28.03.2012 | Mittwoch nach Judika

FÜNFTE FASTENPREDIGT ZUM THEMA „DAS WORT VOM KREUZ“:
„DAS WORT VOM KREUZ – NACH PAULUS“

Ob der Apostel Paulus die Kreuzigung Jesu in Jerusalem selber miterlebt hat, wissen wir nicht. Klar ist jedenfalls, dass er in seinen Briefen keinerlei Interesse an Einzelheiten dieser Kreuzigung erkennen lässt. Wichtig ist ihm einzig und allein, dass Christus am Kreuz gestorben ist, und zwar tatsächlich am Kreuz und auf keine andere Weise. Warum ihm das so wichtig ist, das lässt er in seinen Schriften in der Tat sehr deutlich erkennen:
„Verflucht ist jeder, der am Holz hängt“ – So hatte es Paulus in der Torah, im Gesetz des Mose, gelernt. Völlig klar war für ihn, den theologisch gut ausgebildeten Rabbiner, von daher, dass Jesus als Gekreuzigter ein von Gott Verfluchter war, denn seine Kreuzigung hatte er mit dem, was er gesagt hatte, allemal verdient: Er hatte behauptet, der Sohn Gottes zu sein – und auf diese Gotteslästerung stand nun einmal nach dem Gesetz die Todesstrafe. Was Paulus darum maßlos empörte, war die Behauptung der Anhänger Jesu, Gott habe diesen Jesus von den Toten auferweckt. Das war völlig unmöglich und ausgeschlossen: Gott konnte sich nicht zu einem Verfluchten bekennen, erst recht nicht zu einem, der völlig korrekt nach Gottes eigenem Gesetz hingerichtet worden war. Damit hätte Gott ja seinem eigenen Gesetz widersprochen – und das war so absurd, dass man das eigentlich noch nicht einmal denken konnte!

Doch dann begegnet der auferstandene Christus Paulus vor den Stadttoren von Damaskus – und von einer Sekunde auf die andere bricht bei Paulus sein ganzes klares Weltbild zusammen, und er erkennt: Der gekreuzigte Jesus lebt; Gott hat dem am Kreuz Verfluchten Recht gegeben. Und was das in seiner Konsequenz bedeutet, das hat Paulus dann in seinen verschiedenen Briefen, die er an christliche Gemeinden im Mittelmeergebiet in der folgenden Zeit geschrieben hat, entfaltet:
Zunächst einmal macht Paulus ganz deutlich: Die Kreuzigung Jesu, die natürlich vordergründig von Menschen vollzogen worden ist, ist in Wirklichkeit eine Tat Gottes: Er hat Christus am Kreuz dahingegeben, er war in Christus und hat am Kreuz die Welt mit sich versöhnt. Ja, Gott wollte, dass Christus am Kreuz stirbt – nicht, weil er es verdient hätte, sondern weil er durch dieses Kreuz unser Heil, unsere Rettung bewirkt hat. Das Kreuz, es ist also Ausdruck der unfasslichen Liebe Gottes zu uns Menschen, so erkennt es Paulus als Konsequenz seiner Begegnung mit dem auferstandenen Christus.

Ein Folterinstrument als Zeichen der Liebe Gottes – während wir uns an diesen Gedanken dank unserer mehr oder weniger vollzogenen christlichen Sozialisation ganz gut gewöhnt haben, klang dieser Gedanke, ja diese Botschaft für die Zuhörer des Paulus damals erst einmal völlig absurd: Torheit, Schwachsinn für die Griechen, Ärgernis für die Juden, so beschreibt es Paulus selber in seinem 1. Korintherbrief. Aber gerade das soll es auch sein, soll nicht solange glattgebügelt werden, bis es seine Anstößigkeit verloren hat. Denn das Kreuz macht eben, so zeigt es der Apostel, ganz deutlich, dass alle menschlichen Bemühungen, sich Gott zu nähern – sei es durch die Einhaltung des Gesetzes Gottes, sei es durch intensives Nachdenken oder Meditieren, sei es durch fromme Ekstase – zum Scheitern verurteilt sind. Gott hat es nun einmal gefallen, so erkennt es der Apostel, die Menschheit durch die Kreuzigung seines Sohnes zu retten und nicht dadurch, dass Menschen aus eigener Kraft ihr Heil wirken oder zumindest dabei mitwirken. Alle Versuche, das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen am Kreuz Christi vorbei zu bestimmen, müssen vergeblich bleiben, bleiben Gedankenspiele, die die entscheidende Realität der Weltgeschichte übersehen: das Kreuz des Gottessohnes.

So wichtig ist Paulus dieses Kreuz, dass er seine ganze Verkündigung bei den Korinthern so zusammenfassen kann: „Ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten.“ Das Kreuz Christi ist und bleibt das Zentrum der gesamten Verkündigung des Apostels und wird damit zum Maßstab aller christlichen Verkündigung überhaupt: Wenn darin das Kreuz Christi an den Rand gerückt oder gar ausgeblendet wird, dann verfehlt sie das Entscheidende, was christliche Verkündigung eigentlich ausmacht.

Doch das Kreuz Christi ist für Paulus nicht bloß deshalb so wichtig, weil es allen menschlichen Versuchen, sich selbst vor Gott zu rechtfertigen, eine Absage erteilt. Paulus kann die Bedeutung des Kreuzes Christi natürlich auch positiv in seinen Briefen entfalten: Dabei geht er aus von den beiden feststehenden Texten, die er vermutlich schon bei seinem ersten Besuch in Jerusalem nach seiner Begegnung mit dem auferstandenen Christus kennengelernt, ja auswendig gelernt hatte, den Einsetzungsworten des Heiligen Abendmahls und dem ältesten christlichen Glaubensbekenntnis, das uns durch Paulus überliefert ist: In beiden Texten ist bereits davon die Rede, dass der Tod Christi für uns, für unsere Sünden erfolgt sei. Ja, Christus selber hatte so schon seinen Tod gedeutet, und die erste christliche Gemeinde hatte sich von ihm dazu anleiten lassen, auf diese Weise dieses unfassliche Geschehen der Kreuzigung ihres Messias begreifen zu können: Der da hängt, hängt stellvertretend für uns da am Kreuz, identifiziert sich so sehr mit unserer Sünde, dass ihn die Strafe für diese unsere Sünde trifft, ja, dass ihn der Fluch des Gesetzes trifft. Er ist das von Gott selber gestiftete Sühnopfer, das auf den Glauben derer zielt, die durch diese Tat Gottes in seinen Augen richtig dastehen.

Für uns hängt Christus am Kreuz, so betont es Paulus – und er hat es überhaupt mit den Präpositionen. Denn zum dem „für uns“ tritt bei Paulus dann auch das „mit ihm“. Wir erhalten Anteil an dem Tod Christi am Kreuz, dadurch, dass wir mit ihm sterben, ja mit ihm gestorben sind in unserer Taufe: Dort in der Taufe sind wir mit Christus so eng verbunden worden, dass wir seinen Weg durch Kreuz und Tod zum Leben der Auferstehung mitgeführt worden sind, dass das, was Christus am Kreuz für uns getan hat, nun auch uns gilt. Nicht dadurch erhalten wir Anteil am Kreuzestod Christi für uns, dass wir über ihn nachdenken oder ihm zustimmen, sondern dass wir in eine Lebensgemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn geführt werden, die so eng ist, dass Paulus dafür eine weitere Präposition immer wieder verwendet: Wir leben in Christus, und Christus lebt in uns. So sehr die Kreuzigung Jesu auf Golgatha ein einmaliges Ereignis ist und bleibt, wird sie doch immer wieder neu auch zur Realität unseres Lebens, wenn wir mit Paulus bekennen: „Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“

Lebensgemeinschaft mit Christus – für Paulus wirkte sich diese Lebensgemeinschaft bis ins Körperliche hinein aus: Er, der ohnehin gesundheitlich schwer angeschlagen war, er, der aber vor allem in seinem apostolischen Dienst ein Übermaß an Leiden erfuhr, das auch seinen Körper zeichnete, versteht dieses Leiden als ein Hineingezogenwerden in das Leiden und Sterben Christi: „Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleichgestaltet werden“, schreibt Paulus den Philippern, und an die Galater schreibt er gar: „Ich trage die Malzeichen Jesu an meinem Leibe.“

Schwestern und Brüder: Wir sind nicht der Apostel Paulus. Doch wir tun gut daran, uns von ihm anleiten zu lassen, was die Verkündigung des Kreuzes Christi auch für uns, für unser Leben bedeutet: Sie bedeutet, dass wir uns ja nicht von dem Irrtum, ja der Irrlehre beeindrucken lassen sollen, dass sich der Glaube an Christus in unserem Leben so auswirkt, dass wir uns nur noch glücklich fühlen und keine Probleme mehr haben, dass wir das Kreuz gleichsam schon hinter uns gelassen haben und schon hier auf Erden die Kraft Christi darin erfahren, dass uns alles Schwere in unserem Leben schon genommen wird. O nein, solange wir leben, bleiben wir angefochten, bleibt uns das Leiden nicht erspart, bleiben wir im Kampf mit der Sünde, mit dem alten Menschen, der nicht aufhört, sich der Botschaft vom Kreuz zu widersetzen. So werden wir in diesem Kampf immer wieder auch selber in das Kreuz Christi hineingezogen. Doch nicht wir müssen den Sieg in diesem Kampf erringen: Das tut Christus allein, der damals den Apostel getröstet hat, wie er auch uns heute tröstet: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Eben dies predigt er uns, Christus, der Gekreuzigte. Amen.