns nicht verkündigen, weil er gerade mal gute Laune hat. Sondern das ist seine letzte, endgültige Entscheidung, die er getroffen hat, und auf diese Entscheidung lässt er sich im wahrsten Sinne des Wortes festnageln: Sein eigener Sohn erleidet den ganzen Zorn Gottes, so, dass tatsächlich nichts mehr davon übrigbleibt, sein eigener Sohn erleidet die ganze Gottverlassenheit, damit wir nie mehr wie er am Kreuz rufen müssen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Du kannst es dir nicht vorstellen, dass Gott wirklich ganz und gar die Liebe ist, ganz und gar Erbarmen, ohne jede Einschränkung? Genau deshalb hat Gott auch mit dir einen Bund geschlossen, einen Bund des Friedens, den er nie mehr aufkündigen wird, hat ihn mit dir geschlossen in deiner Taufe, so, wie er ihn heute auch mit unseren 14 Täuflingen geschlossen hat. Jawohl, dieser Bund steht fest, den kann auch kein Erdbeben der Stärke 12 in Frage stellen, kein Schicksalsschlag, ja, auch nicht deine Sünde. In deiner Taufe hat Gott sich endgültig für dich entschieden; das steht noch mehr als felsenfest. Was dich in deinem Leben auch durcheinanderbringen mag, was dich auch durchschüttelt: Darauf kannst du dich verlassen; daran kannst und darfst du dich immer festhalten: Ich bin getauft; Gott hat seinen Bund mit mir geschlossen. Eher versinken die Zugspitze und der Mount Everest im Meer, als dass Gott seine Liebe zu dir aufkündigen würde. Nein, Gott verspricht dir nicht, dass dir in Zukunft Erdbeben in deinem Leben erspart bleiben. Längst nicht alles, was du in deinem Leben erfährst, wirst du auch verstehen können. Doch auf eines darfst du dich verlassen: Gott wird dich niemals mehr fallen lassen, ja, Gott wird dir nie mehr zürnen. Er hat es dir versprochen – und unseren 14 Täuflingen eben auch. Ja, sogar mehr noch: Gott hat es geschworen, bei seinem Leben. Und davon kommt er nie mehr los, und das will er auch gar nicht. Gott will dein Leben, dein ewiges Leben. Er will, dass dein Leben Zukunft hat, ewige Zukunft. Nimm ihn beim Wort, verlass dich darauf. Gott wird dich nicht enttäuschen. Amen.