24.01.2010 | 2. Korinther 4, 6-10 (Letzter Sonntag nach Epiphanias)

LETZTER SONNTAG NACH EPIPHANIAS – 24. JANUAR 2010 – PREDIGT ÜBER 2. KORINTHER 4,6-10

Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.

Ich schaffe es einfach nicht. Da versuche ich im Augenblick gerade wieder, meinen Konfirmanden etwas von der Herrlichkeit des Gottesdienstes nahezubringen, davon, wie wunderbar es ist, dem lebendigen Gott leibhaftig hier immer wieder begegnen zu dürfen. Doch die praktischen Reaktionen halten sich in Grenzen; für nicht wenige der Konfirmanden ist es auch heute Morgen wieder ein reichlich exotischer Gedanke geblieben, sonntags allen Ernstes früh aufzustehen, um sich auf den Weg in die Kirche zu begeben. Ich schaffe es einfach nicht. Da mache ich mir alle möglichen Gedanken, wie man es anstellen kann, Jugendliche auch nach ihrer Konfirmation in der Kirche bei der Stange zu halten. Ja, ganz am Anfang gelingt das dann ja auch bei einigen; aber nach einigen Jahren verschwinden sie dann letztlich doch; da kann ich noch so viel unternehmen, noch so viele Briefe schreiben, noch so viel hinter ihnen herlaufen. Ich schaffe es einfach nicht.
Ja, ich schaffe es einfach nicht. Da habe ich immer wieder mit Menschen innerhalb und außerhalb der Gemeinde zu tun, die von Christus und dem Glauben an ihn so herzlich wenig wissen wollen. Ach, wie gerne würde ich es erreichen, dass auch sie zum Glauben an Christus finden oder wieder zu ihm zurückfinden! Aber was ich auch rede, was ich auch anstelle: Ich schaffe es einfach nicht.
Nein, ich schaffe es einfach nicht. Da komme ich aus meinem Urlaub wieder zurück, und da stürmen von allen Seiten so viele Anfragen und Anforderungen gleichzeitig auf mich ein, dass ich kaum weiß, wo ich denn überhaupt anfangen soll, dass mir so viel klar ist: Das kann ich alles eigentlich gar nicht schaffen, selbst wenn ich meine Arbeitszeit noch ein ganzes Stück ausdehnen würde. Ja, wie soll ich das alles einfach schaffen – erst recht, wenn ich gesundheitlich angeschlagen bin, wenn mir mein Körper sehr deutlich signalisiert, dass ich längst keine 30 mehr bin, dass ich mittlerweile doch schon weit in die zweite Lebenshälfte vorgerückt bin? Ja, wie soll ich das bloß künftig alles schaffen, wenn ich schon ahne, dass die Arbeit hier in der Gemeinde immer mehr und nicht weniger wird?
Ich schaffe es einfach nicht. Genau das erklärt auch der Apostel Paulus in der Predigtlesung dieses Letzten Sonntags nach Epiphanias, des Festes der Verklärung Christi. Dabei war er in einer sehr viel unkomfortableren Lage als ich heute: Mächtig angegriffen wurde er in seiner Gemeinde in Korinth, weil er so gar nicht den Erwartungen entsprach, die man doch nach Meinung der Christen in Korinth an einen Pastor richten konnte: Er war nicht jung und dynamisch, er war kein guter Redner, er strahlte wenig aus von dem überschäumenden Glück, das uns Christen doch zuteil geworden ist. Eine mickrige Erscheinung war er offenkundig, dauernd krank dazu, verletzlich und verletzt durch die Anschuldigungen, die er aus der Gemeinde zu ertragen hatte. Und dazu kam dann natürlich auch noch der Druck von außen: Gefängnisaufenthalte, körperliche Angriffe, Schmähungen, ja, akute Bedrohungen seines Lebens, die er immer wieder zu durchleiden hatte, wenn er das Evangelium von Christus verkündigte. Nein, ich schaffe es einfach nicht, schreibt der Apostel: Ich schaffe es nicht, euren Erwartungen in der Gemeinde gerecht zu werden, ich schaffe es nicht, das zu leisten, was man von einem gesunden Menschen vielleicht erwarten könnte, ich schaffe es nicht, mich all den Problemen zu entziehen, in die ich in meinem Dienst immer und immer wieder gerate.
Ich schaffe es nicht – das klingt zunächst so deprimierend, so hoffnungslos. Doch in Wirklichkeit ist das, so zeigt es uns St. Paulus hier, eine wunderbare Einsicht, geradezu die Grundlage, auf der überhaupt erst erkennbar wird, worum es in der Kirche und im Dienst in der Kirche eigentlich geht. Nein, solange wir denken, wir könnten es selber schaffen, wir seien dazu in der Lage, aus eigenen Kräften unseren Dienst zu versehen, solange wir denken, wir seien dazu in der Lage, mit unserem Einsatz bei Menschen den Glauben zu wirken und zu erhalten, so lange haben wir noch überhaupt nicht kapiert, wie Christus in seiner Kirche am Werke ist, wie seine Herrlichkeit, die die Jünger damals auf dem Berg der Verklärung schauen durften, auch hier und heute in unserem Leben, im Leben der Kirche aufleuchtet.
Da blickt der Apostel Paulus hier in unserer Predigtlesung auf sein Leben zurück, auf den entscheidenden Augenblick, der sein ganzes Leben völlig veränderte, auf den Augenblick, als es mit einem Mal so hell in seinem Leben wurde, wie er sich dies zuvor überhaupt nicht hatte vorstellen können, als der auferstandene Christus im Lichtglanz seiner Herrlichkeit ihm erschien und seinem Leben damit eine völlig neue Richtung gab. Nein, niemand sonst hatte dazu einen Beitrag geleistet, dass es in seinem Leben so hell wurde: Paulus hatte sich auf diese Begegnung nicht irgendwie vorbereitet, hatte diese Christuserscheinung erst recht nicht mithilfe von irgendwelchen Tricks oder Meditationsübungen selber herbeigeführt. Und ebenso wenig war die Erscheinung der Herrlichkeit des lebendigen Christus in seinem Herzen das Ergebnis irgendwelcher Missionsstrategien, das Resultat eines rührigen Einsatzes irgendwelcher frommer Christen. Sondern was da vor den Stadttoren von Damaskus geschah, das vergleicht Paulus selber hier mit nicht weniger als dem Schöpfungshandeln Gottes am Anfang der Welt: Wie Gott damals aus dem Nichts das Licht aus der Finsternis hervorleuchten ließ durch sein allmächtiges Wort, ohne dass eine kirchliche Beleuchtungskommission daran mitgewirkt hätte, so hat Gott auch in seinem Herzen den Glauben, die Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi geschaffen, ohne Voraussetzungen auf Seiten des Paulus, ohne seine Mitwirkung oder die Mitwirkung irgendwelcher anderer Menschen. Nein, kein Mensch hat es „geschafft“, den Paulus zum Glauben zu bringen.
Und genauso, so betont es der Apostel hier nun, ist die Geschichte nun auch weitergegangen: Christus, der im Herzen des Apostels aufgestrahlt ist, der ihn dort vor Damaskus mit seinem ganzen Leben mit Beschlag belegt und ihn zu seinem Boten gemacht hat, der wirkt nun auch weiter durch den Dienst des Apostels, lässt durch seine Verkündigung im Herzen der Menschen wieder genau dasselbe geschehen, was damals Paulus vor Damaskus widerfahren ist: Gott wirkt aus dem Nichts, aus der Finsternis den Glauben, lässt Menschen erkennen, dass es Gott nicht bloß gibt, sondern dass er sich ganz konkret finden lässt im Angesicht Jesu Christi, im Angesicht des gekreuzigten Herrn: Ja, das geschieht, dass Menschen Gott in Christus finden und erkennen, auf ihn ihr Vertrauen setzen und dass es dadurch in ihrem Leben tatsächlich ganz hell wird, ohne dass wir vonseiten der Kirche da noch irgendwelche zusätzlichen Beleuchtungsquellen zur Verfügung stellen müssten. Nein, es war nicht die Ausstrahlung des Apostels, nicht sein leuchtendes Gesicht: Es war und ist allein Gott selber, der im Leben von Menschen das Schöpfungswunder sich wiederholen lässt, es Licht werden lässt, allein durch sein Wort.
Nein, Paulus hat das nicht geschafft, auch nur bei einem Menschen den Glauben zu wirken, und ich schaffe das auch nicht, auch wenn ich mir noch so viel Mühe gebe. Aber dann dürfen wir eben auch heute in unserer Mitte immer wieder solche Wunder erleben, die wir selber nicht herbeiführen und auch nicht erklären können:
Da hatten Konfirmanden von zu Hause aus überhaupt keine Ahnung und kein Gespür, worum es im Glauben, worum es im Gottesdienst eigentlich geht. Aber dann ging ihnen in der Vorbereitung auf die Erstkommunion doch etwas auf von der Herrlichkeit Gottes, die mit dem Leib und Blut Christi in den Gestalten von Brot und Wein in uns Wohnung nimmt, dann ging ihnen spätestens nach der Erstkommunion selber dieses Licht auf, leuchtete in ihnen, veranlasste sie dazu, immer wiederzukommen, ja, auch freiwillig, auch ohne Druck.
Da erlebe ich es immer wieder, wie das Licht, das in Konfirmanden und Jugendlichen zu leuchten angefangen hat, sie dazu veranlasst, es an andere weiterzureichen, andere einzuladen, dass auch sie mit dazu kommen, dass auch in ihnen diese Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi entsteht, dass auch sie erfahren, wie gut es sich in diesem Licht und mit diesem Licht leben lässt.
Da erlebe ich es so oft, wie Menschen auf mancherlei verschlungenen Wegen schließlich in unsere Gemeinde finden, ohne dass ich dafür auch nur einen Finger krumm gemacht hätte, erlebe es so oft, dass es gerade nicht mein Einsatz, mein Tun ist, durch den in Menschen das Licht des Glaubens angezündet wird.
Und da erlebe ich es schließlich auch so oft, wie dieses Licht des Glaubens gerade auch da in Menschen so hell zu strahlen und zu leuchten beginnt, wenn ihre körperlichen Kräfte schwinden, wenn es eigentlich so viel gäbe, worüber sie zu klagen hätten. Ja, wie tröstlich ist es zu erfahren, dass dieses Licht selbst im Dunkel des Todes nicht verlöscht, wie tröstlich ist es, darum immer wieder neu wissen zu dürfen, dass Menschen, die im Vertrauen auf Christus sterben, nicht in der Finsternis des Todes versinken, sondern nun endgültig mit eigenen Augen das Licht der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi schauen dürfen, noch klarer und deutlicher als damals die Jünger auf dem Berg der Verklärung. O nein, nicht ich bin diese Leuchte, weder hier auf Erden, noch erst recht dort im Himmel. Diese Leuchte ist und bleibt Christus allein, er, der allerdings auch in mir leuchtet durch die Taufe, durch das Heilige Mahl, wie in euch auch, er, der auch mich gepackt und zu seinem Werkzeug gemacht hat wie den Paulus damals auch.
Als ein Gefäß bezeichnet sich der Apostel Paulus hier, als ein Gefäß aus Ton, einen Gegenstand des täglichen Gebrauchs, nicht besonders ansehnlich, nicht besonders stabil, im Gegenteil: zerbrechlich und durch den dauernden Gebrauch schnell lädiert. Nein, nicht das Gefäß ist wichtig, nicht auf das Gefäß sollen die Korinther achten, die sich als Pastor einen Menschen mit besonderer Ausstrahlung wünschten, sondern auf den Inhalt, der durch dieses Gefäß transportiert wird. Das Gefäß ist nicht von Bedeutung, das mag irgendwann zerbrechen und durch ein anderes ausgetauscht werden; Hauptsache, es hat bis dahin seinen Dienst getan.
Ja, solch ein Gefäß bin auch ich, nicht mehr, ein Gefäß, das schon von Anfang an seine Macken und angeschlagenen Stellen hatte und das durch den Gebrauch nicht unbedingt frischer und haltbarer geworden ist, bei dem im Gegenteil die Risse bei genauerem Hinschauen unübersehbar werden. Nein, es ist nicht eure Aufgabe, das Gefäß schön zu erhalten; haltet es gebrauchsfertig, solange es geht, und bedient euch vor allem ordentlich an dem Inhalt, den ihr durch dieses Gefäß empfangt. Entdeckt ihn immer wieder, den kostbaren Schatz des Evangeliums, den Schatz der Vergebung der Sünden, den Schatz des Heiligen Mahles. Dadurch wird die Kirche, dadurch wird auch unsere Gemeinde gebaut, ganz gleich, in was für einer Form sich der Pastor befinden mag.
Und macht euch in dem allen keine Sorgen: Der ist in seinem Dienst niemals allein. „Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht“, schreibt der Apostel. Die Bedrängnisse, die der Apostel zu durchleiden hatte, waren gewiss noch einmal ganz andere als bloß Termindruck und die Anfertigung der Gemeinde-Jahresstatistik für die Kirchenleitung. Er erfuhr es, wie er in ganz anderer Not immer wieder getragen wurde, und so erfahre ich es auch. „Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.“ Ja, natürlich weiß ich manchmal auch nicht, wie ich das alles hier in unserer Gemeinde überhaupt noch bewältigen soll. Aber wieso sollte ich verzagen? Ich bin doch nicht der Herr der Gemeinde; die Zukunft unserer Gemeinde liegt doch nicht in meiner Hand!
„Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.“ Das gilt für den Paulus und für diejenigen, die in der Nachfolge der Apostel das Amt der Kirche ausüben; das gilt aber zugleich auch für euch alle, die ihr in der Taufe mit Christus verbunden worden seid. Wir träumen als Christen nicht den Traum der ewigen Jugend; wir brauchen die Tatsache nicht aus unserem Leben zu verdrängen, dass wir älter werden, dass früher oder später unsere Kräfte schwinden, unsere körperlichen und vielleicht auch unsere geistigen Kräfte, dass wir früher oder später hilfsbedürftig werden, ja, dass wir irgendwann einmal sterben werden und dass dieses Sterben sich eben in aller Regel nicht so nett und einfach vollzieht, wie das oftmals in irgendwelchen Spielfilmen dargestellt wird. Jeden Tag kommen wir unserem Tod ein Stück näher, wenn Christus nicht zuvor wiedergekommen sein wird. Aber jeden Tag kommen wir damit auch dem Augenblick näher, an dem einmal das Leben Jesu an unserm Leib offenbar werden wird, dem Augenblick, an dem wir mit einem neuen, verklärten Leib vor ihm, Christus, stehen werden und an dem wir dann alles einmal hinter uns gelassen haben werden, was uns jetzt noch bedrängt und bedrückt. Und den Weg zu diesem Ziel gehen wir eben nicht allein: So eng sind wir mit Christus seid unserer Taufe verbunden, dass es sein Sterben ist, das wir jetzt an unserem hustenden, humpelnden, schmerzenden Leib tragen, und dass es sein Leben ist, das wir an uns und in uns tragen, immer wieder von Neuem, wenn wir dieses Leben leibhaftig empfangen hier im Heiligen Mahl.
Diesem Leben gehen wir entgegen, ganz gleich, wie kurz oder lang die Strecke sein mag, die wir hier auf Erden noch zurückzulegen haben. Und darum brauchen wir als Pastoren unser irdisches Leben auch nicht zu konservieren, damit wir noch einen schön langen Ruhestand verleben. Wir dürfen uns ruhig aufbrauchen lassen. Und merkwürdigerweise haben Pastoren eben dennoch zum Schrecken aller zuständigen Rentenkassen mit die längste Lebenserwartung aller Berufsgruppen hier in Deutschland überhaupt. Und das ist auch wieder irgendwie verständlich. Denn ihre Arbeit erledigt letztlich ein anderer, weil sie sie selber sowieso nicht schaffen: er, der auferstandene Herr selber.
Gegen einen falschen Erwartungsdruck wandte sich der Apostel Paulus damals in seinem Brief an die Korinther; und von solch einem falschen Erwartungsdruck will er auch uns – euch und mich – mit diesen Worten befreien. Nicht wir müssen bei Menschen den Glauben schaffen, nicht wir müssen die Zukunft unserer Gemeinde erschaffen. Wir schaffen’s ja doch nicht. Aber er schafft’s und wird es schaffen: Er, der doch schon das Licht aus der Finsternis geschaffen hat. Amen.