22.02.2012 | Joel 2,12-19 | Aschermittwoch
Fasten ist gesund. Es entschlackt den Körper, baut Fettreserven ab, entlastet damit die Gelenke, führt dazu, dass man sich leichter und besser fühlt. Kein Wunder, dass Fasten heutzutage in ist, dass Heilfastenkuren von den verschiedensten Trägern angeboten werden und auch der unvermeidliche Gesundheitsguru Hademar Bankhofer schon ein Buch zum Thema „Fasten“ geschrieben hat. Ja, es stimmt: Fasten ist gesund.
Fasten ist heilsam. Wer fastet, wer eine Zeitlang auf etwas verzichtet, der merkt sehr schnell, ob er von etwas abhängig oder wirklich ein freier Mensch ist, ob er sich von irgendetwas beherrschen lässt oder nicht. Darum muss Fasten eben auch nicht bloß Verzicht auf Essen bedeuten. Fasten kann man beispielsweise auch, indem man etwa auf das Radio oder das Fernsehen, auf Computerspiele, ja natürlich auch auf Genussmittel beziehungsweise Drogen der verschiedensten Art verzichtet. Ja, das ist in der Tat heilsam auszuprobieren, ob ich es tatsächlich schaffe, mal sieben Wochen lang aufs Fernsehen oder auf Alkohol oder Anderes zu verzichten, oder ob ich davon einfach nicht lassen kann. In diesem Fall sollte ich mir, ganz unabhängig vom Thema „Fasten“, doch mal meine Gedanken darüber machen, ob in meinem Leben tatsächlich alles in Ordnung ist. Heilsam ist das Fasten aber auch in der Hinsicht, dass ich mich selber besser kennenlerne, wie wenig ich mich oft selber unter Kontrolle habe, wie leicht ich dazu bereit bin, mir selber etwas vorzumachen, ja, wie oft ich trotz bester Vorsätze dann doch immer wieder Niederlagen in meinem Kampf erleide, in den ich mich mit meinem Vorsatz zum Fasten gestellt habe. Und heilsam ist das Fasten schließlich auch darum, weil es mich in mancherlei Hinsicht frei macht: Verzicht auf Zeiträuber schenkt mir neue freie Zeit, Verzicht auf Berieselung schenkt mir Zeit und Luft zum Nachdenken, und wenn sich mein Blut nicht die ganze Zeit im Magen sammelt, um ihm bei der Verdauung behilflich zu sein, dann hilft dies eben auch, den Kopf freizubekommen.
Zum Fasten werden wir heute, am Beginn der Fastenzeit, aufgerufen, wie sollte es auch anders sein? Doch wenn wir uns den Aufruf zum Fasten in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Abends anhören, dann merken wir schnell, dass das Fasten hier von dem Propheten Joel, ja von Gott selbst ganz anders begründet wird, als ich dies eben getan habe. Fasten soll das Volk Israel nicht, um seine Wellness zu befördern oder um sich auf einen Selbsterfahrungstrip zu begeben. Damit hätte es nämlich überhaupt noch nicht wahrgenommen, in was für einer Lage es sich eigentlich befindet. Sondern Gott fordert das Volk Israel zum Fasten auf, weil es sich sein Gericht auf den Hals geladen hat, weil es seinen Zorn hervorgerufen hat, weil er, Gott, drauf und dran ist, mit diesem Volk Schluss zu machen. So ernst ist die Lage, dass das ganze Volk, ohne jede Ausnahme, dazu aufgerufen wird, sich an dem heiligen Fasten zu beteiligen, das angesichts dieser Bedrohung ausgerufen werden soll: Selbst Greise und Kinder und Säuglinge, die natürlich ansonsten vom rituellen Fasten befreit waren, sollen nun in dieses heilige Fasten mit einbezogen werden, ja, selbst Brautleute sollen ihre Hochzeitsnacht unterbrechen, unverzüglich aus dem Schlafzimmer herausgekrabbelt kommen und beim Fasten mitmachen, statt sich weiter in ihren Gemächern zu vergnügen. Brautleute waren sonst nach ihrer Hochzeit erst einmal von allen religiösen und auch staatlichen Verpflichtungen befreit, sollten sich erst einmal aneinander freuen können. Doch jetzt steht nicht weniger als alles, als die Zukunft des Volkes, als die Zukunft eines jeden Einzelnen im Volk auf dem Spiel; da kann es keine Ausnahme mehr geben, da kann und darf sich niemand ausklinken.
Nicht um die Darbietung einer großen Show geht es Gott, geht es dem Propheten hier, im Gegenteil: Die Umkehr zu Gott, die das Volk und ein jeder im Volk mit seinem Fasten zum Ausdruck bringen soll, beginnt zunächst und vor allem im Herzen: Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider, so ruft es Joel dem Volk zu. Ein Wellnessfasten, ein ritualisierter Verzicht, bei dem das Herz nicht dabei ist, bringt überhaupt nichts. Und ein echtes, ehrliches Fasten als Zeichen des Erschreckens über die eigene Schuld, über das eigene Versagen – bringt das etwas bei Gott? Wer weiß, antwortet Joel, ja, vielleicht lässt es Gott sich dann gereuen, und er wendet sein Gericht doch noch ab. Wer weiß, vielleicht. Nein, Israel kann Gott auch mit noch so ernst gemeinten Ausdrücken seiner Buße, seiner Umkehr nicht in den Griff bekommen, ihn nicht gleichsam dazu zwingen, sein Gericht fahren zu lassen. Ob Gott auf sein Strafgericht verzichtet, ist und bleibt seine freie Entscheidung, bei der er sich auch durch noch so viele Tränen seines Volkes nicht einfach um den Finger wickeln lässt.
Das Einzige, was Gottes Volk gleichsam in der Hand hat gegenüber ihm, dem Herrn, ist die Selbstvorstellung, ja Selbstverpflichtung, die Gott seinem Volk in seinem Wort selber gegeben hat, dass er gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte ist, dass er sein Volk zu seinem Eigentum erwählt hat und an das Geschick dieses Volkes gleichsam seine Ehre gebunden hat. Das ist es, was die Priester im Namen des ganzen Volkes Gott in seinem Tempel vorhalten können, um ihn davon abzuhalten, sein Gericht an seinem Volk zu vollziehen.
Ja, das ist in der Tat ein ganz anderes Fasten, von dem Joel hier spricht, ein Fasten mit einem ganz anderen Ernst, bei dem es gerade nicht bloß darum geht, dass man ein paar Pfunde verliert und sich besser fühlt, weil man es geschafft hat, den inneren Schweinehund zu überwinden. Bei diesem Fasten, von dem Joel hier spricht, geht es in der Tat um nicht weniger als um Leben und Tod.
Und worum geht es bei unserem Fasten, mit dem wir heute nun an diesem Aschermittwoch beginnen? Ja, Gott geb’s, dass es uns auch um mehr geht als um unsere Gesundheit oder um Selbsterfahrung! Gott geb’s, dass wir nicht auch bei unserem Fasten letztlich nur um uns selber kreisen, nur unser Leben hier und jetzt im Blick haben und gar nicht merken, dass auch wir Gottes Gericht entgegengehen! Nein, Gottes Gericht ist nicht bloß eine Bedrohung, vor der das Volk Israel damals zur Zeit des Alten Testaments stand; Gott hat sein Gericht seitdem nicht abgeblasen, hat im Gegenteil durch seinen Sohn Jesus Christus verkündigen lassen, dass dieses Gericht universal sein wird, dass es keinen Menschen auf dieser Welt geben wird, der diesem Gericht entkommen kann. Ja, wir tun gut daran, uns dies jeden Tag neu vor Augen zu stellen, dass wir uns einmal vor dem Richterstuhl Christi werden verantworten müssen. Und wir tun gut daran, dies nicht weniger ernst zu nehmen, als es damals das Volk Israel getan hat.
Unser Fasten soll also einhergehen mit einer Umkehr unseres Herzens, mit einer neuen Bereitschaft, auf Gottes Wort zu hören und unser Leben dadurch prägen zu lassen. Darum ist es gut, wenn wir uns in diesen kommenden Wochen weniger als sonst von allen möglichen Geräuschen berieseln lassen. Darum ist es gut, wenn wir uns in diesen kommenden Wochen bewusst mehr Zeit als sonst frei räumen, um uns mit Gottes Wort zu beschäftigen, um seine Sakramente zu empfangen. Es geht auch für uns um Leben und Tod.
Werden wir in Gottes letztem Gericht einmal verschont werden? Brüder und Schwestern: Wir dürfen, gottlob, an dieser Stelle mehr als Joel sagen, brauchen uns nicht darauf zu beschränken, „vielleicht“ oder „wer weiß“ zu sagen. Dass wir mehr sagen dürfen, liegt nicht daran, dass wir einen besseren Trick kennen würden als Joel damals, um Gott doch noch herumzubekommen. Sondern es liegt daran, dass wir uns vor Gott auf noch mehr berufen können, als Joel dies damals konnte. Wir dürfen uns vor Gott bei unserem Fasten und Beten darauf berufen, dass sein Sohn Jesus Christus die Strafe auf sich genommen hat, die wir in Gottes Gericht verdient haben. Wir dürfen uns darauf berufen, dass in der Kraft dessen, was Christus für uns am Kreuz erlitten hat, seine Vergebung gilt, seine Vergebung, die wir auch eben wieder in der Heiligen Beichte empfangen haben. Doch weh uns, wenn wir die Beichte, wenn wir den Empfang der Vergebung zu einem ähnlich äußerlichen Ritual verkommen lassen wie das Zerreißen der Kleider damals, wenn wir uns nicht mehr klar machen, dass es hier jedes Mal tatsächlich um unsere Rettung aus Gottes Gericht geht und um nicht weniger! Ja, weh uns, wenn wir den Empfang der Vergebung als etwas Selbstverständliches, vielleicht gar Automatisches ansehen und uns nicht mehr klarmachen, was es Christus gekostet hat, damit dir heute Abend wieder die Hand aufgelegt werden konnte und du es wieder von Neuem hören durftest: Dir sind deine Sünden vergeben!
Ja, auch dazu soll unser Fasten in den kommenden Wochen dienen, dass es uns immer wieder neu daran erinnert, dass Christus selber auf unendlich mehr verzichtet hat als darauf, am Computer zu spielen, sonntags morgens im Bett liegen zu bleiben oder ein paar Wochen fernzusehen. Erinnern soll uns das Fasten daran, dass wir immer wieder schon von dem Verzicht unseres Herrn Jesus Christus leben, von seinem Verzicht auf seine Gesundheit, ja auf sein Leben, längst bevor wir angefangen haben, auch nur ein Stück Schokolade weniger zu essen. Nein, wir tun kein gutes Werk für Gott, wenn wir uns in den kommenden Wochen am Fasten beteiligen. Sondern das Fasten kann uns helfen, unsere Lage wieder neu ganz realistisch einzuschätzen: Keine Chance hätten wir von uns aus in Gottes Gericht. Doch Christus hat für uns am Kreuz auf alles, ja, wirklich alles verzichtet, damit wir leben, ewig leben, damit wir hier und jetzt schon allen Grund haben, Gott Opfer darzubringen, Opfer des Lobes und Dankes, Opfer der Freude der Erlösten. Möge unser Fasten in den kommenden Wochen solch ein Freudenopfer sein! Amen.