22.04.2012 | 1. Petrus 5,1-4 | Misericordias Domini

In der vergangenen Woche kam hier in unserer Gemeinde der Pfarrkonvent des Kirchenbezirks Berlin-Brandenburg unserer Kirche zusammen. „Da möchte ich auch gerne mal Mäuschen spielen, wenn die Pastoren da zusammenkommen“, höre ich mitunter als Kommentar zu solch einem Pastorentreffen. Irgendwie umgibt die Person und Tätigkeit eines Pastors immer noch etwas scheinbar Geheimnisvolles: Gemeinden und Gemeindeglieder projizieren auf Pastoren nicht selten Erwartungen wie an einen Wundertäter, an eine spirituelle Variante des Gewinners von „Deutschland sucht den Superstar“. Zum Pastor kommen sie sonntags in die Kirche, vom Pastor erwarten sie, dass er die Gemeinde zum Wachsen bringt, ihr neues Leben einhaucht, Menschen mitreißt und begeistert. Und umso größer ist dann die Enttäuschung, wenn man feststellt, dass der zunächst so Angehimmelte diese Erwartungen nicht zu erfüllen vermag, dass er im Gegenteil ein ganz normaler sündiger Mensch ist wie alle anderen Gemeindeglieder auch, über keine besonderen Wunderkräfte verfügt. Da laufen dann nicht selten ganz ähnliche Mechanismen ab, wie wir sie auch in der Beurteilung von Bundespräsidenten in unserem Land wahrnehmen und beobachten können.

„Da möchte ich auch gerne mal Mäuschen spielen, wenn die Pastoren da zusammenkommen“. Ach, so fürchterlich spannend finden die Mäuse unseres Bezirkspfarrkonvente in aller Regel nicht. Gewiss, da wird manches vertraulich beraten, was nicht unbedingt für eine breitere Öffentlichkeit bestimmt ist. Dass Pastoren den Mund halten können, gehört in der Tat mit zu ihrem Dienstauftrag. Doch insgesamt geht es auf solchen Pfarrkonventen immer sehr nüchtern zu; da sitzen nicht messianische Heilsbringer, sondern schlicht und einfach Menschen zusammen, die darum wissen, dass sie von Christus in seinen Dienst gerufen worden sind, und gemeinsam überlegen, wie sie diesen Dienst am besten wahrnehmen können.

„Da möchte ich auch gerne mal Mäuschen spielen, wenn die Pastoren da zusammenkommen“ – Ein wenig wird denen, die dies wünschen, mit der heutigen Predigtlesung ihr Wunsch erfüllt. Denn ihr alle werdet heute Morgen in den Worten dieser Predigtlesung Zeugen eines Gesprächs, das Pastoren untereinander führen, hört Worte, die eigentlich gar nicht direkt für euch bestimmt sind, sondern nur für Leute, die in der Kirche Jesu Christi den Hirtendienst wahrnehmen. Doch der heilige Petrus hat sich dafür entschieden, diese Worte in einen Brief zu packen, der an alle Gemeindeglieder der Gemeinden in Kleinasien gerichtet ist, und so dürft ihr also zuhören, was da ein Pastor anderen Pastoren ins Stammbuch schreibt.

Schwestern und Brüder, wenn ich nun über diese Worte des heiligen Petrus predige, dann muss ich heute Morgen ganz besonders aufpassen. Denn es soll und darf in dieser Predigt nun gerade nicht darum gehen, dass ich eure Aufmerksamkeit nun in besonderer Weise auf die Pastoren oder gar auf meine eigene Person lenke. Im Gegenteil: Genau das schärft der heilige Petrus ja seinen Amtsbrüdern ein, dass sie sich gegenüber ihren Gemeinden nicht selber in den Mittelpunkt drängen, sondern das Augenmerk der Gemeinden ganz auf den einen Oberhirten, auf Christus selber, lenken sollen. Um Christus allein geht es im Dienst eines Pastors, geht es entsprechend auch in meinem Dienst. Genauer gesagt geht es im Dienst eines Pastors darum, so macht es uns der heilige Petrus deutlich,
- die Gemeinde auf Christus zurückzuweisen
- der Gemeinde Christus auszuteilen
- die Gemeinde Christus entgegenzuführen

I.
Wenn ein Pastor in einer Gemeinde schon längere Zeit seinen Dienst versieht, wird die Gefahr immer größer, dass er die Gemeindeglieder an sich und seine Person bindet, dass die Gemeindeglieder die Kirche mit ihm, mit seiner Person gleichsetzen, ja ihre Zugehörigkeit zur Kirche nicht unwesentlich an seiner Person festmachen. Wie heilsam ist es von daher, dass der heilige Petrus hier in unserer Predigtlesung unseren Blick weitet, uns davor bewahrt, uns in der Kirche auf die Person eines einzelnen Menschen zu fixieren: Rückgebunden ist doch der Dienst eines jeden Hirten an den Hirtendienst, den schon die Apostel im Auftrag Jesu Christi nach seiner Auferstehung wahrgenommen haben: Pastor wird man nicht durch Selbstentzündung, nicht, weil man sich selber für berufen hält oder fühlt, nicht, weil man dafür bestimmte Begabungen zu haben glaubt oder vielleicht auch tatsächlich hat. Sondern zum Hirtendienst wird man berufen von dem einen Oberhirten und Ersthirten Jesus Christus, wird man so berufen, dass man hineingestellt wird in eine lange Reihe von Hirten, die zurückreicht bis auf die Apostel selber. Ich bin nicht der erste Pastor dieser Gemeinde, und falls Christus nicht vor meinem Dienstende wiederkommt, bin ich auch nicht der letzte Pastor hier in St. Marien. Ich bin erst recht nicht der erste Pastor hier in Berlin, und erst recht beginnt mit meinem Dienst nicht die Geschichte der Kirche Jesu Christi. Genau das ist ja ein ganz typisches Kennzeichen von Sekten, dass sie ihren Glauben mit bestimmten Führungspersönlichkeiten verknüpfen, die ihrerseits so tun, als ob erst mit ihrem Auftreten die göttliche Wahrheit hier auf Erden erschienen sei. Was für eine irrsinnige Vorstellung!

O nein, Glied einer langen Kette ist der jeweilige Pastor einer Gemeinde, repräsentiert Christus in seinem Dienst gerade so, dass er mit seinem Dienst zurückverweist auf den, der durch fast 2000 Jahre hindurch bereits in seiner Kirche am Werk gewesen ist und an dem allein unser Glaube hängen soll. Und eingebunden ist der jeweilige Pastor einer Gemeinde zugleich in eine Gemeinschaft mit anderen Mitpastoren, Mitältesten, die wie er in diesen Dienst von Christus gerufen sind und an ihrem Ort genau denselben Dienst versehen wie er auch. Ob Pastor X oder Pastor Y in einer Gemeinde tätig sind, ist letztlich gar nicht entscheidend; Hauptsache, sie sind von Christus in den apostolischen Hirtendienst berufen und von ihm bevollmächtigt. Darauf allein, nicht auf ihre jeweilige Persönlichkeit, kommt es in ihrem Dienst an.

II.
Worin besteht nun dieser Hirtendienst? Er besteht natürlich darin, diejenigen, die ihnen anvertraut sind, zu weiden.
Gegen diese Darstellung des Pastors als Hirte, der seine Schafe weidet, regt sich heutzutage immer wieder heftiger Widerstand: Die Gemeindeglieder sind doch keine dummen Schafe, die vom Pastor an der Nase herumgeführt werden müssen! Die Gemeindeglieder sind doch mündig genug, dass sie sich auch selber weiden können. Sie brauchen höchstens hier und da einen Trainer, einen Coach, der ihnen ab und zu mal auf die Sprünge hilft!

An diesem Einwand ist ja etwas Berechtigtes dran: Wenn der heilige Petrus die Ältesten hier dazu auffordert, die Gemeinde Gottes zu weiden, dann geht es ihm keinesfalls um das Klischee von dummen Schafen. Dumm sind Schafe ohnehin nicht; sie kennen genau die Stimme ihres Hirten, so zeigt es uns ja auch Christus selber im Heiligen Evangelium des heutigen Sonntags. Doch auch wenn wir Christen noch so gebildet und mündig sein sollten – auf eines können wir dennoch nicht verzichten: Dass Christus unser guter Hirte bleibt und dass wir auf seine Fürsorge, ja, auf die Nahrung, die allein er uns zu geben vermag, angewiesen sind. Ohne Christus können wir nicht den Weg zum Ziel unseres Lebens finden, auch nicht, wenn wir uns noch so kluge und geistreiche eigene Gedanken machen. Und wenn uns Christus, der gute Hirte, nicht mit seiner Nahrung speist, dann werden wir geistlich verhungern, ganz gleich, was wir sonst noch so alles in unserem Leben zu uns nehmen mögen.

Und Christus gebraucht als Erzhirte, als Oberhirte, nun mal Unterhirten, die er in seinen Dienst ruft und die nichts Anderes tun sollen, als eben diesen Dienst auszuführen: Menschen das Wort Christi auszurichten und sie mit seiner Nahrung, mit seinem Leib und Blut, zu speisen. Selbstverständlich sind die, die diesen Dienst ausführen, selber auf diesen Dienst angewiesen, haben es selber dringend nötig, sich von Christus immer wieder den Weg durch sein Wort weisen zu lassen, haben es selber dringend nötig, aus der Kraft der Speise des Heiligen Mahles zu leben. Nicht um Wissende und Unwissende, nicht um Dumme und Kluge geht es in der Kirche, sondern um Christus und um diejenigen, die durch seinen Dienst selig werden sollen.

Zum Hirtendienst gehört allerdings auch, immer wieder hinter denen herzulaufen, die nicht mehr auf das Wort des einen guten Hirten hören wollen, die glauben, ohne seine Nahrung auskommen zu können. Ja, das ist mitunter ein ganz schön anstrengender Teil des Weidens, von dem der heilige Petrus hier spricht, und da merke ich, wie ich bei über 900 Gemeindegliedern mit meinem Hirtendienst immer wieder auch an Grenzen stoße, weil ich gar nicht mehr so hinter allen her sein kann, die sich von Christus zu entfernen drohen, wie ich dies gerne möchte. Und da könnt ihr mir als Gemeindeglieder in der Tat in vielfacher Hinsicht eine Hilfe sein: Zunächst einmal dadurch, dass ihr selber hierher kommt, dass ich hinter euch nicht herzulaufen brauche, weil ihr den Weg zu Gottes Wort allein geht und damit in der Tat eure geistliche Reife und Mündigkeit zeigt. Aber ihr könnt mir dann tatsächlich auch dadurch immer wieder helfen, dass ihr mitmacht beim Einsammeln derer, die den Kontakt zu Christus und seiner Kirche zu verlieren drohen, dass ihr sie ansprecht, dass ihr sie einladet, dass ihr sie mitbringt, dass ihr ihnen selbst mit gutem Beispiel vorangeht. Gewiss: die letzte Verantwortung bleibt bei mir; ich werde einmal vor Christus Rechenschaft abzulegen haben über ein jedes Gemeindeglied, das Christus, der Oberhirte, mir anvertraut hat, werde mich von ihm fragen lassen müssen, ob ich ihm auch tatsächlich nachgegangen bin. Doch wie gut ist es, dass ich hier in unserer Gemeinde immer wieder erfahren darf, dass ich mit meinem Hirtendienst nicht allein dastehe, dass auch ihr mitmacht und es mir damit so viel einfacher macht, diesen Dienst zu versehen!

III.
Denn eines stellt der heilige Petrus hier zum Abschluss seiner Worte an seine Mitältesten, an seine Mithirten ganz deutlich heraus: Die eigentliche Bedeutung des Hirtendienstes kann man nur recht verstehen, wenn man bedenkt, dass Hirt und Herde dem wiederkommenden Erzhirten Jesus Christus entgegengehen. Auf die Begegnung mit ihm, dem kommenden Herrn, sollen die Hirten die Herde vorbereiten – und das können und sollen sie eben gerade auch dadurch tun, dass sie mit ihrem eigenen Leben, mit der Art und Weise, wie sie ihr Amt führen, von diesem kommenden Christus Zeugnis ablegen. Es geht dem kommenden Christus entgegen – wenn man das ernst nimmt, dann kann man seinen Hirtendienst nicht einfach bloß als Job verstehen, den man nun mal ausgewählt hat, weil einem sonst nichts Besseres eingefallen ist und man ja irgendwie seinen Lebensunterhalt und seine Rente sichern muss. „Nicht um schändlichen Gewinns willen“ schreibt der Apostel. Ja, da müssen wir Pastoren in unserer Kirche hier in Deutschland immer wieder eine Gratwanderung vollziehen: Eigentlich hat das Gehalt, das wir bekommen, nur den Sinn, uns für unseren Dienst in der Gemeinde zeitlich ganz freizustellen, dass wir unsere Zeit nicht auf andere Weise für die Sicherung unseres Lebensunterhaltes einsetzen müssen. Doch Hirten unserer Gemeinden blieben wir eben auch, wenn Kirche und Gemeinde pleite wären und uns keinen Cent zahlen könnten. Dann bliebe uns die Herde Gottes immer noch anbefohlen, auch wenn wir uns die nötigen Euros zum Lebensunterhalt nebenbei bei McDonalds dazuverdienen müssten. Keinesfalls sollen und dürfen wir als Pastoren den Eindruck erwecken, uns ginge es in unserem Dienst um das Geld, das wir verdienen. Wie sollte das auch unser Antrieb sein, wo es doch in unser aller Leben Christus entgegengeht? Und doch sind wir Pastoren natürlich dankbar dafür, wenn sich die Gemeindeglieder selber darüber Gedanken machen, was ein Pastor zum Leben braucht, erst recht, wenn er eine Familie hat, ja, wenn sie sich nicht nur darüber Gedanken machen, sondern die Gedanken dann auch in die Tat umsetzen. Doch eines muss dabei immer klar bleiben: Es geht immer nur darum, uns freizustellen, um Menschen auf dem Weg zur Begegnung mit dem wiederkommenden Herrn zu helfen. Keinesfalls soll und darf es darum gehen, dass wir versuchen, uns in unserem Hirtendienst selbst zu verwirklichen oder gar unsere Sehnsucht nach Macht, Einfluss und Anerkennung zu stillen. Denn eben damit würden wir denen, die uns anvertraut sind, ja gerade den Blick auf den wiederkommenden Christus versperren.

Vorbilder sollen wir als Hirten sein, sagt der heilige Petrus. Da seht ihr jetzt bei mir wahrscheinlich meine roten Ohren, wenn ich euch das erzähle. Der Apostel hat ja so recht; natürlich lesen Menschen immer wieder auch am Leben derer, die ihnen etwas verkündigen, ab, was die wohl wirklich meinen. Und doch kann ich euch immer wieder wohl nur dadurch als Vorbild dienen, dass ich euch immer wieder voranmarschiere, was den Empfang der Vergebung Gottes angeht. Ja, darin will ich euch Vorbild sein, dass ihr an mir als Pastor ablesen könnt, wie dringend ich und wie dringend wir alle miteinander Gottes Vergebung brauchen. Die Krone der Herrlichkeit, der Siegeskranz, von dem Petrus hier am Ende spricht, ist ja keine Belohnung für besondere Leistungen im Pfarramt oder in der Gemeinde. Der Siegeskranz bleibt ganz und gar Geschenk, verdient einzig und allein durch das, was Christus, unser Herr, für uns am Kreuz erlitten hat. Das will und werde ich euch auch weiter gerne bezeugen – und gerade so auch weiter bei euch gerne als Hirte tätig sein, hier in der Gemeinde unterwegs sein: im Auftrag des Herrn! Amen.