11.03.2009 | St. Matthäus 26, 41 (2. Fastenpredigt zum Thema „7 Wochen mit“: Das Gebet)

MITTWOCH NACH REMINISZERE – 11. MÄRZ 2009 – ZWEITE FASTENPREDIGT ZUM THEMA „7 WOCHEN MIT“: DAS GEBET (ST. MATTHÄUS 26,41)

Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.

7 Wochen mit“ – Um diese Aktion des Amtes für Gemeindedienst unserer Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche soll es auch in dieser Fastenpredigt wieder gehen. Anleiten lassen wollen wir uns von dieser Aktion, uns mit dem Reichtum der Quellen des Heils zu befassen, aus denen wir als Christen immer wieder schöpfen dürfen, in besonderer Weise auch jetzt in diesen Wochen der Fastenzeit. Quellen des Heils – ja, dass wir uns in den Fastenpredigten unter diesem Vorzeichen mit dem Wort Gottes, mit dem Heiligen Abendmahl, mit der Heiligen Beichte beschäftigen, ist naheliegend und verständlich. Aber passt in diesen Zusammenhang denn nun auch das Gebet, um das heute in dieser Fastenpredigt gehen soll? Ist das Gebet nicht vielmehr Ausdruck unserer Frömmigkeit, etwas, was wir tun, und von daher gerade nicht eine Quelle des Heils?
In der Apologie des Augsburger Bekenntnisses, einer Bekenntnisschrift unserer evangelisch-lutherischen Kirche, finden sich zu diesem Thema bedenkenswerte Ausführungen von Philipp Melanchthon: Er befasst sich im 13. Artikel mit der Frage der Zahl der Sakramente, beginnt damit, dass zweifelsohne Taufe, Abendmahl und Beichte Sakramente sind, fährt dann fort zu begründen, warum man auch die Heilige Ordination ein Sakrament nennen könne, und kommt dann schließlich aufs Gebet zu sprechen. Er schreibt: „Wenn wir alle Dinge als Sakramente bezeichnen wollen, die ein Gebot Gottes haben und denen Verheißungen gegeben sind, warum fügen wir dann nicht das Gebet hinzu, das man ganz gewiss ein Sakrament nennen kann? Denn das Gebet hat sowohl einen Befehl Gottes als auch zahlreiche Verheißungen, und wenn man es unter die Sakramente rechnet, ihm also diese hervorgehobene Stellung zuweist, dann lädt dies die Menschen zum Beten ein.“
Beten – ein Sakrament, das Gottes Befehl und seine Verheißung hat? Es lohnt sich offenbar, im Rahmen dieser Fastenpredigten genauer zu bedenken, warum das Gebet auch mit zu dem geistlichen Reichtum gehört, aus dem wir als Christen in der Fastenzeit, aber natürlich auch darüber hinaus immer wieder schöpfen dürfen.
Nun ist das mit dem Predigen über das Gebet immer so eine Sache: Das Gebet hat man nicht zu Unrecht als das Atmen des Glaubens bezeichnet. So selbstverständlich, wie wir als Menschen atmen, ohne dass wir dafür eine große Anleitung bräuchten, ohne dass wir daran immer wieder erinnert werden müssten, so selbstverständlich ist es für den Glauben auch, sich zu äußern, im Gebet mit Gott zu sprechen. Doch genauso wie es Atemübungen gibt, die unserer Gesundheit förderlich sein können, kann es durchaus sinnvoll sein, sich auch über das scheinbar so selbstverständliche Atmen des Glaubens im Gebet Gedanken zu machen und sich noch einmal bewusst zu machen, was wir da eigentlich tun, wenn wir uns im Gebet an Gott wenden. Unter drei Aspekten wollen wir dies in dieser Fastenpredigt tun:
Beten ist zunächst einmal und vor allem Einübung des Lebens aus der Taufe. Christliches Beten ist seinem Wesen nach etwas Anderes als die Ausübung eines religiösen Urbedürfnisses des Menschen, sich einem höheren Wesen gegenüber zu öffnen und in der Not Hilfe von ihm zu erbitten. Beten ist von der Heiligen Schrift her etwas ganz Anderes als bloß geistliche Bedürfnisbefriedigung. Sondern christliches Beten gründet in der Heiligen Taufe und wird durch die Taufe überhaupt erst ermöglicht. In der Alten Kirche wurden die Katechumenen in den Wochen der Fastenzeit auf ihre Heilige Taufe in der Osternacht vorbereitet. Ganz am Schluss der Unterweisung stand dabei interessanterweise das Vaterunser: Erst direkt vor ihrer Taufe erfuhren die Taufbewerber, was für ein besonderes Privileg es ist, Gott Vater nennen zu dürfen, ihn im Gebet als Vater anreden zu dürfen, ein Privileg, das ihnen bald darauf in der Taufe zuteil wurde.
Christliches Beten richtet sich also nicht an ein höheres Wesen, auch nicht an den lieben Vater überm Sternenzelt, sondern es richtet sich an den Vater, der mich ganz konkret in der Heiligen Taufe adoptiert und mir damit das Recht gegeben hat, ihn als Vater anzureden und mich jederzeit an ihn im Gebet zu wenden. Christliches Beten geschieht von daher zugleich immer „durch Jesus Christus, unsern Herrn“, geschieht also immer wieder so, dass Jesus dabei als der Herr bekannt wird, wie dies auch in der Taufe selber der Fall gewesen ist, geschieht so, dass dabei immer zugleich bekannt wird, dass allein Christus uns den Weg zum Vater, zum Vaterherz Gottes eröffnet hat und offenhält. Und christliches Beten geschieht zugleich immer in der Kraft des Heiligen Geistes, der uns in der Taufe geschenkt worden ist. Denn allein dieser Heilige Geist befähigt uns dazu, Gott Abba, lieber Vater, zu nennen, so vertraut mit Gott zu reden, wie wir dies als getaufte Christen dürfen.
Wie die Beichte eine immer neue Rückkehr zur Taufe ist, so ist das Gebet eine immer neue Einübung des neuen Lebens aus der Taufe; ja in ihm gewinnt das neue Gottesverhältnis Gestalt, das uns in der Taufe geschenkt worden ist. Schwestern und Brüder, es mag wohl sein, dass uns dies bei unserem Beten in aller Regel gar nicht so bewusst ist, und das braucht es auch nicht: Gut ist es, wenn uns dieses vertraute Verhältnis zu Gott so selbstverständlich geworden ist, dass wir dies gar nicht mehr in besonderer Weise bedenken. Aber es kann eben doch hilfreich sein, wenn wir gerade jetzt in der Fastenzeit wieder einmal neu darüber staunen, was für ein ungeheures Privileg wir haben, beten zu dürfen, nein, nicht allein beten zu dürfen, sondern zugleich die Verheißung zu haben, dass unser Gebet auch von unserem Vater gehört wird, dass es nicht irgendwo in den Tiefen des Weltalls oder schon weit davor ungehört verhallt, sondern dass Gott, unser Vater, jedes Wort ernst nimmt, das wir ihm sagen, ernster noch, als wir es selber nehmen mögen. Ach, wenn uns das keine Lust zum Beten macht!
Beten ist zweitens ein immer neues Einüben des Ersten Gebotes. Es geht im Ersten Gebot ja nicht bloß darum, dass es uns als Christen untersagt ist, in unseren Wohnungen Altäre für Buddha aufzustellen und vor ihnen niederzufallen. Sondern das Erste Gebot zielt ja immer wieder neu auf unser Herz, genauer gesagt auf das Vertrauen unseres Herzens. Wem vertrauen wir in unserem Leben, wem vertrauen wir uns an, auf wen setzen wir unsere Hoffnungen? Was uns als Christen theoretisch so klar zu sein scheint, dass natürlich allein Gott die Antwort auf diese Fragen ist, stellt sich in unserem Alltag oft genug ganz anders dar, wenn es konkret um unsere Finanzen, um unsere Gesundheit, um unsere Sorgen um die Zukunft geht. Da tauchen auch bei uns so schnell alle möglichen Ersatzgötter auf, Dinge, an die wir unser Herz hängen, von denen wir Hilfe erwarten. Und da sind wir eben auch Christen nicht davor gefeit, unser Herz an Geld und Besitz zu hängen, Sternzeichen eine Bedeutung für unser Leben einzuräumen oder uns von abergläubischen Vorstellungen beeindrucken zu lassen.
Gegen all dies ist das Gebet das allerbeste und heilsamste Gegenmittel. Wenn ich mich im Gebet an Gott, meinen Vater, wende, dann richte ich damit immer wieder neu mein Vertrauen auf ihn, erwarte von ihm, dass er mir zu helfen, dass er mich auch durch alles Schwere hindurchzutragen vermag. Wenn ich Gott darum bitte, mich in meinem Leben zu leiten und zu führen, dann verlieren darin und damit die Sternzeichen und allerlei abergläubische Vorstellungen ihre Bedeutung für mein Leben, dann brauche ich mich vor nichts zu fürchten, was mir angeblich Unglück bringen könnte, ja, dann kann ich ganz ruhig werden, weil ich weiß: Gott wird mein Gebet hören und so darauf antworten, wie es für mich am besten ist. Ja, indem ich Gott um Hilfe in den kleinen und großen Belangen meines Lebens bitte, gebe ich ihm die Ehre, erkläre ihn für zuständig für all dies, was ich ihm vortrage, nehme ihn als Gott wirklich ernst. Unterschätzen wir sie darum nicht, die Hilfe, die uns das Gebet bietet, um unser Leben immer wieder am Ersten und wichtigsten der Zehn Gebote auszurichten!
Und schließlich ist das Gebet immer wieder auch eine Einübung unseres geistlichen Priestertums. In unserer Taufe hat Christus uns alle miteinander zu Priestern gemacht, zu Menschen, deren Auftrag es ist, für andere vor Gott mit unserer Fürbitte einzutreten, ja deren Aufgabe es ist, Mittler zu sein zwischen Menschen, die von Gott nichts wissen, und dem Leben in der Gegenwart Gottes. Nein, die Fürbitte, die wir für andere Menschen tun, sollte eben nicht bloß persönlicher Betroffenheit entspringen und nicht bloß bedingt sein durch die persönliche Nähe, die wir zu Menschen empfinden, die uns besonders lieb und wichtig sind. Sondern als Priester haben wir den Auftrag, gerade auch für solche Menschen zu beten, für die sonst vielleicht kein anderer betet, für Menschen, die selber nicht oder nicht mehr beten können, für Menschen, bei denen wir schlicht und einfach erkennen, dass sie jetzt gerade unsere Fürbitte besonders nötig haben. Als von Gott gesalbte Priester beten wir dann, mit der Verheißung im Rücken, dass Gott unsere Fürbitten hört, weil wir sie ihm ganz unmittelbar vortragen dürfen. Ja, solche Fürbitte weitet zugleich unseren eigenen Horizont, bewahrt uns vor dem Kreisen um uns selbst, um unsere eigenen kleinen und großen Probleme, lässt uns einen Dienst versehen, dessen Bedeutung wir vermutlich immer wieder selber gewaltig unterschätzen. Ja, das Gebot Gottes und seine Verheißung hat gerade auch die Fürbitte für andere Menschen, und damit hat diese geradezu etwas Sakramentales an sich, das uns immer wieder zum Gebet locken soll und darf, gerade da, wo das Gebet unter den vielen anderen Verpflichtungen des Alltags so schnell in der Versenkung zu verschwinden droht.
Das Gebet – Einübung des Lebens aus der Taufe, Einübung des Ersten Gebots, Einübung des geistlichen Priestertums. Zu jedem dieser drei Aspekte will ich euch abschließend jeweils einen kleinen praktischen Hinweis geben:
Erstens: Überlegt euch, wie ihr es einrichten könnt, dass ihr euch jeden Tag in eurem Gebetsleben ganz konkret an eure Heilige Taufe erinnern lasst und von ihr her euer Gebetsleben gestaltet. Das kann ein Dankgebet für die Heilige Taufe sein, das ihr an jedem Morgen sprecht, das kann das Taufgelübde sein, mit dem ihr euren Tag beginnt, das kann in der allerkürzesten Form auch das Kreuzeszeichen selber sein, wenn man es ganz bewusst als Form der Tauferinnerung vollzieht. Lasst euch so durch die Erinnerung an die Taufe jeden Tag vor Augen stellen, was für ein Privileg es ist, dass ihr beten dürft, dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel, der euch hört!
Zweitens: Überlegt euch, wie ihr es einrichten könnt, dass ihr euch in eurem Gebet jeden Tag ganz bewusst auf eine Verheißung Gottes beruft und Gott auf diese Verheißung ansprecht. Es gibt so viele Verheißungen, so viele Versprechen Gottes, die er uns in der Heiligen Schrift macht. Sammeln wir diese Verheißungen, nehmen wir sie als Verheißungen wahr, die uns als getauften Christen gelten, und gestalten wir unsere Gebete von diesen Verheißungen her. Das kann uns helfen, unser Gebet immer wieder neu als Einübung in das Erste Gebot zu gestalten, als Einübung des Vertrauens auf Gott und seine Verheißungen.
Und drittens: Falls ihr nicht schon längst eine habt: Überlegt euch, ob ihr euch nicht auch eine Fürbittliste zulegen könnt, eine Liste mit Namen von Menschen, für die ihr ganz bewusst jeden Tag betet, ja auch von Menschen, auf die ihr bei spontanen Gebeten nicht unbedingt gleich immer schnell kommen würdet. Und wenn ihr dann von der konkreten Not eines Menschen erfahrt, wenn ihr selber mit Menschen zu tun habt, bei denen ihr merkt, dass sie eure Fürbitte brauchen, dann fügt sie eurer Fürbittliste hinzu. Ja, denkt daran: Ihr habt als Priester einen Auftrag, den ihr auch und gerade dann noch wahrnehmen könnt, wenn euch vielleicht manches Andere in der Gemeinde nicht oder nicht mehr möglich ist. Aber ihr habt eben nicht bloß einen Auftrag – ihr habt dabei eine wunderbare Verheißung, dürft wissen, dass ihr mit eurer Fürbitte für andere den schönsten und wunderbarsten Dienst ausübt, den es auf der Welt überhaupt gibt.
„Wacht und betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt“ – Die Worte Jesu aus dem Heiligen Evangelium dieses Abends beinhalten ebenfalls eine Aufforderung zum Gebet und öffnen uns zugleich die Augen dafür, dass wir uns mit unserem Gebet immer in einen Kampf begeben: Denn der Teufel mag es überhaupt nicht, wenn wir beten, wird immer wieder alles versuchen, um uns davon abzuhalten, von dieser Kraftquelle, ja von dieser Quelle des Heils Gebrauch zu machen, wird uns vor allem immer wieder zu zeigen versuchen, dass wir für das Gebet schlicht und einfach keine Zeit haben. Nein, allein wären wir in diesem Kampf verloren. Aber wir führen diesen Kampf eben nicht allein: Christus, der Hohepriester, tritt mit seiner Fürbitte selber für uns ein und stärkt uns damit den Rücken in diesem Kampf, lässt uns erkennen, was für eine heilsame Waffe das Gebet ist, was für eine Hilfe für uns und für andere. Ja, wie gut, dass wir uns daran auch durch die Aktion „7 Wochen mit“ wieder neu erinnern lassen durften! Amen.