29.07.2012 | Familiengottesdienst | 8. Sonntag nach Trinitatis

PREDIGT IM FAMILIENGOTTESDIENST ZUM ABSCHLUSS DER KINDERBIBELWOCHE ÜBER ESTHER

Diejenigen, die schon vor fast zehn Jahren zu unserer Gemeinde gehörten – ja, solche gibt es unter uns auch –, die können sich vielleicht noch daran erinnern, dass wir die Esthergeschichte vor einiger Zeit schon einmal hier in einem Familiengottesdienst zum Abschluss einer Kinderbibelwoche dargeboten haben. Und damals ging es mir nicht anders als heute auch: Diese Geschichte von Esther und Haman ist so aktuell, ja geradezu beklemmend aktuell, dass einem mitunter fast der Atem stockt: Ein Machthaber in Persien, der den Befehl gibt, alle Juden umbringen zu lassen – das könnte auch eine Schlagzeile der heutigen Nachrichten sein. Nun wissen wir aus unserer eigenen Geschichte, dass es nicht nur persische Herrscher waren, die solche Gesetze erlassen haben, wissen davon, dass nur wenige Kilometer von unserer St. Marienkirche entfernt in einer Villa in Wannsee vor gerade einmal 70 Jahren ein noch viel grausamerer Beschluss gefasst worden ist, dessen Umsetzung nicht im letzten Augenblick noch durch das Eingreifen einer Esther verhindert werden konnte.

Doch seit der letzten Aufführung der Esthergeschichte in unserem Gottesdienst hat sich in unserer Gemeinde tatsächlich einiges geändert. Da hat heute eine ganze Reihe von Kindern in diesem Stück mitgespielt, die mit ihren Eltern vor einem persischen Herrscher fliehen mussten, der nicht allein Juden, sondern auch Christen mit dem Tod bedroht. Der Galgen, der damals für Mordechai bestimmt war, der steht auch jetzt im Iran, um daran den Pastor Youcef Nadarkhani und andere Christen aufzuhängen. Ja, eben dieser Galgen würde auch vielen derer drohen, die heute Morgen hier im Gottesdienst sitzen, wenn sie denn in den Iran als getaufte Christen zurückgeschickt würden. Und da ist es allemal unsere Aufgabe als christliche Gemeinde, für diese Glaubensbrüder und -schwestern einzutreten vor denen, die die Entscheidungsgewalt haben, nicht anders als Esther damals auch, ja, wenn es sein muss, wie Esther auch staatliche Gesetze zu übertreten, wenn durch ihre Einhaltung das Leben von Glaubensgeschwistern, ja, von Menschen überhaupt, bedroht würde.

Dabei ist das Risiko, das wir hier in Deutschland eingehen, so viel geringer als das Risiko, das damals Esther und Mordechai eingegangen sind, ist unser Risiko so viel geringer als das Risiko, das Hunderttausende von Christen im Iran eingehen, die sich heimlich in Hauskirchen versammeln und allein Christus als ihren Herrn anbeten. Wir sind hier keine Helden; aber wir können uns von der Esthergeschichte dazu ermutigen lassen zu tun, was unser Auftrag als Christen ist.

Und das geht auch bei uns schon damit los, dass wir wie Mordechai vor niemand anders auf die Knie gehen als vor Christus allein, ganz wörtlich und auch im übertragenen Sinne: Dass alle anderen etwas machen, ist für uns als Christen kein Argument, es auch zu tun. Dass wir auffallen, wenn wir es wagen, gegen den Strom zu schwimmen, sollte uns ebenso wenig davon abhalten, Rückgrat zu zeigen, wie Mordechai damals auch. Ja, die anderen in deiner Umgebung, die sollen es ruhig wissen und mitbekommen, dass du Christ bist, dass Christus dein Herr ist und keiner sonst. Schließlich hat der sich für dich auch aufhängen lassen – nein, nicht bloß an einem Galgen, sondern festgenagelt an einem Kreuz. Ja, das hat er für dich getan, damit du nicht nach dem Motto des persischen Königs leben musst: Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot! Das hat er für dich getan, damit du für immer mit dabei sein darfst bei einem Fest, das viel, viel schöner ist als die Gelage des Ahasveros, bei einem Fest, das nie mehr enden wird und bei dem du immer mit ganz klarem Kopf dabei sein wirst. Ja, das hat Christus für dich getan – und darum hast du allen Grund, ihn als deinen Herrn zu ehren und niemand anderem als ihm allein zu folgen: Er allein vergibt dir immer wieder neu alle Schuld und alles Versagen, ja auch alle Feigheit; er allein schenkt dir dieses Leben in Fülle.

In der biblischen Esthergeschichte ist praktisch überhaupt nicht von Gott die Rede. Man muss schon zweimal oder dreimal hinschauen, bevor man erkennt, wie Gott da ganz im Hintergrund die Fäden in dieser Geschichte zieht. Es mag sein, dass auch wir in unserem Leben und angesichts der schrecklichen Geschicke von Menschen in dieser Welt, ja auch in unserer Gemeinde, danach fragen, wo denn nun Gott geblieben ist, wo und wie wir angesichts dessen, was wir erleben, noch von ihm sprechen können. Doch die Esthergeschichte macht uns deutlich: Gott bleibt der Herr der Geschichte, auch wenn man das nicht immer gleich am Verlauf der Geschichte ablesen kann. Er wird die Hamans und Hitlers und Stalins und Ahmadinedschads dieser Welt einmal zur Rechenschaft ziehen für ihre Pläne und für ihre Taten, wird einmal endgültig denen Recht schaffen, die Unrecht erlitten haben und Unrecht erleiden. Und bis zu diesem letzten großen Eingreifen Gottes sollen und dürfen wir uns an ihn, Christus, halten, der selber tödliches Unrecht erlitten hat, der uns versteht mit unseren Fragen nach Gott und seiner Gerechtigkeit – und der zugleich mit seiner Auferstehung noch eine viel größere Wende erfahren hat als damals die Juden in Persien. Nicht weniger als den Tod hat er besiegt – und darum kommen wir jeden Sonntag hier zusammen, um ein noch viel fröhlicheres Fest zu feiern als die Juden an Purim, um herzlich zu lachen über die Feinde Christi, über den Tod und den Teufel, die jetzt schon endgültig verloren haben. Christus hat gewonnen – für uns. Und darum geh nur vor ihm auf die Knie und bete ihn, nur ihn, nur ihn alleine an! Amen.