02.02.2014 | St. Lukas 2,22-35 | Tag der Darstellung des Herrn (Mariae Lichtmess)
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Zu den ersten Worten, die ich auf Farsi gelernt habe, gehört das Wort „aramesh“. „Aramesh“ – damit beschreiben viele von euch, was sie erfahren haben, als sie den christlichen Glauben kennengelernt haben, als sie hierher zum Gottesdienst gekommen sind, als sie schließlich Christen geworden sind. „Aramesh“ – das bedeutet so viel wie „innerer Frieden“; doch diese Übersetzung ist leicht missverständlich. Und so habe ich es schon erlebt, dass ein Richter einem unserer Asylbewerber, der von eben diesem „aramesh“ im christlichen Glauben berichtete, patzig antwortete, er sei wohl statt in einer Kirche in einem Yoga-Studio gelandet. Doch „aramesh“ bedeutet eben in Wirklichkeit mehr als ein bisschen meditative Ruhe, als ein bisschen „Om“. Was „aramesh“ wirklich meint, das beschreibt uns der Evangelist St. Lukas sehr einprägsam im Heiligen Evangelium dieses Festtages am Beispiel des alten Simeon.

Lange gewartet hatte Simeon in seinem Leben. Wohl schon von Kindheit an war ihm die Hoffnung vermittelt worden, dass eines Tages Gott seinem Volk endlich den Retter schicken werde, den er schon so viele Jahrhunderte lang durch die Propheten angekündigt hatte. Ja, sehnsüchtig wartete Simeon auf diesen Retter. Die äußeren Umstände, unter denen sein Volk damals leben musste, waren sehr bedrückend – unter der Zwangsherrschaft der römischen Besatzer. Doch Simeon blickte tiefer: Er wusste: Wir brauchen einen Retter, der viel mehr tut, als politisch bessere Verhältnisse zu schaffen. Wir brauchen einen Retter, der unser Verhältnis zu Gott wieder in Ordnung bringt. Wir brauchen einen Retter, durch den wir erkennen können, dass es sich lohnt, an Gottes Wort festzuhalten und ihm zu vertrauen. Wir brauchen einen Retter, der uns wieder neu zum Glauben hilft, der unser Leben mit Gott wieder heil macht.

Simeon wartet auf diesen Retter, wartet auf ihn viele Jahre. Scheinbar tut sich gar nichts; scheinbar hat es gar keinen Sinn, weiter an dieser Hoffnung festzuhalten. Doch dann lässt ihn der Heilige Geist auf eine Weise, die wir nicht wissen, erkennen, dass er, Simeon, noch vor seinem Tod diesen erhofften Retter, diesen erhofften Christus, sehen werde. Doch erst einmal musste Simeon weiter warten – wie lange, wissen wir nicht. Waren es Monate, waren es vielleicht gar viele Jahre, in denen sich nichts zu tun schien, in denen Simeon den Eindruck gewinnen konnte, es war vielleicht doch alles nur Einbildung, was ihm Gottes Geist da zu erkennen gegeben hatte?

Doch dann ist es eines Tages soweit: Gott lässt ihn erkennen, dass nun der Tag gekommen ist, dass er noch heute den so lange erwarteten Christus zu sehen bekommen würde. In den Tempel, in das Haus Gottes, sollte er gehen, um dort dem Retter zu begegnen. Er geht also dorthin, und auf wunderbare Weise öffnet ihm Gott die Augen, dass er in dem kleinen Baby, das Maria und Josef an diesem Tag in den Tempel bringen, seinen Herrn und Retter erkennen kann. Nichts unterschied Maria äußerlich von anderen Frauen, die vierzig Tage nach der Geburt eines Sohnes in den Tempel kamen, um dort ein Reinigungsopfer darzubringen, das es ihr ermöglichte, wieder am Gottesdienst des Volkes Gottes teilzunehmen. Nichts unterschied Maria und Josef äußerlich von anderen Ehepaaren, die ihren erstgeborenen Sohn an diesem Tag in den Tempel brachten, um ihn freizukaufen von dem Anspruch, den Gott eigentlich jeweils auf den erstgeborenen Sohn einer Familie hatte. Dass ein Reinigungsopfer für Maria in Wirklichkeit ebenso unsinnig und überflüssig war wie ein Freikauf Jesu von dem Anspruch Gottes, dem er sich in seinem ganzen Leben doch niemals entzog, war äußerlich für niemanden zu erkennen. Doch Simeon sieht mehr, erkennt in diesem kleinen Kind, das Maria und Josef auf ihren Armen tragen, seinen Retter, nimmt dieses Kind auf seine Arme und singt, singt davon, was dieses Kind ihm nun schenkt: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren!“ – auf Farsi: „Aramesh“. Frieden erfährt Simeon, als er erleben darf, wie Gott seine Versprechungen erfüllt. Frieden erfährt Simeon, als er seinen Herrn und Retter als kleines Kind auf seinen Armen tragen darf. Frieden erfährt Simeon, Frieden, der nicht nur ihm persönlich gilt, sondern der allen Völkern gilt, dem Volk Israel gewiss in besonderer Weise, doch Persern, Afghanen, Deutschen, Russen und Amerikanern nicht weniger. Das Kind, das Simeon auf den Armen trägt, ist der Retter aller Menschen, ohne Ausnahme. Doch diese Rettung vollzieht sich eben gerade nicht so, dass er von allen Menschen begeistert empfangen und bejubelt wird. Nein, die Rettung, die dieses Kind bringt, vollzieht sich gerade darin, dass Menschen ihn ablehnen, ihn ans Kreuz nageln, ihn sterben lassen vor den Augen seiner Mutter, die ihn jetzt noch hier auf ihren Armen trägt.

Ja, um euch geht es heute Morgen hier im Heiligen Evangelium. Wenn das kleine Kind, das Simeon hier besingt, tatsächlich allen Völkern Licht und Rettung bringt, dann gilt das natürlich auch für einen jeden von euch, ganz gleich, in welchem Land ihr auch geboren sein mögt. Ja, aramesh bringt dieses Kind auch dir, aramesh, das unendlich mehr ist als ein bisschen Seelenruhe. Du brauchst nicht bloß einen Psychocoach zum Wohlfühlen, du brauchst jemanden, der dein kaputtes Verhältnis zu Gott in Ordnung bringt, der die Trennung von Gott überbrückt, in die du schon hineingeboren wurdest. Du brauchst einen Heiland.

Und genau um diesen Heiland geht es im Heiligen Evangelium dieses Festtags. Scheinbar nur ein Kind wie jedes andere auch, das von seinen Eltern vom Tempeldienst freigekauft werden muss – und in Wirklichkeit doch der Herr des Tempels selber, der als 40 Tage altes Kind das Haus seines wahren Vaters zum ersten Mal betritt, am Beginn seines Weges, an dessen Ende nicht sein Freikauf steht, sondern unser Freikauf von aller unserer Schuld durch seinen Tod am Kreuz. Frieden mit Gott hat er dir dadurch geschenkt – aramesh, das viel tiefer reicht als all unsere menschlichen Wünsche und Sehnsüchte. Und diesen Frieden, dieses aramesh will er auch dir heute wieder ganz persönlich schenken, lädt dich ein, ihm zu begegnen, ihn zu umfassen, noch enger, noch dichter als Simeon damals, wenn du seinen Leib und sein Blut empfängst hier im Heiligen Mahl. Der Herr und Schöpfer der Welt, dein Retter und Heiland, macht sich für dich auch heute wieder ganz klein, dass du nicht vor ihm zu erschrecken brauchst, dass du nicht vergehen musst vor seiner Heiligkeit, dass du auch heute wieder nach dem Empfang des Heiligen Mahls mit Simeon von dem Frieden singen kannst, den er dir hier im Sakrament geschenkt hat: Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit.

Ja, ich weiß: Das lässt sich eigentlich mit unseren Augen alles gar nicht wahrnehmen, das leuchtet eigentlich überhaupt nicht ein, warum der Empfang eines Stückes Brot und eines Schlucks Wein so etwas bewirken sollten. Doch wie Gott dem Simeon damals auf wundersame Weise die Augen geöffnet hat, dass er in dem kleinen Baby seinen Retter erkennen konnte, so hat er auch euch die Augen geöffnet, dass ihr ihn, euren Herrn und Heiland, erkennt in den Gestalten des Brotes und des Weines: Er selber, leibhaftig, berührbar, verzehrbar zu eurem Heil, zu eurem Frieden, kurzum: zum aramesh.

Dieser Frieden bedeutet nicht, dass ihr in eurem Leben keine Probleme mehr habt, dass sich all eure Wünsche nun immer gleich so erfüllen, wie ihr euch das vorstellen mögt. Simeon hat damals lange warten müssen auf die Begegnung mit seinem Heiland. Und wie lange haben sich auch viele von euch danach gesehnt, endlich getauft werden zu können, endlich mit Christus eins werden zu können! Und wie weit weg von Christus waren andere von euch, bis ihr nun endlich angekommen seid hier bei ihm! Dass Christus ein Zeichen ist, dem widersprochen wird, das kennen so viele von euch allerdings auch, das kennen diejenigen unter euch, die gegenüber muslimischen Freunden und Verwandten zu erkennen geben, dass sie nun an Jesus als den Sohn Gottes glauben. Und das kennen auch viele Einheimische unter euch, wenn sie sich gegenüber Freunden, Mitschülern, Arbeitskollegen als Christen zu erkennen geben, wohl wissend, dass die damit überhaupt nichts anfangen können, für diesen Glauben vielleicht nur die üblichen Sprüche übrig haben.

Doch wem Gottes Geist die Augen für Christus, den Heiland, geöffnet hat, der weiß: Diesen Frieden, den Christus mir geschenkt hat, den will ich mir von niemandem mehr nehmen lassen. Dieser Friede, der hält, der trägt mich selbst dann noch, wenn es aufs Sterben zugeht, wenn mich vielleicht auch mein Glaube an Christus in Lebensgefahr bringt. Nein, wir sind hier nicht im Yoga-Studio, wir sind hier in der Tat im Haus Gottes, da, wo uns der Hausherr begegnet, da, wo er dir schenkt, was du mehr brauchst als alles andere auf der Welt: wahren Frieden, Frieden mit Gott. Kurzum: aramesh. Amen.