27.01.2013 | St. Matthäus 9,9-13 | Septuagesimae

Wenn man Mitglied im sozialen Netzwerk „Facebook“ im Internet ist, dann kann man sich dort alle möglichen Bilder anschauen, die Freunde dort ins Netz gestellt haben. Ich will jetzt hier nicht darüber sinnieren, dass sich unter diesen Bildern auch so manches befindet, das dort lieber nicht hätte veröffentlicht werden sollen, weil es die dort abgebildeten Personen nicht gerade in besonders positivem Licht erscheinen lässt: äußerst leicht bekleidet, offenkundig besoffen oder in anderen nicht ganz gesellschaftsfähigen Positionen. Es gibt dort bei Facebook ja auch viele schöne Fotos, und mitunter kann es auch passieren, dass man sich auf einem dieser Bilder auch selbst entdeckt oder vielleicht auch ganz überraschend einen Bekannten, den man auf diesem Bild gar nicht erwartet hätte. Und dann gibt es bei Facebook die Möglichkeit, sich selbst oder auch andere auf solchen Bildern zu markieren, also gleichsam seinen Namen unter den Kopf der betreffenden Person zu schreiben: Schau her, da bin ich auf diesem Bild!

Auch in der heutigen Predigtlesung wird uns ein interessantes Bild übermittelt, nein, nicht auf digitalem Wege via Facebook, sondern ganz konventionell durch das gesprochene Wort. Das Bild ist uns einigermaßen vertraut: Da sehen wir auf diesem Bild den Zöllner Matthäus. Was mit ihm kurz zuvor geschehen war, das hätte er sich gestern noch nicht einmal im Traum vorstellen können:
Da saß er in seiner Zollstation am Eingang der Stadt. Viel Geld hatte er dafür hinblättern müssen, dass er sie übernehmen durfte – und nun musste er zusehen, dass er dieses Geld auch irgendwie wieder in seine Kasse reinbekam. Seine Aufgabe war es, Leuten den Zugang in die Stadt zu verwehren, bis sie klargestellt hatten, ob sie etwas zu verzollen hatten, und bis sie dann die Abgabe gezahlt hatten, mit der die Römer den Aufenthalt ihrer Truppen dort unten in der Provinz Judäa finanzierten.

Niemand zahlt gerne Steuern oder Zoll – aber wenn man dann noch weiß, dass das Geld, das man zahlt, einer verhassten Besatzungsmacht zugute kommt, dann zahlt man die Abgabe erst recht ungern, dann mag man auch die Leute nicht, die dieses Geld im Auftrag der Besatzungsmacht eintreiben. Und Matthäus begnügt sich ja nicht damit, Handlanger der römischen Besatzer zu sein; er schlägt immer noch eine Extra-Abgabe drauf, mit der er seine Zollstation, sein Leben finanziert – auf Kosten derer, die er da auf dem Weg in die Stadt stoppt.

Doch all das ist nun Vergangenheit. Nun sitzt oder liegt er da mit Jesus zu Tisch – und das einzig und allein, weil Jesus diesen kurzen Satz zu ihm gesprochen hatte: Folge mir nach! Keine Argumentation, keine Vorwürfe, keine Moralpredigt. Nur dieser kurze Ruf – und Matthäus hatte alles stehen und liegen gelassen, hatte seine gesamte berufliche Existenz aufgegeben, auch die ganze moralische Zweideutigkeit, die mit diesem Beruf verbunden war, und hatte sich auf den Weg begeben hinter Jesus her.

Und da sehen wir auf dem Bild noch alle möglichen anderen Zöllner, noch alle möglichen anderen Menschen, die nicht nur Gottes Gebote übertreten haben, sondern eben darum von dem anständigen Teil der Gesellschaft ausgegrenzt und geächtet werden, mit denen man eben möglichst nichts zu tun haben wollte. In großen Scharen strömen sie zu Jesus und seinen Jüngern, versammeln sich dort bei ihm an seinem Tisch, bringen Jesus damit scheinbar in nicht geringe Schwierigkeiten: Mit solchen Typen konnte er sich doch allen Ernstes umgeben, das schadete doch seinem eigenen Ruf, wenn er mit denen feierte, mit denen Tischgemeinschaft hielt!

Doch Jesus komplimentiert diese peinliche Gesellschaft von echten Sündern nicht schleunigst wieder aus dem Haus heraus, sondern er verteidigt es im Gegenteil, dass er sich um diese Typen mehr kümmert als um den frommen, rechtschaffenen Teil der Gesellschaft: Er ist Arzt, er behandelt nicht die Gesunden, sondern die Kranken; er ist nicht gekommen, die Gerechten zu rufen, sondern vielmehr die Sünder, ja, den Abschaum der Gesellschaft. Und so sitzen sie da alle miteinander auf dem Bild, das uns St. Matthäus hier vor Augen stellt, lauter Leute, mit denen ein anständiger Mensch nun wirklich nicht gemeinsam markiert werden wollte.

Und da sind schließlich noch die Pharisäer auf dem Bild zu erkennen, das St. Matthäus uns hier zeigt. Besser gesagt: Eigentlich wollen sie ja gar nicht auf demselben Bild zu sehen sein wie diejenigen, die sich da um Jesus herum versammelt haben. Nein, ganz bewusst nehmen sie nicht an dem Mahl teil, das Jesus da mit dieser Gesellschaft feiert. Und ihre Gründe sind ja scheinbar sehr nachvollziehbar: Da um Jesus herum ist es ja ohnehin schon so voll; da ist einfach kein Platz mehr für sie; sie möchten, wenn schon, dann mit Jesus allein ein Extra-Treffen haben. Und außerdem möchten sie nun wirklich nicht mit Leuten zusammen sein, bei denen man doch gar nicht sicher sein konnte, ob die es mit ihrem Glauben, mit ihrer Hinwendung zu Gott auch wirklich ernst meinten. Wahrscheinlich waren die doch alle nur gekommen, weil das da bei Jesus nach Party aussah; die wollten da wahrscheinlich nur absahnen – und anschließend würde man sie sicher nie mehr bei Jesus sehen! Nein, mit solchen Leuten wollten sie nun wirklich nicht zusammen abgebildet werden! Aber ganz den Mund halten wollten sie nun auch nicht, wollten sich wenigstens beschweren, und so rücken sie dann doch noch mit ins Bild hinein, wie sie da an der Eingangstür stehen und mit den Jüngern Jesu diskutieren. Doch bis an den Tisch, an dem Jesus mit den Zöllnern und Sündern liegt, kommen sie dann doch nicht. Jesus soll das schon deutlich erkennen, dass sie nicht kommen, wenn diese anderen sich um ihn herum drängeln!

Nun haben wir sie also alle markiert: Matthäus, die anderen Zöllner und Sünder, die Pharisäer, und nicht zuletzt Jesus und seine Jünger. Doch nun sagt dir der Evangelist Matthäus: Du sollst dich und du darfst dich in diesem Bild, das ich dir da vor Augen stelle, auch selber wiederfinden, sollst dich auf diesem Bild gleichsam auch selber markieren. Und darum tun wir gut daran, noch einmal auf das Bild zu schauen und zu fragen: Wo bin ich denn eigentlich auf diesem Bild zu sehen?

Kannst du dich in dem Matthäus wiederentdecken, den Jesu Ruf so sehr ins Herz trifft, dass er alles stehen und liegen lässt und ihm nachfolgt? Vielen von uns mag diese Schilderung des Matthäus erst einmal sehr fern liegen: Das können wir uns doch gar nicht vorstellen, dass das tatsächlich einer macht, so wörtlich und direkt alles stehen und liegen lässt, nur weil Jesus ihn in seine Nachfolge ruft! Doch ich könnte da bei dem Matthäus tatsächlich eine ganze Reihe von Namen mit dazuschreiben, Namen von Gliedern unserer Gemeinde, die genau das in ihrem Leben erfahren haben, dass der Ruf Jesu sie so sehr gepackt hat, dass sie gar nicht anders konnten, als ihm zu folgen, und die bald darauf tatsächlich um dieses Jesus willen alles stehen und liegen lassen mussten, alles aufgeben mussten, was sie hatten. Unser Bruder Elia, den wir gestern Abend in Steglitz getauft haben, ist gewiss einer von ihnen.

Aber wir müssen gar nicht alle nun gleich solche Matthäusse sein. Es reicht ja, wenn wir uns unter den Zöllnern und Sündern markieren, die sich bei Jesus an seinem Tisch einfinden. Es reicht allemal, wenn wir dies eine erkennen: Wir brauchen ihn, Jesus, wir haben ihn als unseren Arzt nötig, weil in unserem Leben eben nicht alles in Ordnung ist, weil wir ohne ihn nicht die geringste Chance hätten, an dem Festmahl in Gottes Reich teilzuhaben. Ja, es reicht, wenn wir es nicht nur mit den Lippen sprechen, sondern mit unserem Herzen bekennen: Jawohl, ich bin es, ein Sünder, einer, der an Gottes Geboten gescheitert ist und immer wieder scheitert, einer, der eben darum sich nicht aussucht, wer da neben ihm noch alles am Tisch Jesu zu finden ist, sondern dem nur eins wichtig ist: dort zu sein, wo Jesus ist.

Ja, Gott geb’s, dass sich keiner von uns dort draußen vor der Tür markiert, dort, wo die stehen, die schon längst ihr Urteil gefällt haben über die, die sich am Tisch Jesu eingefunden haben, dort, wo die stehen, die ihre Teilnahme am Mahl Jesu davon abhängig machen, wer denn bei diesem Mahl noch alles mit dabei ist, dort, wo die stehen, die nur kommen, wenn Jesus ihnen verspricht, dass sie unter sich bleiben dürfen! Ja, Gott geb’s, dass sich keiner von uns dort draußen vor der Tür markiert, dort, wo die stehen, die sich selber vom Mahl mit Christus, die sich damit selber von der Vergebung der Sünden, vom Leben, von der Seligkeit ausschließen! Ja, Gott geb’s, dass man uns auf allen Bildern immer ganz dicht dran an Jesus findet – und damit zugleich auch ganz dicht dran an all denen, die sich mit uns um Jesus versammeln, wer sie auch sein mögen! Und wenn du dich dort bei ihm nicht einfindest – dann gibt Jesus dich nicht auf, läuft hinter dir her, weil er weiß, dass du ihn doch so dringend nötig hast. Denn er ist doch gekommen, die Sünder zu rufen – und nicht die Gerechten. Amen.