24.05.2009 | St. Johannes 15, 26 – 16, 4 (Exaudi)

EXAUDI – 24. MAI 2009 – PREDIGT ÜBER ST. JOHANNES 15,26 – 16,4

Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir. Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen. Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt. Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit. Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen. Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr daran denkt, dass ich's euch gesagt habe. Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei euch.

Nun haben wir es also auch ganz offiziell bescheinigt bekommen: Wir Christen sind eine „Randgruppe“ in unserer Stadt Berlin, so erklärte es der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit am Abend der Abstimmung über den Volksentscheid zu Pro Reli. Und während sich der Regierende Bürgermeister anderen Randgruppen in unserer Stadt durchaus in besonderer Weise fürsorglich zuzuwenden weiß, war das Signal gegenüber den Christen klar: Die brauchen wir nicht weiter ernst zu nehmen, die können wir auch als Wählergruppe vernachlässigen.
Schwestern und Brüder: Sagen wir es ganz ehrlich: So unrecht hat Klaus Wowereit mit seiner Analyse nicht, auch wenn man sehr wohl fragen kann, ob sein herablassender Umgang mit der von ihm ausgemachten Randgruppe für einen Regierenden Bürgermeister wirklich angemessen war. Aber, wie gesagt: In der Sache hat Klaus Wowereit gar nicht so ganz unrecht: Natürlich, auf dem Papier gehört noch beinahe jeder dritte Berliner einer christlichen Kirche an. Aber die Zahl derer, die sich mit Kirche und Glauben noch identifizieren, die dazu bereit sind, für ihren christlichen Glauben auch noch einzustehen, ist sehr viel geringer, so hat es auch der Volksentscheid gezeigt. Christen geraten in unserer Stadt, und gewiss nicht nur in unserer Stadt, zunehmend aus dem Blickwinkel der Menschen. Da erhalte ich beispielsweise immer wieder einmal Einladungen zu Konzerten der Studienstiftung des Deutschen Volkes, zu der ich seit meinem Studium gehöre. Selbstverständlich finden diese Konzerte sonntags morgens um 11 Uhr statt. Auf die Idee, dass eine nennenswerte Anzahl von ehemaligen Studenten zu dieser Zeit in der Kirche sein könnte, kommt man gar nicht mehr. Und genau dasselbe erfahrt ihr ja in eurem Alltag vermutlich auch immer wieder: Mit dem Hinweis darauf, dass man sonntags morgens einen Termin nicht wahrnehmen kann, weil man in dieser Zeit in der Kirche ist, kann man bei den Menschen in seiner Umgebung doch mittlerweile einiges Erstaunen hervorrufen. Rücksicht genommen wird darauf kaum einmal: Das Fußballspiel oder das Sonntagsbrunch wiegen allemal schwerer. Und das ist ja durchaus nicht alles: Schülern kann es passieren, dass sie von ihren Klassenkameraden ausgelacht, ja sogar vom Ethiklehrer blöde angemacht werden, wenn sie sich zu ihrem christlichen Glauben bekennen. Unter Mitarbeitern in der Firma kann es einem passieren, dass man schnell zum Sonderling abgestempelt wird, wenn man zu deutlich heraushängen lässt, dass man Christ ist. Ja, in mancherlei Weise erfahren wir es in unserem Alltag, dass wir als Christen in unserer Stadt zur Randgruppe geworden sind.
Nun könnten wir damit ja vielleicht noch ganz gut umgehen. Noch schmerzlicher ist es für so manchen, wenn er oder sie feststellen muss, dass man mit dem Festhalten am Wort der Heiligen Schrift, am Wort des Herrn sogar in der eigenen Kirche, in der man immer zu Hause war, zu einer Randgruppe wird, in die Ecke gedrängt, mit Totschlagworten wie „Fundamentalist“ bedacht oder sogar offen dazu aufgefordert wird, diese Kirche zu verlassen, weil in ihr zwar für alle möglichen Positionen, nicht jedoch für diese Platz sei. Nicht wenige von euch haben diese Erfahrung gemacht, bevor sie hier in unsere Gemeinde gekommen sind, haben das Randgruppendasein, ja die Herausdrängung aus dem früheren geistlichen Zuhause am eigenen Leibe erfahren. Nein, so etwas kann man nicht einfach mal so abschütteln, das steckt einem in den Knochen, bereitet einem Anfechtungen, mitunter noch über lange Zeit.
Und damit, Schwestern und Brüder, sind wir nun schon mitten drin im Heiligen Evangelium dieses Sonntags Exaudi. Da bereitet Christus seine Jünger, bereitet er damit auch uns vor auf die Zeit, in der wir jetzt leben, auf die Zeit zwischen seiner Auferstehung und Himmelfahrt und seiner Wiederkunft. Nein, er verheißt uns keine glorreichen Zeiten, keine Zeiten, in denen Kirche und Gesellschaft allmählich immer mehr eins werden, sondern er bereitet seine Jünger, bereitet auch uns auf eine Randgruppenexistenz vor, macht uns sehr deutlich, dass das Leben als Christ eben gerade nicht unbedingt der bequemere, der einfachere, der menschlich betrachtet schönere Weg ist, den wir eingeschlagen haben. Doch Christus will uns mit seinen Worten gerade nicht zum Jammern verführen, zum Jammern über die gottlose Welt, über die schlimmen Zustände in der Kirche, über unsere traurige Lage. Ganz im Gegenteil: Mutmachworte sind es, die wir eben aus seinem Munde vernommen haben, Mutmachworte, die uns wieder neu auf die Quellen verweisen, aus denen wir als Christen schöpfen dürfen. Nein, wir stehen eben gerade nicht allein da. Sondern wir haben

- das Wort Jesu
- den Geist Jesu

I.

Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten, die eigene Wirklichkeit, gerade auch die eigene kirchliche Wirklichkeit wahrzunehmen und zu deuten. Meinungsumfragen und Meinungsbilder sind da heutzutage ein beliebtes Instrument: Zahlen bekommt man dadurch in die Hand, und diese Zahlen verwandeln sich dann unter der Hand ganz schnell in Argumente: Wenn soundsoviel Prozent etwas für richtig halten, dann muss das doch auch richtig sein; wenn soundsoviel Prozent etwas für überholt und nicht mehr zeitgemäß halten, dann muss man doch die Konsequenzen ziehen und daran nicht immer noch weiter festhalten, und wenn man feststellt, dass man selber zu einer kleinen Minderheit gehört, dann bleibt einem scheinbar nichts Anderes übrig, als sich an die Mehrheit anzupassen, um weiter bestehen zu können.
Christus leitet seine Jünger, leitet auch uns hier dazu an, anders mit den Erfahrungen umzugehen, die wir als Christen, die wir gerade auch als scheinbare Randgruppe machen. Ganz offen kündigt er seinen Jüngern an, was auf sie im Weiteren zukommt: Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen, so lässt er es sie zunächst einmal wissen. Die jüdische Synagoge – sie war natürlich das geistliche Zuhause der Jünger, das geistliche Zuhause so vieler Christen in den ersten Jahrzehnten der Kirche. Juden waren sie, und dadurch, dass sie nun zum Glauben an den Messias Jesus gefunden hatten, hörten sie ja nicht auf, Juden zu sein, gab es für sie keinen Grund, künftig ihr Judesein zu verleugnen. Doch die Zeit wird kommen, so kündigt es Jesus seinen Jüngern hier an, dass ihnen genau dieses selbstverständliche Zuhause genommen werden wird, die Zeit wird kommen, in der ihnen ihre Zugehörigkeit zum Judentum um ihres Bekenntnisses zum Messias Jesus willen abgestritten werden wird, sie rausgeschmissen werden. Ja, die Zeit wird kommen, so kündigt es Jesus seinen Jüngern an, in der ihr um eures Bekenntnisses zu mir willen fürchten müsst umgebracht zu werden – nein, nicht bloß von irgendwelchen gottlosen Regimen, sondern von Menschen, die meinen, dies um ihres Glaubens willen tun zu müssen, Gott selber einen Dienst damit zu erweisen.
Mehr als 1900 Jahre später können wir erkennen, wie sich in der Geschichte der Kirche immer und immer wieder erfüllt hat, was Christus damals den ersten Jüngern angekündigt hatte. Die Exkommunikation der Christen aus den Synagogengemeinden erfolgte noch im ersten Jahrhundert, hatte wohl schon stattgefunden, als Johannes die Worte Jesu in seinem Evangelium aufschrieb. Ja, bis heute haben es Juden, die an Jesus als ihren Messias glauben, nicht leicht: Von ihren jüdischen Volksgenossen werden sie als Verräter behandelt, wird ihnen bis heute das Judesein in vielen Fällen abgesprochen, und hier in Deutschland sind sie zumindest in den Evangelischen Landeskirchen auch kirchlicherseits nicht gerade wohlgelitten. Auf den Evangelischen Kirchentagen dürfen sie nicht auftreten, und hier in Berlin werden ihnen vonseiten der Evangelischen Landeskirche auch keine Räumlichkeiten für ihre Gottesdienste zur Verfügung gestellt.
Christen werden ausgeschlossen aus der Gemeinschaft – Erfahrungen sind das, die die Väter und Mütter unserer freien lutherischen Kirche im 19. Jahrhundert in vielfältiger Weise gemacht haben. Einsame Wege sind sie oft genug gegangen, haben Schikanen und Gefängnis in Kauf genommen um ihres Festhaltens am Wort Christi willen. Ähnliches erfahren zurzeit nicht wenige lutherische Christen in Finnland, die von ihrer eigenen Kirche um ihres Festhaltens am Wort Christi willen aus der Kirche gedrängt, ja zum Teil von der Kirche vor staatlichen Gerichten verklagt werden, so berichteten es uns am letzten Montag im Bibelgesprächskreis die finnischen Studenten mit ihrem Pastor, die am vergangenen Sonntag auch hier bei uns im Gottesdienst waren. Und wie aktuell klingen diese Worte Jesu erst recht in den Ohren von Christen, die in muslimischen Ländern leben, wie aktuell klingen diese Worte, wenn man die entsprechenden Passagen aus dem Koran hört, in denen ausdrücklich dazu aufgefordert wird, Christen zur höheren Ehre Allahs umzubringen. Ja, die Worte Christi, sie erweisen ihre Wahrheit bis auf den heutigen Tag immer wieder aufs Neue.
Und genau darum hat er, Christus, diese Worte damals auch gesprochen, so macht er es hier seinen Jüngern deutlich: Denkt daran, dass ich es euch gesagt habe, so fordert er die Jünger auf. Denkt daran, dass ich euch all dies angekündigt habe, wenn ihr den Eindruck haben mögt, da liefe irgendetwas falsch in eurem Leben, denkt daran, damit ihr ja nicht von mir abfallt, euren Glauben verleugnet, weil er mit so vielen Nachteilen verbunden ist. Denkt daran: Ich habe es euch gesagt.
Uns zum Trost sagt Jesus diese Worte, lässt uns damit etwas von der Macht und Wahrheit seines Wortes erahnen. Wer sich in seinem Glauben und Bekennen an Meinungsumfragen und Meinungsbildern orientiert und sich von ihnen beeindrucken lässt, wer glaubt, dadurch geistlich und kirchlich überleben zu können, dass er sich an den Zeitgeist anpasst, der wird schnell feststellen, wie die Zeit über ihn hinweggeht, dem geht es wie dem Kapitän eines Schiffes, das aus so viel Eisen gebaut ist, dass der Kompass immer wieder nur auf das Schiff selber zeigt und nicht nach Norden. Die Worte Jesu hingegen mögen unbequem sein; aber sie erweisen immer wieder von Neuem ihre Wahrheit im Wechsel der Zeiten, so macht Christus es uns hier selber deutlich. Was er gesagt hat, das hat Bestand, auch nach 1900 Jahren; darauf kann man sich verlassen, während eine Modeströmung nach der anderen vergeht. Ob wir eine Randgruppe sind oder nicht – das ist gar nicht entscheidend. Hauptsache, wir halten uns an das Wort des Herrn und fallen von ihm nicht ab, auch und gerade dann nicht, wenn wir unter Druck geraten. Nein, wir stehen eben nicht allein da; wir haben das Wort des Herrn, das uns auch weiter die Richtung weist.

II.

Nun könnte man aus diesen Worten Jesu schnell eine falsche Schlussfolgerung ziehen: Machen wir die Schotten dicht, ziehen wir uns zurück, kämpfen wir weiter als das letzte gallische Dorf gegen die böse Welt, die uns schaden will, halten wir durch bis zum bitteren Ende!
Doch zu solch einer Burgmentalität sieht Christus selber gar keinen Anlass. Im Gegenteil: Er verspricht seinen Jüngern, verspricht auch uns, uns auszurüsten und zu befähigen, damit wir auch gegenüber anderen Menschen von Christus und seinem Wort Zeugnis ablegen können.
Nein, die Hilfe, die Jesus seinen Jüngern, die er auch uns zusagt, besteht nicht in irgendwelchen Konzepten und Programmen, nicht in irgendwelchen Seminaren und Schulungen, die uns fit machen für einen Außeneinsatz, die uns helfen, in die Offensive zu gehen und für wachsende Gemeindegliederzahlen zu sorgen. Nein, die Hilfe, die Jesus seinen Jüngern und auch uns zusagt, besteht in einer Person, die er zu uns sendet. Der „Tröster“, so bezeichnet ihn Martin Luther in seiner Übersetzung. Man könnte das Wort auch mit „Rechtsanwalt“ oder „Beistand“ oder „Helfer“ übersetzen. Klar ist bei all diesen Übersetzungen das eine: Wir stehen als Christen nicht allein da; wir sind nicht darauf angewiesen, dass wir selber immer den Durchblick haben oder uns diesen Durchblick verschaffen. Dieser Tröster, der Heilige Geist, er ist es, der uns in die Wahrheit leitet, der uns hilft, nicht auf das hereinzufallen, was eine zufällige Mehrheit gerade für richtig und für wichtig hält, er ist es, der uns klar erkennen lässt, wer Jesus Christus wirklich ist, und der uns die Kraft schenkt, ihn auch anderen Menschen zu bezeugen.
Nein, fürchterlich originell ist der Heilige Geist nicht. Er kennt eigentlich nur ein Thema: Seine einzige Aufgabe besteht darin, Menschen die Augen für Christus zu öffnen, ihnen Jesus als den Christus, als den Herrn und Retter der Welt zu bezeugen, ja ihnen zu bezeugen, dass dieser Christus nicht bloß eine interessante Person der Weltgeschichte, sondern hier und jetzt gegenwärtig ist, durch ihn, den Heiligen Geist, selber mit den Menschen in Verbindung tritt. Und das macht der Geist Gottes gerade nicht so, dass er unvermittelt auf uns herabfällt, sondern so, dass er durch das Wort Christi an uns, an unseren Herzen wirkt. Dadurch erhalten die Worte Christi erst ihre eigentliche Kraft, dass sie nicht bloß irgendwelche ganz interessanten Vorhersagen sind, die sich dann bemerkenswerterweise auch erfüllt haben, sondern dadurch erhalten die Worte Christi erst ihre eigentliche Kraft, dass Gottes Geist durch sie wirkt und uns und anderen Menschen hilft, diese Worte als Worte des lebendigen Christus an uns zu hören und so an ihn, Christus, zu glauben.
Und damit weisen Christus und der Heilige Geist uns gleichermaßen an das Wort, an das Wort Christi, wie wir es im Gottesdienst hören, wie wir es in der Heiligen Schrift hören und lesen können. Dringend nötig haben wir es, dieses Wort immer wieder zu hören, uns immer intensiver damit zu befassen. Wenn wir dieses Wort Christi nicht haben, wenn es uns nicht vertraut ist, dann ist die Gefahr für uns so groß, dass wir abfallen, wie Christus es hier formuliert, dass wir uns von dem, was uns umgibt, dass wir uns von den Bewertungsmaßstäben unserer Umwelt so sehr beeindrucken lassen, dass wir gar nicht einsehen, weshalb wir uns um unseres Bekenntnisses zu Christus willen alle möglichen Nachteile einhandeln sollten. Wenn wir das Wort Christi nicht haben, wenn es uns nicht vertraut ist, dann droht uns als Kirche die Gefahr, geistlos zu werden, droht uns die Gefahr, auf uns selber, auf unsere eigenen Möglichkeiten und Methoden, auf unsere Strategien und Programme zu vertrauen, ja dann droht uns die Gefahr, dass auch wir Zahlen als Argumente wahrnehmen und Mehrheiten mit der Wahrheit verwechseln. Ja, wenn wir dieses Wort Christi nicht haben, dann bleiben wir als Zeugen stumm, weil wir nichts mehr zu sagen haben als das, was auch andere Leute sagen könnten, weil wir dann nur noch Nettigkeiten, heiße Luft von uns geben, statt den zu bezeugen, dessen Wort sich immer wieder neu als wahr erweist, wo es in der Kraft des Geistes Gottes verkündigt wird.
Halten wir uns darum an das Wort Christi, befassen wir uns damit immer wieder von Neuem, dass es uns immer vertrauter wird. Wir werden dies brauchen in den Auseinandersetzungen, die auch uns in der Zukunft nicht erspart bleiben werden. Denn in diesem Wort begegnen wir dem Herrn der Geschichte, empfangen wir zugleich die Kraft, um weitergeben zu können, was uns aufgetragen ist. Es mag sein, dass wir dabei keine spektakulären Erfolge erzielen; die sind uns von Christus auch nicht verheißen. Aber den Auftrag, Zeugen zu sein, den haben wir allemal. Was daraus wird, wenn wir ihn, Christus, bezeugen, dafür sind nicht wir zuständig; das ist und bleibt Christus, bleibt dem Heiligen Geist überlassen. Und eben darum braucht uns als Kirche, braucht uns als Christen vor der Zukunft nicht bange zu sein. Amen.