10.10.2010 | Epheser 4,22-32 | 19. Sonntag nach Trinitatis

Sie konnte es langsam nicht mehr hören: „Zieh dich doch endlich mal vernünftig an“, so lagen ihr ihre Eltern fast jeden Tag in den Ohren. „Hör endlich auf, in diesen zerfetzten Klamotten herumzulaufen! Schau dir doch mal an, wie sich die meisten anderen in deinem Alter anziehen! Die sehen nett und anständig aus. Nur du musst mit deiner verrückten Kleidung aus der Reihe fallen!“ Ja, immer wieder hörte sie diese Worte; doch sie wollte sich einfach nicht anziehen wie alle anderen auch, wollte ihren eigenen, ganz persönlichen Stil pflegen.

In der Epistel des heutigen Sonntags hören wir nun scheinbar ganz ähnliche Worte wie jene, die diese Jugendliche immer wieder so sehr nervten. „Zieht euch doch endlich mal vernünftig an!“ – So ruft es der Apostel Paulus den Christen in Ephesus, so ruft er es auch uns zu. Doch Paulus möchte gerade nicht, dass die Christen in Ephesus, dass auch wir uns mit unserer Kleidung an dem orientieren, was alle anderen auch anziehen und tragen. Im Gegenteil will er die Empfänger seines Briefes gerade dazu bewegen, sich eben nicht so anzuziehen wie alle anderen, sich nicht an dem zu orientieren, was alle anderen doch auch machen. Ja, alternativ sollen sich die Christen kleiden, so macht Paulus es hier deutlich, nein, nicht so, dass sie einfach ihren individuellen Stil pflegen, sondern so, dass sie die Kleidung anziehen, die seit dem Tag ihrer Taufe fertig für sie bereit liegt. Ja, diese Kleidung passt uns Christen genau, sie steht uns eigentlich auch sehr gut – aber wir fallen damit schon auf, fallen damit schon aus der Reihe, klinken uns damit aus der modischen Uniformität aus.

Brüder und Schwestern, ihr merkt schon, ich rede hier nicht bloß über irgendwelche Textilprodukte, nicht über Jeans oder Glitzerhemden. Paulus gebraucht hier das Bild von der Kleidung, weil wir mithilfe unserer Kleidung immer wieder schon zum Ausdruck bringen, wer wir sind und wie wir uns eigentlich selbst verstehen. Die aufgedonnerte junge Dame, die herumläuft wie eine lebendige Schaufensterpuppe, definiert sich mit ihrer Aufmachung genauso selber wie der Punk mit seinen zerrissenen Hosen. Der Banker in seinem dunklen Anzug signalisiert genauso etwas mit seiner Kleidung wie ich selber, wenn ich mit meiner Kalkleiste durch die Gegend laufe. Und in diesem Sinne spricht Paulus davon, dass wir in der Taufe einen Kleiderwechsel vorgenommen haben: Seit unserer Taufe besitzen wir eine ganz besondere Kleidung, das heißt: wir verhalten uns zu unserer Umgebung in einer ganz besonderen Weise, leben eben nicht mehr so, als seien wir gar nicht getauft, heben uns damit auch von anderen ab, fallen mit dieser Kleidung schon auf.

Ja, Schwestern und Brüder, so sollte es zumindest eigentlich sein. Doch in Wirklichkeit, so macht es uns St. Paulus hier deutlich, laufen wir auch nach unserer Taufe immer wieder am liebsten mit unseren alten Klamotten herum, die seit unserer Taufe uns eigentlich gar nicht mehr stehen, passen uns lieber an das an, was alle anderen auch tragen, wollen lieber nicht auffallen. Nein, das ist nicht bloß für Gott selber frustrierend, dass er uns so schöne neue Kleidung hinlegt, uns solch ein neues Leben ermöglicht, sondern das ist für uns lebensgefährlich, wenn wir glauben, nun doch nach unserer Taufe immer noch weiterleben zu können wie vorher. Denn ein Leben ohne Christus ist, so bringt es St. Paulus hier sehr deutlich zum Ausdruck, schlicht und einfach hohl, das hat letztlich keine Zukunftsperspektive, das endet schließlich im Dunkel des ewigen Todes, der ewigen Trennung von Gott. Darum wäre es für uns als getaufte Christen so irrsinnig, wenn wir nach unserer Taufe so weiterleben würden, als wären wir gar nicht getauft, als hätte unser Leben nicht durch die Taufe einen anderen Inhalt, ein anderes Ziel bekommen. Ja, darum ruft es St. Paulus den Christen in Ephesus, ruft er es auch uns so eindringlich zu: Legt den alten Menschen ab, die alten Klamotten eines Lebens ohne Christus, und zieht den neuen Menschen an, zieht wieder neu die Kleidung an, die euch seit eurer Taufe passt: das Leben in der Gemeinschaft mit Christus, eurem Herrn.

Ja, Schwestern und Brüder, ich weiß, das klingt jetzt alles gerade sehr nett und richtig, was ich euch sage, weil es einfach nur ein hübsches Bild zu sein scheint, mehr nicht. Doch dann wird der Paulus hier ganz konkret, so konkret, dass es uns schon wieder unangenehm erscheinen mag: Was, so praktisch hat meine Taufe, mein Christsein mit meinem Alltag zu tun? Ja, das hat es, so sagt der Apostel, das hat es so sehr, dass ihr allen Ernstes damit rechnen müsst, als Christen aufzufallen in eurem Alltag. Nein, Paulus hält uns hier, um das gleich mal deutlich zu machen, keine Moralpredigt. Ihm geht es nicht darum, dass wir uns anständig benehmen. Sondern es geht ihm darum, dass sich auch in unserem Verhalten im Alltag widerspiegelt, dass wir Menschen sind, die ein anderes Lebensfundament und ein anderes Lebensziel haben als diejenigen, die nicht getauft sind oder von ihrer Taufe gar nichts mehr wissen wollen.

Von dem, was wir reden, spricht der Apostel Paulus hier zunächst einmal. „Legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten“, so schreibt Paulus hier. „Legt die Lüge ab“, schreibt er. Es geht ihm also nicht bloß darum, dass wir nicht hier oder da die Unwahrheit sagen. Das wäre viel zu platt. Sondern Paulus weiß: Für viele Menschen ist die Lüge so etwas wie ein Gewand, eine Verkleidung, die sie in ihrem Leben tragen; ihr ganzes Leben ist so etwas wie gelebte Lüge. Sie ziehen nach außen hin eine Show ab und sind in ihrem Inneren doch etwas ganz Anderes, denken auch etwas ganz Anderes. Keiner soll mitbekommen, dass es ihnen in Wirklichkeit gar nicht so gut geht, wie sie es nach außen demonstrieren, dass sie in Wirklichkeit gar nicht so cool sind, wie sie sich nach außen geben, keiner soll mitbekommen, dass da in ihrem Inneren eigentlich eine große Leere herrscht. Gelebte Lüge ist das – die früher oder später auffliegt. Nein, gerade in der christlichen Gemeinde habt ihr solche gelebte Lüge nicht nötig, schreibt Paulus. Ihr seid doch untereinander Glieder an dem einen Leib Christi. Hier in der Gemeinde brauchen wir voreinander keine Show abzuziehen, da dürfen wir darauf vertrauen, dass wir auch mit unseren Schwächen, mit unserem Versagen, auch mit unserer Traurigkeit angenommen werden. Ja, das hoffe ich, dass das auch Außenstehende merken, die in unsere Gemeinde kommen, dass wir hier anders miteinander umgehen, dass wir hier einander nicht in den Kleidern der Lüge begegnen!

Doch wenn Paulus davon redet, dass wir die Lüge ablegen und die Wahrheit reden sollen, geht es ihm auch noch um etwas Anderes: Wir können auch dadurch lügen, dass wir mit unserem Leben und Reden verdecken, dass wir aus der Kraft der froh machenden Wahrheit des Evangeliums leben. Wenn ich beispielsweise mein Christsein durchaus sehr deutlich heraushängen lasse, zugleich aber mich aufführe wie das wandelnde Jüngste Gericht oder wie ein fleischgewordene Spaßbremse, wenn ich Menschen in meiner Umgebung mit meinem Reden oder Verhalten den Eindruck vermittle, sie müssten eigentlich die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen haben, weil sie nicht so gut sind wie ich, dann lüge ich, dann widerspreche ich mit meinem Leben der Botschaft, die ich als Christ doch eigentlich zu bezeugen habe. Wenn ich auf der einen Seite mein Christsein heraushängen lasse und auf der anderen Seite über Menschen herziehe mit Bemerkungen, die Gottes unterschiedslose Liebe zu allen Menschen nur schwer erkennbar werden lassen, dann lüge ich. Ja, dringend nötig haben wir es von daher, uns selber immer wieder von dieser froh und frei machenden Kraft des Evangeliums prägen zu lassen. Wenn mir das persönlich klar wird, dass ich selber nur durch Gottes Vergebung vor Gott bestehen kann und nicht, weil ich letztlich doch ein ganz anständiger Mensch bin, dann kann ich mit dem Versagen anderer Menschen anders umgehen. Wenn mir das persönlich klar wird, dass Christus wirklich für alle Menschen am Kreuz gestorben ist, dann wird das auch mein Reden über andere Menschen bestimmen. Wenn das für mich das Wichtigste in meinem Leben ist, was Gott mir in seinem Wort sagt, dann wird mir das schon wichtiger sein, was ich im Feste-Burg-Kalender lese, als was mir mein Horoskop oder die Glücksnuss bei Facebook sagt, dann werde ich mich auch nicht bloß mit allgemeinem oberflächlichem Gequatsche begnügen und meine Zeit nur damit verbringen, herauszufinden, wer denn laut Facebook mein Lover des Tages sein könnte. Ja, was Paulus hier schreibt, das hat in der Tat mit unserem ganz alltäglichen Leben zu tun.

Und genauso fährt er dann auch fort: „Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen!“ schreibt Paulus. Nein, Paulus behauptet nicht, dass Zorn von vornherein Sünde ist. Von Christus wird in den Evangelien wiederholt berichtet, dass er zornig gewesen ist, wenn er mitbekam, dass Menschen dem liebevollen Willen Gottes entgegen handelten und von ihm nichts wissen wollten. Ja, es ist richtig, wenn wir darüber zornig sind, wenn Menschen Unrecht widerfährt, wenn ihnen ihre Würde genommen wird, wenn sie verleumdet werden und sich dagegen nicht wehren können. Christen brauchen nicht einfach immer nur harmlos und lieb zu sein; die tun sehr wohl gut daran, sich in dieser Welt auch immer wieder einzumischen, ihren Mund aufzumachen, ja auch zu protestieren. Und auch in einer christlichen Gemeinde dürfen wir durchaus einander auch einmal die Meinung sagen, ja auch streiten. Aber eines ist dabei wichtig: Wir stehen, wenn wir zornig werden, wenn wir mit anderen streiten, immer leicht in der Gefahr, dem Verursacher unseres Zorns nicht mehr in Liebe zu begegnen, Person und Sache durcheinanderzubringen, ja, wir stehen in der Gefahr, dem Verursacher unseres Zorns nicht mehr mit der Bereitschaft zur Vergebung zu begegnen. Und damit eröffnen wir, so formuliert es Paulus hier, dem Teufel Spielräume in unserem Leben. Der wartet nur darauf, dass sich unser Zorn steigert, dass er uns dazu veranlasst, andere Menschen mit Worten zu verletzen, ihnen Fehler nachzutragen, ihnen gegenüber Hass in unserem Herzen zu hegen. Ja, der wartet nur darauf, unser Leben zu vergiften, den Frieden in unserem eigenen Herzen und das Verhältnis zu anderen. Ja, lieber Bruder, liebe Schwester, überlege dir mal ganz persönlich, wo du in deinem Leben dem Teufel in dieser Hinsicht Spielräume eingeräumt hast, überlege dir, ob es Menschen in deinem Leben gibt, mit denen du abgeschlossen hast, denen du nach dem letzten Streit nicht mehr die Hand reichen würdest, überlege dir, wo Hass und Bitterkeit auch in deinem Herzen nagen und bohren und dich nicht zur Ruhe kommen lassen! Paulus gibt uns hier einen ganz praktischen Rat, der nicht alle Probleme löst, der aber doch sehr hilfreich sein kann: Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen! Wenn du mit einem Menschen aneinandergeraten bist, und magst du dich noch so sehr im Recht empfinden, dann tu, was dir möglich ist, um die Angelegenheit noch vor Sonnenuntergang wieder in Ordnung zu bringen, damit der Teufel erst gar keine Chance bekommt, seine Saat bei dir und bei dem anderen aufgehen zu lassen. Ja, ich weiß, das passt nicht zu der Devise: „Wie du mir, so ich dir!“ Aber Paulus möchte eben, dass wir nicht in den alten Klamotten herumlaufen, in denen Menschen sich sonst einander begegnen; er weiß, dass wir seit unserer Taufe andere Kleidung zur Verfügung haben: „Vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus!“

Schwestern und Brüder, der Paulus bringt hier in unserer Epistel noch eine ganze Reihe von anderen Beispielen, die wir jetzt auch noch bedenken könnten. Hochaktuell ist es beispielsweise, wenn er hier schreibt: „Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann.“ Arbeitet – nicht, damit ihr reich werdet, damit ihr euch immer mehr leisten könnt, sondern arbeitet, damit ihr den Bedürftigen umso mehr abgeben könnt! Ja, das sind wirklich ganz andere Kleider, die Paulus uns Christen da hinhält, als die Kleider, in denen wir im Augenblick in vielen gesellschaftlichen Diskussionen, in vielen Talkshows und Stammtischgesprächen einander begegnen. Arbeiten, um abgeben zu können – das setzt voraus, dass ich weiß, was in meinem Leben wirklich wichtig ist und zählt, dass ich mein Herz eben gerade nicht an mein Hab und Gut hänge, dass ich mich nicht durch Statussymbole selber definiere, sondern weiß, dass Gott mich mit meinem Leben braucht, um für andere da sein zu können.

„Zieht euch endlich vernünftig an!“ – Wir merken schon, wie wir auf die Worte des Paulus ähnlich allergisch reagieren mögen wie die Jugendliche auf die Worte ihrer Eltern. Nein, die Kleidung, die Paulus uns hinhält, die scheint uns überhaupt nicht zu passen, die scheint nur peinlich zu sein. Doch Paulus widerspricht uns an dieser Stelle: Auch wenn du es zunächst nicht glaubst: Diese Kleidung, die ich dir empfehle, die passt dir in Wirklichkeit ganz wunderbar, die steht dir, die hat Gott extra für dich so angefertigt. Wage es immer wieder neu, sie anzuziehen, wage es, auch wenn du damit ganz schön aus dem Rahmen fällst! Nein, die Liebe Gottes, die ist nicht davon abhängig, ob du in seinen Augen immer auch richtig angezogen bist. Der liebt dich auch, wenn du wieder mal den alten Schlabberlook trägst. Aber gerade weil er dich liebt, weiß er, warum es für dich und für die anderen gut ist, wenn du es wagst, anders zu leben, anders aufzutreten, eben ernst zu nehmen, dass du ein getaufter Christ bist. Nein, die Taufe ist eben nicht bloß ein nettes Aufnahmeritual in die Kirche; da ist bei dir wirklich alles anders geworden. Nimm das ernst, ja, lass dir von Christus nun gleich wieder beim Kleiderwechsel helfen, wenn du hier nach vorne kommst, um seinen Leib und sein Blut zu empfangen! Da schenkt er dir wieder einen neuen Anfang, da lässt er es dich wieder erfahren, wie gut du es hast, mit ihm, in seiner Gemeinschaft leben zu dürfen. Mit seiner Liebe, mit seiner Vergebung umhüllt er dich hier. Mensch, darin siehst du wirklich todchic aus! Amen.