25.03.2012 | 4. Mose 21,4-9 | Judika

Vor einigen Tagen hat in Istanbul ein Gericht dem Auslieferungsfahrer einer internationalen Fast-Food-Kette Schadenersatz in einer Höhe von mehr als 2.000 € zugesprochen. Der Fahrer hatte sich nach dreijähriger Tätigkeit in dem Unternehmen geweigert, weiterhin jeden Tag einen Burger als Mittagessen zu akzeptieren, wie dies sein Arbeitgeber von ihm erwartet hatte. Als der Aushilfsfahrer nun nach drei Jahren streikte, wurde ihm gekündigt. Das Gericht gab nun dem Mann Recht, der erklärte: „Es ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte, Mitarbeitern jeden Tag die gleiche Mahlzeit aufzuzwingen.“ – So berichtet es jedenfalls eine türkische Zeitung unter der Überschrift „Burger-Folter“.

Jeden Tag ein Burger – es gibt Konfirmanden und Jugendliche in unserer Gemeinde, die diesen Aushilfsfahrer vielleicht überhaupt nicht verstehen können. Jeden Tag zu McDonalds gehen zu dürfen – das klingt doch fast noch traumhafter als das himmlische Paradies! Andere hingegen können sich kaum vorstellen, dass dieser Aushilfsfahrer nach drei Jahren Burger-Verzehr immer noch am Leben ist; sie hätten vermutlich schon nach der ersten Woche gestreikt.

Eine scheinbar ganz ähnliche Geschichte wird uns in der Predigtlesung des heutigen Sonntags erzählt: Vierzig Jahre waren die Israeliten nun schon durch die Wüste marschiert – und auf dem Speiseplan stand jeden Tag dasselbe Gericht: Manna, Manna und noch mal Manna – nur selten einmal verfeinert mit einigen Wachtelbrüsten. Kein Wunder, mögen wir meinen, dass die irgendwann einmal anfangen zu streiken: „Uns ekelt vor dieser mageren Speise!“ Doch den Israeliten wird hier kein Schmerzensgeld zugesprochen, im Gegenteil: Sie müssen erleben, dass sie ihre Moserei gegen Gott und Mose am Ende beinahe oder auch tatsächlich das Leben kostet.

Was sollen wir also mit dieser Geschichte, die uns hier im Vierten Mosebuch erzählt wird, anfangen? Sollen wir daraus lernen: Ja nicht aufmucken bei Gott, immer Kopf runter und schlucken, was er uns vorsetzt? Schwestern und Brüder, es lohnt sich, doch noch einmal genauer hinzuschauen, was uns hier in dieser Geschichte erzählt wird:
Da befindet sich das Volk Israel auf seinem langen Weg durch die Wüste nun gleichsam schon im Endspurt: Sie ziehen nun nicht länger immer wieder im Kreis durch die Wüste, sondern bewegen sich nun auf das Ziel ihrer langen Wanderschaft zu. Allerdings nehmen sie dabei noch einmal einen Umweg, um einer Konfrontation mit den Edomitern, die auf dem direkten Wege ins Gelobte Land wohnten, zu umgehen. Bald haben sie es geschafft, bald schon liegen die Mühen der langen Wanderung hinter ihnen – doch ausgerechnet in diesem Augenblick, kurz vor dem Ziel, fangen die Israeliten nun wieder einmal an zu mosern. Nein, es geht ihnen nicht bloß um den wenig abwechslungsreichen Speiseplan; es geht ihnen um mehr: Sie beschweren sich darüber, dass Gott sie überhaupt aus Ägypten geführt hat, sehnen sich zurück nach den Tagen der Sklaverei, unterstellen Gott, dass er es mit seiner Führung nicht gut mit ihnen meint, sondern dass er sie letztlich nur in den Tod, ins Verderben führt. Überdrüssig sind sie der Führung Gottes in ihrem Leben geworden, überdrüssig der Fürsorge Gottes, deren besonderer Ausdruck eben die Gabe des Manna ist, das sie doch vor dem Tod bewahren sollte.

Schwestern und Brüder: Könnte es sein, dass die Worte unserer heutigen Predigtlesung uns einen Spiegel vor Augen halten, einen Spiegel, in dem auch wir uns ganz gut wiedererkennen können?

Da liegt auch hinter uns eine Rettung, eine noch viel größere Rettung als die, die die Israeliten damals erfahren hatten: Gerettet worden sind wir in unserer Heiligen Taufe aus der Sklaverei des Todes und des Teufels, gerettet worden sind wir in unserer Heiligen Taufe, um für immer in der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott leben zu können. Eigentlich sollte man meinen, dass die Freude über diese Rettung von da ab unser ganzes Leben bestimmen sollte, das Staunen darüber, dass wir es so unfasslich gut haben, dass wir seit unserer Taufe von Gott auf dem Weg ins ewige Leben geleitet werden, dass er uns auf dem Weg zu diesem Ziel immer und immer wieder stärkt und kräftigt durch das Manna des ewigen Lebens, durch sein Heiliges Mahl.

Doch wir kennen unser Herz nur zu gut: Wie leicht vergessen wir, was es bedeutet, dass wir gerettete Menschen sind, wie leicht werden wir dessen überdrüssig, was Gott uns schenkt, damit wir auch tatsächlich am Ziel unseres Weges, im ewigen Leben ankommen! Immer wieder der gleiche Gottesdienst, immer wieder das gleiche Heilige Abendmahl! Ist das denn wirklich nötig – und kann Gott nicht für ein bisschen mehr Abwechslung sorgen? Schwestern und Brüder: Wir kennen es aus unserer eigenen Gemeinde, wie groß die Gefahr ist, dass Menschen irgendwann nach ihrer Taufe, nach ihrer Konfirmation keine Lust mehr haben auf den Gottesdienst, auf die Speise des Heiligen Mahles, dass sie sich von dieser Speise abwenden, sie nicht mehr zu sich nehmen und gar nicht merken, wie sie dabei allmählich geistlich verhungern. Sie empfinden das genau umgekehrt: Ich will doch was vom Leben haben, ich habe so viel anderes zu tun, ich habe so viele andere Möglichkeiten, mich zu vergnügen – da kann ich auf diese fade Speise, die mir hier im Gottesdienst geboten wird, getrost verzichten. Hier im Gottesdienst langweilt man sich doch eh nur zu Tode, erst recht, wenn man sein Handy zu Hause vergessen hat! Und so vergessen sie angesichts ihres Wunsches nach Abwechslung und guter Unterhaltung, dass sie, dass wir doch auf dem Weg zu einem Ziel sind, dass es absolut kurzsichtig wäre, von diesem Weg abzuweichen, nur weil es woanders interessanter, abwechslungreicher zu sein scheint.

Doch das Heilige Mahl ist eben kein Burger, den man höchstens in größeren Abständen mal zu sich nehmen sollte, weil sein Genuss uns sonst schadet. Es bleibt die unentbehrliche, unersetzliche Kraftnahrung auf dem Weg zum Ziel; es bleibt die Speise, die Gott selbst zu unserem Heil gestiftet und uns verordnet hat. Darauf zu verzichten, weil man Anderes für wichtiger oder interessanter hält, hieße nicht weniger, als sich von Gott selber abzuwenden, ihm, seinen guten Absichten, die er mit uns hat, zu misstrauen. Überdruss gegenüber Gottes Gaben, gegenüber seiner Liebe und Fürsorge – ja, das ist geradezu die Sünde schlechthin!

Damals ließ Gott die Israeliten sehr direkt spüren, was sie sich mit ihrer Sünde, mit ihrem Überdruss gegenüber seiner Führung, gegenüber seinen Gaben eingebrockt hatten: Er schickte feurige, giftige Schlangen ins Lager der Israeliten, deren Biss tödlich wirkte und derer sie, die Israeliten, von sich aus nicht Herr werden konnten. Eine furchtbare Strafe ist das, möchten wir meinen. Doch Gottes Gericht kann eine noch furchtbarere Gestalt annehmen: Dass er nämlich nicht eingreift, uns weiter tun lässt, was wir gerne wollen, dass er es zulässt, dass wir uns von ihm, von der Speise des Lebens entfernen und auch noch meinen, wir hätten ohne ihn das wahre Leben gefunden. Doch Gott will nicht, dass wir verloren gehen, dass wir uns für immer von ihm und seiner Liebe abwenden. Er ruft uns immer wieder zu sich zurück – und manchmal schickt er uns eben auch heute noch seine Schlangen, lässt uns mitunter auf schmerzhafte Weise erfahren, dass wir so, wie wir bisher gelebt haben, einfach nicht weitermachen können, dass wir uns da, wo wir unser Leben ohne Gott führen, uns am Ende den Tod, den ewigen Tod einhandeln. Ja, dahin will uns Gott führen, dass wir wie die Israeliten damals auch unsere Lage erkennen: „Wir haben gesündigt, wir können uns selber nicht retten!“

An Mose wandten sich die Israeliten damals, trauten sich gar nicht, ihr Bekenntnis, ihre Bitte um Rettung an Gott selber zu richten. Und so trat damals Mose in der Fürbitte für sein Volk vor Gott ein. Ungewöhnlich fiel die Antwort Gottes auf die Fürbitte des Mose damals aus: Er musste eine Schlange aus Kupfer anfertigen lassen und diese an einer hohen Stange aufhängen. Und wer auch immer auf diese Schlange blickte, der blieb am Leben. Die Bisse ersparte Gott seinem Volk auch weiter nicht – aber sie brachten dem den Tod nicht mehr ein, der auf das rettende Zeichen oben an der Stange schaute.

Genau darum geht es auch bei uns: Unsere Abwendung von Gott, unser Überdruss gegenüber seinen Gaben, unser Misstrauen gegenüber Gottes Liebe und Fürsorge wiegen so schwer, dass wir das nicht einfach kurz mal mit Gott abklären und wieder in Ordnung bringen können. Da muss schon ein anderer für uns eintreten: Christus, unser Herr, der nicht allein mit guten Worten für uns einsteht, sondern der nicht weniger als sein Leben für uns dahingegeben hat, damit unser Leben am Ende nicht doch in der Trennung von Gott endet. Dass ihn, den Sieger über Tod und Teufel, einmal die Schlange in die Ferse stechen würde, hatte Gott schon im Paradies angekündigt. Nein, das war kein kleiner, harmloser Biss, so erkennen wir es, wenn wir auf ihn, den Gekreuzigten, blicken. Entsetzliches musste er, Christus, für uns durchmachen, nicht weniger als die Hölle, die tiefste Trennung von Gott, die wir eigentlich verdient hätten. Und in der Kraft dieses seines Opfers steht er nun vor seinem Vater und bittet für uns, bittet, dass Gott uns nicht zukommen lässt, was wir verdient haben, dass wir verschont bleiben von der Strafe des ewigen Todes.

Und uns verordnet Christus nun auch kein anderes Heilmittel als Mose damals den Israeliten: Auch wir sollen uns ganz direkt konfrontieren lassen mit den Folgen unserer Sünde und Schuld, mit der Strafe des Todes, die wir verdient haben. Ja, wenn wir auch nur irgendwie auf die Idee kommen sollten zu meinen, wir seien ja eigentlich gar nicht so schlecht, wir seien doch eigentlich Menschen, mit denen Gott doch ganz zufrieden sein könnte, dann ist es erst recht heilsam, dass wir auf dieses eine Zeichen blicken, das Gott zu unserer Rettung aufgerichtet hat: auf das Zeichen des Kruzifixus, des gekreuzigten Christus. Unsere Strafe sollen wir an ihm und in ihm erkennen, unsere Strafe, die wir verdient haben und die er nun auf sich genommen hat. Ja, so tödlich ernste Konsequenzen hat unser Überdruss gegenüber Gott, gegenüber seinen Gaben, gegenüber seiner Liebe, so sollen wir es voller Schrecken erkennen, sollen uns nicht selber etwas vormachen, uns nicht nach unserer eigenen Gefühlslage beurteilen, sondern allein mit dem Blick auf den Gekreuzigten.

Und doch soll es nicht bei dem Schrecken bleiben, wenn wir auf den Kruzifixus blicken. Der, der da am Kreuz hängt, ist doch vor allem und ganz gar unsere Rettung, unser Heil, unser Leben. Nicht auf uns sollen wir schauen, auch nicht auf unsere Anständigkeit, auf unsere Frömmigkeit, auf unsere Treue zur Kirche, sondern allein auf ihn, auf das, was er, Christus, für uns getan hat. Genau das heißt Glauben: ganz von sich selber wegzusehen, hin auf ihn, der unsere Strafe auf sich genommen hat. Darum sollte ein Bildnis des Kruzifixus in keiner Kirche fehlen, dass der Blick derer, die den Gottesdienst feiern, immer wieder auf ihn, den Gekreuzigten, gerichtet wird. Und darum tun wir gut daran, einen solchen Kruzifixus auch bei uns zu Hause, in unseren Wohnungen hängen zu haben: Wer auf ihn, Christus, den Gekreuzigten, blickt und ihm vertraut, der wird leben, leben in alle Ewigkeit.

Eines sollen wir dabei allerdings auch immer ganz nüchtern bedenken: Die Schlangen werden nicht aufhören zu beißen. Schmerzliche Erfahrungen, Krankheiten, ja schließlich auch der Tod werden uns nicht dadurch erspart bleiben, dass wir auf ihn, den Gekreuzigten, blicken. Doch all diese Bisse, die uns sehr wehtun mögen, lassen unser Leben doch nicht im ewigen Tod enden. Wir wissen doch, wohin wir uns wenden können: an ihn, den Gekreuzigten, an das Opfer seines Leibes und Blutes, das uns im Heiligen Mahl ausgeteilt wird. Ja, Gott geb’s, dass wir unsere Lage immer wieder ganz klar und deutlich erkennen und uns so immer wieder zu Christus, zur Speise des ewigen Lebens treiben lassen. Ja, Gott geb’s, dass wir das schon jetzt in unserem Leben immer wieder einüben. Dann sind wir auch vorbereitet für unsere letzte Stunde, dann ist uns vertraut, was, nein: wer allein uns retten kann, wenn unser Leben von uns gefordert wird: „Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod und lass mich sehn dein Bilde in deiner Kreuzesnot. Da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl.“ Amen.