13.04.2011 | Mittwoch nach Judika

FÜNFTE FASTENPREDIGT ZUM THEMA „WARUM WIR ES ALS CHRISTEN GUT HABEN“:
„WIR HABEN EINE GROSSE ZUKUNFT VOR UNS“

„Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf“, so reimte vor einer gefühlten halben Ewigkeit der berühmte deutsche Mundartdichter Erich Honecker. Doch die scheinbar unumstößliche Wahrheit, die Honecker in diesem poetischen Kleinod zum Ausdruck brachte, hatte ein sehr begrenzte Halbwertszeit: Die Weltgeschichte entwickelte sich eben nicht so, wie dies doch nach den scheinbar wissenschaftlich feststehenden Gesetzen des Marxismus geradezu zwangsläufig geschehen musste; die glorreiche Zukunft einer klassenlosen Gesellschaft im Kommunismus erwies sich als eine Fata Morgana, als eine Illusion, die schließlich an den Realitäten dieser Welt, an den real existierenden Menschen zerplatzte.

Immer wieder haben Menschen sich im Verlauf der Geschichte eine goldene Zukunft ausgemalt, die sie erwartete, wenn man denn nur dem Weg folgte, den eine bestimmte Ideologie vorzeichnete. Und immer wieder endeten diese Zukunftsutopien am Ende in bitterer Enttäuschung, ja oft genug sogar in fürchterlichen Katastrophen und Tragödien. Denn immer wieder glaubten Menschen, anderen Menschen das Lebensrecht nehmen zu dürfen, sie umbringen zu dürfen, wenn sie bei diesem Weg in die goldene Zukunft nicht mitmachten, Zweifel äußerten, gegen den Strom schwammen. Und umgekehrt waren Menschen immer wieder auch bereit, für eine Ideologie, an die sie glaubten, ihr Leben zu opfern. Wie oft konnte man es in diesen Apriltagen vor 66 Jahren hören, wenn wieder ein 16- oder 17jähriger Junge in den letzten Tagen des Krieges im Volkssturm gefallen war: Er sei gefallen „im festen Glauben an den Endsieg“. Was für eine irrsinnige Hoffnung, was für eine unsinnige Zukunftsperspektive!

Doch dass Menschen sich Illusionen über die Zukunft machen, ist nicht bloß auf bestimmte Ideologien beschränkt. Wie oft erleben wir es auch heutzutage in unserem Alltag, in unserer Bekanntschaft, vielleicht auch Verwandtschaft, dass Menschen sich in Bezug auf ihre eigene Lebensperspektive völligen Illusionen hingeben: Das geht schon damit los, dass nicht wenige Menschen sich allen Ernstes wünschen, sie würden gerne 100 Jahre alt werden. Was das für die allermeisten derer, die dieses Alter erreichen, ganz praktisch bedeutet, 100 zu werden, mit was für Lasten des Alters das Erreichen des 100. Geburtstags in fast allen Fällen verbunden ist, das machen sich diejenigen, die solche Sprüche von sich geben, in der Regel überhaupt nicht klar. Ja, auch abgesehen von solchen Wünschen verdrängen so viele Menschen gerade in unserem Lande die Frage nach dem Älterwerden, nach der künftigen Pflegebedürftigkeit, ja nach dem Tod, tun so, als ob es normal sei, dass man bis ins hohe Alter topfit bleibt und man sich den Tod einfach wegdenken könnte.

Und wenn man dann schließlich doch mit dem Tod konfrontiert wird, wenn sich da nun endgültig nichts mehr leugnen oder schönreden lässt – ja, dann fangen Hinterbliebene oft genug an, nun auch wieder ganz eigene Zukunftsperspektiven und -hoffnungen zu entwickeln: Dann wird davon gesprochen, der Verstorbene habe nun eine lange Reise angetreten oder blicke nun und künftig von einem Wölkchen auf uns herab, lebe nun ganz automatisch in einer geistigen Welt weiter, weil er doch nicht einfach ganz weg, einfach nur tot sein könne.

Ja, irgendwie gehört das offenbar zu unserem Menschsein dazu, dass wir Menschen uns immer wieder irgendwelche Zukunftsentwürfe machen, weil wir ohne solche Zukunftsentwürfe gar nicht leben können, weil wir solche Perspektiven einfach brauchen, um leben, um weiterleben zu können, um jetzt in der Gegenwart handeln zu können. 

Ist der christliche Glaube von daher einfach eine weitere Variante dieser menschlichen Sehnsüchte nach einer goldenen Zukunft, eine weitere Variante unserer Versuche, Leid und Tod zu verdrängen durch die Vertröstung auf eine bessere Zukunft? Oberflächlich betrachtet, könnte man in der Tat versucht sein, den christlichen Glauben in dieser Weise einzuordnen. Doch wenn man genauer hinschaut, stellt man fest: In Wirklichkeit passt der christliche Glaube in die Reihe selbstgebastelter menschlicher Zukunftsentwürfe gerade nicht hinein.
 
Das geht schon damit los, dass der christliche Glaube allen ideologischen Zukunftsentwürfen ganz grundsätzlich kritisch gegenübersteht. Denn als Christen wissen wir darum, dass diese Welt gezeichnet ist von der Macht der Sünde und des Todes und dass wir Menschen nicht dazu in der Lage sind, gegen diese Mächte anzukommen. Wir können den Menschen nicht so umerziehen, dass er nach unseren eigenen selbstkomponierten Wünschen ein wirklich guter Mensch wird. Der Mensch ist und bleibt Sünder, einer, der in seinem Herzen zunächst und vor allem auf seinen eigenen Vorteil bedacht bleibt, der von daher völlig ungeeignet ist und bleibt, das Paradies auf Erden zu errichten. Und selbst wenn es gelänge, aus dem Menschen einen halbwegs guten Menschen zu machen – was doch in Wirklichkeit nicht gelingen kann –, bliebe da doch immer noch der Tod, der unsere menschliche Zukunftsperspektive radikal einschränkt und auch nicht dadurch relativiert werden kann, dass irgendwelche Zukunftsideale auch über den Tod eines Einzelnen hinaus Bestand haben können. Ja, ganz nüchtern sehen wir Christen von daher die Zukunft unserer Welt, die Zukunft auch des Lebens eines jeden einzelnen Menschen: Froh und dankbar dürfen wir sein, wenn es Regierungen gelingt, wenigstens den schlimmsten Übeln dieser Welt halbwegs Einhalt zu gebieten, das Leben von Menschen in seiner begrenzten Lebensspanne soweit zu schützen, dass es vor den Eingriffen anderer Menschen möglichst geschützt bleibt. Ja, natürlich entwickeln wir uns dabei weiter, bleiben nicht auf der Stelle stehen. Doch als Christen erwarten wir weder, dass uns die moderne Technik einem paradiesischen Leben immer näher bringt, noch glauben wir unbedingt, dass früher in der Welt ja alles besser war und es nun immer mehr mit dieser Welt bergab geht. Nein, der Mensch bleibt immer derselbe, so stellen wir es ganz nüchtern fest und bleiben darum als Christen, wenn wir denn nur unseren Glauben ernst nehmen, auch ideologieresistent.
 
Nüchtern sind wir als Christen, auch was den Blick auf unsere eigene, persönliche Zukunft angeht. Unsere Zukunftshoffnung braucht nicht darin zu bestehen, dass wir 100 Jahre alt werden, dass wir auch mit 90 noch mit der jugendlichen Frische eines 30jährigen durch die Gegend laufen. Unsere Zukunftshoffnung besteht nicht darin, dass wir in unserem Leben gesund bleiben und reich werden und bei allem auch noch fröhlich und vergnügt sind. Gottes Wort schildert unser Leben anders, leitet uns gerade nicht dazu an, es zu verdrängen, dass wir Tag für Tag dem Ende unseres Lebens entgegengehen, dass wir damit rechnen müssen, dass unsere körperlichen und auch unsere geistigen Kräfte schwinden. Denn wir wissen als Christen, dass der Wert eines Menschen, dass auch der Lebenswert eines Menschen nicht in dem besteht, was er zu leisten vermag, ob er sich immer gut und fit fühlt, ob er den jeweiligen Schönheitsidealen seiner Zeit entspricht. Wir wissen darum, dass der Wert und auch der Lebenswert eines jeden Menschen darin besteht, dass er von Gott unendlich geliebt ist und dass diese Liebe Bestand hat, ganz gleich, wie wir uns auch fühlen mögen, ganz gleich, was von unseren Kräften noch übriggeblieben ist. Und wir wissen eben auch, dass wir auch den Tod am Ende unseres Lebens nicht zu verdrängen brauchen, sondern ihm als Christen ganz getrost entgegenblicken dürfen. Nein, natürlich ist der Tod nichts Schönes, auch nichts Natürliches. Aber wir müssen uns als Christen eben nicht damit begnügen, den Tod irgendwie schönzureden, indem wir uns irgendwelche kitschigen Jenseitsvorstellungen zusammenbasteln. Unser Ansatzpunkt ist ein ganz Anderer: Er liegt in der Auferstehung Jesu Christi begründet, in diesem unfasslichen Ereignis, dass es da einen gibt, der die Macht des Todes gebrochen hat, der sich als stärker erwiesen hat als eben diese eine Macht, die uns Menschen knechtet wie keine andere.

Darin besteht also unsere Zukunftsperspektive als Christen, dass wir mit diesem Jesus Christus verbunden werden und bleiben, dass wir an seinem Leben, das stärker ist als der Tod, Anteil erhalten, und dass sich das dann schließlich auch auswirkt über unseren leiblichen Tod hinaus. Ja, das ist unsere Hoffnung, von der wir als Christen Zeugnis ablegen dürfen gerade da, wo Menschen sich ansonsten der Realität verweigern und in selbstgebastelte Wunschvorstellungen fliehen: Wir werden leben dürfen, ewig leben dürfen, ewig leben in der Gemeinschaft mit dem Sieger über den Tod, mit Christus und damit in der Gemeinschaft mit ihm, dem lebendigen, dreieinigen Gott. Und diese große Zukunft, die uns erwartet, die betrifft uns eben nicht bloß als Einzelne: Sondern der, der sich als der Herr über den Tod erwiesen hat, wird sich auch einmal als der Herr über die Geschichte erweisen, wird unserer menschlichen Zeit einmal endgültig ihr Ende setzen und eine neue Welt schaffen, die eben nicht bloß eine leicht verbesserte Version der alten Welt sein wird. Nicht wir müssen und werden diese neue Welt schaffen; Christus allein wird es tun. Wie entlastend, wie befreiend ist es, dies zu wissen! Ja, mit solch einer Zukunftsperspektive lässt es sich gut leben, lässt es sich gut handeln. Was auf uns zukommt, eben unsere Zu-kunft, hängt nicht von uns, nicht von unserem Einsatz ab, auch nicht von unseren Prognosen und Vorhersagen. Wir Menschen werden mit unseren Zukunftsperspektiven immer wieder danebenliegen. Denn aus der Gegenwart wird man die Zukunft immer nur sehr begrenzt ableiten können. Doch als Christen dürfen wir uns auf die Zukunftsperspektive verlassen, die uns von Christus eröffnet ist, denn er garantiert sie, indem er selber auf uns zukommt. Jede Sakramentsfeier legt schon hier und jetzt Zeugnis ab von dieser Vorfreude, die wir als Christen haben dürfen, von dieser großen Zukunft, der wir in der Person unseres wiederkommenden Herrn Jesus Christus entgegengehen. Mensch, was haben wir Christen es gut! Amen.