23.09.2012 | Apostelgeschichte 12,1-17 | 16. Sonntag nach Trinitatis

Es ist gerade einmal gut drei Wochen her, da stand eine ganze Reihe unserer Gemeindeglieder vor der Botschaft des Iran in der Podbielskiallee und hielt eine Mahnwache für den iranischen Pastor Youcef Nadarkhani, der wegen seines Übertritts vom Islam zum Christentum zum Tode verurteilt worden war und nun schon mehr als drei Jahre in seiner Gefängniszelle saß. Gemeinsam hatten wir „Freiheit für Nadarkhani“, „Azadih Nadarkhani“ gerufen, gemeinsam hatten wir vor der Botschaft gebetet. Und gerade einmal acht Tage später erreichte uns die Nachricht, dass Youcef Nadarkhani tatsächlich freigelassen worden ist, konnten wir Bilder im Internet sehen, wie seine Söhne ihren Vater mit Blumen vor dem Gefängnis begrüßten. Irgendwie konnten wir das alle zunächst gar nicht ganz glauben, erschien uns das zunächst unwirklich, wie im Traum. Aber es stellte sich dann doch als wirklich heraus: Ja, da war dieser Pastor auf wundersame Weise durch die Gefängnistore in die Freiheit gelangt.

Schwestern und Brüder: Es gibt Abschnitte in der Heiligen Schrift, bei deren Lektüre es einem gleich kalt den Rücken herunterläuft, weil man unmittelbar merkt, wie aktuell das ist, was damals vor fast zweitausend Jahren aufgeschrieben worden ist, wie das unmittelbar in unsere heutige Zeit hineinspricht. Unsere heutige Predigtlesung gehört zweifellos zu diesen Abschnitten, und das nicht nur wegen der zeitlichen Nähe zu der Freilassung von Pastor Nadarkhani, sondern weil sie uns als Kirche noch einmal neu wahrnehmen lässt, was Christen überall auf der Welt gerade jetzt in dieser Stunde erfahren, was Brüder und Schwestern in unserer Mitte bereits erfahren haben und was auch darüber hinaus unsere Gemeinde ganz direkt betrifft. Dreierlei stellt uns St. Lukas hier in unserer Predigtlesung vor Augen:
- das Leiden der Kirche
- das Gebet der Kirche
- die Kurzsichtigkeit der Kirche

I.
Schwestern und Brüder: Natürlich haben wir uns alle miteinander sehr über die Freilassung von Pastor Nadarkhani gefreut. Aber darüber konnten und wollten wir natürlich nicht übersehen und vergessen, wie viele Christen im Iran immer noch wegen ihres Glaubens in Gefängniszellen und Folterkellern sitzen, wie viele Christen in den letzten Jahren einfach spurlos verschwunden sind, ohne dass die Weltöffentlichkeit davon Notiz genommen hätte. Nicht vergessen wollen wir, wie viele Christen auch in anderen Ländern um ihres Glaubens willen leiden müssen bis hin zum Tod.

Der heilige Lukas erzählt uns hier in unserer Predigtlesung nicht einfach bloß die Geschichte einer wundersamen Rettung, sondern er zeigt uns das ganze Bild: Er berichtet von dem König Herodes Agrippa, der im Jahr 41 auch König von Judäa geworden war und sich nun gleich zu Beginn seiner Herrschaft beim Volk beliebt zu machen versuchte. Und da kamen ihm die Christen gerade recht. Die waren bestimmten Kreisen im Judentum ohnehin ein Dorn im Auge, und die waren für Herodes ein leichtes Opfer, die wehrten sich nicht, und die konnte man wunderbar dazu benutzen, um gerade beim Passahfest, wenn große Volksmassen in Jerusalem versammelt waren, sich beim Volk mit einem Schauprozess einzuschleimen. Und so spielt der Herodes Agrippa hier auf der gesamten Klaviatur eines Willkürregimes: Einige Christen lässt er foltern, den Jakobus lässt er ermorden, und den Petrus lässt er ins Gefängnis werfen, um an ihm öffentlich ein Exempel zu statuieren.

Schwestern und Brüder: Habt ihr eine Ahnung davon, was es heißt, gefoltert zu werden? Habt ihr eine Ahnung davon, was es heißt, in ein Gefängnis geworfen zu werden, nein, nicht in ein schönes deutsches Gefängnis, sondern in ein Loch, ohne jede Achtung der Menschenwürde, ohne Hoffnung auf einen rechtsstaatlichen Beistand? Dann fragt einfach mal einige eurer Brüder und Schwestern, die heute hier im Gottesdienst mit euch zusammen in der Kirchenbank sitzen; die können euch da so manches aus dem Iran berichten – wenn sie denn dazu in der Lage sind, davon jetzt überhaupt schon wieder erzählen zu können. Und selbst wenn sie nicht aus eigenem Erleben davon berichten können, könnten sie sicher erzählen von dem, was Freunden, was anderen Mitgliedern von christlichen Hausgemeinden angetan worden ist, könnten davon erzählen, wie furchtbar es ist, nun nach der Flucht nach Deutschland nicht mehr zu wissen, was mit den Brüdern und Schwestern geworden ist, mit denen man in der Hausgemeinde zusammen war und die nicht das Glück hatten, im letzten Augenblick noch entkommen zu können.

Ja, was St. Lukas hier berichtet, das spielt sich in unzähligen Variationen auch jetzt in diesen Stunden wieder überall auf der Welt ab: in Ägypten, wo Christen immer mehr hilflos und schutzlos dem Wüten des muslimischen Mob ausgeliefert sind, in Syrien, wo Christen immer öfter von den gegen die Regierung kämpfenden Islamisten als menschliche Schutzschilde gebraucht und bestialisch ermordet werden, in Nordkorea, wo zu dieser Stunde schätzungsweise 50.000-70.000 Christen in Arbeitslagern zu Tode geschunden werden, in Afghanistan, wo Muslime, die zum christlichen Glauben konvertieren, noch eher damit rechnen müssen, ermordet zu werden, als dies im Iran der Fall ist, in Nigeria, wo im vergangenen Jahr bis zu 1000 Christen um ihres Glaubens willen ermordet wurden, in Saudi-Arabien, wo Christen bei ihrer Entdeckung ebenfalls die Todesstrafe droht, und in so viele anderen Ländern dieser Erde. Noch nie sind so viele Christen um ihres Glaubens willen verfolgt worden wie heutzutage. Immer wieder versuchen Herrscher und Stimmungsmacher, mit Kampagnen gegen Christen Punkte zu machen, wie Herodes damals auch. In der medialen Öffentlichkeit hier in Deutschland wird dies – von einigen erfreulichen Ausnahmen abgesehen – gerne heruntergespielt oder totgeschwiegen. Lassen wir uns dagegen von St. Lukas wieder neu die Augen öffnen für die Leiden unserer Brüder und Schwestern in der Welt, für das, was sie in der Nachfolge ihres Herrn ertragen und erleiden! Und hören wir nicht auf, Gott dafür zu danken, wie gut es uns als Christen hier in Deutschland geht, wie einfach wir es haben, unseren Glauben hier zu praktizieren! Nein, was wir hier in unserem Land erleben, ist gerade nicht der Normalzustand der christlichen Kirche!

II.
Was machen die christlichen Hausgemeinden in Jerusalem, als sie von der Verhaftung des Petrus erfahren? Sie beten, treten im Gebet ohne Aufhören für Petrus ein. Nein, sie fangen nicht an, Brandsätze zu werfen, Terroranschläge zu verüben, mit Vergeltung zu drohen. Sie beten, weil sie wissen, dass der, den sie anrufen, allemal stärker ist als Herodes und seine Soldaten.

Und dann passiert das Wunder: Der, für den die Gemeinde betet, erhält Besuch im Gefängnis, mitten in der Nacht, Besuch von einem Boten Gottes, der in keiner Weise abgehoben agiert, sondern sehr genau weiß, was er zu tun hat: Er tritt dem Petrus in die Seite, um ihn aus seinem Tiefschlaf zu wecken, sorgt dafür, dass der sich ordentlich anzieht, damit er nicht gleich als entflohener Gefängnisinsasse erkannt wird, und schleust ihn dann auf wundersame Weise an allen Wachen vorbei nach draußen. Und kaum ist Petrus befreit, verschwindet der Bote Gottes wieder und lässt Petrus in der Nebenstraße allein stehen. Ganz irdisch geht dies alles zu, und zugleich ganz wundersam. Ja, so ist es, wenn Gott auf die Fürbitte seiner Gemeinde reagiert.

Das lässt sich alles irgendwo menschlich erklären, dass die iranische Regierung auf den internationalen Druck von außen reagiert und Pastor Nadarkhani freigelassen hat. Aber ein Wunder bleibt es nichtsdestoweniger, dass er mit einem Mal wieder seine Familie in die Arme schließen durfte. Und genau von solchen Wundern konnten und können Christen immer wieder berichten, von scheinbaren Zufällen, die doch in Wirklichkeit gar keine waren und die ihnen in der Verfolgung das Leben und die Freiheit geschenkt haben, von Menschen, die Gott als Engel benutzt hat, um sie im letzten Augenblick vor der Verhaftung zu retten oder tatsächlich wieder aus dem Gefängnis herauszuführen. Völlig unglaubwürdig finden es hier in unserem Land Mitarbeiter des Bundesamtes, wenn Asylbewerber ihnen erzählen, dass Geheimpolizisten ihrer Familie noch rechtzeitig eine Warnung zukommen ließen und ihnen damit noch die Flucht ermöglichten. Das kann es doch gar nicht geben, dass man von solchen Leuten gewarnt und gerettet wird! Doch die, die es erlebt haben, wissen es besser, wissen darum, wen Gott alles als Engel gebrauchen kann, um Türen noch im letzten Augenblick zu öffnen.

Hören wir darum nicht auf, wie die christliche Gemeinde damals in Jerusalem, Gott in den Ohren zu liegen, dass er unseren verfolgten Schwestern und Brüdern immer wieder Engel schicken möge, dass sie erfahren, dass in ihrem Leiden nicht vergessen werden! Ja, trauen wir es Gott zu, dass auch Gefängnismauern ihn nicht daran hindern können, seinen Christen zu helfen!

III.
Und damit sind wir schon bei dem beinahe tragikomischen Abschluss der Geschichte, die uns St. Lukas hier erzählt: Da marschiert der Petrus also gleich zu dem Haus, wo sich die Hausgemeinde zum Gebet für ihn getroffen hat, und klopft an. Doch die lieben Christenmenschen drinnen, die lassen ihn nicht rein. Sie sind zum einen so beschäftigt mit dem Gebet, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, dass es schon längst erhört sein könnte. Und irgendwie scheinen sie damit auch gar nicht zu rechnen, dass das so einfach möglich sein könnte, dass Gott auf ihr Gebet reagiert. Und so kostet es den Petrus einige Mühe, bevor er schließlich in den Gottesdienst reingelassen wird und von Gottes wunderbarer Befreiungstat berichten kann.

Schwestern und Brüder: Das ist ein wunderbares Spiegelbild, das der heilige Lukas auch uns als Kirche, ja auch als Gemeinde hier vor Augen stellt. Da beten wir in unseren Gottesdiensten, beten wir hoffentlich auch zu Hause immer wieder darum, dass Christus Menschen aus allen Völkern in die Freiheit des christlichen Glaubens führen möge. Und dann erhört Christus unsere Gebete allen Ernstes viel wunderbarer, als wir uns dies je hätten vorstellen können. Und dann stehen die Leute, für die wir gebetet haben, bei uns vor der Tür und klopfen an – und wir kapieren es oft genug erst einmal gar nicht, dass diese Menschen eine Gebetserhörung sind, dass Gott sie uns geschickt hat, weil wir doch darum gebetet haben.

Von der christlichen Gemeinde in Jerusalem heißt es damals: „Als sie nun aufmachten, sahen sie ihn und entsetzten sich.“ Gott geb’s, dass wir uns doch zu mehr Freude durchringen können, wenn Menschen, die Gott auf wunderbare Weise befreit und zu uns geführt hat, bei uns vor der Tür stehen, dass wir nicht so kurzsichtig sind, dass wir gar nicht geistlich einordnen, was da im Augenblick eigentlich bei uns passiert. Lassen wir die Menschen, die bei uns anklopfen, nicht lange vor der Tür stehen, weil sie uns gerade beim Beten stören, lassen wir sie vielmehr rein, hören wir uns ihre Geschichte an, und lassen wir durch sie unseren Glauben stärken!

Denn es ist doch derselbe Christus, der sie so wunderbar an unsere Tür gebracht hat und der allemal auch stark genug ist, uns selbst noch aus dem Gefängnis des Todes herauszuführen ins Licht des ewigen Lebens. Keine Macht der Welt, keine Wächter, kein Teufel, kein irdisches Regime wird ihn daran hindern können, dass auch wir einmal dorthin kommen werden, wo wir einmal für immer sein werden wie die Träumenden. Mensch, was ist das aktuell, was der Lukas hier schreibt! Amen.