02.09.2012 | 1. Mose 4,1-16 | 13. Sonntag nach Trinitatis
Wollt ihr euch mal wieder so richtig gut amüsieren? Dann empfehle ich euch die Internet-Plattform Y8.com. Auf dieser Plattform kann man sich alle möglichen Computerspiele herunterladen. Um schneller das richtige Spiel zu finden, kann man auch gleich unter einer der dort angegebenen Kategorien weitersuchen. Da findet man zum Beispiel unter der Kategorie „Alle Erschießen“ 2417 kostenlose Computerspiele, und unter der Kategorie „Blut“ immerhin noch 453 Angebote. Nun muss man gestehen, dass diese Spiele, bei denen Blut fließt, oft recht primitiv aufgemacht sind. Wenn man auf dem Bildschirm so richtig realistisch miterleben will, wie das Blut des Gegners an die Wand spritzt, wenn man ihn abgeknallt hat, muss man schon etwas tiefer in die Tasche greifen.
Größer könnte der Kontrast kaum sein zu der alttestamentlichen Lesung dieses heutigen Sonntags. Gewiss, auch hier in dieser Lesung fließt Blut, wird geschildert, wie ein Mensch einen anderen Menschen umbringt. Doch in dieser Schilderung spürt man Vers für Vers das Entsetzen des Erzählers, spürt man den Schauder und das Grauen vor dem Unfasslichen, was er darzustellen hat: Dass ein Mensch das Blut eines anderen Menschen vergießt. Unvorstellbar wäre es für den Verfasser unserer heutigen Predigtlesung, dass die Schilderung dieses Frevels jemals Unterhaltungszwecken dienen könnte, soweit verharmlost werden könnte, dass schon Kinder sich am Computer daran üben, Kains Untat virtuell gleich um ein Vielfaches zu überbieten. Die Tötung von Menschen als voll krasser Spaß, als Freizeitbeschäftigung – dagegen klingt das, was uns hier in der alttestamentlichen Lesung vor Augen gestellt wird, geradezu beschaulich.
Glücklicherweise kann die große Mehrzahl der Computerspieler letztlich immer noch unterscheiden zwischen dem, was sie auf dem Bildschirm tut und was in der Realität erlaubt ist. Ja, der Schauder davor, einen anderen Menschen nicht nur per Mouseclick, sondern im realen Leben zu töten, ist den meisten auch heute noch sehr wohl bekannt. Aber eben darum mag uns der Kain hier in der Geschichte auch erst einmal ziemlich fern stehen: Wie kann man bloß seinen eigenen Bruder, ja, wie kann man überhaupt einen anderen Menschen umbringen – aus welchem Grund auch immer?
Doch wenn wir genauer hinschauen, dann stellen wir fest, dass uns die Geschichte von Kain und Abel weder dazu erzählt wird, damit wir uns an der Schilderung eines Mordes aufgeilen, noch dazu, dass wir uns moralisch über den bösen Kain empören. Sondern die Geschichte wird uns so erzählt, dass wir uns selber sehr wohl in dem Kain wiedererkennen können, auch wenn wir in unserem Leben vielleicht noch keinen Menschen nach den Kriterien des deutschen Strafgesetzbuches umgebracht haben. Ja, um unser ganz alltägliches Leben geht es hier in dieser Geschichte,
- wenn wir Gott nicht verstehen können
- wenn wir Gott korrigieren wollen
- wenn wir Gottes Fragen nicht ertragen können
I.
Seit Urzeiten haben sich Menschen beim Hören der Geschichte von Kain und Abel immer wieder diese eine Frage gestellt: Warum hat Gott das Opfer des Abel gnädig angesehen und das Opfer von Kain nicht? Hatte Kain schon zuvor gesündigt, hatte er bei seinem Opfer geknausert, hatte er sonst irgendetwas falsch gemacht? Irgendwie muss es doch an dem Kain liegen; an Gott kann es doch nicht liegen, dass er da einen Unterschied macht, oder?
Nun müssen wir in diesem Zusammenhang zweierlei klarstellen: Zum einen ging es damals bei dem Ansehen des Opfers nicht darum, dass Gott den Abel in den Himmel lassen wollte, den Kain aber nicht. Sondern mit dem Ansehen des Opfers war schlicht und einfach gemeint, dass der Abel mit seiner Arbeit erkennbaren Erfolg hatte, dass es ihm aufgrund seiner Arbeit gut ging, während der Kain, menschlich gesprochen, unter dem Misserfolg seiner Arbeit zu leiden hatte. Zum anderen müssen wir jedoch auch ganz nüchtern feststellen, dass es hier in unserer Erzählung nicht den geringsten Hinweis darauf gibt, dass es an dem Kain selber gelegen hat, dass sein Opfer von Gott nicht angenommen wurde. Das gibt es einfach, so wissen wir es auch aus unserem Leben, dass manchen Menschen in ihrem Leben scheinbar alles in den Schoß fällt, dass sie gesund sind, Erfolg haben, glücklich sind, während andere Menschen gleich von vornherein viel schlechtere Startchancen haben, krank werden, benachteiligt werden, tun können, was sie wollen, und schließlich doch nicht auf einen grünen Zweig kommen. Und das kennen wir auch, wie ungerecht wir das finden, wenn wir uns selber in unserem Leben in der Rolle des Kain fühlen:
Wieso werden die anderen um mich herum von den Behörden besser behandelt als ich? Wieso ist es mir nicht vergönnt, ein glückliches Familienleben zu führen? Wieso muss ausgerechnet mich solch eine schwere Krankheit treffen? Wieso stamme ich aus einer armen und nicht aus einer reichen Familie? Fragen sind das, die unser Gerechtigkeitsempfinden betreffen und die wir dann auch immer wieder ganz direkt an Gott richten: Wieso lässt du das zu, wieso behandelst du nicht alle gleich, wieso gibst du nicht allen Menschen die gleichen Chancen – oder zumindest: Wieso gibst du mir nicht die gleichen Chancen für ein glückliches Leben wie anderen?
Sehr viel schwerer tun wir uns schon damit, uns in die Rolle des Abel zu versetzen, zu verstehen, dass andere meinen könnten, wir seien von Gott bevorzugt. Sehr viel schwerer tun wir uns schon mit dem Gedanken, dass es so viele Menschen auf der Welt gibt, die Gott fragen, warum er es uns hier in Deutschland so viel besser gehen lässt als ihnen, warum wir hier im Überfluss leben, während sie kaum genug zum Leben haben. Wir mögen auch dies als ungerecht empfinden, wenn solche Fragen in Bezug auf uns gestellt werden: Dafür können wir doch nichts! Doch so ganz von uns weisen können wir eben auch solche Fragen nicht, mögen auch sie an Gott weiterleiten: Warum lässt du es auf dieser Welt so ungerecht zugehen? Warum behandelst du die Menschen offenbar so ungleich?
Ach, Schwestern und Brüder, wir tun ja gut daran, diese Fragen an Gott zu richten, es ihm zu klagen, dass wir ihn nicht verstehen können, unsere Wut und unseren Ärger über die scheinbar so offensichtliche Ungleichbehandlung bei ihm abzuladen. Das können wir, das dürfen wir, so macht es uns die Heilige Schrift deutlich. Doch wie oft begnügen wir uns eben nicht damit, Gott zu klagen, dass wir ihn nicht verstehen können, sondern machen uns daran, ihn mit unseren eigenen Taten korrigieren zu wollen! Und eben damit sind wir nun schon beim Zweiten, worum es hier in dieser Geschichte geht:
II.
Von Kain wird hier berichtet, er habe finster seinen Blick gesenkt. Das ist eine Körperhaltung, die uns von Leuten, die sauer sind, wohlbekannt ist. Doch der Erzähler meint hier noch mehr: Kain beklagt sich eben nicht bei Gott für das nach seinem Empfinden erlittene Unrecht, sondern er bricht die Kommunikation mit ihm ab, blickt nicht mehr, im Bilde gesprochen, nach oben, sondern nur noch nach unten. Und der Abbruch der Kommunikation mit Gott hat zur Folge, dass sich seine Wut nun gegen den Bruder richtet, dass Kain selber anfängt, Gott zu korrigieren: Wenn Gott den Bruder bevorzugt, dann muss ich eben dafür sorgen, dass er mit diesem Unrecht nicht noch weiter fortfahren kann. Und so schlägt er seinen Bruder Kain tot.
Wir kennen diese Versuche, Gott zu korrigieren und für Gerechtigkeit in dieser Welt zu sorgen, in vielfacher Gestalt aus der Geschichte: Der Kommunismus etwa hat sich genau dieses Ziel gesetzt, die Ungerechtigkeit in dieser Welt zu beseitigen – und das fing oft genug damit an, dass man die erst einmal umbrachte, die nach dem eigenen Empfinden bisher von Gott oder dem Schicksal oder wem auch immer bevorzugt worden waren. Doch ganz Ähnliches geschieht auch heute in unserem Land, wenn man es für richtig hält, ungeborene Kinder zu töten, weil ihr Weiterleben diejenigen, die dann für sie zu sorgen hätten, in unzumutbarer Weise benachteiligen würde. Im Namen der Chancengerechtigkeit muss dann Blut fließen, nimmt man sich das Recht, in Gottes Hoheitsbereich einzugreifen, zu bestimmen, wer weiterleben darf und wer nicht.
Gott hat den Kain damals davor gewarnt, diesen letzten furchtbaren Schritt zu gehen, hat den Kain davor gewarnt, der Sünde, die draußen steht, die Tür zu öffnen und sich von ihr überwältigen zu lassen. Was für ein plastisches Bild: Gott warnt auch uns davor, statt auf ihn auf unser eigenes Empfinden zu hören, uns nicht von seinem Wort bestimmen zu lassen, sondern von der Macht, die uns dazu veranlasst, uns von Gott abzuwenden und zu tun, was seinem Willen widerspricht. Ja, wir kennen das auch aus unserem Leben, wie leicht wir immer wieder dazu geneigt sind, unserer Lieblingssünde vielleicht erst einmal nur einen Spaltbreit die Tür zu öffnen, und wie leicht wir uns dann von ihr überwältigen lassen. Und wir ahnen etwas von den furchtbaren Möglichkeiten, die auch tief in uns stecken, können Gott nur von Herzen dafür danken, wenn er uns mit seiner Warnung noch rechtzeitig erreicht, uns davor bewahrt, ihn korrigieren zu wollen, selber durchsetzen zu wollen, was nicht er will, sondern was wir wollen! Wir sind so oft so viel dichter dran an dem Kain, als uns eigentlich lieb ist!
III.
Und dann ist das Furchtbare geschehen: Abel ist ermordet, notdürftig von Kain verscharrt – so, als ob er damit seine Untat vor Gott verstecken könnte. Doch so blöd ist Gott eben nicht. Er nimmt sich den Kain vor und richtet Fragen an ihn – ganz ähnlich, wie er dies mit dessen Eltern damals im Paradies auch gemacht hatte. Damals hatte er Kains Vater gefragt: „Wo bist du?“ Jetzt fragt er Kain selber: „Wo ist dein Bruder Abel?“ Und Kain versucht nicht anders als sein Vater, sich aus der Situation herauszuwinden, versucht es mit einer reichlich dreisten Gegenfrage: „Soll ich der Hirte eines Hirten sein? Soll ich meines Bruders Hirte sein?“ Doch Gott lässt sich auf solche Spielchen nicht ein: „Was hast du getan?“ – So fragt Gott den Kain voller Entsetzen, konfrontiert ihn mit seiner Schuld und mit der Strafe, die er verdient hat. Und Kain begründet seine Flucht vor Gottes Fragen mit dem bezeichnenden Hinweis, dass er die Schuld und ihre Folge nicht tragen kann.
Ach, wie nahe ist uns der Kain auch mit seinen Reaktionen auf Gottes Fragen! Gott fragt auch uns in unserem Leben immer wieder: Was hast du getan? Ja, so fragt er uns auch, wenn wir nicht unbedingt einen anderen Menschen erschlagen haben. Aber er weiß sehr wohl, wie oft wir auch auf andere Weise die Sünde über uns im Leben haben herrschen lassen, und er kennt uns genau genug, dass auch wir mit unseren so beliebten Ausflüchten nicht weiterkommen: „Soll ich meines Bruders Hüter sein? Du kannst mich doch nicht auf das Geschick anderer Menschen ansprechen! Ich habe doch genug mit mir selber zu tun, da kannst du mich doch nicht auch noch nach anderen Menschen fragen!“ Kann Gott eben doch, fragt uns nach den Menschen, mit denen wir ohnehin verbunden sind, und nach denen, die er uns darüber hinaus an unseren Lebensweg gestellt hat, gibt sich nicht zufrieden, wenn wir von ihnen wegschauen wie der Priester und der Levit im Heiligen Evangelium dieses Sonntags. Ja, Gott fragt uns, und er spricht über uns und unser Leben das Urteil, ein Urteil, das zu schwer ist, als dass wir selber es ertragen könnten, das Urteil, dass wir in seiner Nähe nichts mehr zu suchen haben.
Gewiss, Gott ließ den Kain damals am Leben, stattete ihn sogar mit seinem Schutz aus – und doch: Kain blieb von dem, was er getan hatte, gezeichnet, wurde diese Schuld nicht mehr los, blieb unstet und flüchtig. Ja, so sind wir Menschen: Wir laufen immer wieder vor dem weg, was wir getan haben, weil wir es einfach nicht ertragen können, bei dem zu bleiben, was wir angerichtet haben.
Doch, gottlob, die Geschichte ist noch weitergegangen. Da hat Gott noch einmal einen Hirten losgeschickt wie den Abel damals. Und auch dieser Hirte ist schließlich umgebracht worden von denen, die nicht ertragen konnten, dass er, dieser Hirte, so eng mit Gott verbunden war. Doch der Tod dieses Hirten am Kreuz, er ist nicht einfach bloß ein weiteres Glied in der Kette von Verbrechen, die Menschen anderen Menschen zugefügt haben. Sondern mit diesem Tod des Hirten am Kreuz rollt Gott die ganze Geschichte von Kain und Abel noch einmal auf:
Wenn wir an Gottes Liebe und Gerechtigkeit irre zu werden drohen, weil wir nicht verstehen können, warum er uns scheinbar so viel schlechter behandelt als andere, dann sollen und dürfen wir auf ihn, den Gekreuzigten, blicken. Dann sehen wir: Gott ist kein willkürlicher Sadist, der die einen mag und die anderen quält. Nein, für alle Menschen gibt er sich hin in Liebe, bis in den Tod. Was wir in unserer Welt, in unserem Leben nicht verstehen können, ist nicht alles. Das letzte und entscheidende Wort Gottes ist das, das der gute Hirte gesprochen hat, als er seinen Jüngern seinen Leib und sein Blut austeilte in der Nacht, da er verraten ward: Mein Leib, mein Blut – für euch gegeben und vergossen. Mein Blut, es schreit auch zum Himmel. Aber es schreit nicht nach Rache, es ruft nach Barmherzigkeit für einen jeden, der dieses Blut empfängt.
Weil dieser gute Hirte sein Blut für uns vergossen hat, unser Verhältnis zu Gott wieder in Ordnung gebracht hat, brauchen wir nicht mehr selber Gott zu spielen, brauchen wir nicht mehr zu versuchen, Gott zu korrigieren, weil der ja doch nichts tut. Doch, er hat was getan, hat sich selbst für uns töten lassen, um uns davon abzuhalten, andere in seinem Namen zu töten.
Und weil dieser gute Hirte sein Blut für uns vergossen hat, brauchen wir auch unter Gottes Fragen nach unserem Leben nicht mehr zusammenzubrechen, haben wir es nicht nötig, angesichts dieser Fragen zu tricksen. Ja, so dürfen wir es Gott gegenüber ganz offen bekennen: „Wir haben deine Strafe verdient, zeitlich und ewiglich. Aber dein Sohn hat diese Strafe auf sich genommen, damit sie uns nicht trifft. Und uns hast du stattdessen mit dem Zeichen des Kreuzes gesegnet in unserer Taufe, hast uns zu deinem Eigentum gemacht, hast uns unter deinen Schutz gestellt.“ Mit diesem Zeichen lässt es sich leben, hier auf Erden, solange wir noch unterwegs sind, und dann einmal für immer am Ziel unseres Weges, wenn wir es einmal mit eigenen Augen sehen werden: das Angesicht des HERRN. Amen.