26.12.2013 | Hebräer 10,32-34.39 | St. Stephanus
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Nun geht das Weihnachtsfest allmählich zu Ende – und in Deutschland ziehen die Leute allmählich Bilanz: Was hat das Weihnachtsfest mir gebracht, was habe ich alles an Neuem bekommen, hat sich das Warten gelohnt? Wenn man sich die Umsatzzahlen des Einzel- und Versandhandels anschaut, dann dürfte es viele geben, die auf das Weihnachtsfest, auf das Fest der Geschenke, sehr zufrieden zurückblicken können, die nun doch deutlich mehr haben, als sie noch vor einer Woche hatten.

In der Predigtlesung des heutigen Festtags zieht der Verfasser des Hebräerbriefs auch Bilanz, blickt zurück, was den Empfängern seines Briefes Weihnachten gebracht hat, ja noch grundsätzlicher: was es ihnen denn nun gebracht hat, Christ zu sein. Seine Antwort fällt wenig weihnachtlich-sentimental aus: Gebracht hat die Zugehörigkeit zum Kind in der Krippe den Leuten, an die er schreibt, Leiden, öffentliche Demütigungen, Gefängnisaufenthalte, ja, nicht zuletzt auch den Verlust ihres gesamten Besitzes durch Plünderungen und gezielte staatliche Schikanen: Weihnachten – das Fest der leeren Wohnung, Weihnachten – das Fest der leeren Hände.

Ja, genau das waren die Erfahrungen, die die Christen damals im ersten Jahrhundert in Italien machen mussten: Es war noch gar nicht die Zeit der großen, systematischen Christenverfolgung; doch seit es die Christen auch dort in Italien gab, regten die Leute sich über sie auf, fühlten sich dadurch provoziert, dass sie, die Christen, so ganz anders lebten als sie selber, dass sie, die Christen, nicht bei allem mitmachten, was man sonst doch so machte. Da gab es dann spontane Aktionen, dass die Bewohner einer Stadt sich versammelten, die Christen öffentlich vorführten, in ihre Häuser eindrangen und alles daraus mitnahmen. Oder sie schwärzten die Christen bei den Behörden an, und die verhängten Gefängnisstrafen oder eben auch die Konfiszierung des gesamten Besitzes. Ja, menschlich gesprochen war das eigentlich Wahnsinn, damals Christ zu werden, solche Nachteile in Kauf zu nehmen.

Schwestern und Brüder, als ich die Verse unserer heutigen Predigtlesung gelesen habe, ist es mir ein wenig kalt den Rücken heruntergelaufen – so aktuell klingt das, was der Verfasser des Hebräerbriefs hier schreibt. Das sind doch genau die Geschichten, die ich immer wieder höre, die mir immer wieder erzählt werden: Geschichten aus dem Iran und aus Afghanistan, Geschichten von Menschen, die genau so wie die Christen damals in Italien bedroht worden sind, nur weil sie Christen geworden sind, Geschichten von Menschen, die mit ihrem christlichen Glauben ganz allein dastanden gegenüber einer großen Mehrheit, die diesen Glauben ablehnte und nicht dazu bereit war, ihn zu akzeptieren, ihn zu ertragen, Geschichten von Menschen, die selber um ihres Glaubens willen verhaftet, entführt, ins Gefängnis gesteckt, gefoltert worden sind oder die Freunde hatten, denen genau dies passiert ist, ja, nicht zuletzt immer wieder Geschichten von Menschen, denen entweder ihr gesamter Besitz vom Staat weggenommen wurde oder die für ihre Flucht aus ihrer Heimat alles zurücklassen, alles aufgeben mussten, was sie hatten, nichts mehr als ihr nacktes Leben retten konnten und nun auch hier in Deutschland mit ganz leeren Händen dastehen. Nein, an der großen Konsumschlacht konnten sich die meisten Glieder unserer Gemeinde hier in Steglitz in diesem Jahr sicher nicht beteiligen, haben, menschlich gesprochen, eigentlich alles verloren durch ihre Hinwendung zum christlichen Glauben, durch ihr Festhalten an der Wahrheit. Ja, wenn man es nur unter finanziellen Gesichtspunkten betrachtet, war und ist es auch heute noch im Iran und in Afghanistan genauso Wahnsinn wie damals für die Christen in Italien, sich dem christlichen Glauben zuzuwenden. Doch diejenigen, die es dennoch getan haben und tun, die wissen es, warum es sich lohnt, warum sie in Wirklichkeit durch diese Hinwendung zu Christus viel mehr gewonnen haben, als ihnen der Staat oder irgendwelche Menschen ihnen jemals nehmen könnten. Sie wissen um den Schatz, der ihnen in ihrer Taufe, bei ihrer „Erleuchtung“, wie sie hier in unserer Predigtlesung genannt wird, geschenkt worden ist, sie wissen darum, dass ihnen durch Jesus Christus das ewige Leben bei Gott geschenkt worden ist, ein Erbe, das ihnen niemand mehr rauben kann und das man mit allem Geld der Welt nicht erwerben kann.

Doch nun betreibt der Verfasser des Hebräerbriefs hier in unserer Predigtlesung keine Heldenverehrung. Im Gegenteil: Es ist eigentlich sogar ein trauriger Anlass, der ihn dazu bewegt, die Christen in Italien an diese Vorkommnisse aus der Vergangenheit zu erinnern: Denn dieselben Christen, die noch vor gar nicht langer Zeit dazu bereit gewesen waren, alles, was sie hatten, für ihren Glauben an Jesus Christus zu riskieren, die waren nun in der Zwischenzeit müde geworden, träge geworden, fingen allmählich an, den Gottesdiensten fern zu bleiben, zeigten nur noch wenig von der Begeisterung, die sie damals an den Tag gelegt hatten, als sie den christlichen Glauben neu für sich entdeckt hatten. Und so erinnert sie der Verfasser des Hebräerbriefs: Gedenkt der früheren Tage, denkt doch daran, wie wichtig es euch einmal gewesen ist, zu Jesus Christus zu gehören, verliert doch nicht den Schatz bei Gott, weil euch jetzt in der Zwischenzeit die Schätze hier auf Erden doch wieder viel wichtiger geworden sind! Ja, weicht doch bloß nicht wieder von dem zurück, was für euch einmal doch schon so festgestanden hatte!

Ach, Schwestern und Brüder, wie aktuell sind auch diese Worte des Hebräerbriefs für uns heute: Ja, die Gefahr besteht heute genauso wie damals vor 1900 Jahren, dass Menschen, die in ihrer Heimat dazu bereit waren, auf alles zu verzichten, denen Christus einmal so viel bedeutet hat, hier in Deutschland, hier, wo sie es eigentlich so viel einfacher haben, ihren Glauben zu leben, dass diese Menschen hier in Deutschland nun allmählich wieder den Anschluss an Christus verlieren, dass da so viele andere Dinge sind, die sich für sie in den Vordergrund schieben: endlich arbeiten zu können und Geld verdienen zu können, endlich all das tun zu können, was einem vorher nicht möglich war. Ja, so groß ist die Gefahr, den christlichen Glauben doch wieder als eine Art von Hobby im Leben zurückzulassen, wenn man erst mal andere Beschäftigungen gefunden hat, nicht mehr im Asylbewerberheim herumhängen muss.

Und so schreibt der Verfasser des Hebräerbriefs auch an uns heute, ganz gleich, ob wir im Iran, in Afghanistan, in Russland oder in Deutschland geboren sind: Denkt doch daran, was Christus euch in der Taufe geschenkt hat, denkt doch daran, was ihr Christus einmal versprochen habt, ja, denkt doch daran, worum es in eurem Leben wirklich geht! Die letzte und entscheidende Frage eures Lebens ist nicht, was ihr in allem Leben alles an Besitz angesammelt habt, was ihr alles erlebt habt. Die letzte und entscheidende Frage eures Lebens ist einzig und allein, ob ihr bei Christus geblieben seid, in seiner Gemeinschaft, ob das euer Leben bestimmt hat, ob eure Taufe das entscheidende Datum eures Lebens geblieben ist!

Mensch, ihr habt es doch schon – das große Geschenk des ewigen Lebens, für das Christus, euer Herr, damals in der Krippe gelegen hat, für das er, Christus, sich hat ans Kreuz nageln lassen! Werft doch dieses Geschenk bloß nicht so weg, wie die Leute jetzt in den kommenden Tagen ihre Weihnachtsbäume wegwerfen! Erkennt wieder neu, wie kostbar, wie unaufgebbar dieses Geschenk ist! Und wenn ihr dazu noch eine Ermutigung braucht, dann denkt an all die Christen, die auch jetzt wieder an diesen Weihnachtstagen ihr Leben dafür riskiert haben, dass sie sich heimlich zum Gottesdienst versammelt haben, dass sie ihren christlichen Glauben trotz aller staatlichen Verbote, trotz aller Schikanen praktiziert haben! Denkt an die Christen in Bagdad, die sich gestern trotz aller Gefahren zum Weihnachtsgottesdienst versammelt haben und von denen so viele dann gleich nach dem Gottesdienst ermordet worden sind! Denkt an sie in eurer Fürbitte, und überlegt wieder neu, wie leicht ihr es doch habt, hier in Berlin am Glauben an Christus festzuhalten! Ja, Gott geb’s, dass eben dies eure Weihnachtsbilanz ist: Ich habe viel mehr geschenkt bekommen, als ich je aufgeben müsste, ich bin ein reicher Mensch – denn Christus hat mich mit seinen Gaben ganz reich gemacht. Dafür verzichte ich gerne auf vieles Andere. Hauptsache, ich bleibe dran an ihm. Ja, Gott geb’s, dass ihr das nicht nur heute hier im Gottesdienst mitsprechen könnt, sondern dass das eure Bilanz bleibt, auch im neuen Jahr! Amen.