28.03.2013 | 2. Mose 12,1.3-4.6-7.11-14 | Gründonnerstag

Wo bist du zuhause, wo bist du anzutreffen? Das war damals für die Israeliten die wichtigste Frage ihres Lebens. Bei dieser Frage ging es um nicht weniger als um Leben und Tod. Hätte man als Außenstehender damals die Wahl gehabt, wo man zuhause sein möchte, dann hätten wohl die allermeisten nicht unbedingt die primitiven Sklavenunterkünfte der Israeliten gewählt, sondern wohl eher die schönen Paläste des Pharao und seiner Minister. Doch in jener Nacht, von der die alttestamentliche Lesung des heutigen Abends berichtet, blieben nicht diejenigen in den Palästen, sondern diejenigen in den Hütten der Sklaven verschont, denn nur sie waren geschützt durch das Blut des Passahlammes an den Pfosten ihrer Türen.

Wo bist du zuhause, wo bist du anzutreffen? Das ist auch heute noch eine ganz entscheidende Frage für dein Leben. Gewiss, jeder von uns könnte so seine eigene Geschichte davon erzählen, in welchen Häusern er in seinem Leben zuhause gewesen ist, welche Häuser er in seinem Leben verlassen musste und welche Häuser für ihn ein neues Zuhause geworden sind. Doch das allerwichtigste Zuhause unseres Lebens ist nicht dort, wo wir geboren und aufgewachsen sind. Das allerwichtigste Zuhause unseres Lebens ist auch für uns dort, wo das Lamm Gottes ist, wo sein Blut uns vor dem Tode rettet. Darum haben wir uns heute Abend hier in diesem Haus eingefunden, weil wir wissen, was dieses Zuhause uns bedeutet, weil wir wissen, dass uns in diesem Haus Leben geschenkt wird, Leben statt Tod. Und so feiern auch wir an diesem Abend das Mahl des Lammes, hier, wo wir zuhause sind, erfahren hier
- Verschonung
- Gemeinschaft
- Freiheit

I.
Eines wird uns beim Lesen der Passahgeschichte im zweiten Buch Mose schnell deutlich: Hier geht es nicht um eine unterhaltsame Party, auch nicht um ein Feierabendmahl, nicht um ein Ringelpietz mit Anfassen. Die Bewohner der Hütten der Israeliten sind zusammengekommen, weil draußen vor der Tür der Tod lauert, weil sie alle miteinander wissen, dass sie in dieser Nacht nur eines retten kann: das Blut des Passahlammes an der Tür. Das Lamm muss sterben, sein Blut muss vergossen werden, damit die, die dieses Lamm essen, verschont werden, am Leben bleiben.

Fast eineinhalbtausend Jahre später feiert Jesus eben dieses Passah mit seinen Jüngern, wie es Gott als ewige Ordnung befohlen hatte. Und auch dieses Passah ist keine Party, kein nettes Zusammensein mit Häppchen und Smalltalk. Auch bei diesem Passah, das Jesus feiert, geht es um nicht weniger als um Leben und Tod. Dem Tode, ja dem ewigen Tode verfallen sind sie alle, die Jünger Jesu, ja die ganze Welt. Doch da haben sie, die Jünger, ihn an diesem Abend in ihrer Mitte, ihn, Jesus, der nun mit einem Mal ein neues Passah stiftet, ein neues Mahl der Verschonung. Und in diesem neuen Mahl ist er, der dieses Mahl stiftet, zugleich auch selber das Passahlamm, vergießt sein Blut zur Vergebung der Sünden, um die, die an diesem Blut Anteil bekommen, zu verschonen, zu bewahren vor dem ewigen Tod.

Und genau darum sind nun auch wir heute Abend hier zusammengekommen, um eben dieses neue Passahmahl wieder miteinander zu feiern. Auch heute Abend feiern wir nicht bloß ein nettes Zusammensein, kein Feierabendmahl, keine religiöse Party. Sondern wir wissen, dass es in diesem Haus, in dem wir zusammengekommen sind, auch um nicht weniger als um Leben und Tod geht. Da haben wir ihn selber in unserer Mitte, verborgen in den Gestalten von Brot und Wein, ihn, Christus, der sein Leben auch für uns am Kreuz in den Tod gegeben hat, damit auch wir verschont werden vom ewigen Tod, damit uns unsere Sünde und Schuld nicht für immer von Gott zu trennen vermag. Ja, um Verschonung geht es heute und immer wieder, wenn wir dieses Mahl des neuen Passahlamms Jesus Christus feiern. Nehmen wir darum unsere Lage ja nicht auf die leichte Schulter, sehen wir das Heilige Mahl darum niemals bloß als ein unverbindliches religiöses Angebot an, das uns in bestimmten Lebenssituationen helfen mag, dass wir uns ein wenig besser fühlen! Es geht hier um dein Leben, um dein ewiges Leben, das dir zuteil wird durch das Blut des Passahlamms, an dem du Anteil erhältst hier am Altar. Ja, so entscheidend wichtig ist diese Verschonung, dass wir das Mahl des neuen Bundes eben nicht bloß einmal im Jahr feiern, nicht bloß einmal im Jahr uns erinnern an das, was geschehen ist. Es geht um unendlich mehr als bloß um Erinnerung. Das Blut Jesu Christi rettet dich vom Verderben, schenkt dir neues, unvergängliches Leben. Dieses Leben bekommst du tatsächlich nur in den Häusern, in denen Menschen sich um Christus, das Passahlamm, scharen. Dieses Leben bekommst du tatsächlich nur in den Häusern, in denen Menschen den Leib und das Blut dieses Passahlammes mit ihrem Mund empfangen. Ja, Gott geb’s, dass auch du immer wieder dort anzutreffen bist, wo dir Verschonung, Vergebung, ewiges Leben geschenkt wird!

II.
In der ersten Passahnacht befahl Gott den Israeliten, dass sie sich in größeren Gemeinschaften zusammenfinden sollten, groß genug, um ein ganzes Passahlamm vollständig verzehren zu können. Keiner sollte in dieser Nacht allein sein; jeder sollte eingebunden sein in eine Gemeinschaft, sollte gemeinsam mit anderen essen und trinken, teilhaben an dem Passahlamm.

Genau diese Weisung hat auch Jesus damals beachtet, hat das Passahmahl in der Nacht, in der er verraten wurde, gemeinsam mit seinen Jüngern gefeiert, hat auch das neue Passahmahl als ein Mahl der Gemeinschaft gestiftet. Diejenigen, die dieses Mahl empfangen, werden eben so mit ihm, Christus, leibhaftig verbunden, dass sie gemeinsam das gesegnete Brot essen, gemeinsam aus dem einen Kelch trinken, gemeinsam in die leibhaftige Gemeinschaft mit Christus hineingezogen werden.

Und das gilt eben auch für uns heute noch: Niemals kann für uns Christen die Zugehörigkeit zu Christus eine Privatangelegenheit sein, die wir einfach nur in unseren eigenen vier Wänden pflegen. Wer Anteil an Christus, dem neuen Passahlamm, erhalten will, der muss schon dorthin kommen, wo Menschen sich um dieses Passahlamm sammeln, wo sie Leben, Vergebung, Verschonung vor dem ewigen Tod erfahren. An Jesus zu denken reicht eben nicht. Essen und trinken sollen wir, in einer Gemeinschaft zuhause sein, die uns trägt, gerade auch in den dunklen Stunden unseres Lebens. Und selbst wenn wir nicht mehr dorthin kommen können, wo die anderen sich um Christus versammeln, um seinen Leib und sein Blut zu empfangen, brauchen wir darum von diesem Mahl nicht abgeschnitten zu sein, sollen und dürfen wir danach verlangen, dieses Mahl auch zuhause zu empfangen. Ja, auch wenn es dann nur zwei oder drei sind, die dieses Mahl feiern, so sind doch auch diese zwei oder drei verbunden mit den anderen, die an Christi Leib und Blut Anteil haben, wird auch ein Zimmer im Pflegeheim oder im Krankenhaus zu dem Zuhause, das Christus selber mit seiner Gegenwart für uns schafft. Doch du, der du heute Abend hier in der Kirche sitzt, du kannst offenkundig noch kommen. Klinke dich darum ja nicht aus dieser Gemeinschaft aus; Christus will auch auf dich nicht verzichten, wenn die Gaben seines Mahles verzehrt werden!

III.
Noch eine ungewöhnliche Anweisung wird uns hier in unserer alttestamentlichen Lesung berichtet: Diejenigen, die das Passahlamm essen, sollen das Mahl marschbereit zu sich nehmen, das lange Gewand hochgekrempelt, damit man schneller laufen kann, die Schuhe schon an den Füßen und den Wanderstab in der Hand. Sie sollen das Mahl essen als die, die hinwegeilen. Das Passahmahl, es ist eine Wegzehrung auf dem Weg in die Freiheit.

Die Anweisungen für das Passahmahl bedeuten für uns heute nicht, dass wir den halben Gottesdienst lang schon auf den Aufbruch warten, auf das letzte Lied, das uns endlich ermöglicht, wieder hier aus dieser Kirche herauszumarschieren. Das Passahmahl dauerte damals die ganze Nacht, und Gott warnt die Israeliten eindringlich davor, ihre Häuser vor dem Morgen vorzeitig zu verlassen. Nicht Hektik, nicht Schielen auf die Uhr ist angesagt, sondern Vorfreude, Vorfreude auf die Freiheit, in die uns dieses Heilige Mahl entlässt. Ja, als freie Menschen ziehen wir von diesem Mahl los, als Menschen, die frei sind von der Schuld ihres Lebens, frei vom Verhängnis des ewigen Todes, frei von allen anderen Herren und Mächten, weil Christus allein ihr Herr ist, der in ihnen lebt. Nach vorne dürfen wir blicken, wenn wir das Heilige Mahl feiern, brauchen nicht länger zu kleben an dem, was früher einmal gewesen ist, dürfen fröhlich und getrost einer unbekannten Zukunft entgegenziehen, weil wir wissen, dass Christus selber uns auf diesem Weg geleitet. Ja, fröhlich dürfen wir von diesem Mahl in unseren Alltag zurückkehren, weil wir wissen, wo wir einmal ankommen werden: in der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes im ewigen Leben. Einen Vorgeschmack dieser Freiheit erhalten wir jetzt schon, wenn hier im Heiligen Mahl der Himmel auf die Erde kommt. Doch noch sind wir am Ziel nicht angekommen, noch sind wir unterwegs. Und darum haben wir es auch weiter nötig, immer wieder in dieses Haus zurückzukehren, in dem wir jetzt sind. Ja, Gott geb’s, dass dieses Haus, dass dieser Altar immer euer eigentliches Zuhause bleibt! Amen.