31.10.2009 | St. Johannes 2, 13-22 (Gedenktag der Reformation)
GEDENKTAG DER REFORMATION – 31. OKTOBER 2009 – PREDIGT ÜBER ST. JOHANNES 2,13-22
Und das Passafest der Juden war nahe, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Und er fand im Tempel die Händler, die Rinder, Schafe und Tauben verkauften, und die Wechsler, die da saßen. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das Geld aus und stieß die Tische um und sprach zu denen, die die Tauben verkauften: Tragt das weg und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus! Seine Jünger aber dachten daran, dass geschrieben steht (Psalm 69,10): »Der Eifer um dein Haus wird mich fressen.« Da fingen die Juden an und sprachen zu ihm: Was zeigst du uns für ein Zeichen, dass du dies tun darfst? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab und in drei Tagen will ich ihn aufrichten. Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? Er aber redete von dem Tempel seines Leibes. Als er nun auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte.
Wenn man heutzutage in die St. Elisabethkirche in Breslau kommt, in der einst die altlutherische Bewegung unter der Predigt des Diakonus Johann Gottfried Scheibel ihren Anfang nahm, sieht man dort einen großen Aushang: Wer diese Kirche besucht und bestimmte Frömmigkeitsübungen verrichtet, dem verspricht die römisch-katholische Kirche, die das Gotteshaus mittlerweile übernommen hat, vollständigen Ablass von allen Fegefeuerstrafen. Ja, solch einen Aushang in einer einst lutherischen Kirche zu lesen, tut weh, macht deutlich, dass die Ablasspraxis, die vor knapp 500 Jahren der Auslöser für die Reformation in Deutschland war, auch heutzutage in der römisch-katholischen Kirche immer noch weiter besteht, auch wenn man sich solche Ablässe in aller Regel heute nicht mehr zu kaufen braucht: Ein Besuch von bestimmten Kirchen oder etwa des Weltjugendtages reicht dazu völlig aus.
An Luthers Kampf gegen die Ablassbriefe hatten wohl auch diejenigen ursprünglich einmal gedacht, die den Abschnitt aus dem 2. Kapitel des Johannesevangeliums, den wir eben gehört haben, als Evangelium dieses Gedenktages der Reformation ausgesucht hatten. Mittlerweile haben die evangelischen Landeskirchen diese Evangelienlesung durch das Evangelium des Gedenktags der Heiligen ersetzt, die Seligpreisungen aus der Bergpredigt. Die klingen im Zeitalter der Ökumene doch weniger anstößig als der Bericht von der Tempelreinigung. In unserer Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche haben wir an dem alten Evangelium festgehalten, wollen uns darum auch jetzt mit ihm in dieser Predigt befassen. Liegen wir also immer noch in den alten konfessionellen Schützengräben, dient es unserer Psychohygiene, wenigstens einmal im Jahr mit stolzgeschwellter Brust auf die „katholische Kirche“ eindreschen zu können und sich dessen zu vergewissern, dass wir doch die Guten sind?
O nein, wenn wir das Evangelium dieses Tages dazu missbrauchen würden, unsere eigene lutherische Identität durch die Abgrenzung von der römisch-katholischen Kirche bestimmen zu wollen, ja dieser gar vielleicht zu unterstellen, sie würde auch heute noch verkündigen, man könne sich mit Geld oder guten Werken den Himmel erkaufen, dann hätten wir herzlich wenig von dem verstanden, worum es St. Johannes hier in seinem Evangelium und worum es auch am Reformationstag geht. Denn sowohl St. Johannes als auch der heutige Gedenktag richten unseren Blick nicht bloß in die Vergangenheit, sondern ganz wesentlich in die Zukunft. Wo liegt die Zukunft der Kirche? – So fragen heutzutage viele Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche, bei „Zukunftskongressen“, bei Erhebungen über die Zukunft von Gemeinden und bei vielen anderen Anlässen. St. Johannes gibt uns hier in seinem Evangelium zwei Antworten auf diese Frage:
Die Zukunft der Kirche
- liegt nicht in dem, was wir tun
- liegt allein in dem, was Gott durch Christus tut
I.
Da schildert uns St. Johannes hier in seinem Evangelium doch allen Ernstes, wie Jesus, der Sohn des lebendigen Gottes, ausgerechnet im Tempel, im Haus Gottes, mächtig Randale macht. Dabei hatte dort im Tempel doch eigentlich alles seine gute Ordnung: Wer dort im Tempel ein Opfer darbringen lassen wollte, der brauchte dafür natürlich ein Opfertier, und da war es doch eine wunderbare Serviceleistung, dass man solch ein Opfertier nicht von wer weiß wo her in den Tempel schleifen musste, sondern dass es da Händler gab, die solche Opfertiere gleich vor Ort zur Verfügung stellten, die auch noch daraufhin geprüft waren, ob sie den strengen Vorschriften für Opfertiere auch tatsächlich entsprachen. Nein, selbstverständlich saßen die Händler mit ihren Rindern und Schafen nicht im Allerheiligsten des Tempels, sondern draußen ganz am Rande, im Vorhof der Heiden. Ja, natürlich sollten sie eigentlich noch ein Stück weiter draußen ihre Viecher anbieten; aber wenn sie den Pilgern noch ein paar hundert Meter abnahmen und ein bisschen dichter an das Innere des Tempels heranrückten, dann war das doch für alle Beteiligten gut und sinnvoll. Und genauso war das mit den Geldwechslern: Als erwachsener Jude war man nun mal dazu verpflichtet, jedes Jahr die Tempelsteuer zu zahlen – und das konnte man eben nicht mit den normalen römischen Münzen, die im Lande im Umlauf waren, weil auf diesen Münzen das Bildnis des römischen Kaisers zu sehen war. Also mussten die römischen Münzen erst mal gewechselt werden gegen tyrische Münzen, auf denen kein Bildnis zu sehen war. Ja, wie gut, dass diese Wechsler da gleich vor Ort waren; da mussten die Pilger nicht erst lange nach einer anderen Wechselstube Ausschau halten – und schließlich diente die Tempelsteuer doch dem Erhalt des Heiligtums!
Doch Jesus sieht die Dinge offenkundig ganz anders: Er nimmt sich einige der Stricke, mit denen die Opfertiere zu ihrem Verkaufsstand geführt worden waren, bastelt daraus eine Peitsche und treibt das ganze Viehzeug aus dem Tempel heraus mitsamt den Verkäufern, wirft den Geldwechslern ihre Tische um und schmeißt die Taubenverkäufer achtkantig raus. Als Hausfriedensbruch könnte man das, was Jesus hier macht, bezeichnen – wenn er nicht in Wirklichkeit der Hausherr wäre, derjenige, der allein das Recht dazu hat, die Spielregeln im Tempel zu bestimmen, weil es sich um das Haus seines Vaters handelt. Nein, Jesus lässt das Serviceargument nicht gelten; ihm geht es auch nicht bloß darum, dass solch ein Markt im Eingangsbereich des Tempels kein besonders erhebender Anblick war. Sondern er kann es offenkundig nicht verknusen, dass aus dem Haus seines Vaters ein Kaufhaus gemacht wird, dass der Eindruck erweckt wird, als seien Glaube und Gottesdienst Teil eines großen Geschäfts.
Und damit, Schwestern und Brüder, sind wir nun auch schon sehr direkt bei uns selber, nein, nicht bloß bei der römisch-katholischen Kirche des 16. Jahrhunderts, sondern bei unserer lutherischen Kirche zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Ja, natürlich geht es in unserer Kirche auch um das Thema „Geld“. 8,8 Millionen Euro brauchen wir in unserer Kirche im nächsten Haushaltsjahr, so haben es gerade unsere Kirchenleitung und das Kollegium der Superintendenten auf ihrer Sitzung in Bleckmar beschlossen. Und für unseren eigenen Gemeindehaushalt werden wir auch im nächsten Jahr zumindest eine Viertelmillion Euro brauchen; sonst kommen wir mit dem, was im nächsten Jahr so alles ansteht, einfach nicht über die Runden. Und da stellt sich dann natürlich die Frage: Wie können wir die Gemeindeglieder dazu bewegen, dieses viele Geld auch tatsächlich der Gemeinde zu geben? Da müssen wir doch immer wieder über dieses Thema reden, müssen doch im Zweifelsfall, so mögen wir meinen, auch ein bisschen Druck machen, damit das Geld zusammenkommt.
Ja, Schwestern und Brüder, ich weiß, das ist immer eine Gratwanderung. Vernünftige Argumente hatten die Händler und Wechsler damals im Tempel auch. Was sie machten, diente doch alles dem Gottesdienst und dem Erhalt des Tempels. Und doch regt sich Jesus mächtig über sie auf. Ja, eine Warnung soll uns das Verhalten Jesu jedenfalls sein, eine Warnung, alles zu vermeiden, was den Eindruck erwecken könnte, wir seien als Kirche zunächst und vor allem hinter dem Geld der Leute her. Ja, ich frage mich manchmal sogar, ob wir es eigentlich geistlich verantworten können, Beiträge und Spenden von Gemeindegliedern anzunehmen, die sich ansonsten in der Gemeinde nie blicken lassen. Bestärken wir sie damit nicht vielleicht doch in ihrer Illusion, als ob man sich in der Kirche gleichsam freikaufen könne, als ob ein bestimmter Kirchenbeitrag ein ausreichender Ersatz für die Teilnahme an den Sakramenten sei? Ja, äußerlich betrachtet funktioniert die Kirche gerade heutzutage natürlich auch als ein Wirtschaftsunternehmen. Aber in Wirklichkeit richtet sie sich eben doch nach anderen Gesetzen, wendet nicht alle Mittel an, um an Geld heranzukommen, die für sie theoretisch möglich wären, verzichtet lieber auf Einnahmen, als Gefahr zu laufen zu verdecken, dass es Gottes Geschenke in seiner Kirche ganz und gar umsonst gibt. Nein, die Zukunft der Kirche hängt nicht an ihren Finanzen.
Eigentlich hatte es Jesus damals im Tempel ja mit einem erstaunlich modernen Konzept von Kirche zu tun: Kirche als Serviceunternehmen, das seinen Kunden das anbietet, was sie gerade brauchen. Das ist es doch, was die Leute von der Kirche erwarten, dass sie sich auf ihre Kundschaft einlässt, dass sie es den Kunden möglichst leicht macht, bei ihr mitzumachen: Du kannst einfach so in den Tempel gehen; du bekommst dort vor Ort alles, was du brauchst: Opfertiere, Geldwechsel, einen reibungslosen Service.
Doch genau darüber regt sich Jesus hier gewaltig auf: Wenn es um das Haus seines Vaters geht, dann bestimmt er die Regeln, die dort herrschen; dann geht es eben gerade nicht um Kunden, sondern um Menschen, die in die Gegenwart des lebendigen Gottes treten. Ich frage mich, wen Jesus wohl heutzutage so alles aus dem Haus Gottes schmeißen würde: Unternehmensberater vielleicht, die die Kirche und ihre Verkündigung stromlinienförmig an die Bedürfnisse der Kundschaft anzupassen versuchen, Gemeindewachstumsexperten, für die zahlenmäßige Erfolge der entscheidende Maßstab dafür sind, ob eine Gemeinde eine lebendige Gemeinde ist oder nicht, Angehörige, die vom Pastor erwarten, dass er die Beerdigungspredigt für den Verstorbenen so formuliert, wie sie dies wünschen und sich vorstellen, ja, vielleicht auch solche, die lautstark verlangen, die Kirche müsse sich doch endlich mal am Zeitgeist orientieren, dürfe doch nach außen hin nicht anstößig erscheinen, weil sonst doch potentielle Kunden von ihr abgeschreckt werden könnten. Nein, Schwestern und Brüder, Jesus präsentiert sich hier nicht als Softie; der lebt auch nicht einfach bloß hier mal seine Gefühle aus, sondern der setzt ganz klare Grenzen, was im Haus seines Vaters möglich ist und was nicht. Ach, Schwestern und Brüder, wir merken schon, wie aktuell die Worte unserer Predigtlesung auch heute noch für uns selber, für unsere eigene Kirche sind.
Letztlich, Schwestern und Brüder, richtete sich das rabiate Vorgehen Jesu gegen einen religiösen Betrieb, in dem diejenigen, die dabei mitmachten, den Eindruck gewinnen konnten, als seien sie mit ihrem Tun dazu in der Lage, ihr Verhältnis zu Gott selber zu regulieren und in Ordnung zu bringen. Der Mensch kauft, der Mensch opfert, der Mensch macht – und Gott reagiert darauf so, wie wir es uns wünschen und vorstellen. Nein, so macht Jesus hier deutlich, so läuft das nicht im Verhältnis zwischen den Menschen und Gott. Wir Menschen sind überhaupt nicht dazu in der Lage, irgendwie unser Verhältnis zu Gott in Ordnung zu bringen, mit unserem Tun, mit unseren Opfern, mit unserem Einsatz irgendetwas bei Gott zu erreichen. Ja, genau darum ging es damals tatsächlich ganz zentral in der Reformation im 16. Jahrhundert: Nicht wir müssen Gott etwas bringen, nicht wir müssen uns auf den Weg zu Gott machen, sondern genau umgekehrt bringt Gott uns etwas, macht sich umgekehrt auf den Weg zu uns. Unsere Zukunft hängt nicht an dem, was wir tun, sondern allein an dem, was Gott für uns tut, was er schon längst in Christus für uns getan hat und was er immer wieder für uns tut.
II.
Und genau damit sind wir nun schon bei dem Anderen, was Jesus selber uns hier in den Worten des Evangeliums sehr eindrücklich vor Augen stellt:
Nicht wir können unser Verhältnis zu Gott in Ordnung bringen, nicht wir können darüber bestimmen, wie wir mit Gott zusammenkommen, sondern das hat Gott allein bestimmt, als er ihn, seinen Sohn Jesus Christus, zu uns gesandt hat. Der Tempel, in dem wir Gott begegnen können, der Tempel, in dem Gott sich mit uns versöhnt, ist der Leib seines Sohnes, der Leib, der für uns am Kreuz gehangen hat, der Leib, der am dritten Tag das Grab wieder verlassen hat, der Leib, den wir im Heiligen Mahl immer wieder mit unserem Mund empfangen.
In diesem Leib allein ist die Zukunft der Kirche, auch die Zukunft der lutherischen Kirche beschlossen; daran hängt die Zukunft der Kirche, dass Menschen in ihr immer wieder Anteil an diesem Christus, an seinem Leib, gewinnen können.
Ja, radikal ist die Botschaft Jesu hier im Evangelium, radikal ist das, was er über die Zukunft der Kirche zu sagen hat: Zukunft hat die Kirche nicht dadurch, dass sie genügend finanzielle Mittel hat, dass sie Konzepte und Strategien entwickelt, dass sie genügend leistungsfähige Mitarbeiter hat. All das mögen wir uns wünschen, und all das rückt immer wieder so schnell in den Mittelpunkt unserer Hoffnungen und Überlegungen. Doch Jesus macht deutlich: Zukunft hat die Kirche allein dadurch, dass sie ihn, den gekreuzigten und auferstanden Christus verkündigt, dass sie davon redet, dass er, Christus, für uns leibhaftig gestorben und auferstanden ist; Zukunft hat die Kirche allein dadurch, dass sie unbeirrt immer und immer wieder das Mahl des Herrn feiert, den Leib des Herrn austeilt und damit die, die ihn empfangen, selber zum Tempel Gottes werden lässt.
Nein, Jesus hat damals mit den Händlern und Wechslern nicht verhandelt, ist keine Kompromisse eingegangen. Sein Leib ist und bleibt der Ersatz für alle religiöse Betriebsamkeit, für alle Versuche, selber den Weg zu Gott zu finden. Und darum feiern wir heute Abend am Gedenktag der Reformation schlicht und einfach einen Gottesdienst, ganz unspektakulär; darum entfalte ich hier keine Zukunftsvisionen und richte keine Appelle an euch. Nein, Hauptsache, er, Christus, ist da, Hauptsache, er macht heute Abend auch diese Kirche wieder hier zu seinem Haus, Hauptsache, er gibt uns heute Abend wieder Anteil an seinem Auferstehungsleben, wenn er sich uns in den Mund legen lässt. Dann haben wir es schon hier und jetzt, das ewige Leben, dann brauchen wir kein Fegfeuer mehr zu fürchten, und dann braucht uns auch um die Zukunft der Kirche nicht bange zu sein. Wie hat es Martin Luther so schön formuliert: „Wir sind es doch nicht, die da könnten die Kirche erhalten, sondern der ist’s gewesen, ist’s noch und wird es sein, der da spricht: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Amen.