29.03.2013 | St. Markus 15,31+32 | Andacht zur Todesstunde des Herrn

Was muss Gott uns bieten, damit wir bereit sind, an ihn zu glauben? Er sollte schon zeigen, was er so drauf hat, sollte schon dazu in der Lage sein, unsere Erwartungen, die wir an ihn richten, zu erfüllen. Was wäre das für ein Gott, der hilflos sich anhören müsste, was wir von ihm wollen, und das dann nicht tun könnte?

Was kann man von einem erwarten, der selber behauptet, Gottes Sohn zu sein? Doch zumindest dies, dass er dazu in der Lage ist, sich selber zu helfen, sich selber aus unangenehmen Situationen zu befreien. Und unangenehm war es allemal für ihn geworden, dort auf dem Hügel Golgatha, dort, wo sie ihn ans Kreuz festgenagelt hatten und es nur noch eine Frage von Stunden war, bis er dort oben elend verrecken würde. Wenn er Gottes Sohn war, dann war es für ihn doch ein Leichtes, dort oben vom Kreuz hinabzusteigen und das ganze Theater zu beenden. Und wenn er das nicht fertig bekam – nun ja, dann hatte er endgültig jegliche Glaubwürdigkeit verspielt. An einen hilflosen Gottessohn zu glauben, das war doch geradezu absurd.

Nein, sie kommen gar nicht auf die Idee, die Hohenpriester und Schriftgelehrten, dass er, Jesus, nicht darum am Kreuz hängt, weil er nicht anders kann, sondern dass er darum am Kreuz hängt, weil er nicht anders will. Es ist schwer genug, etwas aushalten zu müssen, weil man sich nicht dagegen wehren kann. Aber es ist noch schwerer, etwas aushalten zu müssen, wogegen man sich wehren könnte, und es doch nicht zu tun. Jesus bleibt am Kreuz hängen, weil er nicht dazu gekommen ist, um unsere Wünsche und Erwartungen zu erfüllen, sondern weil er dazu gekommen ist, für uns zu tun, was wir selber vielleicht gar nicht wünschen und erwarten und was wir in Wirklichkeit doch am allerdringlichsten brauchen. Ja, dazu hängt er am Kreuz, um die Strafe für unseren Unglauben auf sich zu nehmen, für unsere Abwendung von Gott, für unseren Hochmut, mit dem wir meinen, bestimmen zu können, wie sich ein anständiger Gott zu verhalten hat. Ja, dazu hängt er am Kreuz, um uns die ewige Trennung von Gott zu ersparen. Dazu nimmt er es auf sich, für hilflos, für tatenlos, für unglaubwürdig erklärt zu werden, um unsere Lage grundlegend zu wenden.

Ganz unbekannt sind sie uns ja auch nicht, die Gedanken der Hohenpriester und Schriftgelehrten: Wieso unternimmt Gott denn in dieser Welt und in meinem Leben scheinbar so wenig oder gar nichts? Kann er nicht, oder will er nicht? Wie kann ich denn noch an einen Gott glauben, der doch nichts macht, der scheinbar hilflos zusieht, wie Menschen leiden, der scheinbar hilflos zusieht, wie auch wir von Leid, von Schicksalsschlägen getroffen werden? Wir werden auf diese Fragen keine Antworten finden, wenn wir unseren Blick abwenden von ihm, dem Gekreuzigten, wenn wir Gott an ihm vorbei zu verstehen versuchen. Wenn wir auf ihn, den gekreuzigten Christus, schauen, dann erkennen wir ein Doppeltes: Wir erkennen zum einen, dass Gott uns seine Liebe gerade auch darin zu erweisen vermag, dass er unsere Bitten und Erwartungen an ihn nicht erfüllt,  gerade nicht tut, was wir möchten. Und wir erkennen zum anderen, dass Christus selber unser Leiden, unsere Ohnmacht erfahren hat, bis dahin, dass er zum Schluss gerufen hat: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Er, der alles vermag, hat sich freiwillig in die Hilflosigkeit begeben, um uns gerade so zur stärksten Hilfe unseres Lebens zu werden. Er, der alles vermag, hat sich nicht selber gerettet, damit wir ewig gerettet werden.

Ja, gottlob ist Christus damals nicht vom Kreuz herabgestiegen, hat nicht gezeigt, was er gekonnt hätte. Darin liegt unser Heil. Und darum hängen und stehen in unseren Kirchen auch Kreuze, die ihn, Christus, den Gekreuzigten, zeigen, müssen wir, gottlob, nicht auf ein leeres Kreuz schauen, von dem Christus herabgestiegen ist. Jeder Kruzifixus, auch der unsrige hier in St. Marien, hält uns eine Predigt: Er, Christus, hat sein Kreuz nicht verlassen, ist für uns in den Tod gegangen, um uns beistehen zu können auf unserem Weg zum Tode, ja, um uns selbst noch aus dem Tod ins Leben zu retten. Ja, Gott geb’s, dass wir’s anders machen als die Hohenpriester und Schriftgelehrten: dass wir auf ihn, den Gekreuzigten, sehen – und an ihn glauben. Amen.