01.04.2010 | 1. Korinther 11, 23-29 (Gründonnerstag)

GRÜNDONNERSTAG – 1. APRIL 2010 – PREDIGT ÜBER 1. KORINTHER 11,23-29

Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach's und sprach:2 Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund3 in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt. Wer nun unwürdig4 von dem Brot isst oder aus dem Kelch des Herrn trinkt, der wird schuldig sein am Leib und Blut des Herrn. Der Mensch prüfe aber sich selbst, und so esse er von diesem Brot und trinke aus diesem Kelch. Denn wer so isst und trinkt, dass er den Leib des Herrn nicht achtet, der isst und trinkt sich selber zum Gericht.

Für viele Menschen gibt es hier in Deutschland jeweils zu Silvester ein festes Ritual: Man setzt sich abends vor den Fernseher und schaut sich den Film „Dinner for One“ an, der am Silvesterabend zum Fernsehprogramm so sicher dazugehört wie das Amen zu der Kirche. Da sitzt man dann also vor der Glotze und schaut sich ein Gedächtnismahl der besonderen Art an: Die Gäste der alten Lady sind alle schon tot; doch die Lady besteht darauf, dass jedes Jahr genau dasselbe Ritual vollzogen wird, und wenn die Gäste selber das Ritual nicht mehr vollziehen können, dann muss es eben der arme Butler für sie machen: Same procedure as last year? Same procedure as every year! Jedes Jahr dieselbe Prozedur – und so werden durch das schauspielerische Talent des Butlers die guten alten Zeiten noch mal lebendig, als die Gäste des Mahles alle noch sichtbar waren.
Same procedure as last year? Same procedure as every year! Das gilt doch auch für das Mahl, das wir an diesem Abend, und zwar nicht nur an diesem Abend, sondern immer wieder feiern, wenn wir hier in diesem Gotteshaus zusammenkommen. Größten Wert legen wir darauf, nicht an der Stiftung unseres Herrn Jesus Christus herumzubasteln, seine Stiftungsworte ebenso wenig zu verändern wie die Elemente des Mahls, das er gestiftet hat. Ein Mahl feiern wir hier, das aus längst vergangenen Zeiten stammt, dessen Stifter nachweislich bereits vor fast 2000 Jahren gestorben ist und an dem wir als Christen doch nicht weniger hängen als die Fernsehgemeinde am „Dinner for One“ am Silvesterabend. Was unterscheidet also das Mahl, das wir heute Abend feiern, von diesem Dinner for One, mal abgesehen davon, dass hier auf dem Weg zum Altar kein Tigerfell liegt?
Schon die äußeren Umstände deuten auf den entscheidenden Unterschied hin: Was im Fernsehen am Silvesterabend gezeigt wird, ist einfach nur grotesk; an dem Geschehen, was uns da gezeigt wird, können wir uns gar nicht beteiligen, können uns nur von Herzen darüber kaputtlachen, wie die alte Lady versucht zu ignorieren, dass Vergangenheit eben Vergangenheit ist, sich in Wirklichkeit nicht in die Gegenwart holen lässt. Bei dem Mahl, das wir heute Abend feiern, sind wir nicht einfach bloß Zuschauer. Sondern wir werden selber mit hineingenommen in ein Geschehen, das so atemberaubend ist, dass es uns nicht zu grölendem Gelächter, sondern zum Staunen und zur Anbetung verleitet. Nein, nicht todtraurig geht es bei uns zu; es ist ein fröhlicher Ernst, mit dem wir dieses Mahl feiern. Denn hier bei dieser Feier werden wir Zeugen, ja Beteiligte gleich einer dreifachen Wandlung:
-    Vergangenheit und Zukunft werden Gegenwart.
-    Brot und Wein werden Leib und Blut des Herrn.
-    Die Teilhabenden an diesem Mahl werden selber zum Leib Christi.




I.
Nur kaputtlachen kann man sich über den Versuch der alten Lady und ihres Butlers, die Vergangenheit noch einmal Gegenwart werden zu lassen: Der Butler versucht dies mit einer schauspielerischen Glanzleistung, versucht zu imitieren, nachzumachen, was doch längst vergangen ist.
Was heute Abend und immer wieder in unseren Gottesdiensten geschieht, ist kein Schauspiel. Wir sind hier nicht zu einer Gedächtnisfeier zusammengekommen, versuchen nicht, in historischen Kostümen noch einmal nachzuspielen, was sich damals vor fast 2000 Jahren im Abendmahlssaal von Jerusalem ereignet hat. Wäre das Heilige Mahl nicht mehr als eine Gedächtnisfeier, dann könnte man getrost darauf verzichten, dann wäre eine solche Feier noch nicht einmal lustig, geschweige denn irgendetwas anderes.
Doch, so möchte man einwenden, redet nicht Jesus selber in den Worten, die Paulus hier zitiert, davon, dass das Mahl, das er stiftet, gefeiert werden soll zu seinem Gedächtnis? In der Tat: Immer wieder sind diese Worte so missverstanden worden, als sei das Heilige Mahl in der Tat nur eine Art von frommem Dinner for One. Doch wenn Christus hier vom „Gedächtnis“ redet, dann meint er unendlich mehr als bloß eine liebevolle Erinnerung an einen Toten und die guten alten Zeiten mit ihm. Das wird schon an der Einleitung deutlich, die der Apostel Paulus hier dem Einsetzungsbericht des Heiligen Mahles voranstellt: Vom Herrn selbst hat er diese Worte empfangen, er, der letzte Auferstehungszeuge, er, der Jesus überhaupt erst nach seiner Auferstehung kennengelernt hat. Der auferstandene Christus spricht also in diesen Worten; er ist es, der gewährleistet, dass diese Worte nicht bloß Bericht von Vergangenem sind, sondern immer wieder von Neuem gegenwärtig werden lassen, was damals erstmalig geschehen ist in der Nacht, da er verraten ward. Christus gebrauchte damals den Apostel Paulus, gebraucht bis heute seine Diener, um immer wieder von Neuem geschehen zu lassen, was einst noch vor seiner Kreuzigung geschah. Nein, es liegt nicht an den schauspielerischen Qualitäten des Pastors, dass wir auch heute Abend wieder in den Abendmahlssaal in Jerusalem mit hineingenommen werden; es liegt allein an dem auferstandenen und gegenwärtigen Christus selber, dass Vergangenheit und Gegenwart in der Feier dieses Mahles zusammenfallen, dass die Differenz von fast 2000 Jahren verschwindet, wenn nachher wieder die heiligen Worte über dem Brot und Wein laut werden. Genau das ist mit dem Wort „Gedächtnis“ gemeint, man könnte auch übersetzen: Das tut, damit ich mit meinem Opfer bei euch gegenwärtig bin. Ja, lobpreisend gedenken wir heute Abend in den Gebeten, die die Einsetzungsworte umrahmen, der großen Taten unseres Gottes, des Heils, das Christus durch seinen Tod und seine Auferstehung für uns erworben hat – und wissen dabei zugleich: Wir werden heute Abend ein Teil dieser Geschichte, nicht weil wir die Zeitdifferenz ignorieren würden, nicht weil wir hier etwas spielen würden, sondern weil es derselbe Herr ist, der damals in der Nacht, da er verraten ward, seine Worte sprach und sie auch heute wieder über den Gaben des Mahls spricht.
Vergangenheit wird Gegenwart – Eben so verkündigen wir den Tod des Herrn bei jeder Sakramentsfeier. Und diese Verkündigung, sie geschieht, so betont es der Apostel, „bis er kommt“. In die Zukunft blicken wir bei jeder Feier des Heiligen Mahls: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Dem wiederkommenden Christus feiern wir entgegen – und erfahren doch schon heute und hier, dass er kommt: Maranatha – unser Herr kommt, hier und jetzt, wenn er selbst die Worte über den Gaben spricht, sie zu seinem Leib und Blut werden lässt. Vergangenheit wird Gegenwart, und Zukunft wird Gegenwart – Beides ereignet sich hier im Heiligen Mahl zugleich. Unsere irdische Zeit wird überholt durch den Himmel, der hier in dieser Mahlfeier in unsere Gegenwart hereinbricht. Ja, same procedure as every year – immer wieder das Gleiche. Und doch etwas völlig Anderes als das Schauspiel, das wir am Silvesterabend zu sehen bekommen!

II.
Doch im Zentrum dieser Wandlung, in der Vergangenheit und Zukunft gegenwärtig werden, steht eine andere Wandlung, ohne die die Wandlung der Zeit letztlich hohl und überflüssig bliebe: Brot und Wein, die Elemente des Heiligen Mahles, bleiben nicht bloß Brot und Wein, werden selber in der Kraft der Worte des gegenwärtigen Christus zu Seinem Leib und Blut.
Im Dinner for One geht es überhaupt nicht um das, was gegessen wird. Auf dem Tisch steht nur etwas zu trinken – aber das Entscheidende ist die Handlung, die geschieht. Dass die Getränke, die der arme Butler zu sich zu nehmen hat, offenkundig wirklichen Alkohol enthalten, trägt zur Erheiterung der Zuschauer bei; doch darüber hinaus hat das, was da verzehrt wird, keine besondere Bedeutung – es kann zum Schluss eben auch das Blumenwasser sein, das der Butler austrinkt. Und vor allen Dingen: Er trinkt es allein; wir schauen nur zu, sind nicht selber Teilhaber an diesem verrückten Dinner.
In dem Mahl, das wir heute Abend feiern, geht es dagegen um wirkliches Essen und Trinken. Nichts nützen würde uns dieses Heilige Mahl, wenn wir als Zuschauer in den Bänken sitzen bleiben würden und uns nur angucken würden, was hier vorne geschieht. Nein, gleich sechsmal spricht der Apostel in der kurzen Epistel dieses Abends davon, dass wir selber bei diesem Mahl essen und trinken. Doch entscheidend ist dabei, was wir essen und trinken: nicht bloß Brot und Wein, sondern wirklich und wahrhaftig den Leib und das Blut des Herrn, denselben Leib, der am Tag nach der ersten Feier des Heiligen Mahls an Kreuz geschlagen wurde, dasselbe Blut, das am Karfreitag am Kreuz vergossen wurde. Nicht in unserer Erinnerung werden Brot und Wein zum Leib und Blut des Herrn, nicht in unserer persönlichen Vorstellung und Fantasie, nicht durch unseren Glauben: Allein das Wort Christi ist es, das dieses Wunder zu bewirken vermag: Das ist mein Leib, das ist der neue Bund, das neue Testament in meinem Blut.
Drastisch bringt der Apostel Paulus selber hier zum Ausdruck, wie real diese Worte gemeint sind: Wer unwürdig von diesem Brot und isst oder aus dem Kelch des Herrn trinkt, der wird schuldig sein am Leib und Blut des Herrn. Wer betrunken zum Heiligen Mahl kommt und gar nicht mehr richtig wahrnimmt, was er da empfängt, der stört nicht bloß die anderen Abendmahlsgäste, sondern der versündigt sich am Leib und Blut des Herrn, die offenkundig auch dann von ihm empfangen werden, wenn er sich das selber gar nicht richtig klarmacht. Wer das Heilige Mahl empfängt und in Wirklichkeit gar nichts davon wissen will, dass Christus für ihn wie auch für die anderen Gäste des Heiligen Mahls gleichermaßen gestorben ist, der wird schuldig – nein, nicht bloß an Brot und Wein, wie könnte man daran auch schuldig werden!, sondern am Leib und Blut des Herrn. Ja, das Allerheiligste und darin den Allerheiligsten empfangen wir im Heiligen Mahl, tun gut daran, uns deshalb auf diesen Empfang entsprechend vorzubereiten, zu bedenken, wie wenig wir es verdient haben, an diesem Mahl teilhaben zu dürfen, ja auch, uns zu versöhnen mit Menschen, mit denen wir im Unfrieden leben. Dies ist ein wichtiger Grund, warum wir in aller Regel vor dem Heiligen Mahl die Beichte halten, Gott unsere Schuld bekennen und darauf seine Vergebung empfangen. Nein, es geht nicht darum, dass wir gleichsam nur sündlos zur Kommunion treten dürften, im Gegenteil: Gerade dann sind wir würdig, das Sakrament zu empfangen, wenn wir erkennen, wie unwürdig wir sind – und gerade dann sind wir nicht würdig, das Sakrament zu empfangen, wenn wir allen Ernstes glauben, würdig zu sein, Gottes Vergebung nicht nötig zu haben.
Ernste Worte richtet der Apostel an die Christen in Korinth und auch an uns: Nie und nimmer darf das Heilige Mahl zu einer frommen Partyveranstaltung, zu einem netten Gemeinschaftsmahl degenerieren. Es ist und bleibt das Mahl des wahren Leibes und Blutes unseres Herrn, es bleibt sein Kelch, aus dem wir trinken, es ist nicht unser Kelch, über den wir verfügen könnten. Ja, darum halten wir uns an die procedure, die Christus einst gestiftet hat, basteln daran nicht herum, eben weil es hier um das Zentrum unseres Glaubens geht. Und doch sollen uns die Mahnungen des Apostels ja keine Angst machen, sollen uns gerade nicht mit Zittern und Zagen an den Altar treten lassen: Innigste Gemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus wird uns hier doch geschenkt, Teilhabe an seinem neuen Bund, der allein auf der Vergebung der Sünden beruht. Ja, allen Grund haben wir, das Heilige Mahl nicht bloß wie das Dinner for One nur einmal im Jahr zu feiern!

III.
Und noch von einer dritten Wandlung spricht der Apostel Paulus hier in der Epistel des Gründonnerstags: Jawohl, einzeln kommen wir hierher nach vorne zum Sakrament, können auch keinen ersatzweise hierher nach vorne schicken. Aber wenn wir hier dann alle miteinander teilhaben am Leib des Herrn, sind wir nicht länger bloß Einzelne, werden wir miteinander zusammengeschlossen zu dem Einen Leib des Herrn: Wir empfangen den Leib des Herrn und werden dadurch zum Leib des Herrn. Nein, die Feier des Heiligen Mahles ist niemals bloß ein zusammengelegtes Dinner for One, niemals bloß eine Zusammenfügung von einzelnen Privatkommunionen. Wenn wir zum Sakrament gehen, können und dürfen uns die anderen nicht gleichgültig sein, mit denen wir uns hier gemeinsam am Altar einfinden.
Nein, wir werden der Gabe und dem Wesen dieses Heiligen Mahles nicht gerecht, wenn wir nur darauf aus sind, unsere persönliche Christusbegegnung hier im Sakrament zu erfahren. Ja, natürlich haben wir diese Christusbegegnung hier, so intensiv wie nirgends sonst auf dieser Welt. Aber derselbe Christus, der in uns Wohnung nimmt, nimmt eben auch in dem Bruder und der Schwester neben mir Wohnung. Und darum kann und darf es uns niemals egal sein, was der Bruder oder die Schwester neben mir für Nöte hat, kann und darf ich mein Herz vor dieser Not nicht verschließen. Damals in Korinth wandte sich der Apostel Paulus scharf dagegen, dass die reicheren Gemeindeglieder zu einer Zeit, in der es natürlich noch keine Sonntagsvormittagsgottesdienste, ja überhaupt keinen freien Sonntag gab, sich bereits am Nachmittag versammelten, gut aßen und auch einem guten Schluck Wein nicht abgeneigt waren, und dann, wenn die Sklaven hungrig und müde von der Arbeit zum Gottesdienst kamen, gleich mit der Sakramentsfeier begannen, ohne Rücksicht zu nehmen auf die leiblichen Nöte und Bedürfnisse dieser Ärmsten unter den Gemeindegliedern. Damit, so ermahnt der Apostel die Christen in Korinth, habt ihr diese dritte Wandlung, die sich bei der Sakramentsfeier vollzieht, noch überhaupt nicht verstanden: Dass ihr alle miteinander zu dem einen Leib Christi zusammengeschlossen werdet, in dem ein Glied dem anderen dient. Wer sein Herz vor der Not des Bruders und der Schwester am Altar verschließt, der achtet den Leib des Herrn nicht, der immer wieder neu durch die gemeinsame Teilhabe am Leib des Herrn Wirklichkeit wird, der steht in der Gefahr, sich an diesem Leib Christi zu versündigen.
Wenn Paulus also davor warnt, den Leib des Herrn unwürdig zu empfangen, dann geht es ihm nicht darum, uns zu einer Konzentrationshöchstleistung am Altar aufzufordern, sondern dann geht es ihm darum, dass wir mit unserem Verhalten gegenüber anderen Gemeindegliedern nicht dem widersprechen, was wir selber beim Empfang des Sakraments gerade empfangen und werden. Nicht drohen will er uns, sondern uns unsere Augen öffnen für dieses dritte Wunder, das die Feier des Heiligen Mahls so grundsätzlich von jenem Dinner for One unterscheidet: Wir sind nicht allein hier am Tisch; da gibt es andere neben uns, von Christus genauso geliebt wie wir selber. Übersieh sie nicht, wenn du nachher wieder aus der Kirche gehst, sondern freue dich gemeinsam mit ihnen über das dreifache Wandlungswunder, das du auch heute wieder erleben darfst, wenn Vergangenheit und Zukunft Gegenwart, wenn Brot und Wein Leib und Blut Christi und wenn eine Ansammlung von Einzelnen zu dem einen Leib Christi wird. Mögen wir von dieser procedure in unserem Leben niemals genug bekommen! Amen.