12.08.2012 | St. Johannes 16,1-11 | Bittgottesdienst

BITTGOTTESDIENST FÜR GEFANGENE, MISSHANDELTE UND VERFOLGTE

Gerade vor einigen Tagen erreichte uns die Meldung, dass die iranische Regierung wieder einmal eine unverhohlene Drohung Richtung Deutschland geschickt hat: Wer sich als Iraner im Ausland taufen lasse, der müsse damit rechnen, dass man ihn dennoch auch vom Iran aus erreichen könne. Was das heißt, ist offensichtlich, wenn man bedenkt, dass auf den Übertritt vom Islam zum Christentum in dem Land, aus dem diese Drohung stammt, die Todesstrafe steht.

Wir haben über diese Drohung am Mittwoch im Taufunterricht noch einmal länger gesprochen. Keiner derer, die diese Drohung am Mittwoch vernommen hatten, ist daraufhin davor zurückgeschreckt, sich taufen zu lassen, obwohl alle unsere Täuflinge sehr wohl auch darum wissen, was diese Taufe möglicherweise auch für ihre Familie in ihrem Heimatland bedeuten kann. Sie selber müssen dabei hier in unserem Land gar nicht bloß den iranischen Geheimdienst fürchten. Es reichen durchaus schon die radikalmuslimischen Mitbewohner im Asylbewerberheim oder andere radikale Muslime hier in Berlin und in Brandenburg, die im Zweifelsfall nicht davor zurückschrecken, das Leben getaufter ehemaliger Muslime massiv zu bedrohen. Da könnten schon so einige neue Glieder unserer Gemeinde wenig erfreuliche Geschichten zu diesem Thema erzählen.

Wir feiern den heutigen Taufgottesdienst ganz bewusst als Bittgottesdienst für Gefangene, Misshandelte und Verfolgte, wie dies im Lektionar unserer Kirche vorgesehen ist. Nein, was wir heute hier begehen, ist eben nicht bloß eine nette, harmlose Familienfeier, ein Anlass, sich über das weitere Wachstum unserer Gemeinde zu freuen. Sondern wir wollen uns heute an diesem Tag sehr deutlich die Konsequenzen vor Augen stellen lassen, die es für viele Christen überall auf der Welt hat, wenn sie sich taufen lassen und sich zu Christus bekennen: Das ist für viele Christen lebensgefährlich; und viele tausend Christen bezahlen dieses Bekenntnis zu Christus Jahr für Jahr in dieser Welt mit ihrem Leben. Und doch soll es in diesem Gottesdienst nicht bloß darum gehen, dass wir uns darüber empören, wie mit unseren Brüder und Schwestern in vielen Ländern dieser Welt umgegangen wird und wie oft dieses Thema hier in unserem Land totgeschwiegen oder verharmlost wird, weil es nicht in den Horizont des heute herrschenden Denkens passt. Sondern wir wollen uns von Christus selber warnen und trösten lassen mit den Worten des Heiligen Evangeliums, die wir eben gehört haben:
- Lasst euch nicht zum Abfall verführen!
- Denkt an das, was ich euch gesagt habe!
- Vertraut auf die Kraft des Geistes, den ich euch sende!

I.
Davon, dass Menschen, die zu ihm gehören, wieder von ihm abfallen können, spricht Christus hier im Heiligen Evangelium zunächst einmal. Ja, das gibt es in der Tat, dass Menschen sich von Christus lossagen oder auf die Dauer einfach nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen. Christus denkt hier zunächst einmal an Menschen, die wegen ihres Glaubens an ihn mit dem Tode bedroht werden. Ja, das ist menschlich gesprochen verständlich, wenn Menschen bei solch einer Aussicht zurückschrecken, weiche Knie bekommen, versucht sind, ihre Zugehörigkeit zu Christus zu verleugnen. Doch erstaunlich ist umgekehrt, wie viele Christen im Verlauf der Kirchengeschichte, ja auch heutzutage, auch jetzt in dieser Stunde dazu bereit gewesen sind und bereit sind, für ihr Bekenntnis zu Christus auch in den Tod zu gehen, sich für dieses Bekenntnis gefangen nehmen und foltern zu lassen. Wir haben solche Geschwister auch in unserer Mitte.

Schwestern und Brüder: Es ist jetzt müßig, darüber nachzudenken, ob wir auch dazu bereit wären, wenn es darauf ankäme, für Christus in den Tod zu gehen. Selbst denen, die heute hier die Heilige Taufe in unserer Mitte empfangen haben, stellt sich diese Frage unmittelbar erst einmal nicht. Siedeln wir die Frage also gleich mal um fünf Etagen tiefer an: Was kann mich alles davon abhalten, der Einladung Christi hier in den Gottesdienst, an seinen Altar zu folgen? Die Feier am Abend zuvor, die mich erst so spät ins Bett gehen ließ? Der lange Weg zur Kirche? Die Aussicht, dass der Gottesdienst wegen angekündigter Taufen länger dauern könnte? Die volle Kirche? Der Pastor mit all seinen nervigen Macken? Ach, Schwestern und Brüder, was für ein Wohlstandschristentum würden wir pflegen, wenn wir uns schon von solchen Argumenten beeindrucken ließen! Da warten auch jetzt zu dieser Stunde Christen in ihren Todeszellen auf ihre Hinrichtung; da gehen auch heute Christen in vielen Ländern dieser Erde zum Gottesdienst und wissen nicht, ob sie in diesem Gottesdienst nicht möglicherweise, wie so viele vor ihnen, Opfer eines Terroranschlags werden – und sie gehen doch! Und da hält es hier in unserem Land tatsächlich so manches Kirchglied für eine kaum zumutbare Herausforderung, sonntags früh aus dem Bett aufzustehen und sich auf den Weg zur Kirche zu begeben! Da klagen Menschen darüber, dass ihr Sonntagsbraten wegen eines längeren Gottesdienstes möglicherweise einige Minuten später auf den Tisch kommt, während Hunderttausende von Brüder und Schwestern sich danach sehnen, endlich wieder an einem schönen langen christlichen Gottesdienst teilnehmen zu können! Da halten es Menschen für eine Zumutung, etwas dichter gedrängt in einer Kirchenbank zu sitzen, während so viele ihrer Schwestern und Brüder in der Welt sich danach sehnen, in ihrer Zelle wenigstens mit einem anderen Christen Kontakt haben zu können!

„Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt!“ Es mag wohl sein, Schwestern und Brüder, dass die größte Bedrohung unseres Glaubens gar nicht die Verfolgung bis aufs Blut ist, sondern die Bequemlichkeit und Lauheit, die sich gerade dort breit macht, wo unser Glaube eben nicht gefordert wird. Denkt daran, Schwestern und Brüder, die ihr heute getauft werdet: Christus warnt auch euch davor, wieder die Verbindung zu ihm zu verlieren, den Glauben an ihn gleichsam zur Nebensache werden zu lassen, schließlich nur noch dabei zu sein, wenn irgendwo etwas Besonderes geboten wird. Ja, denkt daran, Schwestern und Brüder, die ihr schon längst getauft seid: Ihr steht in einem Kampf, auch wenn ihr den nicht so deutlich vor Augen habt wie etwa die Christen im Iran! Bleibt dran an Christus und lasst euch nicht durch scheinbar so einleuchtende Argumente davon abbringen, ihm zu folgen, ihm zu begegnen! Es geht um euer Leben, um euer ewiges Leben!

II.
Wenn Christen mit Ablehnung, mit Anfeindung, mit Schikanen, vielleicht gar mit staatlichem Terror konfrontiert werden, dann ist es nur allzu verständlich, wenn sie dies in ihren Glauben zunächst einmal nicht recht einordnen können: Die christliche Botschaft ist doch eine frohe Botschaft, eine Botschaft des Friedens und der Freiheit, eine Botschaft, die Menschen die Liebe Gottes verkündigt. Wie passt das damit zusammen, dass wir nun so angefeindet und angegriffen werden? Bringt mir der christliche Glaube vielleicht doch nicht, was ich mir von ihm erhofft hatte? Und wie passen meine Leidenserfahrungen zusammen mit der Botschaft von dem liebenden Gott?

Christus tröstet hier seine Jünger, tröstet die verfolgten Christen überall auf der Welt, tröstet auch uns: Wundert euch nicht; ich sage es euch schon voraus: So wird es kommen: Menschen werden es nicht ertragen können, wenn ihr die frohe Botschaft von mir verkündigt, wenn ihr an mich glaubt. Sie werden darauf aggressiv reagieren, ja, werden euch gar im Namen ihrer Religion verfolgen und töten. Wundert euch nicht! So wird es auf Erden zugehen. Mit mir werden sie es so machen, werden mich ans Kreuz nageln, und bei euch werden sie weitermachen. Macht euch nichts vor! Das Christenleben ist kein Ponyhof; es garantiert keine Ruhe und keine Idylle! Aber ihr dürft darauf vertrauen: Wenn ihr Erfahrungen von Verfolgung und Ablehnung macht, dann läuft da bei euch nichts schief, dann heißt das nicht, dass ich euch fallen ließe. So geht es zu in dieser Welt; das ist die Normalsituation für euch Christen, die ihr in der Nachfolge von mir, dem Gekreuzigten, lebt. Normal ist nicht, dass ihr euch, wie in Berlin, völlig frei und ungehindert zum Gottesdienst treffen könnt. Normal ist es, dass ihr die Widerstände gegen mich, Christus, auch selber zu spüren bekommt. Doch denkt daran: Gottes Plan mit euch kann auch der stärkste Widerstand gegen euch nicht durchkreuzen. Bleibt nur dran an mir, Christus, denkt an das, was ich euch gesagt habe. Ich bin und bleibe doch der Herr der Geschichte – so sagt es Christus auch zu dir!

III.
Trösten will Christus uns, und darum spricht er hier schließlich auch noch von dem Tröster in Person, dem Heiligen Geist, den er seinen Jüngern hier ankündigt und den er auch uns schickt und schenkt. Nein, Christus appelliert nicht an unseren guten Willen, an unsere Fähigkeit, durchzuhalten und Schweres zu ertragen. Sondern er tröstet uns damit, dass er uns auf unserem Weg als Christen niemals allein lässt, sondern uns immer wieder stärkt und ermutigt durch die Kraft seines Heiligen Geistes.

Wenn wir nur auf uns selber schauen, auf unseren Mut, auf unsere Schlagfertigkeit, auf unsere Bereitschaft zum Leiden, dann müsste uns vor der Zukunft in der Tat bange sein: Wie sollen wir da bloß bestehen, wenn uns als Christen in der Zukunft der Wind vielleicht auch noch einmal rauer um die Nase weht als im Augenblick? Doch wir sind eben nicht allein, sind nicht auf uns gestellt: Wir haben Gottes Geist an unserer Seite, und gegen den kommt keiner an: kein Herr Ahmadinedschad, keine Geheimpolizei, kein spottender Journalist oder Buchautor, kein Meinungsmacher, keine lachende Schulklasse. Er schenkt und stärkt uns den Glauben, er macht uns gewiss, dass der wichtigste Kampf dieser Welt längst entschieden ist, dass alle Mächte dieser Welt nicht mehr verhindern können, dass Christus allein der Herr ist, dass einmal alle vor ihm niederfallen und ihn anbeten werden.

Liebe Täuflinge, liebe Neugetaufte in unserer Gemeinde: Wie wird es mit euch weitergehen nach eurer Taufe? Werdet ihr alle bei Christus bleiben oder allmählich doch wieder die Verbindung zu ihm verlieren? Werdet ihr von Christus abfallen oder ihm die Treue halten? Von meinen menschlichen Erfahrungen, die ich mit euch in diesen vergangenen Monaten gemacht habe, bin ich sehr zuversichtlich, dass ihr es wirklich ernst meint und dabei bleibt. Aber darauf allein vertraue ich nicht. Sondern ich vertraue darauf, dass Gottes Geist auch an euch und in euch am Werk ist, dass er euch die Augen für Christus geöffnet hat, dass er euch die Liebe zu ihm, Christus, schenkt und erhält. Christus hat doch auch euch diesen Geist verheißen, ja hat ihn euch heute in der Taufe geschenkt. Und dieser Geist, der schon unzählige Christen zum Glauben und Bekennen ermutigt hat, der wird auch euch nicht allein lassen. Verlasst euch auf seine Kraft, ja, kommt immer wieder hierher, wo ihr euch mit dieser Kraft erfüllen lassen könnt, hier im Gottesdienst, eurer Tankstelle auf dem Weg zum Ziel eures Lebens! Ja, Gott geb’s, dass ihr alle miteinander einmal dort ankommt, wohin Christus euch jetzt schon vorausgegangen ist! Amen.