01.07.2012 | 1. Petrus 3,8-17 | 4. Sonntag nach Trinitatis

Wenn man sein Taufkreuz ganz offen um seinen Hals trägt, dann kann das Konsequenzen haben. Dann muss man damit rechnen, im Asylbewerberheim als Verräter beschimpft, verleumdet oder auch mal durch die Stadt gejagt zu werden, dann sollte man wissen, dass bei so manchem, dessen Religion man früher teilte, das Messer in der Tasche auch etwas lockerer sitzt.

Wenn man sich in der Schulklasse als Christ outet, dann muss man damit rechnen, möglicherweise ganz allein dazustehen, blöde angemacht und angefeindet zu werden, dann sollte man dazu in der Lage sein, dumme Sprüche wegstecken zu können.

Wenn man als Christ in eine Diskussion mit Leuten gerät, die nicht gleich wissen, wo man herkommt, dann muss man damit rechnen, dass es nicht lange dauert, bis diese Leute anfangen, über die Kirche herzuziehen, mit allen möglichen Klischees um sich zu schmeißen, ja die Kirche für alles mögliche Schlechte in dieser Welt verantwortlich zu machen. Gegen Kirche zu sein, ist heute ja in, und die Kirche hat es nach jüngsten Gerichtsurteilen zu schlucken, wenn sie öffentlich als Kinderschändersekte bezeichnet wird oder wenn ganz unverhohlen öffentlich der Wunsch geäußert wird, Kirchgebäude brennen zu sehen. Das sei durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt, urteilten gerade jüngst wieder Richter in Freiburg.

Schwestern und Brüder: Wir sind in unserem Land allmählich gar nicht mehr sehr weit weg von der Situation, in der sich damals die Christen vor gut 1950 Jahren in Kleinasien auch befanden. Nein, es gab damals noch keine organisierten Christenverfolgungen; aber die Anfeindungen gegenüber den Christen in der Gesellschaft nahmen allmählich zu. Man ärgerte sich über sie, weil sie anders waren und anders lebten, als man sonst üblicherweise lebte, weil sie sich nicht so anpassten, wie man das doch von jedem erwarten konnte. Und so wurden Christen angepöbelt, ihre Geschäfte wurden boykottiert, sie bekamen es plötzlich mit der Polizei zu tun, weil sie von irgendjemand verleumdet wurden, ja, mussten auch damit rechnen, vor Gericht gestellt zu werden. Wie sollten sie damit umgehen, wie sollten sie darauf reagieren? Genau damit befasst sich der heilige Petrus in der Predigtlesung des heutigen Sonntags, und wir merken schon, wie aktuell die Weisungen sind, die er den Christen hier gibt, wie diese Weisungen auch sehr direkt in unsere Situation als Christen heute in unserer Gesellschaft, in unserem Land hineinsprechen. Versteckt euch nicht als Christen, so ruft es der heilige Petrus den Empfängern seines Briefes damals und uns heute zu, passt euch mit eurem Leben nicht so an, dass keiner mehr erkennt, dass ihr Christen seid, wählt nicht den einfachen, bequemen Weg! Sondern
- haltet euch an Christus in euch
- reagiert auf Anfeindung mit Liebe
- seid dazu in der Lage, Antworten zu geben

I.
Wenn die anderen mitbekommen, dass man Christ ist, kann man Probleme bekommen, ganz klar. Von daher scheint es erst einmal die naheliegende Lösung zu sein, dafür zu sorgen, dass die anderen das eben nicht mitbekommen, dass man ein Christ ist. Man kann beispielsweise sein Taufkreuz nur umlegen, wenn man zur Kirche kommt; da macht es dann sogar einen guten Eindruck. Man kann grundsätzlich den Mund halten, wenn man von Freunden am Sonntagmorgen zu einer Veranstaltung eingeladen wird, und erst gar nicht erwähnen, dass man am Sonntagmorgen ja auch eigentlich eine Verabredung mit Christus hat. Man kann im Gegenteil erst recht besonders laut lachen, wenn ein Mitschüler einen Witz über Gott oder die Kirche reißt. Dann kommen die anderen nie darauf, dass man in Wirklichkeit ja selber dort in der Kirche mitmacht. Und man kann natürlich auch im Gespräch mit Bekannten erst einmal ganz kräftig über den Papst herziehen und über ihn ablästern und ansonsten einfach den Mund halten, wenn irgendwelche Klischees über die angebliche Lehre oder Praxis der Kirche verbreitet werden; dann braucht man keine Angst zu haben, als rückständig, verklemmt zu erscheinen oder gar in die Fundamentalismus-Schublade gesteckt zu werden.

Doch Christ zu sein, ist eben kein Hobby, das man einmal in der Woche oder alle 14 Tage am Samstag oder Sonntag betreibt und das andere ebenso wenig zu interessieren braucht wie die Tatsache, dass man einmal in der Woche zum Yoga oder zur Beckenbodengymnastik geht. Sondern unser Christsein gründet auf einer Realität, die unser ganzes Leben ausmacht und bestimmt, so betont es der Apostel, nämlich darauf, dass Christus in uns lebt. Das ist die Wirklichkeit unseres Lebens seit dem Tag unserer heiligen Taufe, das ist die Wirklichkeit, die wir immer wieder neu erfahren, wenn Christus mit seinem Leib und Blut in uns, in unserem Körper, in unserem Herzen Wohnung nimmt im Heiligen Mahl. Der christliche Glaube ist nicht eine unverbindliche Ansicht, die ich auch mal wechseln kann wie meine Unterwäsche. Sondern der christliche Glaube nimmt staunend wahr, dass Christus in mir ist, wo ich auch bin, was ich auch tue, dass seine Gegenwart mein Denken, mein Reden, mein Handeln beeinflussen will. „Heiligt den Herrn Christus in euren Herzen“, schreibt der Apostel. Das heißt: Nehmt wahr, dass Christus in euch lebt, dass da etwas Entscheidendes in eurem Leben geschehen ist in eurer Taufe, und lasst ihn, Christus, entsprechend das Zentrum eures Lebens sein. Fragt euch immer wieder, ob das, was ihr sagt und tut, dem entspricht, dass Christus in euch lebt, denkt daran, wenn ihr den Eindruck habt, ihr stündet als Christen ganz allein da, müsstet ganz allein mit eurer Lage klarkommen. Was die anderen auch über euch sagen mögen, was sie auch über euch denken, ja, was sie auch mit euch machen mögen: An diesen Christus, der in euch lebt, kommen sie nicht heran, den können sie euch nicht nehmen, den können sie euch nicht kaputtmachen. Darum: Fürchtet euch nicht: Der in euch lebt ist stärker als alles, was euch bedrohen mag!

II.
Und wenn sie euch denn nun dabei erwischt haben, dass ihr Christen seid, wenn sie dann mit ihren blöden Sprüchen, mit ihrer mitleidsvollen Verachtung, vielleicht gar mit ihren Schikanen und Anfeindungen kommen – wie reagiert ihr dann, wie reagieren wir dann?

Ach, wie nahe liegt es doch, denen, die uns blöde kommen, genauso blöde zu kommen, es denen heimzuzahlen, die uns angegriffen, die uns beleidigt haben. Es muss ja nicht gleich so weit gehen wie bei jenen Jugendlichen aus unserer Gemeinde, die mich vor etlichen Jahren fragten, ob sie einen Mitschüler verprügeln dürften, bei dem sie mitbekommen hatten, dass er öffentlich auf eine Bibel gespuckt hatte. Und wer kann es, ganz menschlich gesprochen, den Christen in Nigeria verdenken, wenn sie nun irgendwann auch anfangen, sich zur Wehr zu setzen und Vergeltung zu üben, nachdem Islamisten einen Mordanschlag nach dem anderen auf Kirchen und Gottesdienste verübt und so viele Christen umgebracht hatten? Ob wir nicht an ihrer Stelle irgendwann genauso reagieren würden?

Und doch schreibt der Apostel Petrus hier nun ganz eindeutig: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt.“ Das lässt sich natürlich auch schon ganz vernünftig begründen, dass Deeskalation immer besser ist als Eskalation, dass man selber am Ende auch nur verlieren kann, wenn man eine Eskalation immer weiter betreibt, auch wenn diese für die Psychohygiene zunächst einmal besser zu sein scheint. Doch mit der Vernunft kommen wir eben leider in solchen Situationen zumeist nicht weiter; zu mächtig ist diese andere Stimme in uns, die Rache und Vergeltung fordert, die nur so ihr Gerechtigkeitsempfinden befriedigt sieht. Dagegen kommen wir selber kaum an; dagegen kommt letztlich immer wieder nur einer an: Er, der Christus in uns, er, der selber nicht Böses mit Bösem vergolten hat, er, der auch für uns sein Leben in den Tod gegeben hat, für uns, die wir ihn mit unserem Leben, mit unserer Lieblosigkeit, mit unserem Wunsch nach Vergeltung immer wieder so sehr enttäuschen und verletzen. Er, der Christus in uns, er will uns immer wieder die Kraft schenken, dann doch anders zu reagieren, als wir zunächst geneigt sind, er will uns immer wieder die Kraft schenken, dass aus unserem Munde andere Worte herauskommen als diejenigen, die uns zunächst einmal auf der Zunge liegen mögen, will uns die Kraft schenken, auch auf Spott und Gemeinheiten mit Liebe und Geduld zu reagieren. Ja, helfen will er uns dazu, weil es für uns selber gut ist, weil wir uns damit nicht selber ins Unrecht setzen – und weil wir gerade auf diese Weise zu Zeugen Christi werden, zu Menschen, die eben auch mit ihrem Leben, mit ihrem Reden und Verhalten zum Ausdruck bringen, wes Geistes Kinder sie sind, wer ihr Herr ist, der ihr Leben bestimmt: Er, Christus, der uns unser Versagen immer wieder vergibt, uns immer wieder neu damit anfangen lässt, das Segnen statt das Fluchen einzuüben.


III.
Und damit sind wir schon beim Dritten, was uns der heilige Petrus hier ans Herz legt: Wir sollen als Christen dazu in der Lage sein, Antworten zu geben. Ja, wir sollen antworten können, wenn Menschen uns mit dummen Sprüchen über Gott und den christlichen Glauben begegnen, und wir sollen auch antworten können, wenn Menschen uns nach unserem Glauben, nach unserem Christsein fragen, weil ihnen auffällt, dass wir anders leben, anders reagieren, als man dies normalerweise erwarten könnte. Ja, da sollen wir etwas sagen können, wenn Menschen uns auf die Hoffnung ansprechen, die wir offenkundig haben und die sie selber vielleicht so gar nicht kennen.

Doch genau das ist nun zugleich auch die Frage, die der heilige Petrus an uns richtet: Sind wir dazu bereit und dazu in der Lage, solche Antworten zu geben, wenn andere uns fragen? Nutzen wir die Angebote in unserer Gemeinde, um gegenüber anderen sprachfähig in Glaubensfragen zu werden? Oder glauben wir, dass es reicht, wenn wir ein bisschen davon erzählen können, dass es hier in der Gemeinde ganz nette Leute und einen Pastor gibt, den man zur Not vielleicht ganz gut ertragen kann?
Nein, die Gemeindekreise in unserer Gemeinde, die Bibelgesprächskreise, der Predigtvorbereitungskreis, der Ökumenische Gesprächskreis, der Junge-Erwachsenen-Treff, die Gemeindeseminare, sie sind ja nicht bloß eine Beschäftigungstherapie für ein paar Superfromme. Sondern all diese Kreise haben letztlich genau diesen Sinn und dieses Ziel, euch dazu zu befähigen, antworten zu können, wenn jemand von euch Rechenschaft über euren Glauben fordert.

Unsere Schwestern und Brüder aus dem Iran, die werden hier in unserem Land zu solcher Rechenschaft immer wieder gefordert in ihren Interviews und Gerichtsverhandlungen, müssen dazu in der Lage sein, bis zu sieben Stunden lang von ihrem Glauben an Christus zu erzählen. Doch wir tun gut daran, ihnen nachzueifern, auch wenn uns kein Gerichtsverfahren erwartet. Christus braucht uns als seine Zeugen in einer Umgebung, in der die Menschen immer weniger Ahnung vom christlichen Glauben haben und in der Menschen oft sehr viel eher dazu bereit sind, einem normalen Menschen zuzuhören als einem Pastor, von dem man ja ohnehin nichts Anderes als ein paar fromme Sprüche erwartet. Nein, wir haben als Christen keinen Grund, uns zurückzuziehen und uns zu verstecken in unserer Gesellschaft. Uns ist doch die beste Botschaft der Welt anvertraut. Gott geb’s, dass auch durch unser Zeugnis noch viele Menschen von ihr erfahren – und mit uns zusammen selig werden! Amen.