02.07.2009 | St. Lukas 1, 46-55 (Mariae Heimsuchung)

MARIAE HEIMSUCHUNG – 2. JULI 2009 – PREDIGT ÜBER ST. LUKAS 1,46-55

Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

„Von Stalin lernen heißt siegen lernen.“ – Diesen Spruch konnte man Anfang der 50er Jahre auf vielen Plakaten im kommunistischen Osten lesen. Der Spruch war Teil eines Personenkultes, über den man angesichts der Verbrechen, die dieser Diktator begangen hat, heutzutage nur noch den Kopf schütteln kann – wobei sich dieser Spruch allen Ernstes auch heute noch in bestimmten kommunistischen Splittergruppen größter Beliebtheit erfreut, wie ein Blick ins Internet zeigt. „Von Stalin lernen heißt siegen lernen.“ – Was für ein Irrsinn, einen Menschen anzuhimmeln, der mit brutalster Gewalt seine Herrschaft ausgeübt hat und über dessen Herrschaft, ja über dessen Herrschaftssystem die Geschichte mittlerweile längst hinweggegangen ist!
Der Lobgesang der Gottesmutter Maria, den wir eben im Heiligen Evangelium gehört haben, ist das genaue Gegenteil zu diesem Slogan der 50er Jahre. Das geht schon damit los, dass er von einer Frau gesungen wird und von deren Schicksal handelt. Gewiss, es gibt auch machthungrige Frauen, Frauen mit Haaren auf den Zähnen, die den Männern in nichts nachstehen. Aber wenn uns St. Lukas hier im Heiligen Evangelium eine Frau als Vorbild hinstellt, dann widerspricht er damit ganz bewusst dem althergebrachten Klischee, das es ja nun längst nicht erst seit Stalins Zeiten gibt, wonach starke Männer das Maß aller Dinge sind. Nein, eine Frau, ein junges Mädchen, das in der damaligen Gesellschaft keinerlei Stellenwert hatte, hat hier im Lukasevangelium seinen ganz großen Auftritt, dient auch uns als Vorbild, dass wir angesichts des Liedes, das sie hier anstimmt, nur feststellen können: „Von Maria lernen heißt glauben lernen.“
Was können wir von Maria lernen? Lernen können wir zunächst einmal von ihr, alles von Gott und nichts von uns selber zu erwarten. Der Gegensatz dessen, was Maria hier singt, zu der Selbstvergottung und Vergötzung eines Josef Stalin ist offensichtlich: Hier erwarten Menschen alles von einem menschlichen Heilsbringer, erwarten von ihm, dass er sie dazu anleitet, es ihm nachzutun, selber aus eigener Kraft Geschichte zu formen und zu gestalten. Maria hingegen macht deutlich: Nichts, aber auch gar nichts hängt von mir ab, von meinen Fähigkeiten, von meinen Möglichkeiten. Nichts habe ich selber getan, um groß herauszukommen; alles hat Gott allein getan. Der Gegensatz ist offensichtlich – nein, nicht bloß zu Josef Stalin, sondern oft genug auch zu unserer eigenen Lebenseinstellung.
Da helfe ich mitunter Gemeindegliedern dabei, eine Bewerbung für eine Arbeitsstelle zu verfassen. Und in solch einer Bewerbung muss man sich natürlich gut präsentieren, muss von den eigenen Vorzügen, von den eigenen Stärken reden, von dem, was man selber zu leisten vermag. Ja, genau das wird heute in unserer Gesellschaft erwartet, dass wir zeigen, wie gut wir sind, was wir können. Und entsprechend beurteilen wir uns dann oft genug auch selber, beurteilen wir viel öfter noch andere Menschen: Wenn wir Erfolg haben, wenn wir scheinbar wirklich gut sind, dann sind wir mit uns zufrieden; wenn wir versagen, wenn wir nichts vorzuweisen haben, was wir in unserem Leben geschafft haben, dann bedrückt uns das, dann kommen wir uns vielleicht gar nicht mehr als vollwertige Menschen vor. Ja, wie tief diese Einstellung in uns drin steckt, das erfahren wir dann in vielen Fällen, wenn wir älter werden, wenn die Kräfte nachlassen: „Ich kann doch gar nichts mehr leisten, ich bin doch zu nichts mehr nütze“, so stellen dann nicht wenige fest, zweifeln vielleicht daran, inwiefern sie eigentlich noch ein Recht dazu haben, anderen „zur Last zu fallen“, wie sie es dann formulieren.
Von Maria lernen heißt glauben lernen: Maria besingt in ihrem Lied ihre Niedrigkeit, nein, sie rühmt sich nicht selber, dass sie solch ein demütiger Mensch ist; im Gegenteil: zu dieser ihrer Niedrigkeit hat sie gar nichts beigetragen. Und doch besingt sie diese Niedrigkeit, um dies eine ganz deutlich zu machen: Dass Gott mich erwählt hat zur Mutter seines Sohnes, liegt nicht daran, dass ich irgendwelche Vorzüge hätte, dass ich etwa sündlos geboren wäre, dass ich solch ein besonderer Mensch wäre, dass ich so viel in meinem Leben geleistet hätte. Nein, Gott hat sich von mir nicht irgendwie beeindrucken lassen; ich war und bin keine Finalkandidatin von „Israel sucht den Superstar“. Er hat mich liebevoll angeblickt – und das reicht, das hat mich ganz groß herauskommen lassen.
Und darum besingt Maria in ihrem Lied Gott, ja Gott allein, nicht zuerst und vor allem die Gaben, die Gott ihr gegeben hat, sondern Gott selber, ihn, ihren Heiland und Retter. Wir Menschen neigen ja oft dazu, auch und gerade, wenn es um den Glauben geht, zu fragen: „Was bringt mir das? Was habe ich für einen Vorteil, wenn ich glaube, wenn ich mich zur Kirche halte?“ Fühle ich mich dann besser, gibt es da Menschen, die mir helfen, kann ich damit rechnen, dass der liebe Gott besser auf mich aufpasst und mir mehr Erfolg im Leben schenkt, wenn ich mich öfter mal bei ihm blicken lasse? Maria lobt Gott nicht, weil sie sich dadurch irgendwelche Vorteile im Leben erhofft, sie schielt nicht auf das, was Gott ihr geben könnte, wenn sie sich gut zu ihm stellt. Sondern sie lobt und preist Gott einfach um Gottes willen, lobt ihn, weil er sich ihr nicht als finsterer Tyrann, sondern als ihr Heiland, als ihr Retter zu erkennen gegeben hat.
Ja, von Maria lernen heißt glauben lernen. Wenn wir uns fragen, ob wir zum Gottesdienst kommen sollen, dann sollte unser Blick auch nicht zuerst darauf gerichtet sein, was uns das bringt, was für einen Vorteil wir davon haben, wenn wir hierher kommen. Sondern es sollte uns reichen, dass wir um Gottes willen zum Gottesdienst kommen, weil wir wissen, dass Gott uns einlädt, dass er auf uns wartet, weil wir wissen, dass es Gott allemal zusteht, dass wir ihn mit unseren Liedern loben, wie Maria dies damals getan hat. Ja, von Maria lernen heißt glauben lernen – das bedeutet: Maria will uns dahin bringen, dass wir uns diese Frage gar nicht mehr stellen, ob wir zum Gottesdienst kommen sollen, sondern dass wir einfach kommen, wenn der Gottesdienst gefeiert wird, weil wir doch allemal Grund genug haben, Gott zu loben.
Nein, wir haben nicht bloß Grund genug, Gott zu loben, wenn es uns in unserem Leben richtig gut geht, wenn unsere Wünsche in Erfüllung gehen und alles so läuft, wie wir uns das erhofft hatten. Und umgekehrt haben wir eben keinen Grund, mit dem Lob Gottes aufzuhören, wenn in unserem Leben vieles ganz anders läuft, als wir dies geplant hatten, wenn wir so vieles in unserem Leben nicht verstehen und begreifen können. Gewiss, es mag Zeiten geben, in denen uns die Worte der Klagepsalmen einfacher über die Lippen kommen als die Worte des Magnificat. Dazu stehen die Klagepsalmen ja auch in der Bibel, dass wir auch ihre Worte gebrauchen dürfen. Und dennoch sollten wir das Gotteslob nicht einfach von unserer gegenwärtigen Stimmungslage abhängig machen. Denn wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott uns gerade da nicht fallen lässt, wo wir ganz unten sind, so macht es uns Maria hier in ihrem Lied deutlich. Im Gegenteil: Gerade denen, die ganz unten sind, gilt Gottes besondere Liebe und Zuwendung, so singt es Maria hier.
Geradezu revolutionär klingt ihr Lied, im wahrsten Sinne des Wortes. Ja, es handelt von einer großen Umwälzung, einer großen Umkehrung, die alle bisherigen Macht- und Besitzverhältnisse auf den Kopf stellt. Und doch ist Maria eben nicht Stalin. Sie fordert nicht zum bewaffneten Kampf gegen die Reichen und Besitzenden auf, und sie greift auch nicht selber zur Waffe, um den Reichen und Mächtigen ihren Reichtum und ihre Macht zu rauben. Sondern sie erwartet in ihrem Lobgesang alles, wirklich alles von Gott allein. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen; die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
Schwestern und Brüder, wenn wir in die Weltgeschichte und in unser persönliches Leben schauen, dann mögen wir daran nicht unbedingt gleich ablesen können, was Maria hier besingt. Die Wirtschaftskrise, die wir im Augenblick zu spüren beginnen, trifft nicht zuerst und vor allem die Reichen, selbst wenn die absolut gerechnet mehr dabei verlieren mögen als die, die gar nicht genug hatten, um viel an Besitz verlieren zu können. Der Aufstand gegen die Mächtigen im Iran hat nicht dazu geführt, dass diese vom Thron gestürzt und zerstreut worden sind. Und den fiesen Chef, der mich schikaniert, den gibt es vielleicht auch immer noch, trotz der schönen Worte des Magnificat. Und dennoch dürfen wir darauf vertrauen: Gott guckt sich das immer nur eine Weile an, wenn Menschen, wenn Machthaber sich überheben. Irgendwann gebietet er ihnen Einhalt. Der große Stalin ist am Ende elend und kläglich in seinem Zimmer verreckt, weil keiner sich getraut hat, zu ihm hereinzukommen und ihm zu helfen. Von seiner Macht ist ebenso wenig übriggeblieben wie von dem Tausendjährigen Reich in unserem Land. Die Mauer, die angeblich noch hundert Jahre stehen sollte, fiel über Nacht, und auch mit Wasserwerfern mit kochend heißem Wasser wird sich ein Regime wie das im Iran nicht für immer an der Macht halten können. Gott setzt Tyrannen ein Ende, erweist sich immer wieder auch als der Herr der Geschichte. Nein, das heißt nicht, dass die Weltgeschichte das Weltgerichte wäre. So mancher Tyrann hat sich der Verantwortung vor einem menschlichen Gericht entziehen können. Doch vor Gott muss er dennoch antreten, wird einmal mit Schrecken erkennen müssen, wie machtlos er, der einst so mächtige Herrscher, nun vor ihm stehen muss. Gott vergisst nicht das Schreien der Unterdrückten, die Klage der Macht- und Rechtlosen. Und darum dürfen wir ihn auch jetzt schon loben, auch angesichts all der bedrückenden Meldungen, die wir uns tagtäglich im Fernsehen anschauen und anhören müssen. Was für einen Grund hatte eigentlich Maria, Gott zu loben? Ein armes junges Mädchen war sie, dazu jetzt auch noch mit einem unehelichen Kind unter dem Herzen. Scheinbar hatte Gott ihr nur noch ein weiteres Problem bereitet. Aber sie freut sich darüber, erkennt selbst in den Problemen, in die Gott sie nun hineingeführt hat, noch seine Zuwendung, erkennt, dass das Kind unter ihrem Herzen ein größerer Schatz ist als alles Geld und Gut, als alle Macht dieser Welt.
Ja, um dieses Kindes willen haben wir allen Grund, Gott zu loben, um dieses Kindes willen, in dem Gott selbst zu uns Menschen gekommen ist, selber ganz klein und arm, machtlos und hungrig geworden ist. Von unten her rollt Gott die Weltgeschichte auf, aus einer Krippe und schließlich festgenagelt an ein Kreuz. So und nicht anders erringt er seinen größten Sieg, den Sieg über Tod und Teufel. Und Maria, sie leitet uns dazu an, genauso und nicht anders siegen zu lernen, dass wir ihm, Christus, nachfolgen, dass wir den entscheidenden Sieg unseres Lebens nicht mit Macht und Gewalt erringen, sondern einzig so, dass wir uns mit Christus verbinden lassen, dass wir mit ihm den Weg unten herum gehen, gegen allen Augenschein.
Ja, wir tun gut daran, heute dieses Marienfest zu feiern, von Maria zu lernen, von ihr glauben zu lernen, an den Gott glauben zu lernen, der ein viel größerer Revolutionär als Stalin ist, ein viel mächtigerer dazu, und der seine Macht doch nicht dadurch erringt, dass er andere umbringt, sondern dass er selber stirbt für uns. Amen.