02.06.2011 | 1. Könige 8,22-24.26-28 | Christi Himmelfahrt

Um 73,8 Kilometer pro Sekunde dehnt sich unser Weltall aus, so hat es ein amerikanisches Forscherteam kürzlich mithilfe des Weltraumteleskops Hubble ausgerechnet. Während ich die ersten Sätze dieser Predigt spreche, ist unser Universum also schon wieder um einige hundert Kilometer größer geworden. Doch wenn sich das Weltall ausdehnt – was befindet sich denn dann, bitteschön, hinter dem Weltall oder außerhalb von ihm? Können wir dahinter vielleicht Gott finden, der dann allerdings mit dem unschönen Problem zu kämpfen hätte, dass sein Wohnraum jenseits des Weltalls allmählich immer kleiner wird, weil ihm da immer mehr Galaxien und schwarze Löcher in sein Wohnzimmer hineinquellen?

Schwestern und Brüder, wenn Gott sich irgendwo außerhalb unseres Weltalls befinden würde und sich mit einem immer weiter aufquellenden Weltall herumschlagen müsste, dann bräuchten wir uns mit solch einem Gott nicht unbedingt weiter zu beschäftigen. Wir könnten uns vielleicht unsere ganz persönlichen Gedanken darüber machen, ob es ihn tatsächlich gibt; doch mit unserem Leben hätte solch ein Gott, der uns jede Sekunde 73,8 Kilometer ferner rückt, gewiss herzlich wenig zu tun.

Doch so naiv, Gott irgendeinen weit entfernten Ort im Jenseits zuzuweisen, war schon vor 3000 Jahren der König Salomo nicht. Der wusste schon, dass man Gott nicht irgendwo im Weltall oder sogar noch dahinter parken kann. Nein, da mussten wahrlich nicht erst die moderne Naturwissenschaft oder gar erst ein Juri Gagarin kommen, der als epochemachende Erkenntnis aus seinem Weltraumflug mitteilte, er sei dort oben nirgendwo dem lieben Gott begegnet, also könne es ihn wohl auch nicht geben. Sondern das wusste schon König Salomo genau, als er sein Gebet zur Weihe des großen Tempels in Jerusalem sprach: „Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es denn dies Haus tun, das ich gebaut habe?“ Gott ist nicht Raum und Zeit unterworfen, und er ist erst recht kein Lückenbüßer, den wir dort finden können, wo wir mit unseren Vorstellungen nicht mehr weiterkommen. Sondern er ist Herr über Raum und Zeit, Schöpfer von Raum und Zeit, beherrscht sie darum, durchdringt sie, wie er will. Und das heißt nun allerdings in der Tat, dass wir uns dadurch Gott gerade nicht vom Halse halten können, dass wir ihn irgendwo hinpacken, wo er einen gehörigen Sicherheitsabstand zu uns einhält. Sondern wenn Gott Raum und Zeit so durchdringt, dass aller Himmel Himmel ihn nicht fassen können, dann heißt das ja, dass ich jede Sekunde, jeden Augenblick mit ihm, mit seiner Gegenwart konfrontiert bin, dass er meine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist, dass es von daher für mich kein wichtigeres Thema geben kann als eben dies, wie sich dieser Gott, der mein Leben, der mich von allen Seiten umfasst, mir gegenüber verhält.

Keinen Ort der Welt, keinen Ort in meinem Leben gibt es, an dem ich nicht mit Gott, mit seiner Gegenwart konfrontiert wäre. Natürlich werde ich mit seiner Gegenwart auch bei einem Spaziergang im Grunewald konfrontiert – ganz klar; natürlich kann ich mich seiner Gegenwart auch nicht zu Hause im Bett entziehen. Doch mit der lapidaren Feststellung, dass der liebe Gott nun mal überall ist, kann ich mich der bedrängenden Frage eben gerade nicht entziehen, wo ich diesem Gott, der, wenn er will, tatsächlich überall sein kann, denn nun auch konkret begegnen kann, so, dass ich ihn auch tatsächlich als Gegenüber wahrnehme. Dass Gott auch in jeder spanischen Salatgurke und in jedem USB-Stick gegenwärtig sein kann, ist ja sicher richtig. Doch mit dieser tiefschürfenden Erkenntnis wäre für mich und mein Leben eben noch gar nichts gewonnen. Und umgekehrt bleibt doch die Frage, wie dieser Gott, der alles durchdringt, zu mir steht, die allerwichtigste Frage meines Lebens, wenn ich denn auch nur ansatzweise kapiert habe, was ich eigentlich tue, wenn ich das Wort „Gott“ überhaupt in meinen mehr oder weniger ungewaschenen Mund nehme. Wenn Gott wirklich Gott ist, dann kann und darf ich keine Ruhe geben, bis ich diesem Gott auch konkret begegnet bin, habe ich das Entscheidende in meinem Leben verpasst, wenn er sich mir nicht auch zu erkennen gibt, er, der Ursprung und das Ziel meines Lebens.

Und damit sind wir zugleich nun schon mitten drin in der alttestamentlichen Lesung dieses Festtags: Da wird uns geschildert, wie der König Salomo in Jerusalem das Weihegebet spricht für den Tempel, der gerade zuvor fertiggestellt worden war. Ein Tempel – ein von Menschen gebautes Haus als Wohnstätte Gottes: Ist das nicht eine völlig naive Vorstellung, wenn man sich einmal klar macht, wie riesig das Weltall, wie winzig die Erde, wie winzig auch der Ort Jerusalem auf der Erde ist? Wie gesagt, der Salomo wusste damals schon um diese Fragen, um die Ungeheuerlichkeit der Behauptung, dass es so etwas wie ein Haus Gottes überhaupt geben könne. Und doch macht er in seinem Tempelweihgebet zugleich deutlich, dass dieser unfassliche Gott sich tatsächlich finden lässt, nicht nur von ihm damals, sondern auch von uns heute: Finden können wir Gott allen Ernstes
- in der Geschichte
- in seinem Wort
- in seinem Haus.

I.
In seinem Tempelweihgebet spricht der Salomo hier zunächst einmal gar nicht davon, wo wir Gott irgendwo in einem Raum finden können, sondern er spricht davon, wie Gott uns in der Zeit begegnet. Dass Raum und Zeit ganz eng miteinander zusammengehören, dass wusste eben auch nicht erst Albert Einstein; davon hatte auch der weise Salomo schon jede Menge Ahnung. Der spricht in seinem Gebet davon, wie Gott sich uns Menschen so zu erkennen gegeben hat, dass er ganz konkret in der Geschichte eines bestimmten Volkes fassbar geworden ist, dass er mit diesem Volk einen Bund geschlossen hat – und das heißt ja: Dass er sich freiwillig von sich aus an dieses Volk gebunden hat, ihm versprochen hat, gemeinsam mit ihm den Weg durch die Geschichte zu gehen.

Ja, da kann einem schon schwindlig werden, wenn man von den Rechenkünsten von Astrophysikern hört, die in Millionen von Lichtjahren denken, und dann hört, dass der Gott, der dies alles geschaffen hat, der Herr über diese unfasslichen Dimensionen ist, zugleich sich an menschliche Zeit in der Weise bindet, dass sich in unserer Menschengeschichte Gottes Geschichte ereignet, dass Gott uns Menschen und unsere menschlichen Reaktionen ernst nimmt und darauf eingeht, ohne sich natürlich jemals das Heft des Handelns dadurch aus der Hand nehmen zu lassen.

Ja, das ist für unseren Glauben als Christen ganz entscheidend wichtig, dass Gott sich für uns allen Ernstes in der Zeit, in der Geschichte finden lässt, dass er nicht bloß als zeitloses Wesen irgendwo im Jenseits verharrt und uns dabei zuschaut, wie wir uns so unsere Gedanken darüber machen, wie er wohl sein könnte. Sondern er hat sich uns in der Geschichte zu erkennen gegeben, jawohl, schon in der Geschichte seines Volkes Israel und dann endgültig in der Geburt und dem Lebensweg seines Sohnes Jesus Christus. Glaube an Gott ist darum für uns eben nicht Glaube an eine ewige, unveränderliche Wahrheit, sondern im Gegenteil Glaube an einen Gott, der dazu bereit gewesen ist, sich zu verändern, ganz einer von uns zu werden, Mensch zu werden, so tief in unsere Geschichte hineinzukommen, dass ihn das in alle Ewigkeit nicht mehr unverändert sein lässt. Darum reicht es eben nicht, dass wir versuchen, Gott mit oder ohne Bollerwagen irgendwo im Grünen zu treffen. Da hören wir nur das immer gleiche Rauschen der Blätter, erfahren nicht die eine entscheidende Geschichte, die wir kennen müssen, wenn wir Gott erkennen, wenn wir ihm dadurch wirklich begegnen wollen. Jawohl, Gott kommt hinein in unsere Zeit.

II.
Doch nun würden wir den Salomo missverstehen, wenn wir meinen würden, wir könnten einfach aus dem Verlauf der Menschheitsgeschichte, aus dem Verlauf der Geschichte des Volkes Israel oder auch aus dem Verlauf der Geschichte unseres Lebens schließen, wer Gott ist und wie er uns gegenüber eingestellt ist. Im Gegenteil: Wenn wir allein aus der Geschichte als solcher unsere Schlussfolgerungen ziehen würden, dann würden wir uns selber wohl ein ziemlich eigenartiges Gottesbild basteln, das mit ihm, dem lebendigen Gott, nur wenig zu tun hat. Sondern, so macht es uns Salomo hier deutlich, Gott gibt sich uns in der Geschichte so zu erkennen, dass er in der Geschichte zu uns spricht durch sein Wort und durch eben dieses Wort das Geschehene deutet.

Ja, gerade so gibt er sich zu erkennen, dass man in der Geschichte wahrnehmen kann, wie Gott zu seinem Wort steht, wie er tatsächlich geschehen lässt, was er angekündigt hat. Damals hatte Gott dem David versprochen, dass nicht er selber, sondern sein Nachfolger den Tempel in Jerusalem erbauen würde – und nun stellt Salomo fest: Genau wie Gott es seinem Vater angekündigt hat, so ist es gekommen. Und eben dies zieht sich durch die Geschichte hindurch, dass Gott ankündigt, was er tun wird, und dies tatsächlich dann auch geschehen lässt – immer wieder so, dass er in der Erfüllung dessen, was er versprochen hat, noch einmal das Versprochene überbietet.

Gott erkennen und ihm begegnen können wir also nur so, dass wir auf sein Wort hören. Und dieses Wort lässt Gott eben immer wieder neu in der Geschichte hörbar werden, spricht zu uns durch Menschen, die er als seine Boten mit dem Weitersagen seines Wortes beauftragt. Gott sendet uns keine Funksignale aus dem Weltall, er redet auch nicht mit Donnerstimme aus irgendwelchen Wolken zu uns herab, sondern er schickt Menschen los und bevollmächtigt sie, dass sie allen Ernstes ihre Worte einleiten können mit der Ankündigung: So spricht der Herr! Mit diesem Auftrag und dieser Vollmacht hat er damals die Propheten im Alten Testament sein Wort verkünden lassen. Und dann hat er sich schließlich nicht mehr bloß mit Boten begnügt, dann ist er selber als Mensch zu uns Menschen gekommen, hat wieder mit Menschenworten zu uns gesprochen, hat sich in diesen Worten endgültig zu unseren Gunsten festgelegt: „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht“, so hatte es Christus seinen Jüngern gesagt, und so hören wir es aus seinem Munde bis heute. Eher hört das Weltall irgendwann einmal auf, sich auszudehnen, eher werden alle Galaxien und Schwarzen Löcher im Universum verschwinden, als dass Gott wieder zurücknehmen würde, was er in Christus uns gesagt hat.

Und genau dieses Wort dürfen wir nun heute auch noch hören: „Wer euch hört, der hört mich“, so hatte Christus seine Jünger losgeschickt, so bevollmächtigt er bis heute Menschen, in seinem Auftrag zu reden. Dort kannst du also Gott begegnen und ihn erkennen, wo du sein Wort, das Wort seines Sohnes Jesus Christus hörst. Da erfährst du, woran du bei ihm bist, wie er zu dir steht, was für dich und dein Leben wirklich wichtig ist. Gott redet – und es geschieht. Das geschah schon bei der Erschaffung des Universums; das geschah damals in Jerusalem bei der Einweihung des Tempels, und das geschieht hier und heute auch, wenn Gott in der Taufe zu einem Menschen sagt: Du bist mein Kind, wenn er zu uns in der Heiligen Absolution sagt: Dir sind deine Sünden vergeben. Da kannst du ihn fassen, ihn, den aller Himmel Himmel nicht fassen können, da legt Gott sich fest, da nimmt Gott auch in deinem Leben Weichenstellungen vor, die für dich von entscheidender Bedeutung sind. Nein, wenn Gott redet, dann hört man eben nicht bloß Blätterrauschen, dann hört man schon Worte, verständliche Worte, Worte, die in Wirklichkeit noch viel mehr sind als bloß Information, Worte, die Leben schenken und Leben verändern.

III.
Und damit sind wir nun auch schon bei dem Raum, wo Gott sich fassen lässt. Natürlich hat der Salomo in seinem Tempelweihgebet völlig Recht: Gott ist nicht darauf angewiesen, dass wir ihm hier irgendwo auf Erden ein Haus bauen, in dem er wohnen kann. Er, der Schöpfer aller Galaxien, hat es nicht nötig, sich hier auf unserem Planeten irgendwo eine Mehrzimmerwohnung oder wahlweise eben auch ein großes Kathedralgebäude zu suchen. Und erst recht wäre es geradezu anmaßend, ja absurd, wenn wir glaubten, wir hätten von uns aus die Möglichkeit, ihn, den lebendigen Gott, in irgendein von uns gebautes Gebäude zu locken oder ihn dort gar festzuhalten. Eine Kirche ist nicht so etwas wie ein religiöses Terrarium.

Und erst wenn wir uns das klargemacht haben, können wir überhaupt ahnen, was das eigentlich bedeutet, dass Salomo damals vom Tempel als dem Haus Gottes reden konnte und durfte, dass auch wir von unserer Kirche als dem Haus Gottes reden können und dürfen. Nicht wir Menschen fangen Gott in unseren Mauern ein, sondern der lebendige Gott hat von sich aus entschieden, seine Geschichte mit uns so zu fortzusetzen, dass er hier und jetzt mit uns redet, dass er hier und jetzt geschehen lässt, was sein Sohn damals in Jerusalem, der Stadt des Tempels, angekündigt und versprochen hatte: Mein Wort wird auch künftig bewirken, was ich sage, wird geschehen lassen, dass ich mit meinem Leib und Blut in eurer Mitte gegenwärtig bin. Gott lässt sich darum in einem Haus finden, weil in diesem Haus sein Wort verkündigt wird und weil dort das Mahl des Leibes und Blutes Christi gefeiert wird. Da wird das Gebäude, ganz gleich, wie klein oder groß es auch sein mag, allen Ernstes zur Wohnstätte Gottes, zum Ort der Begegnung mit ihm, dem Schöpfer des Universums.

Das Fest der Himmelfahrt Christi feiern wir heute – und was das bedeutet, genau das haben wir eben anhand der Worte des Königs Salomo bedacht: So wenig wie Gott bloß jenseits des sich immer weiter aufblähenden Universums zu finden ist, so wenig ist Christus vierzig Tage nach Ostern irgendwo in den Tiefen dieses Weltalls verschwunden. Sondern wir feiern an diesem Tag, dass Christus uns als der auferstandene Herr tatsächlich immer wieder neu Möglichkeiten der Begegnung mit ihm, dem lebendigen Gott, schenkt: Derselbe Herr, der damals in Jerusalem gekreuzigt wurde und auferstanden ist, schreibt seine Geschichte auch in unserer Lebensgeschichte weiter, wird für uns vernehmbar in seinem Wort, wird für uns fühlbar und berührbar in der Feier seines Heiligen Mahles, lässt uns immer wieder erfahren, dass der Himmel eben nicht irgendwo über uns und weit weg von uns ist, sondern hier und jetzt zu finden ist, wo er, Christus, da ist in seinem Wort und Sakrament. Ja, an einem Ereignis von kosmischen Dimensionen und von kosmischer Bedeutung nehmt ihr hier und jetzt in dieser Stunde gerade teil. Ja, ein Glück, dass ihr heute Morgen hier und nicht im Grunewald gelandet seid! Amen.