25.09.2011 | St. Markus 1,40-45 | 14. Sonntag nach Trinitatis
Die Nachricht traf ihn wie ein Schlag: Unheilbar erkrankt sei er, so hatte es ihm sein Arzt im Krankenhaus gerade mitgeteilt; ein paar Monate vielleicht noch, länger vermutlich nicht. Der Mann kramte in seiner Nachttischschublade. Lag da nicht eine Bibel drin? Vielleicht sollte er sich damit nun doch mal wieder etwas befassen. Er blätterte in der Bibel und stieß auf die Geschichte von der Heilung des Aussätzigen, die wir eben gehört haben. „Der hat eben Schwein gehabt“, stellte der Mann nach der Lektüre resignierend fest. „Ja, wenn es diesen Jesus wirklich gibt – warum macht er mich dann nicht auch gesund?“
Schwestern und Brüder: Ich gestehe: Ich habe mir diese Geschichte, die ich gerade erzählt habe, ausgedacht. Aber sie dürfte eben doch ziemlich dicht dran sein an dem, was viele kranke Menschen empfinden mögen, wenn sie hören, was uns der Evangelist St. Markus hier berichtet: Das klingt alles so schön und romantisch, was hier geschildert wird. Doch wieso sieht es in meinem Leben ganz anders aus? Will Jesus mich nicht gesund machen, oder kann er es nicht? Meine Mitfreude mit diesem einen Glückspilz, der damals vor 2000 Jahren gesund geworden ist, hält sich jedenfalls in Grenzen!
Brüder und Schwestern: Es mag sein, dass ihr solche oder ähnliche Diskussionen auch schon mal geführt habt, ja, dass euch solche Gedanken vielleicht auch schon selber durch den Kopf geschossen sind, sei es, dass ihr mit der Krankheit anderer konfrontiert worden seid, sei es, dass ihr selber schwer krank wart und euch nur noch von Gott verlassen vorkamt. Da kommen uns dann zumeist keine einfachen, flotten Antworten über die Lippen, da mögen auch wir uns dann fragen, wozu es denn für uns heute gut sein soll, dass wir uns mit dieser Geschichte von der Heilung eines Aussätzigen noch beschäftigen.
Vor einem Kurzschluss sollten wir uns auf jeden Fall hüten: Vor der so fromm klingenden und in Wirklichkeit so zynischen Antwort: Ja, Jesus will natürlich auch dich gesund machen – aber du glaubst eben nicht fest genug, und darum bleibst du krank. Würdest du nur richtig an Jesus glauben, dann erginge es dir genauso wie dem Aussätzigen hier in dieser Geschichte!
O nein, das ist gerade nicht die Botschaft, die St. Markus uns hier mit dieser Geschichte verkündigen will. Wir müssen schon noch einmal genauer hingucken. Dann werden wir nämlich feststellen, dass St. Markus hier nicht bloß eine Geschichte für Glückspilze und Glaubenshelden erzählt, sondern dass dies tatsächlich auch eine Geschichte für Kranke ist, die nicht gesund werden, auch eine Geschichte für Leute, die nicht verstehen können, warum in ihrem Leben manches ganz anders läuft, als sie sich dies erhofft und vorgestellt hatten. Auf dreierlei verweist uns St. Markus hier in dieser kurzen Geschichte:
- auf den Zorn Jesu
- auf die Zurechtweisung Jesu
- auf die Zukunft Jesu
I.
Die Geschichte, die uns St. Markus erzählt, beginnt hier gleich mit einem Hammer, der uns aber beim ersten Hinhören vielleicht gar nicht aufgefallen sein mag: „Und es kam zu Jesus ein Aussätziger“, so berichtet der Evangelist hier. Nein, Aussätzige konnten damals nicht einfach zu jemand anders kommen, die litten doch an einer Krankheit, die sie gleichsam zu lebendigen Toten machte, die es ihnen unmöglich machte, mit gesunden Menschen irgendwie in Kontakt zu kommen, weil Aussätzige sich von allen anderen Menschen fern halten mussten. Doch dieser eine Aussätzige übertritt sämtliche Vorschriften und kommt auf Jesus zu. Ich sehe sie vor mir, die anderen Menschen um Jesus herum, wie sie voll Entsetzen zurückweichen, weglaufen, nur um nicht in die Nähe dieses aussätzigen Mannes zu kommen, nur um nicht Gefahr zu laufen, sich bei ihm anzustecken. Und dann steht er da vor Jesus – ach, nein, er bleibt nicht stehen; er fällt vor ihm auf die Knie und äußert seine Bitte: „Willst du, so kannst du mich reinigen.“ Reinigung von Aussatz galt damals als ein Wunder, das nur Gott selber vollbringen konnte; dieser Aussätzige redet Jesus also als seinen Herrn und Gott an, traut ihm zu, was nur Gott tun kann.
Und Jesus? „Es jammerte ihn“, so übersetzt Martin Luther den griechischen Text. Doch es gibt eine andere Textüberlieferung, die wahrscheinlich die ursprüngliche ist. Da heißt es: „Da wurde Jesus zornig.“ Ja, wieso sollte Jesus in diesem Augenblick zornig werden? Etwa auf den Aussätzigen, der es gewagt hatte, sich ihm zu nähern? Ganz gewiss nicht, im Gegenteil: Jesus wird zornig auf all das Leid und all das Elend, das dieser arme Mann da durchmachen musste, zornig auf all das, was ihn da in seiner Verzweiflung zu ihm laufen ließ. Nein, Jesus lässt das nicht kalt, er beugt sich auch nicht bloß ein wenig mitleidig zu dem Kranken hinab, sondern ihn regt das innerlich zutiefst auf, das Leid, das Menschen durchmachen müssen.
Ja, schau dir diesen zornigen Jesus an, wenn du selber krank bist, wenn du selber nicht mehr weiter weißt wie jener Aussätzige, der da vor Jesus auf die Knie sinkt: Jesus ist dein Schicksal, ist dein Leid nicht egal. Das geht ihm an die Nieren, das regt ihn auf, darüber geht er nicht teilnahmslos hinweg. Auch wenn du den Eindruck hast, er hört dich gar nicht, wenn du zu ihm schreist: Es stimmt nicht; dein Leid nimmt ihn mit, nicht weniger als das Leiden des Aussätzigen damals.
Und dann macht Jesus hier etwas Unfassbares: Er spricht nicht bloß ein heilendes Wort, sondern er berührt diesen Aussätzigen allen Ernstes. Einen Aussätzigen zu berühren – das war nun wirklich das Allerletzte, was man damals machen konnte. Wer einen Aussätzigen berührte, galt selber als unrein, musste ja auch tatsächlich damit rechnen, sich damit anzustecken. Doch Jesus kennt keine Berührungsängste. Er heilt den Aussätzigen so, dass er jegliche Distanz zwischen ihm und sich verschwinden lässt, dass er ihn auch körperlich spüren lässt: Dir gilt meine ganze Zuwendung.
Genauso geht Jesus auch mit uns heute um: Er begnügt sich nicht bloß mit tröstenden Worten, sondern er sucht auch bei uns die Berührung, berührt uns tatsächlich leiblich, körperlich, jedes Mal, wenn wir seinen Leib und sein Blut hier im Heiligen Mahl empfangen. Und da passiert es dann in der Tat, dass du Christus gleichsam ansteckst mit deiner Sünde und Schuld, dass er sie von dir abbekommt und du dadurch gesund wirst, nein, nicht unbedingt so, dass dir all deine körperlichen Beschwerden genommen werden, aber doch so, dass dein Verhältnis zu Gott wieder in Ordnung kommt, weil er, Christus, auf sich nimmt, was dich von Gott trennen könnte.
II.
Und damit sind wir schon beim Zweiten, was uns St. Markus hier vor Augen stellt. Kaum ist der Aussätzige geheilt, macht Jesus ihm mächtig Dampf und schickt ihn als erstes nach Jerusalem zu einem Priester, damit der die erfolgte Heilung bestätigen und ihn mit der Darbringung eines Opfers wieder in die Gemeinschaft des Gottesvolkes aufnehmen konnte.
Wer aussätzig war, galt damals als von Gott gestraft und verstoßen. Doch genau darauf zielt nun die Heilung, die der Aussätzige erfährt: Dass er nicht länger ausgeschlossen bleibt von der Gemeinschaft mit Gott. Jesus schließt sich nicht der Meinung an, dass Krankheit eine Strafe Gottes sei; im Gegenteil, er wehrt sich an anderen Stellen ganz vehement gegen diese so weit verbreitete Vorstellung. Aber gleich nach dieser Geschichte, die wir eben gehört haben, berichtet St. Markus davon, wie vier Männer einen Gelähmten zu Jesus bringen, das Dach eines Hauses öffnen und ihn von dort aus Jesus vor die Füße legen. Und wie reagiert Jesus darauf als erstes? Als erstes sagt er zu dem Gelähmten: Dir sind deine Sünden vergeben!
Das ist ganz ähnlich wie hier bei dem Aussätzigen: Jesus macht sowohl dem Aussätzigen als auch dem Gelähmten als auch uns dies eine deutlich: Es gibt etwas, das ist noch wichtiger als Gesundheit, das kommt an allererster Stelle in unserem Leben. Und das ist unsere Beziehung zu Gott. Wenn ich kerngesund bin und doch mit Gott nichts zu tun haben will, mich aus der Beziehung zu Gott ausklinke, dann mag ich mich zwar gut fühlen – doch ich bin gerade dabei, das Wichtigste in meinem Leben zu verpassen. Und wenn ich krank bin und gerade auch in meiner Krankheit Gottes Vergebung und die Nähe meines Herrn im Sakrament erfahre, dann beginnt Christus in Wahrheit schon mit einer viel tieferen Heilung bei mir, trifft schon alle Vorbereitungen für eine Heilung, die nicht bloß vorläufig, sondern endgültig sein wird. „Ich will’s tun, sei rein!“ – Das sagt Christus auch zu dir. Das sagt er zu dir bei jeder Absolution, und das sagt er dir auch deiner Krankheit zu: „Ich will’s tun“ – Du bist nicht von mir verlassen und verstoßen. Im Gegenteil: Ich will noch mehr mit dir machen, als ich damals mit dem Aussätzigen gemacht habe. Der ist früher oder später dann doch an einer Krankheit gestorben. Aber ich will dich einmal so ganz und gar heil machen, sagt Christus, dass es einmal für dich überhaupt keine Krankheit, kein Leid, keinen Schmerz, keinen Tod mehr geben wird – wenn du mich selber einmal schauen und für immer in meiner Gemeinschaft leben wirst.
III.
Noch etwas scheinbar Merkwürdiges macht Christus hier: Er verbietet dem geheilten Aussätzigen, von seiner Heilung zu berichten. Jesus möchte nicht Karriere machen als Wunderheiler, er möchte nicht, dass die Leute von ihm als erstes die Lösung ihrer Probleme erhoffen und erwarten. Wer er wirklich ist, das sollen die Leute nicht aufgrund seiner Heilungen erkennen, sondern das sollen sie erkennen, wenn sie darauf schauen, wie er am Kreuz hängt, auch für sie.
Geheilt hat Jesus damals in Israel nur Einzelne; doch dort am Kreuz, da hängt er für alle. Da hängt er, um alles auf sich zu nehmen, was auch dich von Gott trennen könnte, was dich daran hindern könnte, für immer zu genesen in Gottes Gegenwart. Da hängt er und trägt auch deine Krankheit, dass du sie nicht allein zu tragen brauchst. Da hängt er und versteht dich nur allzu gut, wenn du Schmerzen hast, wenn du Angst hast, ja, wenn du vielleicht gar in deiner Verzweiflung betest: Gott, warum hast du mich verlassen? Der, der da den Aussätzigen berührt und ihn so heilt, dass er seine Krankheit auf sich nimmt, geht seinen Weg konsequent weiter bis nach Golgatha.
Und gerade darum ist diese Geschichte, die St. Markus uns hier erzählt, auch eine Geschichte für Menschen, die hier in ihrem Leben keine Heilung ihrer Krankheit erfahren, die bis an ihr Lebensende nicht begreifen können, warum Gott sie in ihrem Leben gerade so geführt hat. Der, der hier dem Aussätzigen hilft, ist auf dem Weg ans Kreuz, um dir nahe zu sein auch in deinen Fragen, auch in deiner Not, ja, um dich zu retten vor dem ewigen Tod.
Der Aussätzige hat damals den Mund nicht halten können, konnte gar nicht anders, als anderen von diesem Herrn zu erzählen, der ihn geheilt hatte. Uns verbietet Christus nicht den Mund, uns verdonnert er nicht dazu, über das zu schweigen, was er für uns getan hat. Schweigen wir darum ja nicht freiwillig von dem, was Christus für uns in unserem Leben getan hat, sondern tratschen wir es ganz kräftig herum, weil wir gar nicht anders können! Denn diese gute Nachricht ist in der Tat für alle wichtig – für Gesunde und für Kranke! Amen.