24.12.2009 | Titus 2, 11-14 (Heiliger Abend – Christvesper II)


HEILIGER ABEND – CHRISTVESPER II – 24. DEZEMBER 2009 – PREDIGT ÜBER TITUS 2,11-14

Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht im Spam-Filter meines E-Mail-Programms mindestens eine E-Mail landet, die mir verspricht, das Medikament Viagra zu besonders günstigen Preisen für mich zu besorgen. Nun hält sich mein persönlicher Bedarf an Viagra eher in Grenzen, sodass mir diese Angebote nicht besonders verlockend erscheinen. Aber offenkundig gibt es doch nicht wenige Menschen in unserem Land, die auf solche Angebote und Versprechungen hereinfallen und tatsächlich solche Pillen auf diesem Wege per E-Mail bestellen. Wenn sie Glück haben, dann bestehen die Pillen, die sie dann geliefert bekommen, nur aus Traubenzucker; wenn sie weniger Glück haben, befinden sich in ihnen sogar giftige Substanzen. Markenpiraterie, so nennt man ein solches Vorgehen, dass Medikamente oder auch andere Waren unter einem Markennamen vertrieben werden und doch etwas ganz Anderes beinhalten als das, was auf der Verpackung draufsteht. Bei Viagra ist das ja alles in der Regel noch harmlos; wenn die bestellten Pillen nicht wirken, ist das in aller Regel nicht lebensgefährlich. Wenn man aber beispielsweise Malariamedikamente auf diesem Wege bestellt, gefälschte Ware erhält und dann in Wirklichkeit nach der Einnahme gar nicht gegen Malaria geschützt ist, dann kann das schon sehr viel gefährlicher sein.
Mit Markenpiraterie werden wir in besonderer Weise in diesen letzten Wochen des Jahres konfrontiert. Nein, ich meine jetzt nicht irgendwelche gefälschten Rolex-Uhren oder andere nachgemachte Produkte, die heute Abend unter so manchem Weihnachtsbaum liegen werden, sondern ich meine die Marke „Weihnachten“ selber. In aller Munde ist diese Marke in diesen Wochen in unserem Land; doch in den meisten Fällen steckt hinter diesem Markennamen etwas ganz Anderes als das, was dieser Name eigentlich besagt und verspricht. Ja, wenn man dann unter die Verpackung schaut, dann stellt sich oft genug heraus, dass der Inhalt dessen, was da als „Weihnachten“ verkauft wird, doch ziemlich hohl und leer ist, nur noch wenig Ähnlichkeit hat mit dem Original. Nicht nur ärgerlich, sondern geradezu gefährlich ist diese Markenpiraterie. Denn bei Weihnachten geht es eigentlich um ein lebensrettendes Mittel; und wenn dieses lebensrettende Mittel nun durch Schokolade oder Lametta ersetzt wird, dann wird den Menschen, die dieses Nachahmerprodukt kaufen, das Entscheidende vorenthalten. Woran kann man das eigentliche Weihnachten, das Original, also erkennen, wodurch unterscheidet es sich von allen möglichen Billigkopien? Genau darum geht es in der Epistel dieses Heiligen Abends aus dem Titusbrief, die ihr eben gehört habt. Vielleicht habt ihr beim ersten Hinhören gedacht, ich sei wohl doch schon ein wenig vertrottelt und hätte heute Abend das Buch mit den Lesungen aus der Bibel wohl an der falschen Stelle aufgeschlagen, weil da doch scheinbar so gar nichts Weihnachtliches in dieser Lesung zu finden ist, kein Schnee, kein Pferdeschlitten, keine Hirten, keine Engel, keine Krippe. Doch in Wirklichkeit haben diese Worte des Apostels Paulus sehr wohl eine Menge mit Weihnachten zu tun, geben uns einen doppelten Test in die Hand, mithilfe dessen wir erkennen können, ob wir es mit dem wirklichen Weihnachten oder mit einer Fälschung zu tun haben. Denn beim wirklichen Weihnachten, so macht es uns St. Paulus deutlich, geht es

- um Gott
- um unsere Taufe

I.

Dass es zu Weihnachten um Gott geht, mag für euch heute Abend keine ganz sensationelle Neuigkeit sein. Aber dass es zu Weihnachten um Gott geht, ist heutzutage in Wirklichkeit leider überhaupt nicht mehr selbstverständlich. Da prangte etwa hier um die Ecke am Eingang zur Zehlendorfer Welle bereits seit kurz nach dem Ewigkeitssonntag eine große Leuchtreklame mit der Inschrift „Frohe Weihnacht“. Ich bezweifle, dass es sich hierbei um eine Missionsaktion handelt, mit der die Menschen auf Gottes Kommen in diese Welt aufmerksam gemacht werden sollen. Die Leuchtreklame soll wohl eher potentielle Käufer in eine entsprechende Kauflaune versetzen. Ja, Millionen von Menschen werden heute Abend in unserem Land Weihnachten feiern, ohne auch nur einen Gedanken an Gott zu verschwenden, geschweige denn von ihm zu sprechen. Und selbst viele, die irgendwie noch davon wissen, dass Weihnachten vielleicht doch was mit dem lieben Gott zu tun haben könnte, nutzen ihn lediglich als eine Art von religiösem Hintergrundgeräusch zur Hebung der feierlichen Stimmung des Abends.
Dabei ist das doch der eigentliche zentrale Inhalt des Weihnachtsfestes: Es geht um Gott – nein, nicht um den lieben Vater überm Sternenzelt, nicht um den fernen Weltenlenker, nicht um das himmlische Pendant zum Weihnachtsmann, sondern um den Gott, über den wir nicht zu spekulieren brauchen, wie er denn wohl so sein mag und was er wohl so von uns denkt, sondern der sich uns zu erkennen gegeben hat, der für uns sichtbar geworden ist. Mit den Worten unserer Epistel: „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen“. Das heißt auf Deutsch: Gott ist nicht auf Abstand zu uns Menschen geblieben; er ist uns erschienen. Und als er uns erschienen ist, da wurde klar: Der ist nicht zu uns gekommen, um uns zu erschrecken, um uns Angst einzujagen. Sondern der ist zu uns gekommen, um uns zu retten, um dafür zu sorgen, dass unser Leben weiter reicht als nur von einem Weihnachten zum nächsten, bis das Tannengrün dann schließlich mal nicht mehr zur Dekoration unseres Wohnzimmers, sondern zur Abdeckung unseres Grabes gebraucht wird. Gott kommt in diese Welt, erscheint in ihr, weil es ihm um uns geht, weil er will, dass wir für immer bei ihm leben. Zu diesem Zweck hat er sich damals in Bethlehem in diesen stinkenden Futtertrog legen lassen, ist selber ein Mensch geworden, sichtbar für uns, damit wir uns nicht mehr einen Gott nach unseren eigenen Wünschen und Vorstellungen zusammenzubasteln brauchen, sondern um ihn, den realen Gott, wissen, um ihn, der kein Gedankenkonstrukt ist, sondern der es allemal drauf hat, uns zu retten mit seiner heilsamen, rettenden Gnade. Und diese rettende Gnade Gottes, die ist nun, so betont es St. Paulus hier, allen Menschen erschienen; die gilt nicht bloß ein paar Lutheranern in Deutschland, nicht bloß denen, die schon von klein auf im christlichen Glauben erzogen worden sind, sondern die gilt allen Menschen. Gott ist Mensch geworden auch für die Menschen im Iran, in Saudi-Arabien und in China; Gott ist Mensch geworden auch für die Menschen in unserer Stadt, die längst aus der Kirche ausgetreten sind oder noch nie etwas von Gott gehört haben und denen beim Anblick eines Kruzifixus in einer Kirche höchstens noch Spartakus einfällt. Ja, allen Menschen ist die heilsame Gnade Gottes erschienen, für alle Menschen liegt das kleine Kind da im Stall; niemand bleibt von seiner Liebe ausgeschlossen. Gott kommt in diese Welt, wird als Mensch geboren, auch für dich – ja, wenn davon die Rede ist, dann hast du es mit dem richtigen, dem echten Weihnachten zu tun und nicht mit einem Nachahmerprodukt.

II.

Und beim wirklichen Weihnachten geht es um unsere Taufe, so macht es uns der Apostel Paulus hier zum anderen deutlich. Das mag uns nun noch weniger einleuchten, als dass es bei Weihnachten um Gott geht. Was hat denn Weihnachten mit unserer Taufe zu tun?
Ganz einfach: Zu Weihnachten geht es um eine Geburt, um die Geburt unseres Herrn Jesus Christus. Und in unserer Taufe geht es auch um eine Geburt, um eine neue Geburt, durch die wir in ein Leben hineingeboren werden, das auch der Tod nicht zerstören kann. Und diese neue Geburt hat ihren Grund in der Geburt, die wir zu Weihnachten feiern: Weil Gott Mensch geworden ist, weil er in diese Welt gekommen ist, um die Macht des Todes zu brechen, darum allein können wir in der Taufe in dieses neue Leben in der Gemeinschaft mit unserem Herrn Jesus Christus hineingeboren werden. Und damit sind wir schon bei dem anderen, was Weihnachten und unsere Taufe miteinander verbindet: Wenn es zu Weihnachten nur um ein Geschehen gehen würde, das schon über 2000 Jahre zurückliegt, dann könnten wir uns die ganze Weihnachtsfeierei auch schenken. Ein bisschen Babygucken am Heiligen Abend ist ja vielleicht ganz süß; aber dafür können wir auch auf die Entbindungsstation eines Krankenhauses gehen; da sehen wir sogar noch mehr solcher süßen Babys, und das sogar ganz live. Nein, nur darum macht es Sinn, Weihnachten zu feiern, weil dieses Baby, das damals vor 2000 Jahren in Bethlehem geboren wurde, immer noch lebt, ja mittlerweile auferstanden ist zu einem neuen Leben. Darum macht es Sinn, Weihnachten zu feiern, weil dieses Baby durch die Taufe in dir lebt und mit dir verbunden ist, weil es dich prägen, weil es dein Leben verändern will. Es will dir helfen, deinen Selbstwert nicht länger nach dem zu bestimmen, was du kannst und zu leisten vermagst, sondern zu erkennen, dass du darum unendlich wertvoll bist, weil Gottes liebevolle Zuwendung auch dir gilt, weil er auch für dich, aus Liebe zu dir, in diese Welt gekommen ist. Dieser Christus in dir, der will dir helfen, dich in deinem Leben, in deinem Denken und deinen Entscheidungen nicht länger an dem auszurichten, was alle anderen denken, sagen und tun, sondern an dem, was dem Willen dieses Jesus Christus entspricht. Davon, dass die heilsame Gnade Gottes „uns in Zucht nimmt“, ist hier in der Übersetzung Martin Luthers die Rede. Das Wort „Zucht“ klingt für uns heute eher abschreckend, nach Zuchthaus oder Prügelstrafe. Doch vom Griechischen her ist hier etwas ganz Anderes gemeint: Die Gnade Gottes erzieht uns, so heißt es hier wörtlich, sie prägt uns ganz liebevoll, hilft uns, die Welt und unser Leben mit anderen Augen zu sehen. Wenn mir das aufgeht, wie sehr ich von diesem Jesus Christus geliebt bin, so sehr, dass er sein Leben auch für mich in den Tod gegeben hat, wenn mir das aufgeht, dass ich mir meinen Platz im Himmel nicht mit meinen guten Werken verdienen muss, sondern ich diesen Platz allein dem Versprechen verdanke, das Gott mir in der Taufe gegeben hat – ja, dann werde ich dieses Kind in der Krippe nicht spätestens übermorgen Abend wieder für ein Jahr in die Abstellkammer meines Lebens packen und es dann erst im nächsten Jahr wieder herausholen. Sondern dann wird dieses Kind in der Krippe, wird dieser Mann am Kreuz für mich auch noch in der nächsten Woche von Bedeutung sein, und auch im neuen Jahr, auch noch in den nächsten Sommerferien, ja an jedem Tag meines Lebens, bis ich ihm einmal begegnen werde, bis ich einmal in seinem Lichtglanz stehen werde. Ja, das ist die wunderbare Hoffnung, die wir als Christen haben dürfen, dass wir in unserem Leben nicht bloß dem Dunkel des Todes entgegengehen, sondern den ausgebreiteten Armen unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus. Darum haben wir allen Grund, heute Weihnachten zu feiern, auch und gerade wenn es in unserem Leben gerade so vieles geben mag, das nur wenig weihnachtliche Gefühle bei uns aufkommen lässt. Es geht beim echten Weihnachten nicht um Stimmung und Gefühle, es geht um Christus, der dich auch und gerade dann noch trägt, wenn du den Eindruck hast, dir würde der Boden unter deinen Füßen weggerissen. Ja, genau das hat er dir in deiner Taufe versprochen. Achte also darauf, ob das Weihnachten, das dir präsentiert wird, etwas mit deinem Leben, mit deinem ewigen Leben zu tun hat, ob dieses Weihnachten auch dann noch für dein Leben von Bedeutung bleibt, wenn die BSR die Tannenbäume längst wieder eingesammelt haben wird. Nein, begnüge dich zu Weihnachten bloß nicht mit Nachahmerprodukten. Weniger als Gott und deine Taufe sollte beim echten Weihnachten nicht drin sein. Ja, es geht zu Weihnachten um Christus – und damit um dein Leben! Amen.