13.06.2010 | Epheser 2, 17-22 (2. Sonntag nach Trinitatis)

ZWEITER SONNTAG NACH TRINITATIS – 13. JUNI 2010 – PREDIGT ÜBER EPHESER 2,17-22

Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben wir alle beide in "einem" Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.

Das muss man einfach miterleben: Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, Menschen, die sich vorher überhaupt nicht kannten, kommen an einem Ort zusammen, feiern miteinander, singen miteinander Lieder und Wechselgesänge, wachsen durch das gemeinsame Feiern zu einer großen Gemeinschaft zusammen, miteinander verbunden durch eine gemeinsame Überzeugung, einen gemeinsamen Glauben.
Nein, Schwestern und Brüder, ich habe jetzt gerade nicht von unseren Gottesdiensten geredet, die wir in unserer Gemeinde miteinander feiern. Sondern ich habe gerade geredet von der Fanmeile am Brandenburger Tor, die ab der nächsten Woche wieder geöffnet sein wird. Da kommen sie zusammen, die Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, da feiern sie, singen ihre Lieder, erleben Gemeinschaft im gemeinsamen Glauben an den WM-Sieg unserer deutschen Fußballnationalmannschaft. Ja, scheinbar gibt es doch einige Ähnlichkeiten zwischen der Gemeinschaft einer christlichen Gemeinde und der Gemeinschaft eines großen m mehr Paul Gerhardt und dem anderen eben mehr „Ole, ole, ole“ als Liedgut liegt, dass es dem einen mehr gefällt, hier in der Kirche zu sitzen, während andere lieber das Gedrängel der Massen lieben? O nein, so macht es uns St. Paulus in der Epistel dieses heutigen Sonntags deutlich: Der Unterschied zwischen einem Fanclub und der Kirche ist nicht nur eine Frage des Stils und Geschmacks; da gibt es weit grundlegendere Unterschiede. Ja, Kirche funktioniert eben in Wirklichkeit doch ganz anders als ein Fanclub:

- Sie gründet nicht auf gemeinsamen Sympathien.
- Sie lässt uns nicht bloß Zuschauer sein.
- Sie lässt uns nicht um den Sieg zittern.

I.

Was Fußballfans auf der Fanmeile am Brandenburger Tor miteinander verbindet, ist klar: Sie haben in aller Regel mehr oder weniger stark ausgeprägte Sympathien für die deutsche Nationalmannschaft. Und diese gemeinsamen Sympathien, die schweißen dann, so kann man es dort erleben, immer wieder auch wildfremde Menschen zusammen, führen dazu, dass sich am Ende diese wildfremden Menschen um den Hals fallen und umarmen.
So ähnlich verstehen auch nicht wenige die Kirche: Als eine Art von Jesus-Fanclub, als eine Versammlung von Menschen mit gemeinsamen religiösen Interessen und Überzeugungen, die sich durch diese Gemeinsamkeit gegenseitig angezogen fühlen und auf dieser Basis Gemeinschaft miteinander haben, eine Gemeinschaft, die dann sogar noch ein Stück verbindlicher und länger andauernd ist als bloß die Gemeinschaft eines Nachmittags, eine Gemeinschaft, die verbindlicher ist als die Gemeinschaft eines Fanclubs, auch wenn wir uns hier im Gottesdienst zumeist eher schwer damit tun, einander um den Hals zu fallen.
Doch diese Sicht von Kirche als Verein von religiös Gleichgesinnten ist in Wirklichkeit ein großer Irrtum, ein großes Missverständnis, so macht es uns St. Paulus hier in unserer Epistel deutlich: Die Kirche entsteht nicht dadurch, dass Menschen sich zur Ausübung ihres gemeinsamen Glaubens zusammenfinden, sondern Kirche entsteht immer wieder da, wo Christus mit seinem Wort am Werk ist, wo er Frieden verkündigt und Frieden schenkt – Frieden zwischen den Menschen und Gott und Frieden untereinander. Nein, die Kirche ist eben kein Verein, sondern sie gründet auf dem, was damals auf dem Hügel Golgatha geschehen ist, als Christus für uns am Kreuz starb, um alles wegzunehmen, was uns von Gott trennt, um allen Menschen den freien Zugang zu Gott zu eröffnen. Nicht wir Menschen finden uns zur Kirche zusammen, sondern Christus selber führt uns in die Kirche, hat dies schon getan in unserer Heiligen Taufe, lässt uns hier immer wieder das Wunder erfahren, dass wir hier in der Kirche freien Zugang haben zu Gott dem Vater, dass wir hier miteinander verbunden werden durch den einen Heiligen Geist, an dem wir durch das Wort und die Heiligen Sakramente Anteil erhalten.
Christus führt uns hier in seiner Kirche zusammen. Das heißt ganz praktisch: Wir sind nicht die Hausherren der Kirche, wir sind nicht der Vereinsvorstand, der darüber bestimmen könnte, wer denn nun zu diesem Verein dazugehören soll und wer nicht. Christus entscheidet das, wer hier mit dabei sein soll, und er richtet sich eben ganz offenkundig nicht bloß nach den Regeln der Soziologie, dass sich üblicherweise doch Menschen aus demselben gesellschaftlichen Milieu, Menschen mit ähnlicher Bildung, mit ähnlichen Interessen in einer Gruppe zusammenfinden. Im Gegenteil: Was St. Paulus damals schrieb, das ist auch für uns heute immer noch so aktuell: Christus hat auch in unserer Mitte die, die fern waren, und die, die nahe waren, zu einer Gemeinschaft zusammengeführt. Ja, da gibt es auch in unserer Mitte diejenigen, die immer schon in der Kirche dabei waren, die schon von klein auf mit dem Wort Gottes vertraut waren, die auch unsere Gemeinde schon seit vielen Jahrzehnten kennen mit all ihren Entwicklungen, die sie in dieser Zeit gemacht hat. Und da gibt es dann bei uns so viele, die fern waren, im geographischen wie im geistlichen Sinn, Menschen, die viele tausend Kilometer entfernt von uns geboren worden sind, die sich früher vermutlich nie hätten vorstellen können, hier in Berlin einmal in eine Kirche zu gehen. Ja, so viele Menschen gibt es bei uns, die in ihrem Leben auch geistlich der Kirche und dem Glauben erst einmal ziemlich fern standen, damit gar nichts anfangen konnten, die sich in der Kirche völlig fremd vorgekommen wären und sich vielleicht auch immer noch ziemlich fremd vorkamen, als sie das erste Mal zu uns gekommen sind. Aber dann hat Christus eben auch bei uns dieses Wunder geschaffen, dass beide, die Fernen und die Nahen, zu einer Gemeinschaft in dem einen Geist zusammengewachsen sind, dass es hier am Altar keinen Unterschied macht, ob jemand schon 60 Jahre oder erst zwei Monate zu unserer Gemeinde dazugehört. Nein, es ist eben auch nicht so, dass sich die, die neu dazugekommen sind, einfach an das anpassen mussten, was hier immer schon so war: Nein, Christus hat aus beiden, den Fernen und den Nahen, bei uns eine neue Gemeinschaft geschaffen, in der beide, die Fernen und die Nahen, gleichermaßen ein Zuhause haben, gleichermaßen auch voneinander profitieren. Nein, es sind nicht bloß die gemeinsamen Sympathien für religiöse Fragen, die uns hier zusammenschließen: Es ist Christus, der das Wunder vollbracht hat und vollbringt, dass wir alle miteinander hier in der Gemeinde unseren Platz haben.

II.

Damit sind wir schon bei einem zweiten entscheidenden Unterschied zwischen einem Fanclub und der christlichen Kirche: Fanclubs im Stadion oder beim Public Viewing sind immer nur Zuschauer; sie mögen ihre Mannschaft anfeuern; aber letztlich stehen sie eben nicht selber auf dem Spielfeld, bleiben bei jedem Fußballspiel letztlich nur Gäste.
Doch genau das seid ihr als Glieder der christlichen Gemeinde nicht: Ihr seid nicht mehr, so betont es St. Paulus hier ausdrücklich, Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. Nein, eine christliche Gemeinde funktioniert eben nicht so, dass es da vorne einen Pastor gibt, dem man dabei zuschaut, was der so alles in der Gemeinde macht, und dass es dann vielleicht noch ein paar Platzhirsche in der Gemeinde gibt, die so ihre Aufgaben haben, während der Rest dann immer mal wieder reinschaut und zuguckt, was denn die Gemeinde so macht. So ganz an den Haaren herbeigezogen ist solch eine Schilderung ja auch in unserer Gemeinde nicht. Ich erlebe das beispielsweise, wenn wir in unserer Gemeinde eine Gemeindeversammlung haben. Da ziehen dann nach dem Gottesdienst nicht wenige Gemeindeglieder einfach ab, signalisieren damit ziemlich offen: Das ist jetzt eigentlich gar nicht unser Ding; das sollen mal die anderen machen, die anderen entscheiden. Wir gehören da doch eigentlich gar nicht richtig dazu. Doch, ihr gehört mit dazu, alle miteinander; niemand von euch ist Gemeindeglied zweiter Klasse, niemand von euch ist Gast oder Fremdling, wenn er denn den Weg in unsere Gemeinde gefunden hat. Oder ich erlebe das mitunter auch bei Diskussionen über das leidige Thema „Finanzen“ in unserer Gemeinde: „Die Gemeinde will Geld von mir haben“, so oder so ähnlich bringt so manches Gemeindeglied seine Empfindungen in dieser Frage zum Ausdruck. „Die Gemeinde will Geld von mir haben“ – das klingt dann eben so, als ob die Betreffenden letztlich gar nicht so ganz zu ihr dazugehören, als ob da jemand von außen kommt und etwas von den Betreffenden haben will. Nicht einfach ist es dann mitunter, den Gemeindegliedern klarzumachen: „Die Gemeinde“ – das sind nicht bloß irgendwelche anderen, das ist erst recht nicht bloß der Kirchenvorstand oder der Rendant oder gar der Pastor, sondern das seid ihr selber: Ihr seid Hausbewohner in Gottes Haus, ihr gehört zu Gottes Familie; es geht um die gemeinsame Familienkasse, nicht um eine fremde Institution, die euch etwas wegnehmen will.
Doch die Tatsache, dass ihr Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen seid, kommt ja zuerst und vor allem nicht in den Pflichten zum Ausdruck, die ihr als Gemeindeglieder habt, sondern dass ihr Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen seid, ist ja zunächst und vor allem immer wieder ein ganz großes Privileg: Hier in unserer Gemeinde machen wir keinen Unterschied zwischen § 4, § 7 und § 8, nicht zwischen deutschen Staatsangehörigen und solchen, die hier in Deutschland vielleicht zurzeit offiziell nur geduldet werden. Im Reich Gottes habt ihr alle miteinander, die ihr getauft seid, die volle Staatsbürgerschaft, habt das volle Bleiberecht in Gottes Haus, unbefristet, selbst über den Tod hinaus. Aufgenommen worden seid ihr in Gottes Wohngemeinschaft in eurer Taufe, und nun dürft ihr in Gottes WG immer wieder gemeinsam mit ihm an einem Tisch sitzen, dürft ihm hier immer wieder begegnen, ohne dafür auch nur einen Antrag ausfüllen zu müssen. Gott lässt euch nicht warten – im Gegenteil: Er wartet auf euch, möchte nichts lieber, als dass euch das ganz klar ist, dass ihr ganz dazugehört – zu ihm und damit auch zu der Gemeinschaft der Brüder und Schwestern, zu der Gemeinschaft der getauften Heiligen. Nein, ihr seid keine Zuschauer; ihr steht mitten auf dem Platz, denn die Kirche ist unendlich mehr als bloß ein Fanclub!

III.

Noch in einer dritten Hinsicht unterscheidet sich die Kirche grundlegend von einem Fanclub: Ein Fanclub im Stadion oder vor der Großbildleinwand am Brandenburger Tor muss immer wieder neu um den Sieg seiner Mannschaft zittern. Er mag zwar das eine oder andere Erfolgserlebnis feiern können; aber oft genug zieht solch ein Fanclub am Ende dann doch ziemlich frustriert von dannen, weil es die Mannschaft, an die er geglaubt hatte, schließlich doch nicht geschafft hatte. Und selbst wenn beispielsweise die deutsche Nationalmannschaft nun in Südafrika Weltmeister werden sollte, wäre auch das ein Triumph, der in den kommenden Monaten und Jahren wieder verblasst, der in vier Jahren bei der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien schon nichts mehr wert ist.
Hier in der Kirche müssen wir nicht mehr zittern: Hier dürfen wir jetzt schon feiern, dass der Sieg endgültig feststeht, den Christus mit seinem Tod am Kreuz und seiner Auferstehung errungen hat. Nichts und niemand kann ihm die Weltherrschaft noch streitig machen; nichts und niemand kann ihn noch daran hindern, seinen Plan für seine Kirche umzusetzen. Er, Christus, steht gleichermaßen am Anfang und am Ziel des Weges seiner Kirche: Er hat die Grundlage gelegt, als er seine Apostel ausgesandt hat, die Botschaft von seinem Tod und seiner Auferstehung allen Menschen zu verkündigen, und dieses Fundament der Apostel und Propheten, das steht felsenfest, das ändert sich nicht mehr. Wir brauchen in unserer Kirche nicht unser Fähnlein nach dem jeweiligen Wind des Zeitgeistes auszurichten, wir brauchen nicht die apostolische Botschaft zu verändern, um unsere Zukunft als Kirche zu sichern. Die Kirche wächst und wird weiterwachsen – so verkündigt es St. Paulus hier. Das mag man nicht immer an den statistischen Zahlen einer bestimmten Kirchenorganisation ablesen können. Und doch ist es die Wahrheit, die sich seit 2000 Jahren immer wieder neu als Wahrheit erweist: Immer weiter und weiter wächst die Kirche, immer mehr Ferne kommen von überall in sie hinein, werden Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. Nein, nicht wir müssen versuchen, die Kirche mit allen möglichen Tricks und Mätzchen zum Wachsen zu bringen. Christus sorgt für das Wachstum seiner Kirche und auch für ihren Zusammenhalt, ist gleichsam der Schlussstein im großen Torbogen über dem Eingang der Kirche, der dem ganzen Bogen, ja letztlich dem ganzen Gebäude Zusammenhalt und Stabilität verleiht.
Wenn wir Menschen zu Christus und damit in unsere Gemeinde einladen, dann machen wir das nicht, um die Zukunft unserer Gemeinde und Kirche zu sichern, ja, womöglich noch das Kirchenbeitragsaufkommen unserer Gemeinde zu sichern. Sondern wir können und dürfen Menschen einladen zu Christus und in unsere Gemeinde, weil wir wissen, dass Christus seine Kirche wachsen lässt und dass darum immer wieder neu genügend Platz für neue Menschen ist, dass es in Gottes Haus niemals zu eng wird, auch wenn Kirchgebäude mitunter ein wenig zu klein erscheinen mögen.
Schwestern und Brüder, heute Abend wird es spannend, wenn Deutschland gegen Australien spielt. Es mag sein, dass ihr meine Predigt und diesen Gottesdienst insgesamt als nicht so spannend empfindet. Aber hier in der Kirche geht es eben auch um unendlich mehr als bloß um ein wenig Nervenkitzel und gute Unterhaltung. Hier geht es um deine ewige Zukunft. Ja, wie gut, dass du darum nicht mehr zittern musst, sondern jetzt schon weißt, wo du zu Hause bist: in Gottes Familie, in seinem Haus, dort, wo Christus, der Sieger aller Sieger, zu finden ist – und mit ihm all die anderen Hausbewohner, die Heiligen Gottes. Kommt, lasst uns darum gemeinsam das Siegesmahl halten! Amen.