21.04.2011 | St. Markus 14,17-26 | Gründonnerstag

Wenn uns unser Arzt ein hochwirksames Medikament verschreibt, dann dürfen wir gewiss sein, dass sich in der Verpackung mit dem Medikament zugleich auch ein langer Beipackzettel befindet, der uns genauestens erklärt, für wen dieses Medikament bestimmt ist, was es enthält und bewirkt und wie lange und in welcher Dosis es eingenommen werden sollte. Wichtig ist es, dass wir diesen Beipackzettel uns anschauen, dass wir das Medikament nicht einfach nach eigenem Gutdünken zu uns nehmen oder gar auf die Idee kommen, mit den hübschen blauen Pillen einfach mal unseren Hunger zu stillen. Ja, zutiefst dankbar dürfen wir dafür sein, dass uns heutzutage solch hochwirksame Medikamente zur Verfügung stehen; aber je wirksamer sie sind, desto genauer müssen wir eben auch lesen und hören, wie wir sie anwenden sollen.

Um ein hochwirksames Medikament geht es auch heute Abend in diesem Gottesdienst, geht es nun auch in dieser Predigtlesung. Wirksamer ist dieses Medikament als alle Medikamente, die die pharmazeutische Industrie je auf den Markt bringen wird, denn es ist nicht bloß dazu da, das eine oder andere körperliche Leiden zu heilen oder zu lindern, sondern es schenkt tatsächlich nicht weniger als ewiges, unzerstörbares Leben. Aber eben darum ist es nun auch für uns ganz wichtig, dass wir den Beipackzettel lesen, dass wir wissen, für wen dieses Medikament bestimmt ist, was es enthält und wie es wirkt und wie lange wir es nehmen sollen. Und genau solch einen Beipackzettel finden wir nun in der Predigtlesung des heutigen Tages. Gewiss, auf den ersten Blick scheint sie nur ein Bericht zu sein, ein Bericht über ein einmaliges Ereignis aus lang zurückliegender Zeit. Doch schon die ersten Hörer und Leser des Markusevangeliums wussten es besser, wussten, dass das, was ihnen der heilige Markus berichtete, mit ihnen, mit ihrem Leben als Christen ganz direkt zu tun hatte. Schauen wir uns also diesen Bericht, ja, diesen Beipackzettel nun einmal etwas genauer an:
In eine fröhliche Feier lässt uns der Evangelist hier hineinschauen: Jesus liegt mit seinen zwölf Jüngern zu Tisch und feiert mit ihnen das Passahmahl, das große Fest, bei dem alle, die in Jerusalem wohnten oder dorthin gepilgert waren, der Rettung der Israeliten und damit auch ihrer eigenen Rettung aus der Sklaverei gedachten. Gemeinsam feierten sie, dass sie nun freie Menschen waren und im Gelobten Land Israel leben durften. Doch mitten in diese fröhliche Stimmung hinein spricht Jesus einen Satz, bei dem den Feiernden wohl das Essen im Halse stecken geblieben sein dürfte: „Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten.“ Jesus kündigt seine Verhaftung, ja seine Hinrichtung an – und kündigt zugleich an, dass es einer aus dem Zwölferkreis sein wird, einer, mit dem er engste, vertraute Gemeinschaft gepflegt hatte, der dies alles mit seinem Verrat ermöglichen wird. Bewegend ist die Reaktion der Zwölf auf diese Ankündigung Jesu. Sie springen nicht auf und sagen: „Wer ist das Schwein? Den werden wir schon davon abhalten, so etwas zu machen!“ Sondern sie packen sich allesamt an die eigene Brust, fragen Jesus alle miteinander der Reihe nach: „Doch nicht etwa ich?“ Keiner von den Zwölfen schließt aus, dass er zum Verräter werden könnte; alle zwölf ahnen es, dass in ihnen genau dieses Potential drinsteckt, dass sie von Jesus abfallen, ihn verlassen und verraten könnten. Gewiss, wenn wir daran denken, dass auch Judas, der doch gerade von den Hohenpriestern zurückgekehrt war und mit ihnen den Verrat schon längst abgesprochen hatte, dass auch Judas hier die Unverschämtheit besitzt, ganz scheinheilig zu fragen: „Bin etwa ich es?“, dann mag uns schon ganz anders zumute werden. Und doch erträgt Jesus hier diese Heuchelei, outet den Judas nicht gleich, lässt ihn stattdessen allen Ernstes teilhaben an dem Mahl, das er nun gleich darauf stiftet.

Ja, mit solchen Leuten feiert Jesus nun gleich darauf sein Heiliges Mahl: Mit Leuten, die es sich ernsthaft vorstellen können, Jesus zu verraten und von ihm abzufallen, ja, mit Leuten, in deren Herz dieser Verrat und dieser Abfall schon längst zur Realität geworden ist. Nein, Jesus stiftet sein Mahl nicht für vollkommene Heilige, für Glaubenshelden, für Menschen, die sich erst einmal ordentlich Mühe gegeben haben, sich zu bessern und am besten gleich ganz sündlos zu sein. Sondern Jesus stiftet sein Mahl für Menschen, die den Unglauben als Anlage und Möglichkeit, ja sogar als Realität immer auch in sich tragen und dies selber zumindest auch ahnen, wenn nicht sogar ganz genau wissen.

Ein Beipackzettel ist diese Geschichte, so sagte ich. Denn sie lässt auch uns erkennen, für wen das Heilige Mahl, für wen diese Medizin, die hier ausgeteilt wird, bestimmt ist: Sie ist bestimmt für Menschen, die in sich selber Abgründe erkennen und erahnen, Abgründe der Sünde, Abgründe des Unglaubens. Sie ist bestimmt für Menschen, die wissen, wie schwach und wacklig ihr Vertrauen auf Christus ist, wie wenig auf ihre eigene Glaubensstärke Verlass ist. Die lädt Christus an seinen Tisch, denen will er die Medizin des ewigen Lebens reichen. Ist dein Glaube also so stark und fest, dass nichts auf der Welt ihn umpusten kann? Hast du die Sünde schon längst hinter dir gelassen und näherst dich immer mehr der Vollkommenheit? Dann brauchst du das Heilige Mahl nicht, dann kannst du darauf verzichten. Doch wenn du merkst, dass da doch noch etwas ganz Anderes in dir steckt, dass du dem Kampf mit all den Kräften, die dich von Christus wegziehen wollen, noch nicht entnommen bist, dann komm, dann brauchst du diese Medizin, kannst und sollst nicht auf sie verzichten. Ja, dann ist dieses Heilmittel des Heiligen Mahles ganz genau für dich bestimmt.

Doch was ist nun in dieser Medizin drin, wie wirkt sie? Schauen wir nur auf das, was Christus hier macht, dann scheint er seinen Jüngern nichts Anderes zu reichen als ein Stück Brot und einen Becher, gefüllt mit Wein. Doch was soll schon etwas Brot und Wein bewirken? Erinnern könnten sie an Jesus, an das, was er für uns getan hat. Doch dafür müsste man nicht unbedingt Brot und Wein nehmen, und als Heilmittel könnte man diese Elemente dann wohl auch kaum bezeichnen. Ja, könnte man einwenden, Brot und Wein allein bringen es natürlich nicht; aber wenn der Glaube dazu kommt, wenn ich diese irdischen Elemente im Glauben empfange, dann könnten sie für mich doch zu so etwas wie einer geistigen und auch geistlichen Stärkung werden. Doch genau das ist ja unser Problem, weshalb wir das Heilige Abendmahl so dringend brauchen, weil mit unserem Glauben oftmals so wenig los ist, weil er oft so schwach ist, weil wir uns so leicht von allem Möglichen umpusten lassen. Wenn wir ausgerechnet auf unseren Glauben die Wirkkraft dieses Sakraments gründen würden, dann würden wir sie genau auf das gründen, was doch gerade durch das Sakrament behandelt werden soll. Das würde wirklich keinen Sinn machen.

Doch St. Markus schildert uns eben nicht bloß, was Jesus hier macht, sondern er berichtet uns vor allem auch davon, was Jesus dabei sagt – und eben dies ist das Entscheidende, ist so eindeutig, dass wir uns alle weiteren komplizierten Deutungsversuche getrost ersparen können: Das ist mein Leib, das ist mein Blut, sagt Christus – und er meint es auch so: Wenn die Jünger das Brot essen, das er ihnen mit diesen Worten austeilt, dann empfangen sie tatsächlich durch ihr Essen mit dem Mund ihn, Christus, selber leibhaftig, berühren ihn, werden mit ihm eins. Wenn die Jünger aus dem Kelch trinken, den er ihnen herumreicht, dann empfangen sie tatsächlich durch ihr Trinken mit ihrem Mund ihn, Christus, selber als lebendigen Herrn, berühren ihn, werden mit ihm eins. Er selber, Christus, ist die Speise, ist der Trank, ist die Medizin, die wir so dringend brauchen. Nein, was hier im Heiligen Mahl läuft, hat nichts mit Placebo-Effekten zu tun. Die Gegenwart des Herrn beruht nicht auf unserer menschlichen Einbildung und Fantasie, sondern allein auf den Worten des Herrn. Und die gelten und wirken, ganz gleich, ob wir es glauben, ob wir es uns vorstellen können oder nicht.

Und was bewirkt diese Medizin nun bei uns? Christus führt das hier nicht extra aus, und das muss er auch nicht, denn die Gemeinschaft mit ihm, die Teilhabe an seinem Leib und Blut, ist ja selber schon die Heilung, die durch dieses Heilmittel gewirkt wird. Wenn ich mit Christus verbunden bin, dann trägt er mich, dann lässt er mich nicht fallen, dann hängt mein Heil nicht mehr an meiner Fähigkeit zu glauben. Wenn ich mit Christus verbunden bin, dann trennt mich selbstverständlich nichts mehr von Gott, dann habe ich Anteil an seinem Tod, der für die vielen und damit auch für mich ganz persönlich gilt. Wenn ich mit Christus verbunden bin, dann habe ich Anteil auch an seinem unvergänglichen Leben, dann ist sein Leben auch mein Leben, dann werde ich genauso ewig leben wie er auch. Was für eine Wirkung, ja was für ein hochwirksames Medikament!

Eines ist dabei allerdings natürlich klar: Gerade weil dieses Medikament so wirksam ist, sollen wir es auch so nehmen, wie der, der es eingesetzt hat, es verordnet hat. Wenn der Beipackzettel besagt, dass ein Cortisonpräparat nur äußerlich zum Einreiben angewendet werden soll, und wir essen es stattdessen auf, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn dieses Präparat nicht hilft, sondern uns wohl eher Bauchschmerzen verursacht. Wenn Christus sagt: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut!“ und wir nehmen dies nicht ernst, sondern meinen, wir würden da nur ein Stück Brot und einen Schluck Wein empfangen, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn wir davon keinen Nutzen haben, sondern uns der Empfang dann sogar schadet.

Und wichtig ist schließlich auch, dass wir beachten, wie lange wir dieses Heilmittel einnehmen sollen. Es gibt ja Medikamente, die muss man nur einmal oder dreimal oder eine Woche lang einnehmen. Das Heilige Abendmahl zählt nicht dazu. Es zählt zu den Medikamenten, die wir ein Leben lang benötigen, die wir nicht absetzen können, ohne uns dabei gewaltig zu schaden. Am Ende seiner Worte gibt Christus selber den Endpunkt an, an dem wir einmal auf das Heilige Mahl werden verzichten können: Dann, wenn wir mit Christus gemeinsam teilhaben werden an dem Festmahl im Reich Gottes. Das Heilige Mahl, das wir jetzt feiern, weist auf dieses Festmahl schon hin. Noch ist es für uns Wegzehrung, hilft es uns, durchzuhalten, dranzubleiben an Christus, den Anschluss nicht zu verlieren, damit wir dann einmal auch tatsächlich dort mit dabei sein werden, wo Christus selber uns an seinen Tisch bitten wird, um mit uns ein Fest zu feiern, das niemals mehr enden wird. Ja, auf dieses Ziel sollen und dürfen wir bei jeder Feier des Heiligen Mahls hier auf Erden blicken, sollen uns zugleich durch den Empfang des Heiligen Mahles immer wieder die Sehnsucht nach diesem himmlischen Festmahl wecken lassen, dass wir ja nicht auf die Idee kommen, uns hier auf Erden so einzurichten, als ob das alles wäre, was wir vom Leben erwarten könnten.

Und von daher stellt sich dann eine Frage eigentlich gar nicht mehr, die sich ansonsten bei der Einnahme von Medikamenten immer wieder stellen mag: die Frage nach der Überdosierung. Wenn ich bestimmte hochwirksame Medikamente zu häufig nehme, dann könnten diese mir in der Tat schaden.  Doch das Heilmittel des ewigen Lebens kann ich gar nicht zu häufig nehmen; da brauche ich vor einer Überdosis keine Angst zu haben. Denn ich empfange doch jedes Mal ihn, Christus, selber, leibhaftig und damit gerade kein Gift, sondern das Leben in Person. Und darum steht über die Häufigkeit der Einnahme dieses Heilmittels auch nichts auf dem Beipackzettel drauf. Man kann es nicht zu häufig nehmen, und wem es einmal aufgegangen ist, was einem durch diese Gabe des Heiligen Mahles geschenkt wird, der wird auch nicht mehr auf die Idee kommen, es abzusetzen und freiwillig darauf über eine längere Zeit zu verzichten. Denke einfach nur daran, für wen das Heilige Mahl bestimmt ist, für Sünder und Wackelkandidaten im Glauben, denke einfach nur daran, was dir hier geschenkt wird: leibhaftige Gemeinschaft mit Christus, deinem Herrn, und denke einfach nur daran, wohin dich dieses Heilige Mahl bringt: zum Festmahl im Reich Gottes. Dann wirst du wissen, was du tust, wenn Christus es dir zuruft, heute und immer wieder: Kommt, denn es ist alles bereit! Amen.