02.12.2009 | 1. Mose 49, 10 (Mittwoch nach dem 1. Sonntag im Advent)
MITTWOCH NACH DEM ERSTEN SONNTAG IM ADVENT – 2. DEZEMBER 2009 – PREDIGT ÜBER 1. MOSE 49,10
Es wird das Zepter von Juda nicht weichen noch der Stab des Herrschers von seinen Füßen, bis dass der Held komme, und ihm werden die Völker anhangen.
Wollt ihr wissen, was die Zukunft bringt? Dann braucht ihr doch nur bei Nostradamus nachzuschlagen! So sehen es jedenfalls nicht wenige Nostradamus-Fans auch in unserem Lande, die allen Ernstes glauben, Nostradamus habe aus den Sternen den Verlauf der Zukunft ersehen können. Und als Beleg dafür führen sie alle möglichen angeblichen Erfüllungen von Prophezeiungen an, die es in der Vergangenheit schon gegeben hat. Ja, wenn Nostradamus schon früher so oft Recht behalten hat, dann ist doch davon auszugehen, dass wir seinen Schriften auch entnehmen können, wie es zukünftig weitergehen wird, so argumentieren sie. Davon, dass die Prophezeiungen so allgemein und undeutlich formuliert sind, dass man da alle möglichen Ereignisse hineininterpretieren kann, wollen sie dabei nichts wissen. Ja, der Gedanke ist nun mal faszinierend, dass es da eine Möglichkeit geben könnte, schon einmal einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Auch in der Kirche werden, ganz besonders in der Adventszeit, immer wieder Prophezeiungen vorgetragen, die sich in der Vergangenheit erfüllt haben. Am Heiligen Abend werden wir wieder Weissagungen aus dem Alten Testament im Gottesdienst vernehmen. Und auch in der heutigen Abendlesung in der Woche nach dem Ersten Sonntag im Advent hören wir ein ganz altes Wort aus der Heiligen Schrift, das ursprünglich dem Segen des sterbenden Jakob entstammt, den er über seinen Sohn Juda gesprochen hatte. Warum lesen wir eigentlich solch ein altes Wort heute noch in unseren Gottesdiensten, ja, was unterscheidet eigentlich diese Berufung auf alte Prophezeiungen von der Berufung auf Nostradamus?
Zunächst einmal müssen wir ganz grundsätzlich festhalten, dass es sich bei dem Wort unserer heutigen Predigtlesung eigentlich gar nicht um eine Prophezeiung handelt, nicht um eine bloße Zukunftsansage. Sondern es handelt sich um einen Segen, der nicht bloß etwas ankündigt, sondern ein Geschehen in Kraft setzt: Dadurch, dass diese Worte des Segens damals Juda zugesprochen wurden, wurde eine Geschichte gestartet, in der dann auch Wirklichkeit wurde, was Jakob seinem Sohn damals im Segen zugesagt hatte. Denn diesen Segen hatte sich Jakob ja nicht selber aus den Rippen geleiert, sondern dieser Segen hatte seinen Grund und seine Kraft in der Zusage Gottes, die er bereits seinem Großvater Abraham gegeben hatte: „Ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ Dieses Versprechen, das Gott einst Abraham gegeben hatte, konkretisiert sich nun in dem Segen, den Jakob an seinen Sohn Juda weiterreicht. Und genauso ist es dann in der Tat gekommen: Was Jakob seinem Sohn Juda im Segen zugesprochen hatte, erfüllte sich ein erstes Mal, als aus dem Stamm Juda David zum König über alle zwölf Stamme wurde, als sein Herrschaftsbereich auch Völker um Israel herum umfasste. Doch in seiner Erfüllung setzte dieser Segensspruch über Juda gleichsam wieder eine neue Verheißung aus sich heraus, die Verheißung eines Herrschers aus Juda, für den noch in einem viel umfassenderen Sinn gilt, dass ihm die Völker, nein, nicht nur ein paar, sondern die Völker überhaupt anhangen. Und so erfüllt sich dieses Segenswort Jakobs an Juda endgültig, als der auferstandene Jesus seinen Jüngern auf dem Berg verkündigt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden; darum geht hin und macht zu Jüngern alle Völker!“
Warum hören wir diese Worte Jakobs an Juda also heute hier in diesem Gottesdienst? Nein, wir hören sie nicht, weil die Bibel ein Orakelbuch wäre, dem man irgendwelche geheimen Botschaften über unsere Zukunft entnehmen könnte, aus dem man vielleicht gar einen Termin für den Weltuntergang berechnen könnte. Sondern wir hören diese Worte, weil sie auf Christus weisen, weil sie uns Christus erkennen lassen – und weil sie uns darin zugleich erkennen lassen, wie Gottes Wort wirkt, was es sagt:
Wenn Gott in seinem Wort ankündigt, dass in einem Nachkommen Abrahams einmal alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden, dann geschieht dies auch, ist geschehen in dem einen Nachkommen, dem Juden Jesus von Nazareth. Wenn Gott ankündigt, dass aus dem Stamm Juda einer kommen wird, der als Sohn Davids herrschen und dem die Völker anhangen werden, dann geschieht dies auch, ist geschehen in dem einen Nachkommen Davids, in ihm, dem die Menschen bei seinem Einzug in Jerusalem auf einem Esel jubelnd zugerufen haben: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Und wenn Gott dir in seinem Wort, eingebunden in das Wasser der Heiligen Taufe, ankündigt, dass er dich selig machen will, dass du einmal für immer in seiner Gemeinschaft wirst leben dürfen, dann wird dies genauso geschehen, weil es derselbe Gott ist, der sich schon im Alten Testament als Herr der Geschichte, ja als Herr der Welt zu erkennen gegeben hat, weil es derselbe Christus ist, der bereits im Alten Testament angekündigt wurde und der nun sein Heil all denen zuteil werden lässt, die ihm anhangen, mit ihm verbunden sind. Wenn Gott etwas ankündigt und verspricht, dann quatscht er eben nicht bloß irgendetwas daher, sondern dann setzt dieses Wort neue, auch zukünftige Wirklichkeit. Eines ist dabei allerdings eine besondere Eigenart unseres Gottes: Wenn Gott etwas erfüllt, was er verspricht, dann tut er dies immer wieder so, dass er in Wirklichkeit mehr gibt, als er versprochen hat, ja, dass er aus der Erfüllung gleich wieder ein neues Versprechen erwachsen lässt. Im Bilde gesprochen: Wenn dir jemand verspricht, dir zehn Euro zu schenken, und dir dann am Ende hundert Euro schenkt, dann wirst du ihn auch nicht für wortbrüchig halten, weil er dir doch nicht zehn, sondern hundert Euro geschenkt hat. Was Jakob Juda versprach, überschritt schon damals den Horizont dessen, was sein Sohn verstehen konnte. Und auch für den Stamm Juda war nicht erkennbar, ja ist bis heute für viele nicht erkennbar, wie Gott sein ursprüngliches Versprechen in der Sendung seines Sohnes Jesus Christus erfüllt hat.
Ja, wir hören diese Worte aus dem Ersten Buch Mose, um uns im Vertrauen auf die Wirkmacht von Gottes Wort stärken zu lassen – und um uns durch dieses Wort helfen zu lassen, ihn, Christus, besser zu verstehen als den, der er in Wirklichkeit ist: Nein, er, Jesus, ist eben nicht bloß ein Prophet, erst recht nicht bloß einer in einer Reihe von Propheten, die dann in Mohammed oder noch jemand anders ihren Abschluss findet. Nicht bloß Prophet ist Jesus, sondern König, Herrscher, Held, ja, Alleinherrscher, dem nie mehr jemand auf seinem Thron folgen wird, weil er derselbe ist und bleibt in Ewigkeit. Ja, König der ganzen Welt ist Christus – und doch regiert er so ganz anders, als Herrscher dies sonst so oft zu tun pflegen: Er unterdrückt nicht, er übt keinen Zwang aus, will die Herzen der Menschen dadurch gewinnen, dass er sich selber ganz klein macht, ja, ihnen dient: An ihm hängen sollen die Völker nicht, weil sie ihn fürchten, nicht, weil er sie mit Gewalt niederhält, sondern weil sie ihn lieben, weil sie erkennen, wie sich in ihm das prophetische Wort erfüllt hat: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“
Was uns alles noch in der Zukunft erwarten mag, das wissen wir nicht im Einzelnen. Aber wir kennen den, der auf uns zukommt, der der Herr der Geschichte ist und bleibt und der dieser Geschichte einmal ein Ende setzen wird. Darum können wir auf die Orakelsprüche eines Nostradamus gut verzichten, weil wir mit dem verbunden sind, der unsere Zukunft in Person ist, er, Jesus Christus. Amen.