24.03.2010 | St. Matthäus 27, 52 (4. Fastenpredigt: „Das Kreuz Christi - Das Zeichen des Sieges“)

MITTWOCH NACH JUDIKA – 24. MÄRZ 2010 – VIERTE FASTENPREDIGT ÜBER DAS KREUZ CHRISTI: „DAS ZEICHEN DES SIEGES“

Und die Erde erbebte und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf.

Dass Jugendliche auf Wänden und Tischen Kritzeleien hinterlassen, ist nicht erst ein Phänomen unserer heutigen Zeit. Das gab es vor fast 2000 Jahren auch schon. Eine solche Kritzelei aus dem 2. Jahrhundert nach Christi Geburt hat man auch in Rom gefunden, an der Wand eines Schlafsaals der kaiserlichen Pagen, von Jugendlichen im Alter von etwa 14-17 Jahren. Einen Esel zeigt diese Kritzelei, genagelt an ein Kreuz – und daneben der Spruch: Alexamenos betet seinen Gott an. Offenkundig handelte es sich bei Alexamenos um einen Christen, der sich den anderen Jugendlichen gegenüber auch als Christ zu erkennen gegeben und ihnen von Christus, dem Gekreuzigten, erzählt hatte. Und daraufhin hatten sich die anderen Pagen offenkundig die Bäuche vor Lachen gehalten: Wie kann man denn bloß an einen gekreuzigten Gott glauben? Hohn und Spott musste Alexamenos für sein Bekenntnis zu dem Gekreuzigten ertragen, so zeigt es uns noch heute die Spottzeichnung an der Wand.
Dabei kann man die anderen Pagen ja durchaus ein ganzes Stück weit verstehen: Sie wussten ja noch direkt aus eigener Anschauung, was eine Kreuzigung war, wie Schwerverbrecher und Sklaven durch diese ehrloseste aller Hinrichtungsarten zu Tode gebracht wurden. Tiefer konnte man in seinem Leben nun wirklich nicht sinken, als es schließlich angenagelt an einen Kreuzesbalken zu beenden. Dass es Gott selber sein sollte, der da an solch einem Kreuzesbalken hing – nein, das war doch so absurd, darüber konnte man doch wirklich nur lachen!
Schwestern und Brüder, wir tun gut daran, uns diese Reaktion der römischen Pagen immer wieder einmal vor Augen zu halten, wenn wir auf die Idee kommen sollten, im Kreuzestod Jesu doch noch irgendetwas Heldenhaftes sehen und entdecken zu wollen. Tiefste Erniedrigung bedeutete diese Hinrichtung; zum Abschaum erklärt wurde ein jeder, der auf diese Weise zu Tode kam.
Doch die Christen erzählten und erzählen bis heute immer wieder ausgerechnet von dem gekreuzigten Christus. Nein, sie versuchen diese Kreuzigung nicht irgendwie zu verteidigen, dadurch, dass sie darauf hinweisen, was für eine Riesensauerei das gewesen ist, was man damals mit ihm, Jesus, gemacht haben. Sie verehren Christus nicht als unschuldiges Opfer einer üblen Intrige, als Märtyrer für eine gerechte Sache, die sie nun fortsetzen. Stattdessen sprechen sie mit dem Apostel Paulus: „Es sei aber ferne von mir, mich zu rühmen als allein des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus“. Christen verschweigen das Kreuz nicht als peinlichen Betriebsunfall, sondern sie rühmen sich des Kreuzes, verkündigen es immer wieder als Zeichen des Sieges und gerade so als ihr Erkennungszeichen.
Das Kreuz Christi – Zeichen des Sieges, das Folterinstrument – in Wirklichkeit der Königsthron, diese Botschaft zieht sich durch das ganze Neue Testament hindurch. Ich will nur einige Beispiele nennen: Im Lukasevangelium etwa schildert St. Lukas eindrücklich, wie Jesus, der König, angenagelt ans Kreuz Audienz hält und regiert: Da spricht der Schächer am Kreuz ihn als König an: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und der, der über die Zugehörigkeit zu seinem Königreich zu verfügen vermag, trifft als König noch eine letzte Entscheidung: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Ähnlich bringt es St. Johannes zum Ausdruck: Wenn er von der Kreuzigung Jesu spricht, dann nennt er sie in seinem Evangelium immer wieder die „Erhöhung“. Doppeldeutig ist dieses Wort, wie so vieles im Johannesevangelium: Erhöht wird ein Mensch am Kreuz zunächst einmal ganz physisch, hängt einige Meter über den Köpfen der anderen, sichtbar, erhöht, für jeden, der vorbeikommt, schon von Weitem. Doch „Erhöhung“ bedeutet für Johannes eben noch viel mehr und noch etwas ganz Anderes: Auch für ihn ist Jesus der König, der auf dem Kreuz als Königsthron Platz nimmt, von dort aus regiert, von dort aus den Menschen Heil und Rettung zukommen lässt: „Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“ Und, so fährt Christus fort: „Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.“ Die Hoheit und Herrlichkeit Christi – sie wird auch für Johannes am Kreuz in besonderer Weise offenbar. Dort sehen wir ihn: den Sieger, den niemand daran hindern kann, vom Kreuz aus Menschen zu sich, in seine Gemeinschaft, zu ziehen.
Christus siegt am Kreuz – und wen besiegt er dabei? Der Hebräerbrief formuliert es sehr deutlich: Christus hat durch seinen Tod dem die Macht genommen, der die Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel. Der Teufel, der den Tod gleichsam als sein Instrument gebrauchte, um die Trennung der Menschen von Gott endgültig zu machen, erleidet am Kreuz die entscheidende Niederlage: Christus nimmt am Kreuz alles auf sich, was der Teufel als Ankläger jemals gegen die Menschen vorbringen könnte, er schlägt ihm damit die gesamte Anklageschrift aus der Hand, ja, mehr noch: Indem er selber am Kreuz stirbt, nimmt er auch dem Tod die Macht, weil der ihn, den lebendigen Gott, nicht in seiner Gewalt halten kann, weil das Gefängnis des Todes damit ein Loch bekommen hat, das er, der Teufel, nie mehr zu stopfen vermag. St. Matthäus bringt das auf seine Weise zum Ausdruck, wenn er die Begebenheiten beim Kreuzestod Jesu schildert: „Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf.“ Christus stirbt – und damit ist die Trennung zwischen Gott und den Menschen aufgehoben; der Zugang ist frei. Christus stirbt – und der Tod verliert in diesem Augenblick seine Macht; Gräber öffnen sich und deuten damit schon darauf hin, was der Kreuzestod Christi in der Zukunft einmal endgültig bewirken wird: die letzte Entmachtung des Todes.
Das Kreuz – Zeichen des Sieges: Durch das ganze Neue Testament zieht sich diese Botschaft hindurch. Und das hängt natürlich auch damit zusammen, dass überall im Neuen Testament Kreuz und Auferstehung Jesu gleichsam als eine Einheit gesehen werden, als ein Geschehen, dessen Elemente sich nicht voneinander ablösen lassen. Kein Autor des Neuen Testaments konnte bei dem, was er schrieb, eben auch nur einen Augenblick davon absehen, dass der, dessen Tod am Kreuz er verkündigte, eben auch auferstanden war, als Auferstandener seine Jünger dazu beauftragt hatte, die Botschaft von seinem Kreuzestod und seiner Auferstehung zu verbreiten. Nein, der Kreuzestod Jesu wird im Neuen Testament wahrlich nicht verharmlost; nirgendwo wird der Eindruck erweckt, das sei ja alles gar nicht so schlimm gewesen, was Jesus da erlitten hatte; nirgendwo ist vergessen, was für ein schmachvolles Sterben der Kreuzestod Jesu für ihn mit sich brachte. Doch über diesem grausamen Tod leuchtet eben immer schon die Sonne der Auferstehung auf, wird in ihrem Licht schon der Gekreuzigte selber als Sieger erkennbar.
Als christliches Pascha, als Fest des Übergangs vom Tod zum Leben, haben die Christen der ersten Jahrhunderte die Tage von Gründonnerstag bis Ostern gefeiert und begangen. Da gab es keine isolierte Feier des Karfreitags; alles zielte in der Bewegung hin auf die Feier der Auferstehung. Martin Luther selber hat davon noch gewusst, und so gibt es von ihm auch kein eigenständiges Passionslied, wohl aber ein Lied vom christlichen Pascha, in dem er diesen Übergang vom Tod zum Leben so eindrücklich beschreibt, dass es ein Karfreitags- und Osterlied zugleich ist: Christ lag in Todesbanden, in unserem Gesangbuch die Nr.76. Lest es euch unter diesem Gesichtspunkt noch einmal neu durch, dann werdet ihr darin etwas wiederfinden von der Einheit von Kreuz und Auferstehung, in der das Kreuz immer auch schon zum Siegeszeichen wird!
Das Kreuz – Zeichen des Sieges. Oft genug ist es im Verlauf der Kirchengeschichte gerade in dieser Bedeutung auch missbraucht worden. „In hoc signo vinces“, „In diesem Zeichen wirst du siegen“, so hatte es der Legende nach eine himmlische Stimme Konstantin dem Großen zugeflüstert, und so ließ er vor der entscheidenden Schlacht um die Herrschaft im römischen Reich das Zeichen Christi auf die Schilder seiner Soldaten malen. Und siehe da – er gewann, setzte die Duldung des christlichen Glaubens in seinem Reich durch, bereitete so seiner Ausbreitung den Weg. Nein, wir haben als Christen keinen Grund, es Konstantin in irgendeiner Weise nachzumachen, das Kreuz als Maskottchen zu missbrauchen oder gar Waffen mit Bibelsprüchen zu versehen, wie dies leider unlängst aus der amerikanischen Armee bekannt geworden ist. Dass Christus am Kreuz Tod, Sünde und Teufel besiegt, bedeutet nicht, dass er uns Christen damit die Lizenz zum Siegen, die Lizenz zum Erfolg gegeben hätte. Im Gegenteil: Vergessen wird nie: Christus siegt gerade dadurch, dass er leidet und stirbt. Sein Sieg verbirgt sich für den Betrachter gerade unter dem Gegenteil. Und so ist es auch mit uns: Wer etwa glaubt, das kleine Kreuz um den Hals würde ihn vor Unglück schützen, der hat vom Sinn des Kreuzes als Siegeszeichen noch nicht viel kapiert. Das Kreuz leitet uns vielmehr dazu an, den Sieg Christi, seine Kraft, gerade da zu entdecken, wo wir sie nach unserer Erfahrung gerade nicht vermuten würden: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“, schreibt der Apostel: Was für Christus am Kreuz galt, gilt auch für uns: Der Sieg vollzieht sich in der Schwachheit. Und genau das üben wir jetzt auch wieder ein, wenn wir nun gleich das Mahl des Gekreuzigten feiern, seinen Leib und sein Blut empfangen, für uns am Kreuz dahingegeben und vergossen. Völlig unscheinbar ist, was hier geschieht, widersinnig erscheint es, dass die Gemeinschaft mit einem Gekreuzigten uns das Leben schenken soll. Doch genauso ist es, und so ist auch das Mahl, das wir jetzt feiern, schon hier und jetzt ein Siegesmahl, Feier des Sieges Christi über Sünde, Tod und Teufel. Wem Christus selber dafür nicht die Augen geöffnet hat, der mag nur den Kopf schütteln über so viel Widersinn, der mag sich auch heute auf das Zeichnen von dümmlichen Karikaturen des Gekreuzigten verlegen und sich dabei besonders geistreich vorkommen. Doch wer erkannt hat, was dort am Kreuz in Wahrheit geschehen ist, dem wird der Anblick des Kreuzes immer lieber und wichtiger werden – der Blick auf das Zeichen des Sieges. Amen.