25.04.2012 | St. Lukas 10,1-9 | Tag des Evangelisten St. Markus
„Ich sehe was, was du nicht siehst.“ – Schwestern und Brüder, wahrscheinlich habt ihr dieses Spiel auch schon gespielt, als Kinder oder mit Kindern. Einer hat etwas im Blick, was die anderen noch gar nicht so wahrnehmen, und die müssen dann anhand der Farbe des Gegenstands erraten, was der eine wohl meint.
„Ich sehe was, was du nicht siehst.“ Genau darum geht es auch im Heiligen Evangelium des heutigen Tages des Evangelisten St. Markus. Da sieht Jesus auch etwas, was die anderen nicht sehen. Allerdings können die anderen, können auch wir selbst mit noch so viel Nachdenken nicht darauf kommen, was Jesus sieht, was er wahrnimmt. Sondern für das, was er sieht, muss er uns schon die Augen öffnen durch sein Wort.
Eine große Ernte sieht Jesus, so sagt er es zu seinen Jüngern, eine große Ernte, für die er jede Menge Arbeiter benötigt. Nein, darauf wären seine Jünger von sich aus nie gekommen. Sie sahen nur Städte und Dörfer, in denen Menschen wohnten, Menschen, die gewiss an Gott glaubten, die auch etwas von der Bibel wussten. Aber dass es nötig ist, zu diesen Menschen hinzugehen, sie einzusammeln für die Teilhabe am Reich Gottes, das konnten die Jünger von sich aus überhaupt nicht erkennen. Doch Jesus sieht mehr: Er sieht, dass die Ernte so groß ist, dass die zwölf Apostel, die er als erste losgeschickt hatte, gar nicht ausreichen, um all die Leute zu erreichen, die erreicht werden sollen. Und so schickt er hier im Heiligen Evangelium nun noch einmal 72 weitere Jünger aus, schickt sie los, um den Menschen in den Städten und Dörfern der Umgebung das Kommen des Reiches Gottes zu verkündigen, um ihnen zu verkündigen, dass in Jesus Christus nun Gott selber zu ihnen kommt, sie einlädt, für immer in seiner Gemeinschaft zu leben. Jesus sieht, dass das nötig ist, dass letztlich auch die 72 weiteren Jünger immer noch nicht ausreichen, dass sie vielmehr Gott bitten sollen, noch mehr Arbeiter in die Ernte zu senden, noch mehr Boten loszuschicken, die den Menschen in ihrer Umgebung die Teilhabe am Reich Gottes vermitteln.
Die zwölf Apostel reichen nicht aus; da müssen noch viele andere ran, um das Evangelium zu verkündigen. Einer von denen, die nicht zu den zwölf Aposteln gehörten und doch im Namen Jesu das Evangelium verkündigt haben, ist der heilige Markus, dessen Gedenktag wir heute begehen. Nach ganz frühen Zeugnissen aus der alten Kirche war er der Dolmetscher des Petrus und hat später das, was er von Petrus gehört hat, in seinem Evangelium zusammengefasst. Ja, wie gut, dass der Petrus solch einen fähigen Mitarbeiter hatte, wie gut, dass Gott, der Herr der Ernte, auch den Markus mit in diese Ernte geschickt hat, damit der mit seinem Evangelium Menschen für Christus sammelt!
„Ich sehe was, was du nicht siehst.“ Das dürfen wir uns auch heute immer noch von Christus sagen lassen. Gewiss, wir sehen, dass es hier in unserer Gemeinde jede Menge Arbeit gibt, dass immer wieder neue Menschen zu uns kommen, dass wir da in der Tat in unserer Gemeinde ganz kräftig am Ernten sind. Aber wir sehen hier in unserer Gemeinde mitunter nur so weit, dass wir denken, es müsse doch irgendwann reichen, es sei doch irgendwann genug. Irgendwann müssten wir doch auch mal mit dem Ernten aufhören können. Doch Jesus sieht, was wir erst einmal gar nicht oder selbst mithilfe seines Wortes nur zum Teil wahrzunehmen vermögen: Wie groß die Ernte gerade auch hier in unserer Stadt Berlin ist, wie viele Menschen es gibt, die die frohe Botschaft von Christus, vom Reich Gottes, dringend brauchen, die, im Bilde gesprochen, schon reif sind für die Ernte, ohne dass sie es selbst vielleicht auch nur ahnen.
Nicht Angst, nicht Sorge sollte darum unseren Blick in die Zukunft unserer Gemeinde bestimmen, sondern die Freude über die Möglichkeiten, für die Christus uns hier im Heiligen Evangelium die Augen öffnet: „Die Ernte ist groß!“ Nicht Abschotten ist angesagt, nicht Rückzug in den kleinen, vertrauten Kreis, sondern stattdessen die Bitte um immer mehr Arbeiter in der Ernte, um immer mehr Menschen, die sich von Christus aussenden lassen, um Boten seines Kommens zu sein, wie damals die 72, die Jesus losgeschickt hat, auch. Beten wir darum dafür, dass sich in unserer Kirche, ja auch in unserer Gemeinde immer wieder Menschen finden, die Theologie studieren, die dazu bereit sind, sich ins Hirtenamt der Kirche rufen zu lassen. Aber die werden nicht reichen, und die reichen auch jetzt nicht hier in unserer Gemeinde. „Wenige sind der Arbeiter“, sagt Christus. Ach, Schwestern und Brüder, wenn ich auf unsere Gemeinde blicke, dann habe ich natürlich allen Grund, davon zu schwärmen, wie viele Mitarbeiter es in unserer Gemeinde gibt, wie viele sich an der Erntearbeit in unserer Gemeinde in verschiedensten Funktionen beteiligen. Und doch: Die Ernte ist immer noch viel größer. Beten wir darum auch dafür, dass sich auch in unserer Gemeinde immer noch mehr Mitarbeiter finden, gerade auch unter den jüngeren Gemeindegliedern, die bei der Erntearbeit mitmachen. Beten wir darum, dass Christus uns auch immer wieder neue Gemeindeglieder schickt, die dazu bereit sind, wenn sie erst einmal bei uns sind, dann auch selber sich einzubringen! Wir brauchen sie, ja, wir brauchen immer wieder auch Markusse, Dolmetscher in der Verkündigung, die wir hier in unseren Unterrichten betreiben.
Es geht ja nicht bloß um ein nettes Spiel zum Zeitvertreib. Wenn Christus etwas sieht, was wir nicht sehen, dann ist das allerdings ganz ernst, dann steht da ganz Anderes auf dem Spiel. Christus verspricht den 72, die er aussendet, nicht, dass sie viel Spaß haben werden, dass das für sie eine ganz nette Freizeitbeschäftigung wird. Nein, er sendet sie aus wie Lämmer unter die Wölfe. Dass die Ernte groß ist, heißt eben nicht, dass sie nicht auch immer wieder auf ganz massiven Widerstand stoßen werden. Und das ist bei uns auch nicht anders. Lassen wir uns davon nicht entmutigen: Christus weiß, warum er uns, warum er auch euch braucht. Und er gibt auch euch eine Waffe in die Hand, die Wirkung zeigen wird, eine Waffe, die nicht dazu da ist, Menschen zu verletzen oder gar zu töten, sondern die die Kraft hat, Widerstände zu überwinden, die nicht von Fleisch und Blut sind: die frohe Botschaft vom Reich Gottes, von Jesus Christus ist diese Waffe. Die wirkt, der brauchen wir nicht mit irgendwelchen Tricks nachzuhelfen.
Denken wir immer daran: Wenn wir anderen Menschen das Evangelium bezeugen, wenn andere, die keine Christen sind, uns als Christen wahrnehmen, dann stehen wir nie allein da. Wir sind immer Repräsentanten, Bevollmächtigte unseres Herrn Jesus Christus. Und was wir zu sagen, wozu wir einzuladen haben, ist eben nicht bloß ein unverbindliches Angebot. Es geht um nicht weniger als um Heil, um Rettung, um ewiges Leben. Das sollen, das dürfen wir mit der Botschaft von Jesus Christus austeilen.
„Bringt doch alles nichts; das wollen die Leute heute doch nicht hören; das ist doch vergebliche Liebesmüh“, mag einer einwenden. Nein, sagt Christus: Ich sehe was, was du nicht siehst: „Die Ernte ist groß, der Arbeiter aber sind wenige. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter aussende in seine Ernte.“ Amen.