06.11.2011 | St. Lukas 11,14-23 | Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres

Wahrscheinlich habt ihr das Bild oder Zeichen auch schon mal irgendwo gesehen: einen Kreis, in dem durch eine geschwungene Linie ein schwarzer Teil von einem weißen Teil unterschieden wird, wobei sich in dem schwarzen Teil wiederum ein weißer Punkt und im weißen Teil wiederum ein schwarzer Punkt befindet: Yin und Yang, so wird dieses Zeichen mit zwei chinesischen Begriffen beschrieben: Yin und Yang, das sind zwei einander entgegen gesetzte Kräfte, die doch einander ergänzen und aufeinander angewiesen sind. Yin und Yang – dieses Symbol ist in der heutigen Esoterik sehr beliebt, bringt es doch eine tiefe Sehnsucht zum Ausdruck, die in uns Menschen schlummert: die Sehnsucht nach einer umfassenden Harmonie, die Sehnsucht danach, dass all das Widersprüchliche und Gegensätzliche, das wir in unserem Leben erfahren, sich letztlich doch zu einer großen Einheit verbinden lässt und wir darum alles, was wir in unserem Leben erfahren, positiv werten sollten, auch das scheinbar Negative, weil auch dieses letztlich zu der großen, allumfassenden Harmonie des Lebens mit dazugehört, weil im Negativen doch letztlich auch der Keim des Positiven verborgen liegt.

Yin und Yang – der Kreis mit dem dunklen und dem hellen Anteil findet als Symbol heute vielfältige Verwendung; man findet ihn auf Bildern und als Schmuckanhänger und in vielen anderen Zusammenhängen. Denn es wäre ja allzu schön, wenn wir mithilfe von Yin und Yang auch all dem Schrecklichen und Unerklärbaren in unserer Welt und auch in unserem Leben doch noch einen tiefen Sinn verleihen könnten. Und der Gedanke klingt darüber hinaus ja auch nur allzu faszinierend, dass es letztlich nichts Absolutes gibt: nichts absolut Gutes und nichts absolut Böses, nichts absolut Richtiges und nichts absolut Falsches. Alles gewinnt seine Bedeutung erst dadurch, dass es mit seinem Gegenteil zusammengedacht wird.

Mit Yin und Yang hatte Jesus damals nicht viel am Hut. Und das lag nicht daran, dass er dort unten in der hintersten römischen Provinz nun mal keine Ahnung von chinesischen Weisheiten haben konnte. Sondern Jesus vermittelt uns hier einen ganz anderen Blick auf die Wirklichkeit unseres Lebens, spricht hier von Gegensätzen, die viel tiefer reichen, als dass sie sich mit Yin und Yang harmonisieren ließen, spricht hier von Gegensätzen, die sich nicht ausgleichen lassen, sondern angesichts derer sich nur diese eine entscheidende Frage stellt: Wer von beiden ist stärker, wer von beiden setzt sich am Ende durch: Gut oder Böse, Gott oder der Teufel? Und das ist eben nicht nur eine theoretische philosophische Frage, das ist auch nicht bloß ein Schaukampf, dem du und ich als interessierte Zuschauer beiwohnen könnten, sondern in diesem Kampf, in diesem Gegensatz von von Gott und Teufel hängen wir selber mitten drin, und so ist dies letztlich auch für uns persönlich die wichtigste Frage unseres Lebens, wer oder was sich am Ende durchsetzt und wo wir selber am Ende zu finden sind. Von zweierlei spricht Jesus hier in unserer heutigen Predigtlesung:

- von der Macht des Bösen
- von der Macht des Stärkeren

I.
Nun haben wir also wieder einmal Halloween hinter uns gebracht. Mit Halloween verhält es sich ja irgendwie auch so ähnlich wie mit Yin und Yang: Es ist irgendwie beides zugleich: Da geht es um das Böse, das Schreckliche, das Abstoßende – aber zugleich so, dass die Feier des Bösen und Schrecklichen und Abstoßenden Spaß machen soll und Spaß macht, dass mit dem Bösen und Schrecklichen irgendwie gespielt wird: Schaut her, irgendwo ist das Böse und der Böse doch ganz witzig; man muss das doch alles nicht ganz so eng sehen!

Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass die Gegner Jesu in der Predigtlesung des heutigen Sonntags auch so ein Stück weit Halloween spielen: Sie ärgern sich über Jesus, über seine Verkündigung, über sein Handeln. Und da bringen sie nun mit einem Mal den Teufel ins Spiel: Beelzebul, so nennen sie ihn, unterstellen Jesus, in dessen Namen einen Menschen von seiner Stummheit befreit zu haben. Da wird einfach mal so mit dem Teufel als Argument um sich geworfen – ohne dass sich die, die dieses Argument gebrauchen, eigentlich dessen bewusst wären, was sie Jesus da eigentlich und letztlich unterstellt haben.

Und Jesus – der nimmt das Argument derer, die ihn mit ihrem Vorwurf zur Strecke bringen wollen, noch viel ernster als sie selber. Er sagt nicht: Jetzt hört mal auf mit eurem Aberglauben; den Teufel gibt es in Wirklichkeit doch gar nicht, also kann ich auch nicht in seinem Namen einen Menschen heilen. Sondern Jesus geht ganz direkt auf den Vorwurf seiner Gegner ein: Jawohl, das, was ich hier mache, das hat in der Tat mit Gott und dem Teufel zu tun. Nur schätzt ihr völlig falsch ein, auf welcher Seite ich stehe.

Schwestern und Brüder, es mag sein, dass wir uns bei diesem ganzen Thema jetzt etwas unwohl vorkommen: Mensch, Halloween ist doch nun wirklich vorbei; nun hört mal auf, von irgendwelchen bösen Geistern zu erzählen, und werdet mal wieder vernünftig! Doch Jesus macht uns hier deutlich, dass die Geister, von denen er spricht, wahrlich nichts mit Klamauk und Gruseleffekten zu tun haben. Vielmehr weitet er mit dem, was er hier erzählt, unseren Blick, lässt uns eine Tiefendimension unseres Lebens wahrnehmen, die wir ansonsten kaum erkennen könnten:
Ganz real rechnen sollen wir mit der Macht des Bösen in unserem Leben, im Leben von Menschen. Doch wie wirkt sich diese Macht des Bösen nun aus, worin wird sie erkennbar? Sie wird nicht darin erkennbar, dass Menschen plötzlich unkontrolliert zu schreien anfangen oder merkwürdige Laute von sich geben, wie dies in manchen Exorzismus-Filmen geschildert wird. Der Böse, der Widersacher Gottes, wirkt viel feiner, viel unauffälliger und damit zugleich auch viel effektiver:
Ein Kennzeichen des Widersachers Gottes ist es, dass er Menschen verstummen lässt, dass er es Menschen unmöglich macht, sich zu Jesus Christus als ihrem Herrn zu bekennen. Der Widersacher Gottes weiß sehr wohl, was in der Bibel steht: „Wer den Namen des Herrn anrufen wird, der wird gerettet werden.“ Und genau davon will er Menschen abhalten, den Namen Jesu anzurufen, zu bekennen: Jesus Christus ist der Herr.

Dass wir uns nicht missverstehen: Es geht hier nicht darum, dass Menschen, die etwa nach einem Schlaganfall oder aufgrund einer Behinderung sich nicht sprachlich äußern könnten, vom Heil ausgeschlossen wären. Sondern es geht um den ganz normalen Fall, dass Menschen mit ihrem Reden zum Ausdruck bringen, was ihr Herz bewegt. Und da stellen wir auch in unserer Umgebung ganz nüchtern fest, wie viele Menschen sich schwer damit tun, ja vielleicht auch überhaupt nicht auf die Idee kämen, Jesus als ihren Herrn zu bekennen und zu ihm zu beten. Das kommt uns so normal, beinahe schon so selbstverständlich vor, dass wir gar nicht mehr die geistliche Tiefendimension wahrnehmen, die sich dahinter verbirgt: An dieser geistlichen Stummheit hat nur einer letztlich Interesse: Der Widersacher Gottes, der eben darum auch nichts lieber will, als dass sich an diesem Zustand nichts ändert.

Ein bemerkenswertes Bild gebraucht Jesus in diesem Zusammenhang: Er vergleicht den Widersacher Gottes mit einem Schlossherrn, der seinen Palast gut bewacht. Und eben darum haben diejenigen, die mit ihm dort im Palast leben, Frieden, so betont es Jesus hier. Anders ausgedrückt: Man kann sich im Herrschaftsbereich des Widersachers Gottes sauwohl fühlen, kann dort sogar Frieden empfinden. Es stimmt einfach nicht, dass man nur als Christ fröhlich und glücklich sein kann, dass man nur als Christ eine innere Harmonie in seinem Leben spüren kann. Das kann man alles auch beim Teufel haben. Dass das Schloss, in dem man sich zu befinden glaubt, in Wirklichkeit ein Gefängnis ist, merkt man in der Regel überhaupt nicht. Und entsprechend müssen diejenigen, die getrennt von Gott leben, auch überhaupt keinen gestörten, durchgeknallten oder unglücklichen Eindruck machen: Das können ganz nette, intelligente, angenehme Menschen sein, die selber mit sich und ihrem Leben ganz zufrieden sind. Und doch fehlt ihnen mehr als bloß eine gewisse religiöse Ergänzung für ihr Leben: Bei aller inneren Harmonie: Sie sind auf der absolut falschen Seite.

II.
Doch genau auf dieser Seite, auf der die Gegner Jesu ihn wähnen, befindet sich Jesus gerade nicht. Unsinnig ist es, ihm zu unterstellen, dass in ihm Mächte des Bösen am Werke wären, so argumentiert Jesus: Denn dies eine ist ja wohl auch für seine Gegner unbestritten, dass er sich mit Mächten anlegt, die ganz sicher nicht zum besonderen Fanclub Gottes zählen. Und wenn er, Jesus, die nun im Namen des Bösen bekämpfen würde, dann würde ja im Reich des Bösen gleichsam ein Bürgerkrieg herrschen, dann bräuchte man diesen Bösen oder dieses Böse, das sich nur selber ins Knie zu schießen vermag, eigentlich gar nicht sonderlich ernst zu nehmen.

Doch Jesus weiß: Darauf hoffen wir vergeblich, dass sich das Böse schließlich von selbst in Luft auflöst, dass von ihm nicht mehr übrig bleibt als die eine oder andere Halloween- Maske. Das Böse, der Böse löst sich nicht in Harmonie und Wohlgefallen auf, sondern seine Macht kann nur dadurch gebrochen werden, dass ein Stärkerer kommt, ihn überwindet und ihm die entreißt, die bisher unter seiner Herrschaft lebten, wenn vielleicht auch ganz glücklich und in Harmonie.

Und wie das aussieht, wenn ein Mensch den Mächten des Bösen entrissen wird, wenn der gut bewachte Palast des Bösen erobert wird, das haben wir heute Morgen bei deiner Taufe, lieber Kai, miterleben dürfen. Nein, es ist wahrlich nicht so, dass du vor deiner Taufe irgendein absonderlicher Fiesling gewesen wärst und nun mit einem Mal aus der Taufe als Märchenprinz herausgekommen wärst. Ein unglaublich netter Kerl warst du auch vorher schon – und daran hat natürlich deine Taufe auch nichts geändert. Und doch hat sich zugleich etwas ganz Entscheidendes heute Morgen bei dir geändert: Jesus Christus hat nun eben in der Taufe die Herrschaft über dein Leben angetreten, hat dich rausgeholt aus dem Palast, in dem du dich vorher befandest, hat dich zu seinem Eigentum erklärt. Und das hat für dich gewaltige Folgen: Jetzt, wo du zu Christus, dem Stärkeren, gehörst, hat dein Leben noch einmal eine ganz neue Perspektive bekommen, eine Perspektive, die über das Ende deines irdischen Lebens unendlich hinausreicht. Dein Leben hier auf Erden ist nun nicht mehr alles für dich, sondern gerade einmal der Anfang. Du brauchst in deinem Leben nie mehr Angst zu haben, etwas zu verpassen, weil ja danach nichts mehr käme. Ja, du darfst nun etwas davon erfahren, dass in der Ausrichtung auf Gott der tiefste Sinn deines Lebens besteht und dass dein Leben eben diesen tiefsten Sinn nun erhält, da du in der Gemeinschaft mit Christus, deinem Herrn, lebst.

Nein, Christus ist nicht ein bisschen gut und ein bisschen böse, er ist nicht nur ein Teilaspekt deines Lebens, sondern er allein soll und will und darf von nun ab dein Leben, ja das Leben von uns allen, die wir getauft sind, bestimmen.

Das mit der Macht des Bösen und der Macht des Stärkeren, das ist ja nicht nur ein hübsches Bild, das Jesus hier gebraucht, sondern das beschreibt eine Realität, die für dein Leben ganz unmittelbar von Bedeutung ist: Du kannst als Christ niemals neutral sein, du kannst dein Christsein niemals bloß ein bisschen nebenbei als Hobby betreiben. „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich“, so deutlich sagt es Christus hier. Du weißt das, Kai, und ich hoffe, ihr wisst es alle miteinander: Zu Christus kann man nur ganz oder gar nicht gehören. Wer zu ihm Ja sagt, der sagt damit ganz klar Nein zu all dem, was einen davon abhalten könnte, zu ihm, Jesus, zu gehören und bei ihm zu bleiben. „Ja, ich sage mich los“, so hast du, Kai, es entsprechend deutlich auch eben bei deiner Taufe ausgesprochen. Und genau darum geht es nun in deinem Leben, in unser aller Leben, dass wir das auch weiter in unserem Leben durchhalten, was am Anfang in unserer Taufe doch schon so eindeutig geklärt worden ist: Darum geht es, dass wir immer wieder klar Nein sagen, wenn uns eingeredet wird, man könne doch auch ohne Kirche und Gottesdienst ein guter Christ sein, wenn uns eingeredet wird, ein paar Male im Jahr zum Gottesdienst zu gehen würde doch auch ausreichen, wenn uns eingeredet wird, man müsse das mit Gottes Geboten doch heute alles nicht mehr ganz so eng sehen, wenn uns eingeredet wird, man müsse es mit dem Glauben ja auch nicht übertreiben.

Saublöd wären wir, wenn wir uns auf solche Einreden einlassen würden. Denn Christus macht es uns hier doch ganz klar: Er ist und bleibt der Stärkere; gegen ihn haben all die Mächte, die uns von ihm wegziehen wollen, letztlich keine Chance. Wo er, Christus, ist, da ist das Reich Gottes, da ist Gottes neue Welt, an der er uns hier und jetzt schon Anteil gibt. Sich von ihm wieder auszuklinken, das wäre von daher in der Tat der helle Wahnsinn. Lassen wir uns also nicht von Yin und Yang einlullen, sondern beziehen wir Position, angefangen schon gleich an jedem Morgen, wenn wir den Tag mit dem Taufgelübde beginnen. Dann ist und bleibt uns hoffentlich dies eine klar: Wir stehen und bleiben auf der Seite des Siegers, auf der Seite dessen, gegen den alles Dunkle, gegen den am Ende auch der Tod keine Chance hat. Amen.