19.09.2010 | 2. Timotheus 1, 7-10 (16. Sonntag nach Trinitatis)

16. SONNTAG NACH TRINITATIS – 19. SEPTEMBER 2010 – PREDIGT ÜBER 2. TIMOTHEUS 1,7-10


Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes. Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt, jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.


Vor einigen Jahren lasen wir im Jugendkreis miteinander die BRAVO. Ich hatte die Lektüre dieses Käseblattes bewusst mal auf das Jugendkreisprogramm gesetzt, damit wir gemeinsam entdecken konnten, auf welche Weise die Macher dieser Zeitschrift Jugendliche zu manipulieren und unter Druck zu setzen versuchen. Aber nun musste ich für diesen Jugendkreisabend natürlich erst einmal eine BRAVO oder nach Möglichkeit sogar mehrere besorgen. Die Jugendlichen, die ich ansprach, behaupteten, keine BRAVO zu besitzen. Also blieb mir am Ende nichts Anderes übrig, als mir selber eine BRAVO zu kaufen. Mann, war mir das peinlich! Ich sah schon die Blicke des Kioskbetreibers und der anderen Kunden, die da herumstanden, vor mir und konnte mir schon vorstellen, was die so dachten, wenn da ein Pfarrer in schon vorgerücktem Alter ankommt und sich eine BRAVO kauft: Na, wird der sich wohl zuerst die Nacktbilder in der Mitte anschauen, oder holt der sich doch eher Rat bei Doktor Sommer? Oder sollte ich mich vor diesem Kauf doch eher verkleiden: Kalkleiste weg, stattdessen einen auf Alt-68er machen? Die Zeit drängte schließlich, und so hielt ich schließlich auf dem Weg zu einem Gemeindeglied an einem Kiosk in einer Gegend weit weg von der Kirche an, wickelte den Kauf so schnell wie möglich ab und war dann froh, mit dem zweideutigen Druckerzeugnis wieder im Auto zu sitzen.
Ja, warum schämen wir Menschen uns eigentlich, warum ist uns eigentlich etwas peinlich? Zum einen gehören dazu, dass wir uns schämen, andere Menschen, vor denen wir uns schämen, andere Menschen, deren Erwartungshaltung wir mit dem, was wir gerade tun, nicht entsprechen, mit deren negativem Urteil über das, was sie sie da gerade bei uns miterleben, wir rechnen müssen. Und zum anderen gehört zum Schämen dazu, dass wir selber wissen, dass das, was wir da gerade tun, vielleicht doch nicht ganz in Ordnung, zumindest irgendwie zweideutig ist, ja, dass es zumindest etwas ist, was man nicht in der Öffentlichkeit zur Schau stellen sollte. Unser Schamempfinden veranlasst uns beispielsweise dazu, nicht in aller Öffentlichkeit bestimmte Familieninterna auszudiskutieren und bestimmte Aktivitäten dann doch eher auf das heimische Schlafzimmer zu beschränken und sie beispielsweise nicht mitten auf einem Gemeindefest zu praktizieren. Ja, wir können uns nicht nur für uns selber schämen, sondern auch für andere, zu denen wir in irgendeiner Beziehung stehen: Jugendliche schämen sich beispielsweise mitunter für ihre Eltern, wenn die sie in aller Öffentlichkeit immer noch wie kleine Kinder behandeln; ja, das ist ihnen dann mitunter extrem peinlich. Oder ich selber habe mich in der vergangenen Woche mal wieder kräftig fremdgeschämt für diesen durchgeknallten amerikanischen Pastor, der auf die geniale Idee gekommen war, Koranbücher verbrennen zu wollen, der es allen Ernstes für eine gute Idee hielt, religiöse Gefühle anderer zu verletzen, nur um sich selber in der Öffentlichkeit profilieren zu können. Nein, natürlich habe ich mit diesem Typen eigentlich nichts zu tun; aber wenn in den Nachrichten immer wieder von dem christlichen Pastor die Rede war, da war mir das schon selber peinlich, wie so jemand gleichsam die ganze Innung blamierte.
Ums Schämen beziehungsweise Nicht-Schämen geht es auch in der Epistel dieses 16. Sonntags nach Trinitatis. Da muss der Apostel Paulus seinen Schüler Timotheus ausdrücklich dazu auffordern, sich des Zeugnisses von unserem Herrn Jesus Christus nicht zu schämen. Das gibt es also offenbar, sogar in Pastorenkreisen, dass Menschen sich ihres Glaubens an ihren Herrn Jesus Christus schämen. Kennt ihr das auch, dass man sich schämt, wenn man auf seinen Glauben an Christus angesprochen wird? Ja, auch hier gilt wieder genau dasselbe, was ich eben allgemein über das Schämen gesagt habe: Wir stehen in der Gefahr, uns unseres Glaubens an Christus zunächst einmal deshalb zu schämen, weil die Menschen in unserer Umgebung da eine ganz andere Erwartungshaltung haben. Solange wir hier in der Kirche beieinander sitzen, solange wir im Jugendkreis zusammen sind, haben wir wenig Probleme damit, zu beten und unseren Glauben zu bekennen. Das machen die anderen um uns herum ja auch. Aber wenn es ums Tischgebet bei einer Klassenfahrt oder beim Mittagessen mit Arbeitskollegen geht, dann sieht die Sache schon ganz anders aus. Wenn wir uns in einem Kreis von Freunden aufhalten, die von Kirche und Glauben nicht die geringste Ahnung haben, dann sind wir vielleicht doch leichter geneigt, den Mund zu halten, nicht unbedingt von dem zu reden, was wir glauben; ja, dann sind wir oft genug sogar geneigt, uns lieber ganz den Freunden anzupassen, als mit einem Mal als Außenseiter dazustehen.
Und das wiederum hängt nun mit dem anderen Grund zusammen, weshalb Menschen sich schämen: Sie schämen sich, wenn etwas in die Öffentlichkeit gelangt, was doch nur ihre intimste Privatangelegenheit ist. Und genau so sehen wir unseren Glauben mitunter dann auch an: Als etwas ganz Privates und Intimes, was keinen anderen etwas angeht, genauso wenig wie das, was wir so in unserem Schlafzimmer treiben. Ja, dazu kommt noch etwas Anderes: Wir schämen uns unseres Glaubens mitunter nicht zuletzt deshalb, weil wir selber den Eindruck haben, dass wir das vor anderen eigentlich nicht ganz gut verteidigen können, was wir da tun und glauben, weil wir ganz tief im Inneren vielleicht doch denken, dass man ja nicht so ganz sicher sein kann, ob das wirklich alles so stimmt, was man da macht und glaubt. Vielleicht ist es ja doch alles nur Einbildung, vielleicht ist es ja tatsächlich so peinlich, sich als Christ zu outen, wie es für einen 16jährigen Jugendlichen peinlich wäre, wenn er zugeben müsste, dass er heimlich immer noch mit Barbiepuppen spielt.
Doch genau dagegen wendet sich nun der Apostel Paulus in unserer heutigen Epistel: Es geht in unserem christlichen Glauben nicht um irgendwelche religiösen Gefühle, die zu offenbaren uns peinlich sein müsste, es geht nicht um Einbildung und Fantasie, nicht um großes oder kleines Theater. Sondern es geht tatsächlich um Realität, um Wirklichkeit, um die letzte und entscheidende Wirklichkeit deines Lebens. Du bist kein Produkt des Zufalls, sondern du verdankst deine Existenz einem Schöpfer, der dafür gesorgt hat, dass es dich genauso wie alles andere, was auf der Welt besteht, überhaupt gibt. Gott ist Realität, nicht Einbildung, und entsprechend ist die wichtigste Frage auch deines Lebens, in welchem Verhältnis du zu deinem Schöpfer stehst, in welchem Verhältnis du zu dem stehst, vor dem du dich einmal mit deinem Leben wirst verantworten müssen. Nein, diese Frage muss nicht unbeantwortet bleiben, da brauchen wir nicht zu spekulieren. Sondern auf diese Frage hat Gott auch dir eine ganz eindeutige Antwort gegeben, so schreibt es der Apostel: Gott hat uns selig gemacht, so übersetzt Martin Luther, wörtlich heißt es da: Gott hat uns gerettet. Und gerettet heißt nicht weniger als dies, dass er es uns erspart hat, einmal für immer ohne ihn existieren zu müssen, das Ziel unseres Lebens endgültig zu verfehlen. Ja, das hat er getan, als er seinen Sohn Jesus Christus in diese Welt gesandt hat, als er durch ihn die Verbindung zwischen uns Menschen und sich wiederhergestellt hat. Und diese Verbindung hat er ganz persönlich zu dir hergestellt in deiner Heiligen Taufe, da hat er auch dich „berufen mit einem heiligen Ruf“, wie Paulus es hier formuliert, da hat er es dir auf den Kopf zugesagt: Du bist mein Kind, du und ich, wir gehören zusammen, sind von nun an untrennbar miteinander verbunden.
Ja, genau das und nicht weniger haben wir heute Morgen hier im Gottesdienst miterlebt: Nein, das war eben keine religiöse Familienfeier, als die kleine Amalia getauft wurde, auch nicht bloß eine feierliche Aufnahme in unsere Gemeinde. Sondern da ist tatsächlich etwas ganz Entscheidendes im Leben der kleinen Amalia passiert, da hat ein Ereignis stattgefunden, das wichtiger ist als alles andere, was Amalia künftig noch in ihrem Leben erfahren wird. Sie ist nun Kind Gottes, ganz reell, sie hat nun ein Leben, das auch der Tod nicht zerstören kann, ganz reell. Und genau das Gleiche gilt auch für den Gottesdienst insgesamt: Nein, das ist jetzt gerade keine religiöse Rede, die ich hier vom Stapel lasse und die ihr je nach Geschmack ganz unterhaltsam oder eher langweilig finden mögt. Sondern da spricht hier und jetzt der lebendige Christus in dein Leben hinein, will dich wachrütteln, will dir die Augen öffnen, damit dir klar wird, warum du keinen Grund hast, dich deines Glaubens zu schämen. Ja, da passiert jetzt gerade etwas, genauso wie gleich im Heiligen Abendmahl wirklich etwas passieren wird: Das ist nicht nur ein altmodisches Spiel, was wir hier betreiben, wenn ihr hier nach vorne kommt, um das Heilige Sakrament zu empfangen. Sondern da wird er euch ganz real auf die Zunge gelegt: der Leib des Herrn, der mit eben diesem Leib auferstanden ist, der den Tod besiegt hat und dir an seinem Sieg über den Tod nun gleich wieder Anteil gibt. Was hier und heute mit dir am Altar geschieht, das wird sich einmal auswirken bis in die letzte Stunde deines Lebens, ja, das wird sich gerade dann auswirken, wenn du einmal in einen Sarg gelegt werden wirst: Da wird derselbe Christus, der heute in dir Wohnung nimmt, dafür sorgen, dass das für dich nicht die Endstation ist, dass du tatsächlich auch einmal selber auferstehen und für immer mit Christus leben wirst. Nein, das ist kein Barbiepuppenspiel, was wir hier machen, auch wenn dich noch so viele deiner Freunde etwas mitleidig angucken mögen, wie du so beknackt sein kannst, dich da vorne niederzuknien und dich hier füttern zu lassen. Die, die da ihre beschränkten Urteile über dich abgeben, haben in Wirklichkeit das Entscheidende noch gar nicht wahrgenommen, das, was doch auch für sie selber das Allerwichtigste im Leben wäre, ja das Allerwichtigste ist, auch wenn sie davon jetzt noch keine Ahnung haben. Denn sie werden genauso wie du einmal antreten müssen vor demselben Christus, der hier und jetzt in unserer Mitte ist, und was dann geschehen wird, das hat Christus allerdings schon ganz klar und eindeutig angekündigt: Wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich der Menschensohn auch schämen, wenn er kommen wird in seiner Herrlichkeit. Wenn Christus dir peinlich ist, dann wirst du Christus auch einmal peinlich sein. Vergiss das nicht!
Und doch wollen weder Christus noch der Apostel Paulus dir hier nun Druck machen, dass du aus Angst vor dem kommenden Gericht dich mit Zittern und Zagen irgendwie doch zu Christus bekennst. Das hast du nicht nötig. Du kannst dir dein Bekenntnis zu Christus ohnehin nicht selber aus den Rippen schneiden. Du kannst dich ohnehin nur zu Christus bekennen, weil der dir seinen Heiligen Geist gegeben hat. Der Apostel Paulus erinnert den Timotheus hier an die Gabe des Heiligen Geistes, die er in seiner Heiligen Ordination empfangen hatte, als Paulus ihm die Hände aufgelegt und ihm damit das apostolische Amt anvertraut hatte. Ja, diese Gabe brauchte der Timotheus für seinen ganz besonderen Dienst. Doch auch ihr habt diesen Heiligen Geist empfangen, ja schon am Tag eurer Heiligen Taufe, und dann wieder ganz konkret bei eurer Heiligen Konfirmation, und auch danach immer wieder, wenn ihr das Wort Gottes gehört, wenn ihr das Heilige Mahl empfangen habt. Ja, da hat Gott euch seinen Geist gegeben, und dieser Geist, so betont es St. Paulus hier, ist nicht ein Geist der Furcht. Als Christen brauchen wir uns nicht zu fürchten – weder vor Gottes Gericht noch vor dem Gericht, das Menschen über uns abhalten mögen, vor dem, was sie über uns denken mögen. Denn wir haben doch stattdessen den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit, so formuliert es St. Paulus hier. Das heißt: Durch Gottes Geist sind wir dazu in der Lage, Rückgrat zu zeigen, uns auch dann zu Christus zu bekennen, wenn wir uns nicht in einer Mehrheitsposition befinden. Durch Gottes Geist sind wir dazu in der Lage, dies in Liebe zu tun, eben nicht so, dass wir diejenigen, die unseren Glauben nicht teilen, verletzen, wie jener Pastor in Florida, sondern so, dass wir ihnen mit der Liebe begegnen, die wir doch zugleich auch als Christen bezeugen. Und wir sind durch Gottes Geist dazu in der Lage, dies alles ganz nüchtern und besonnen zu tun, uns nicht gleich emotional angegriffen zu fühlen, wenn andere unseren Glauben nicht teilen.
Ja, Schwestern und Brüder, ich weiß, das klingt jetzt alles hier in der Kirche so schön einfach. Und wenn wir dann wieder aus der Kirche herausgehen, mag es uns mit unserem Bekenntnis zu Christus dann doch wieder leicht so ergehen wie mir bei meinem Kauf der BRAVO. Doch das muss eben auch nicht immer so bleiben. Je mehr uns hier im Gottesdienst aufgeht, dass wir es hier tatsächlich mit einer Realität, ja der entscheidenden Realität unseres Lebens zu tun haben, je mehr wir uns immer wieder von Neuem durch Gottes Geist stärken lassen, desto leichter wird es uns fallen, unsere Scham zu überwinden, unseren Glauben nicht bloß als Privatangelegenheit zu betrachten, sondern auch anderen etwas davon zu bezeugen, was in Wirklichkeit doch die wichtigste Nachricht der Welt ist: Gott hat uns gerettet, hat Christus, seinen Sohn, zu uns gesandt – für dich und für mich und für die, die im Augenblick noch blöde grinsen mögen, auch. Amen.