13.02.2011 | 2. Mose 3,1-14 | Letzter Sonntag nach Epiphanias

„Sie müssen den Gottesdienst mal ein bisschen aufpeppen, damit er nicht ganz so langweilig ist!“ – Dieser Rat wurde mir neulich nach dem Gottesdienst von einem Gast gegeben. Nun tun wir in der Tat gut daran, uns mit der Gestaltung des Gottesdienstes, auch mit der Gestaltung der Predigt Mühe zu geben, ja, es sollte tatsächlich kein Markenzeichen eines lutherischen Gottesdienstes sein, dass er als besonders langweilig wahrgenommen wird. Sollten wir unsere Gottesdienste also tatsächlich ein wenig mehr der Erwartungshaltung der Zuhörer anpassen, mit Schunkel- oder Tanzeinlagen, heißen Rhythmen und einem Hauch von Fernsehshow?
 
Nein, Schwestern und Brüder, das ist alles jetzt nicht eine Geschmacksfrage. Sondern wie auch immer wir den Gottesdienst gestalten mögen – alles, was wir hier tun, muss sich der einen entscheidenden Frage stellen: Lässt es erkennbar werden, dass es im Gottesdienst um nicht weniger als um die Begegnung mit dem lebendigen Gott geht? Das ist das Entscheidende, worauf die Gestaltung eines jeden Gottesdienstes abzuzielen hat: Nicht darauf, ob die Gottesdienstteilnehmer den Gottesdienst als interessant oder langweilig empfinden, sondern darauf, ob ihnen klar wird, dass wir hier nicht unter uns sind, dass es nicht darum geht, ob wir hier gut unterhalten werden, sondern dass wir hier in die Gegenwart des heiligen Gottes, des Herrn der ganzen Welt, treten. Und wenn uns das aufgeht, was das eigentlich bedeutet, dann stellt sich die Frage überhaupt nicht mehr, ob wir unseren Gottesdienst vielleicht doch ein wenig aufpeppen sollten, weil es doch in Wirklichkeit gar nichts Aufregenderes, nicht Spannenderes auf dieser Welt geben kann, als ihm, dem lebendigen Gott, tatsächlich persönlich zu begegnen.

Und damit sind wir nun schon mitten drin in der alttestamentlichen Lesung des Festes der Verklärung Christi. Die Begegnung, die uns hier geschildert wird, kann und soll auch uns helfen, zu begreifen, was hier bei uns heute Morgen in diesem Kirchraum passiert, kann und soll uns die Augen dafür öffnen, dass er hier und jetzt auch bei uns brennt: der Dornbusch, dem sich Mose damals am Berg Sinai näherte. Ja, lernen können wir aus den Worten unserer heutigen Predigtlesung, was es heißt, Gott zu begegnen. Diese Begegnung
wird von Gott allein ermöglicht
wird durch Gottes Wort erst eindeutig
lässt uns nicht unverändert

I.
Als der Mose damals mit seinen Schafen durch die Wüste Sinai zog, da mag er mit allem Möglichen gerechnet haben, nur nicht damit, mit einem Mal dem lebendigen Gott zu begegnen. Geflohen war er in die Wüste, weil er einen Ägypter umgebracht hatte, hatte sich dort in der Einsamkeit versteckt, dort, wo keiner sonst seine Vorgeschichte kannte. Doch dann ist er mit einem Mal da, er, der lebendige Gott, der, der immer schon war und immer sein wird, er, vor dem Mose nicht weglaufen konnte, vor dem er seine Geschichte nicht verbergen konnte. Mit einem Mal ist er da, „herniedergefahren“, wie er es selber formuliert, hat von sich aus den unendlichen Abstand zwischen sich und Mose, zwischen sich und den Israeliten überbrückt, kommt so dicht an ihn, Mose, heran, dass er dem Mose schon Anweisungen geben muss, damit der nicht unwissentlich von der Gegenwart seiner Heiligkeit verzehrt wird. Gott entscheidet sich, Mose zu begegnen – und er entscheidet auch, wie er ihm begegnet: nicht in einem gewaltigen Erdbeben, nicht in einer Riesenshow, sondern in einem pieksigen Dornbusch, der verachtetsten unter allen Pflanzen, einer Vorläuferin der Pflanze, aus deren Zweigen viele Jahrhunderte später dem Sohn Gottes eine Krone der besonderen Art geflochten wurde. Ausgerechnet in einem Dornbusch gibt sich Gott zu erkennen, und doch ist er selber darin ganz gegenwärtig, macht den Ort, auf dem Mose steht, damit zum heiligen Land, das man nur ohne Schuhe an den Füßen betreten kann. Gott ermöglicht Mose diese besondere Gottesbegegnung, macht sich ganz klein und macht sich doch nicht zum Kumpel für Mose, bleibt der heilige Gott, vor dem Mose nur sein Angesicht verhüllen kann.

Der Dornbusch brennt immer noch, jawohl heute und hier im Gottesdienst. Nein, wir sind heute Morgen hier nicht zusammengekommen, weil wir irgendeinen Trick kennen würden, mit dem wir es schaffen könnten, Gott in unsere Mitte zu befördern. Wir können nicht über Gott verfügen, sind darauf angewiesen, dass er uns die Begegnung mit sich ermöglicht. Doch genau das macht er heute Morgen wieder. Er kommt zu uns – nein, nicht mit großen Showeffekten, nicht so, dass unsere Kirche raucht und bebt, sondern ganz unscheinbar, so, wie es doch eigentlich gar nicht zu ihm zu passen scheint: Diesen Altar wählt er heute Morgen wieder von Neuem als Ort seiner Gegenwart, kommt in einem lächerlich kleinen Stück Brot, kommt in einem Kelch, gefüllt mit Wein, zu uns, nicht weil wir es uns so ausgedacht hätten, sondern weil er es so entschieden hat. Ja, auch zu uns muss er dabei „herniederfahren“, muss von sich aus den Abstand zwischen sich und uns überbrücken, den wir von uns aus niemals verringern, geschweige denn überwinden könnten. Doch er tut’s, und nun ist er wieder hier bei uns. Und weh uns, wenn wir das übersehen würden, wenn wir allen Ernstes glaubten, wir seien hier unter uns, wenn wir allen Ernstes glaubten, diese Zeit in der Kirche sei nur dazu da, sich ein wenig zu amüsieren und zu unterhalten und im Zweifelsfall mal zwischendurch zu verschwinden, wenn es einem zu langweilig wird!

Wenn der lebendige Gott in unsere Mitte kommt, dann geht es nicht mehr um Schunkeln oder peppige Unterhaltung, dann heißt es auch für uns nur noch: Schuhe aus! Nein, es geht Gott nicht darum, dass du jetzt anfängst, an deinen Füßen herumzufummeln. Es geht ihm um dein Herz, das sich auch durch Äußerlichkeiten Ausdruck zu verschaffen vermag. Es ist ein Unterschied, ob du, wenn es dir denn körperlich möglich ist, vor dem lebendigen Gott auf die Knie gehst, wenn er in unserer Mitte gegenwärtig wird, oder ob du dich vor ihn hinsetzt wie vor den Fernseher. Es ist ein Unterschied, ob du dich bei der Feier des Heiligen Mahles ganz auf den gegenwärtigen Herrn ausrichtest oder meinst, dich in seiner Gegenwart mit deinen Sitznachbarn unterhalten zu können. Es ist ein Unterschied, ob du diese Kirche bloß für einen Versammlungsraum hältst oder ob dir klar ist, dass dies hier heiliges Land ist, dass du es eigentlich gar nicht wagen kannst, dich bei der Feier des Heiligen Mahles auch nur von deinem Platz zu erheben und dich dem Altar zu nähern.

„Tritt nicht herzu“, so rief es Gott dem Mose damals zu. „Kommt, denn es ist alles bereit!“ – So ruft es derselbe Gott dir nachher zu. Ja, er erlaubt es dir, auf dem heiligen Land ihm entgegenzukommen – und will doch, dass dir klar ist, was du hier eigentlich tust, wem du hier eigentlich begegnest, in wessen Gegenwart du hier eigentlich stehst, wenn du dich anschickst, das Heilige Mahl zu empfangen. Nein, da gibt es nichts mehr aufzupeppen. Größeres, Überwältigenderes wirst du nirgendwo auf Erden finden und erfahren, als was dir heute Morgen hier widerfährt – nichts Geringeres, sondern sogar noch mehr, als was der Mose damals am Dornbusch erfahren hat.

II.
Einen brennenden Dornbusch sah der Mose damals, der doch nicht vom Feuer verzehrt wurde: Eine merkwürdige Erscheinung war das für ihn, die er nicht verstand und höchstens seine Neugier weckte, ihn aber aus sich heraus noch nicht erkennen ließ, dass er es hier mit dem lebendigen Gott zu tun hatte. Erst als Gott zu Mose spricht, wird für Mose klar, mit wem er es zu tun hat, wird auch das Zeichen, das er zuvor gesehen hatte, für ihn eindeutig, wird ihm klar, wer ihm begegnet und wie der, der ihm da begegnet, zu ihm und zu seinem Volk steht. Ja, heilig ist dieser Gott – und doch kommt er zu Mose, um ihn und sein Volk zu retten, kommt er zu ihm, um ihm zu zeigen, dass ihm das Elend seines Volkes nicht egal ist, dass seine Schreie nicht in einem leeren Weltall verhallen, sondern ihren Weg in Gottes Ohren gefunden haben.

Nicht Mose stellt sich hier vor, wie Gott wohl sein könnte, sondern Gott stellt sich dem Mose vor, gibt sich ihm mit seinem Namen als der zu erkennen, der er wirklich ist: ein Gott, auf den man sich verlassen kann, der nicht heute so und morgen schon wieder ganz anders ist, der nicht einfach etwas daherquatscht, was ihn morgen schon nicht mehr kümmert, sondern der sich in seinem Wort verbindlich festlegt, der verspricht, den Mose auf seinem Weg zu begleiten und für ihn auch in Zukunft immer derselbe verlässliche Gott zu sein. Nein, das alles kann Mose nicht aus dem brennenden Dornbusch erschließen, das erfährt er erst dadurch, dass Gott in seinem Wort zu ihm spricht.

Ja, genau darum geht es auch bei uns im Gottesdienst. Menschen, die neu in unseren Gottesdienst, in unsere Gemeinde kommen, mag es zunächst einmal auch so ähnlich gehen wie dem Mose am Dornbusch: Sie werden hier scheinbar Merkwürdiges beobachten, Dinge, die sie nicht verstehen können, die nicht ihrer bisherigen Erfahrungswelt entstammen, werden, wenn es hoch kommt, neugierig werden und wissen wollen, was sich hinter all dem verbirgt, was hier in diesem Kirchraum abläuft. Doch all das, was Menschen hier bei uns wahrnehmen und beobachten können, wird auch für sie nur eindeutig durch das, was sie hier hören, durch das Wort Gottes, das ihnen hier verkündigt wird. Nur durch dieses Wort wird verständlich, dass wir hier nicht irgendein merkwürdiges altmodisches Spektakel abziehen, sondern dass hier in der Tat etwas geschieht, was man ansonsten im Alltag eben nirgendwo erleben und mitbekommen kann. Nur durch dieses Wort wird verständlich, mit wem wir es hier im Gottesdienst zu tun haben, eben nicht bloß mit uns selbst, sondern mit dem gegenwärtigen Herrn der Welt.

Und der kommt zu uns mit keiner anderen Botschaft als mit der, die er damals auch schon dem Mose auszurichten hatte: Gott kommt nicht zu uns, um uns mit seiner Heiligkeit Angst einzujagen, sondern er kommt zu uns, um auch uns zu retten, um uns zu befreien aus der Sklaverei der Mächte, die uns für immer vom Leben in der Gemeinschaft mit Gott fernhalten wollen, um uns zu befreien von unserer Schuld, von der Macht des Teufels, ja von der Macht des Todes. Gott kommt, um uns hier und heute die Freiheit zu schenken, um uns zu Menschen zu machen, die getrost und fröhlich nach vorne blicken können, weil sie eine wunderbare, eine großartige Zukunft vor sich haben: das Leben in der Welt, die Gott für uns schon vorbereitet hat. Ja, genau das hat er dir schon in deiner Taufe versprochen, und was Gott dir zugesagt hat, was er dir auch jetzt wieder in dieser Predigt verspricht, dazu steht er, das nimmt er nie mehr zurück, darüber ändert er nicht irgendwann mal seine Meinung. Verlassen darfst du dich auf sein Wort, auf sein Versprechen, denn Gott wird auch in Zukunft derselbe sein, der er jetzt ist, seine Zusage wird in Zukunft genauso gültig sein, wie sie es jetzt ist. Ja, auch da gibt es nichts aufzupeppen.

Gott macht dir heute wieder von Neuem das größte Versprechen deines Lebens, verspricht dir wieder von Neuem, mit dir zu sein und zu bleiben, dich nicht zu verlassen, bis du endgültig am Ziel deines Lebens, im Gelobten Land des ewigen Lebens ankommen wirst. Ja, Gott spricht zu dir, jetzt in diesem Augenblick, nicht weniger konkret und direkt, als der damals zu Mose gesprochen hat.

III.
Ja, um dich geht es Gott jetzt in dieser Stunde, um dich ganz konkret. Dazu ist er herabgekommen, um dich zu erreichen, um dein Leben nach seinem Willen auszurichten. Und da magst du zunächst einmal nicht anders reagieren als der Mose damals auch: Wer bin ich denn schon, dass Gott ausgerechnet mich meinen sollte! Doch, er meint dich, er will dich gebrauchen, damit du auch anderen deine Begegnung mit dem lebendigen Gott bezeugst, die jetzt und hier nicht mit dabei sind, genau wie der Mose damals auch von Gott zu seinem Volk geschickt wurde.

Es ist tröstlich zu hören, dass auch der Mose damals trotz dieser außergewöhnlichen Begegnung mit dem lebendigen Gott nicht einfach losmarschiert ist, als Gott ihn losgeschickt hat, sondern mit allen möglichen Begründungen versucht hat, sich diesem Auftrag zu entziehen. Doch Gott geht auf all die Einwände des Mose ein, bis er schließlich tatsächlich losmarschiert als einer, dessen Leben sich durch die Begegnung mit Gott grundlegend verändert hat. Auch wir mögen uns nicht gerade für sonderlich geeignet halten, anderen Menschen von dem zu erzählen, was sich hier im Gottesdienst ereignet, und sie dazu selber einzuladen. „Wer bin ich denn schon?“ – Ja, die Frage ist heute noch genauso aktuell wie damals, als sie von Mose gestellt wurde. Doch Gott gibt nicht auf. Er setzt uns nicht unter Druck. Er möchte uns nicht mit Gewalt dazu bringen, dass wir ein wenig widerwillig tun, was er uns befiehlt. Sondern er möchte uns innerlich so überwinden, dass wir am Ende selber gar nicht anders können als von dem zu erzählen, was uns hier geschieht, was uns hier aufgegangen ist. Ja, wem Gott dafür die Augen geöffnet hat, was es bedeutet, ihm selber zu begegnen, nicht bloß zum Pastor zu kommen, sondern hier in die Gegenwart des lebendigen Gottes zu treten, ja, wem Gott dafür die Augen geöffnet hat, den muss er eigentlich gar nicht noch mal extra auffordern, davon auch anderen zu erzählen. Wenn uns das klar ist, was hier im Gottesdienst geschieht, dann werden wir das von uns aus gar nicht für uns behalten können, dann werden wir uns erst recht nicht dessen, was hier im Gottesdienst geschieht, schämen und meinen, wir müssten diesen Gottesdienst erst noch irgendwie attraktiv machen. Ja, damit musst du allen Ernstes rechnen, dass Gott dich auch heute nicht unverändert aus diesem Gottesdienst gehen lässt, dass er ganz liebevoll und doch zugleich auch sehr wirksam an dir gearbeitet hat, dich geprägt und verändert hat, dass es dir immer lieber und wichtiger wird, ihm hier zu begegnen. Ja, er brennt noch, der Dornbusch, hier in unserer Mitte, er spricht noch zu uns, der lebendige Gott, und er schickt uns los, bindet uns, ausgerechnet uns ein in seine große Rettungsaktion. Schwestern und Brüder: Ist das etwa nicht aufregend? Amen.