22.01.2012 | 2. Könige 5,1-19a | 3. Sonntag nach Epiphanias

Neulich wurde ich von einem Amtsbruder gefragt, ob ich ihm vielleicht das Erfolgsgeheimnis des schnellen Wachstums unserer Gemeinde nennen könne. Das konnte ich natürlich nicht. Denn erstens geht es bei dem, was in unserer Gemeinde geschieht, nicht um Erfolge, die wir erringen. Und zum anderen können wir diese angeblichen Erfolge erst recht nicht selber machen, und ganz gewiss nicht anhand von irgendwelchen Rezepten, mit denen wir Leute gewinnen oder zum Glauben „rumkriegen“ könnten. Ich kann mir das, ehrlich gesagt, auch nicht ganz erklären, warum so viele Menschen in unsere Gemeinde kommen; ich könnte eigentlich nur Geschichten erzählen, viele individuelle Geschichten darüber, wie Menschen den Weg in unsere Gemeinde, den Weg zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben, und jeder dieser Wege ist immer wieder neu ein Wunder, zu dem wir selber herzlich wenig beitragen konnten. Aber natürlich lassen sich in diesen Geschichten immer wieder Gemeinsamkeiten entdecken, typische Erfahrungen, die Menschen auf dem Weg in unsere Gemeinde gemacht haben. Und genau da passt die alttestamentliche Lesung dieses heutigen Sonntags ganz wunderbar hinein, denn in dem, was in ihr geschildert wird, kann ich auch den Weg so vieler Glieder unserer Gemeinde zum Glauben an ihn, den lebendigen Gott, gut wiedererkennen. Ja, unglaublich ist das im Grunde genommen, dass ein syrischer General zum Glauben an den Gott Israels findet, ja darin das Glück seines Lebens entdeckt. Und so wollen wir uns miteinander anschauen, welchen Weg dieser General hier in unserer Geschichte geführt wird:
- Er wird von einem Gemeindeglied eingeladen.
- Er erfährt, dass die Kirche kein Serviceunternehmen ist.
- Er praktiziert seinen neuen Glauben in einer heidnischen Umgebung.

I.
Von einem erfolgreichen General berichtet unsere heutige Predigtlesung. Fast 3000 Jahre vor Herrn Assad befehligte er das Militär in Damaskus mit beträchtlichem Erfolg: Bei seinen Kriegszügen gegen Israel hatte er zahlreiche Bewohnerinnen und Bewohner Israels als Kriegsbeute mit nach Syrien genommen, wo sie als Sklaven arbeiten mussten. Selbstverständlich hatte sich Naaman in diesem Zusammenhang auch gleich selber bedient und sich auf diese Weise eine Haushaltshilfe für seine Frau organisiert. Und diese Haushaltshilfe sollte ihm nun noch einmal in ganz besonderer Weise hilfreich sein.

Denn so hoch Naaman auf der Karriereleiter auch geklettert war, und so erfolgreich er in seinem Beruf auch war: Das änderte nichts daran, dass Naaman ein kranker Mensch war. Aussätzig war er, so heißt es hier. Damit kann noch nicht die Lepra gemeint sein; die haben erst einige hundert Jahre später die Soldaten Alexanders des Großen nach Israel und Syrien importiert. Die Krankheit, an der Naaman litt, kann auch nicht ansteckend gewesen sein, denn sonst hätte er nicht weiter bei seiner Familie zu Hause leben können. Vermutlich litt er an einer schweren Form der Schuppenflechte, die seinen ganzen Körper bedeckte. Wer mit solchen Krankheiten mal zu tun gehabt hat, der weiß, wie einen solch eine Hautkrankheit geradezu wahnsinnig machen kann, wie man da gerne auf alle Orden und Auszeichnungen verzichten würde, wenn es einen nicht die ganze Zeit überall am Körper jucken würde. Keinen Arzt gab es in Syrien, der diese Krankheit heilen konnte; Naaman war mit seinem Latein oder Aramäisch mittlerweile am Ende.

Doch da meldet sich seine Sklavin zu Wort: Sie kennt da einen bei sich zu Hause in Israel, der dazu in der Lage ist, dem Naaman zu helfen, einen Propheten, der im Auftrag des Gottes Israels Dinge zu bewirken vermag, zu denen sonst kein Arzt in der Lage ist. Das lässt sie dem Naaman ausrichten, und der lässt sich, vielleicht auch nur mit dem Mut der Verzweiflung, darauf ein. Der Weg zum Gott Israels beginnt mit dem Zeugnis einer israelitischen Sklavin.

Ganz ähnlich läuft das auch in unserer Gemeinde immer wieder ab: Ganz viele Glieder unserer Gemeinde sind dadurch hier in unsere Gemeinde gekommen, dass sie von anderen, die schon zur Gemeinde gehörten, eingeladen worden sind. Gemeindeglieder laden andere ein, weil sie selber davon überzeugt sind, es selber erfahren haben: Es lohnt sich, hier hinzugehen, es lohnt sich, dafür auch lange Wege in Kauf zu nehmen. Was man hier bekommt, das bekommt man eben nicht unbedingt gleich um die Ecke; das ist so gut, das ist so wichtig, das sollte man einfach nicht verpassen. Schwestern und Brüder: Wenn euch das selber peinlich wäre, was hier in unserer Gemeinde abläuft, wenn ihr selber den Eindruck hättet, das bringt euch gar nichts, hierhin zu kommen, dann würdet ihr wohl kaum andere auch hierher einladen. Doch ihr verhaltet euch wie jene israelitische Sklavin: Ihr sprecht andere an, gebt ihnen den Tipp, auch hierher zu kommen. Nein, das macht ihr nicht, weil ihr darauf aus seid, dass unsere Gemeinde Erfolg hat, dass unsere Gemeindestatistik sich weiter verbessert. Ihr macht das, wie jene israelitische Sklavin auch, einzig und allein, weil ihr wisst: Das tut denen, die wir einladen, gut, das hilft ihnen, wenn sie hierher kommen, wenn sie hier in unserer Mitte dem lebendigen Gott begegnen. Ja, so beginnt er immer wieder, der Weg in unsere Gemeinde, der Weg zu Gott, wie ihn schon so viele unter uns erfahren haben.

II.
Und dann beginnt der humoristische Teil der Geschichte: Der Naaman meldet sich bei seinem König, um bei ihm einen Kurlaub zu beantragen: Er will da zu dem Propheten hin, um sich von ihm medizinisch behandeln zu lassen. Der König meint es gut mit Naaman: Er gibt ihm nicht nur frei, sondern er meint, er müsse nun auch gleich seine Beziehungen spielen lassen: Ein so verdienter Mensch wie der Naaman, der sollte sich mit seiner Krankheit doch nicht von irgendeinem popeligen Kassenpropheten behandeln lassen. Der sollte schon auf einer Chefarztbehandlung bestehen, sollte dort in Israel gleich zum obersten Priester gehen, um sich von ihm heilen zu lassen. Und der oberste Priester war, so dachte man damals im Vorderen Orient, natürlich der König; der konnte doch mit Sicherheit viel mehr bewirken als bloß solch ein Prophet. Und so scheut Naamans Chef keine Kosten für eine privatärztliche Behandlung und schickt ihn mit zehn Zentnern Silber, sechstausend Goldgulden und zehn Feierkleidern zu dem König von Israel. Das sollte bei allen Beitragserhöhungen doch immer noch allemal für einen erstklassigen Service reichen.

Doch als Naaman bei dem König von Israel in Samaria ankommt, stellt er schnell fest, dass er dort an der falschen Adresse gelandet ist: Der König von Israel empfindet sein Ersuchen geradezu als gotteslästerlich: Von solch einer Krankheit heilen kann doch nur Gott allein, und wenn auch andere Könige im Vorderen Orient sich als Götter oder Stellvertreter der Götter verstehen mögen: In Israel wusste man genau, dass der König ein sterblicher Mensch war und blieb, mehr nicht. Und so lässt er den verdutzten Naaman sehr schnell abblitzen. Nun war Samaria damals längst nicht so groß wie Zehlendorf heute; der missglückte Arztbesuch des Naaman beim israelitischen König sprach sich ganz schnell herum, und noch bevor der Naaman seine sieben Sachen wieder zusammengepackt hatte, um in seine Heimat zurückzukehren, meldete sich der Prophet Elisa beim König und sagte ihm Bescheid, er solle den Naaman zu ihm rüberschicken. Das machte der König auch gleich, und so steht der Naaman kurz darauf mit Rossen und Wagen, mit seinen ganzen Moneten und seiner ganzen Entourage vor der Hütte des Propheten. Das muss schon ein köstlicher Anblick gewesen sein. Ganz selbstverständlich erwartet der Naaman, dass Elisa nun zu ihm herauskommt, ein paar fromme Formeln murmelt, ein paar feierliche Gesten macht und mit diesem ganzen Hokuspokus seine Schuppenflechte heilt. Solch eine kleine, aber feine religiöse Show war ja wohl das mindeste, was eine hochgestellte Persönlichkeit wie Naaman von diesem Kassenpropheten erwarten konnte.

Doch der Elisa kommt überhaupt nicht heraus aus seiner Hütte, sondern er lässt dem Naaman ausrichten, er solle wieder aus Samaria abziehen, vierzig Kilometer durch die Wüste fahren und dann im Jordan siebenmal untertauchen. Der Naaman ist außer sich vor Wut: So geht man nicht mit einem General um: Den schickt man nicht einfach mit einer Botschaft wieder weg, und dann auch noch mit solch einer unsinnigen Anweisung: Was für ein Quatsch, in der trüben Jordanbrühe baden zu sollen, wo es in Damaskus doch wunderbare klare Flüsse gibt, die direkt aus dem Gebirge kommen! Was soll das denn schon bringen! Doch schließlich überzeugen ihn seine Diener, der Anweisung des Propheten doch Folge zu leisten – und siehe da, als der Naaman im Jordan siebenmal untertaucht, wird er von seiner Krankheit geheilt. Doch die Heilung umfasst nicht nur seine Haut, sie betrifft auch seine Seele: Er kehrt zu Elisa zurück und bekennt sich ohne Wenn und Aber zu dem Gott Israels als dem einzig wahren Gott. Doch auch jetzt, wo er ein neuer Mensch geworden ist, steckt ein Stück seines alten Denkens immer noch tief in ihm drin: Er glaubt immer noch, er müsse für das, was ihm da von Gott geschenkt worden ist, nun anschließend auch bezahlen. Doch Elisa nutzt die Chance nicht, die Kirchenkasse auf diese Weise kräftig aufzubessern: Keinesfalls möchte er den Eindruck erwecken, als ginge es beim Glauben um ein Geschäft, von dem Gottes Bodenpersonal profitiert.

Schwestern und Brüder: Diese Geschichte von dem Naaman und dem Elisa ist ja auch heute noch so was von aktuell:
Solche Naamans gibt es auch heute noch in großer Zahl: Leute, die sich die Kirche gar nicht anders als ein Serviceunternehmen vorstellen können, das die Dienstleistungen für sie vollzieht, die sie von ihm erwarten oder gar einfordern: Gebraucht wird die Kirche für Amtshandlungen an den Schwellen des Lebens, für Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen. Und die hat die Kirche dann bitte so zu vollziehen, wie sie, die Kunden, dies von ihr erwarten. Schließlich zahlen sie dafür ja auch nicht schlecht. Dann wird der Pastor die religiöse Show ja wohl auch nach ihren Wünschen gestalten, die feierliche Rede so halten, wie man sie bei ihm bestellt hat. Und entsprechend groß ist die Empörung, wenn Kirchenvertreter sich weigern sollten, diese Servicewünsche zu befolgen, wenn sie nicht dazu bereit sind, ihre Aufgabe nur darin zu sehen, ein wenig Feierlichkeit zu verbreiten und die Familienfeier oder ähnliche Anlässe mit etwas religiösem Brimborium zu umrahmen. Da erhalte ich immer wieder mal Anrufe, ob ich nicht einen Menschen, der längst aus der Kirche ausgetreten und mir völlig unbekannt war, beerdigen könne. Er sei doch solch ein guter Mensch gewesen; da habe er doch eine angemessene Würdigung seiner Lebensleistung durch einen Pastor verdient. Und wenn ich dann deutlich mache, dass eine Beerdigung ein Gottesdienst ist, bei dem die Gemeinde von einem ihrer Glieder Abschied nimmt, und dass man umgekehrt die Entscheidung eines Menschen, nicht zur Kirche gehören zu wollen, ernst nehmen solle, ist oft genug die Empörung und Enttäuschung groß. Oder da erhalte ich Anrufe von mir unbekannten Menschen, dass sie gerne ihr Kind bei uns taufen lassen wollen. Ich sage, dass ich dazu gerne bereit bin, dass ich aber erwarte, dass sie sich erst einmal unseren Gottesdienst anschauen, da das Kind ja später auch hier in der Gemeinde zu Hause sein soll. Die Reaktion ist dann oftmals ganz ähnlich wie bei Naaman: Seit wann haben wir es nötig, uns vom Pastor irgendwelche Bedingungen nennen zu lassen – ist die Kirche nun ein Serviceunternehmen oder nicht?

Nein, sie ist es nicht, und wehe, sie tut so, als wäre sie es doch. Deutlich machen soll sie, dass es in ihr um die Begegnung mit dem lebendigen Gott geht, dass wir hier kein Brimborium betreiben, sondern dass es hier um die ewige Seligkeit derer geht, die um die Dienste der Kirche bitten. Darum geht es in der Kirche, dass Menschen erfahren: Das ist nicht bloß ein bisschen Wasser, was da dem Täufling über den Kopf gegossen wird, sondern durch dieses Wasser wird der Täufling ein neuer Mensch, wird wiedergeboren, wird in eine ganz neue Beziehung zu Gott gesetzt, zu der er sich dann später auch bekennen soll. Darum geht es in der Kirche, dass Menschen erfahren: Gott nutzt scheinbar lächerliche Zeichen wie Brot und Wein, um dadurch Großes zu schenken, Menschen Anteil zu geben am lebendigen Christus, an seinem unzerstörbaren Leben. Ja, durch diese Zeichen will Gott selber uns helfen, dass wir uns zu ihm bekennen – nicht anders als Naaman damals schließlich auch. Wer sich dagegen auf diese Zeichen nicht einlässt und hier etwas ganz Anderes sucht, der wird das Heil nicht finden, das allein in der Kirche und nirgendwo sonst ausgeteilt wird.

III.
Und dann zieht der Naaman schließlich wieder los. Er ist fest gewillt, seinen Glauben an den Gott Israels als den einzigen Gott auch in Damaskus zu praktizieren. Doch er weiß, in was für Schwierigkeiten er dabei kommen wird: Dort bei sich zu Hause, da gehörten Politik und Religion unmittelbar zusammen, da musste er als General an den Gottesdiensten zu Ehren des Fruchtbarkeitsgottes teilnehmen, Seite an Seite mit dem König. Er weiß: Das geht eigentlich jetzt nicht mehr, wo er den Gott Israels als den einzigen Gott verehrt; aber er weiß auch: Er kommt um diese Pflichttermine nicht herum. Das trägt er Elisa vor, weiß, dass es Sünde ist, was er da tut, und bittet dafür schon im Vorhinein um Vergebung. Und Elisa reagiert hier ganz erstaunlich: Er lässt ihn in Frieden ziehen nach Damaskus, in diese Umgebung, in der es für ihn so schwierig sein wird, seinen Glauben zu praktizieren.

Wie hochaktuell ist auch dieser Schluss der Geschichte: Das erlebe ich auch bei uns immer wieder, dass Menschen in unsere Gemeinde kommen, die vorher ein ganz anderes Leben geführt hatten, die auch familiär oder im Bekanntenkreis in Bindungen drinhängen, aus denen sie nicht so einfach herauskommen. Ja, alle miteinander leben wir hier in Berlin mittlerweile in einer weitgehend ent-christlichten, heidnischen Umgebung, in der es für uns immer wieder ganz schwierig ist, unseren Glauben konsequent zu praktizieren. Das geht schon los mit all den Terminansetzungen am Sonntagmorgen, mit denen wir immer wieder konfrontiert werden, weil sich die Leute in unserer Umgebung gar nicht vorstellen können, dass jemand allen Ernstes um diese Zeit in die Kirche gehen könnte. Ach, dass wir wenigstens das Gespür des Naaman besitzen und darum wissen, dass es Sünde ist, wenn wir unseren Glauben an ihn, den einen Gott, nicht konsequent praktizieren, wenn wir bewusst oder unbewusst den Eindruck erwecken, als sei er uns doch nicht so wichtig! Ach, dass wir wenigstens darum wissen, wie sehr auch wir in unserem Leben als Christen im Alltag immer wieder auf Gottes Vergebung angewiesen sind!

Da gibt es auch in unserer Gemeinde jede Menge zu tun, gibt es auch bei uns so manchen, der nach seiner Taufe doch wieder in den Dienst der Fruchtbarkeitsgötter unserer Zeit zurückgefallen ist, für alles mögliche Andere Zeit hat, aber nicht für Christus und den Empfang seiner Vergebung. Statistische Zahlen allein sagen da wenig aus. Mögen wir uns von Naaman dazu ermutigen lassen, nicht aufzugeben in unserem Ringen um unser Leben als Christen im Alltag! Ja, Gott geb’s, dass gerade so auch durch uns noch so mancher in unserer Umgebung den Weg zu ihm, dem lebendigen Gott, finden möge! Amen.