23.02.2008 | Apostelgeschichte 1, 15-26 (Vorabend zum Tag des Apostels St. Matthias)

VORABEND ZUM TAG DES APOSTELS ST. MATTHIAS – 23. FEBRUAR 2008 - PREDIGT ÜBER APOSTELGESCHICHTE 1,15-26

Und in den Tagen trat Petrus auf unter den Brüdern - es war aber eine Menge beisammen von etwa hundertzwanzig - und sprach: Ihr Männer und Brüder, es musste das Wort der Schrift erfüllt werden, das der Heilige Geist durch den Mund Davids vorausgesagt hat über Judas, der denen den Weg zeigte, die Jesus gefangen nahmen; denn er gehörte zu uns und hatte dieses Amt mit uns empfangen. Der hat einen Acker erworben mit dem Lohn für seine Ungerechtigkeit. Aber er ist vornüber gestürzt und mitten entzweigeborsten, sodass alle seine Eingeweide hervorquollen. Und es ist allen bekannt geworden, die in Jerusalem wohnen, sodass dieser Acker in ihrer Sprache genannt wird: Hakeldamach, das heißt Blutacker. Denn es steht geschrieben im Psalmbuch (Psalm 69,26; 109,8): »Seine Behausung soll verwüstet werden, und niemand wohne darin«, und: »Sein Amt empfange ein andrer.« So muss nun einer von diesen Männern, die bei uns gewesen sind die ganze Zeit über, als der Herr Jesus unter uns ein- und ausgegangen ist - von der Taufe des Johannes an bis zu dem Tag, an dem er von uns genommen wurde -, mit uns Zeuge seiner Auferstehung werden. Und sie stellten zwei auf: Josef, genannt Barsabbas, mit dem Beinamen Justus, und Matthias, und beteten und sprachen: Herr, der du aller Herzen kennst, zeige an, welchen du erwählt hast von diesen beiden, damit er diesen Dienst und das Apostelamt empfange, das Judas verlassen hat, um an den Ort zu gehen, wohin er gehört. Und sie warfen das Los über sie und das Los fiel auf Matthias; und er wurde zugeordnet zu den elf Aposteln.

 

In jedem Sakramentsgottesdienst, abgesehen von der Fastenzeit, bekennen wir sie, und heute an diesem Gottesdienst zum Tag des Apostels Matthias haben wir sie auch bekannt: die eine heilige christliche apostolische Kirche. Apostolisch ist die Kirche, so bekennen wir es. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Genau darum geht es in der Epistel dieses Aposteltages. Dass die Kirche apostolisch ist, bedeutet viererlei, so zeigt es uns St. Lukas hier: Die Kirche

- gründet nicht auf menschlichem Tun
- ist das neue Volk Gottes
- beruht auf zuverlässigem Zeugnis
- hat einen andauernden Dienst in ihrer Mitte.

I.

Wenn man die Worte unserer heutigen Epistel hört, dann ahnt man immer noch etwas von dem Schrecken, der die ersten Christen damals auch und gerade nach der Auferstehung ihres Herrn befallen hatte, von dem Schrecken, den auch noch der heilige Lukas spürte, als er viele Jahre später von diesen Geschehnissen berichtete: Wie konnte es sein, dass ausgerechnet ein Apostel, einer, der von Christus selber in dieses Amt gerufen worden war, Christus verraten, dazu beigetragen hat, dass Christus, ihr Herr, gekreuzigt und umgebracht wurde? Wie konnte Christus, der doch alles wusste, ausgerechnet einen Verräter in seinen Dienst rufen und ihm solch ein wichtiges Amt übertragen? Die ersten Christen gingen mit dieser Situation damals vorbildlich um: Sie versuchten ihre Lage und ihre Fragen von der Heiligen Schrift her zu verstehen und zu klären, und eben dabei ging ihnen auf: Da war nicht etwa etwas schiefgelaufen; Christus hatte sich nicht etwa geirrt und in diesem Menschen getäuscht. Sondern Gott selber hatte es schon längst vorher so beschlossen, dass es so und nicht anders geschehen sollte, dass er auch diesen miesen Verrat eines Apostels dazu gebrauchen wollte, um unser Heil zu wirken.
Dass die Kirche apostolisch ist, heißt also zunächst einmal: Sie ist ein Werk des Herrn und gründet nicht auf menschlichem Tun. Wäre die Kirche nur ein religiöser Verein, der davon abhängig ist, wie gut diejenigen sind, die sie leiten, dann wäre dieser Verein längst untergegangen. Mit Gottes Bodenpersonal ist oft nicht viel Staat zu machen; die Leute erweisen sich immer wieder als Versager, werden ihrem Dienst oft so wenig gerecht, so erlebe ich es ja auch bei mir selber. Doch Gott vermag immer wieder auch durch das Versagen von Menschen hindurch Gutes und Heil zu wirken, hat die Möglichkeit, selbst noch aus dem Tod neues Leben zu schaffen. So funktioniert Kirche, so funktioniert apostolische Kirche, dass Gott in ihr seinen Heilsplan durchsetzt. Das heißt nicht, dass diejenigen, die in ihrem Amt schuldig werden, dafür nicht zur Rechenschaft gezogen würden, so macht es Petrus hier in seiner Rede an die erste Gemeinde sehr deutlich: Judas ist an den Ort gegangen, wohin er gehört, so formuliert es Petrus hier. Und was das auch für diejenigen bedeutet, die im Amt der Kirche stehen, das hat der Kirchenvater Chrysostomos einmal sehr eindrücklich formuliert: Mirum si sacerdos salvetur: Ein Wunder ist es, wenn ein Priester selig wird. Nein, an den Priestern, an den Pastoren hängt nicht die Zukunft der Kirche; aber ihre eigene persönliche Zukunft, die ist allemal unauflöslich mit ihrem Dienst verknüpft, weil Gott sie einmal nach denen fragen wird, die er ihnen anvertraut hatte. Das ist das Erste, was uns St. Lukas hier zum Thema „Apostolische Kirche“ zu sagen hat.

II.

Wenn wir die apostolische Kirche im Nizänischen Glaubensbekenntnis bekennen, dann bekennen wir zweitens, dass die Kirche das neue Volk Gottes ist.
Wieso mussten es denn nun ausgerechnet zwölf Apostel sein? Wieso war das nötig, dass der eine freie Platz des Judas nun wiederbesetzt wird? Und warum nahm man nicht umgekehrt sowohl den Josef als auch den Matthias in die Schar der Apostel auf? Wenn man zwei tüchtige Mitarbeiter hatte – weshalb sollte man da denn auf einen von beiden verzichten?
Ganz einfach: Die Zahl „zwölf“ war eben nicht eine beliebige Zahl, sondern diese Zahl sollte bewusst an die zwölf Stämme des Volkes Israels, des Volkes Gottes, erinnern: Die zwölf Apostel, sie sollen das neue Volk Gottes repräsentieren, das Gott durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes geschaffen hat. In seiner Vollzahl sollte dieses neue Volk Gottes vertreten sein, wenn Gott nun sein Versprechen wahrmachen und seinem neuen Volk seinen Heiligen Geist senden wollte. Und von daher war es wichtig, dass der Platz des Judas wiederbesetzt wurde, dass er auch gerade von einem und nicht von zwei Männern besetzt wurde.
Das Bekenntnis zur apostolischen Kirche ist von daher also auch immer ein Bekenntnis dazu, dass wir als Kirche unsere Wurzeln haben in dem Gottesvolk des Alten Bundes, im Gottesvolk Israel. Seine Geschichte ist unsere Geschichte, seine Bibel ist unsere Bibel, sein Gott ist unser Gott. Und es ist damit zugleich ein Bekenntnis zu dem langen Atem, den Gott hat und mit dem er seine Verheißungen wahrmacht, seine Geschichte mit den Menschen durch das Gottesvolk aus allen Völkern zu ihrem Ziel führt. Genau darum ging es damals am Tag der Nachwahl des Apostels Matthias.

III.

Besonders wichtig zu beachten ist nun, was denn nach den Aussagen des Petrus eine Voraussetzung dafür ist, Apostel werden zu können: Apostel kann man nur werden, wenn man selber Zeuge der Auferstehung Jesu gewesen ist, wenn man ihn selber mit eigenen Augen gesehen hat, ja mehr noch: wenn man dabei gewesen war, als während der vierzig Tage nach Ostern Jesus bei den Aposteln immer wieder ein- und ausging und sie auf diesen künftigen Dienst vorbereitete. Wir wissen aus dem Bericht des Apostels Paulus im 1. Korintherbrief, dass Christus nach seiner Auferstehung nicht bloß einmal dem Zwölferkreis erschienen ist, der zu diesem Zeitpunkt in Wirklichkeit ja nur noch ein Elferkreis war, sondern dass Christus sich darüber hinaus auch vielen anderen als der Auferstandene zu erkennen gegeben hat, schließlich sogar mehr als 500 Brüdern auf einmal, wie Paulus es formuliert. Ja, da gab es neben dem Kreis der Zwölfe noch mehr, die als Auferstehungszeugen in der Öffentlichkeit auftreten konnten. Doch Petrus geht es noch um mehr: Die Kandidaten, die als Apostel in Frage kommen, sollen nicht bloß Zeugen der Auferstehung sein, sondern sie sollen auch bezeugen können, dass der, den sie da gesehen haben, identisch ist mit dem Jesus, den sie vor seiner Kreuzigung kennengelernt und erlebt hatten. Und darum nennt er als eine weitere Voraussetzung, um Apostel werden zu können, dass die betreffende Person bereits seit der Taufe des Johannes miterlebt hat, was er, Jesus, gesagt und getan hat. Auch diese Bedingung wurde offenbar von mehr als einem Kandidaten erfüllt; wir wissen ja, dass es neben dem Zwölferkreis noch einen erweiterten Jüngerkreis gab, der mit Jesus zusammen war und von ihm auch ausgesandt wurde.
Schwestern und Brüder, was Petrus damals als Voraussetzung benannte, das ist auch für uns heute von entscheidender Bedeutung: Dass die Kirche apostolisch ist, bedeutet von daher, dass ihre Botschaft auf dem zuverlässigen Zeugnis von Augenzeugen beruht. Um Apostel werden zu können, musste man eben nicht unbedingt gut reden können oder eine blühende Phantasie besitzen; im Gegenteil: Man musste einfach dazu in der Lage sein, mit der eigenen Person, ja schließlich auch mit dem eigenen Leben zu bezeugen, was Christus gesagt und getan hat, und vor allem anderen, dass er tatsächlich leibhaftig von den Toten auferstanden ist. Die Kirche Jesu Christi, die sich apostolisch nennt und die apostolisch ist, gründet sich nicht auf irgendwelche netten Geschichtchen, nicht auf erbauliche Legenden, sondern auf Augenzeugenberichte, weil sie die Botschaft vom Eingreifen Gottes in unsere Welt, in unserer menschlichen Geschichte verkündigt. Und für diese Botschaft standen die Apostel ein, schließlich auch mit ihrem Leben.
Und das wiederum heißt für uns nun auch ganz direkt: Apostolisch ist die Kirche, wenn und weil die Heilige Schrift die Grundlage ihrer Lehre und ihres Glaubens ist. An diesem ursprünglichen Zeugnis der Apostel hat sie all ihre Verkündigung bis heute auszurichten; sie kann nicht einfach anfangen, sich ganz neue Glaubensinhalte, ganz neue Lehren auszudenken, wie dies etwa die Sekten tun. Nein, apostolisch ist die Kirche, wenn und weil sie nichts anderes lehrt, als was in der Kirche immer schon gelehrt worden ist – von den Tagen der Apostel an. Ja, gut tut die Kirche, sich daran zu halten. Denn diese Grundlage des Zeugnisses der ersten Apostel, die ist stabil, die hat Bestand; ja, wo sich die Kirche darauf gründet, da werden auch die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen.

IV.

Aber nun muss, wenn wir auf die Nachwahl des Matthias blicken, noch von einem Vierten unbedingt die Rede sein: Apostolisch ist die Kirche schließlich auch, wenn und weil sie einen andauernden Dienst in ihrer Mitte hat, der fortbesteht seit den Tagen der Apostel.
Gewiss, Schwestern und Brüder, was uns hier im ersten Kapitel der Apostelgeschichte geschildert wird, das ist und bleibt einmalig. Eine Nachwahl eines Apostels hat es anschließend nie mehr gegeben; als der erste der zwölf Apostel, Jakobus, der Bruder des Johannes, von Herodes einige Zeit darauf hingerichtet wurde, hat man nicht noch einmal angefangen, einen Apostel zu wählen. Als Zwölferkreis bleiben die Apostel etwas Einmaliges, genauso wie ihr Auftrag einmalig ist und bleibt: Augenzeugen des Auferstandenen zu sein. Dieser Aposteldienst kann heute von Menschen nicht mehr versehen werden; was wir stattdessen haben, ist das apostolische Wort des Neuen Testaments. Doch wenn wir genau hinschauen, dann stellen wir fest, dass hier in unserer Epistel das Amt, das der Matthias empfängt, noch mit zwei anderen griechischen Worten bezeichnet wird: mit den Worten diakonia und episkope. Episkope – wörtlich: das Aufsichtsamt; der, der diese Episkope wahrnimmt, ist der episkopos, der Bischof, und mit diesem Wort bezeichnet Paulus später genau das Amt, zu dem der Timotheus, den er selber ordiniert hat, nun auch weiter andere Männer ordinieren soll. Wir merken: Es gibt da eben doch auch eine Verbindungslinie zwischen dem Apostel-amt und dem Amt, das als Dienst auch weiter in der Kirche fortbesteht seit den Tagen der Apostel bis zum heutigen Tag, das seitdem in der Kirche immer weitergegeben worden ist bis jetzt. Eine diakonia, ein Dienst ist dieses Amt, so beschreibt es Petrus ausdrücklich. Es ist kein Privileg, kein Herrschaftsamt, auf das irgendeiner stolz sein könnte. Dienen sollen diejenigen, denen dieses Amt anvertraut wird, dienen sollen sie dem Volk Gottes, denen, die Christus in seine Kirche berufen hat. Nein, für dieses Amt kann man sich nicht bewerben, das kann man sich erst recht nicht selber übertragen, so zeigt es uns St. Lukas hier in dieser Geschichte. Gewiss, die Gemeinde bekommt hier bei der Einsetzung des Matthias in sein Amt ihr Mitspracherecht: Sie kann überlegen, wer aus ihrer Sicht für solch einen Dienst geeignet erscheinen mag. Doch ins Amt ruft dann Christus selber, so macht es das Losverfahren hier deutlich: Er bringt zum Ausdruck, wen er in diesem Dienst haben möchte. Das Losverfahren blieb der Nachwahl des Matthias vorbehalten. Im Weiteren war und ist es bis heute die Handauflegung, durch die Christus Menschen sein Amt überträgt. Doch wo dies geschieht, geschieht es immer wieder neu in Kontinuität zu dem, was ganz am Anfang der Kirche stand, in Kontinuität zum Amt der Apostel. Ja, apostolische Kirche sind wir, wenn und weil wir dieses eine, von Christus gestiftete Amt der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung in unserer Mitte haben, wie die Grundordnung unserer SELK dies formuliert. Und wir sind es, wenn und weil diejenigen, denen dieses Amt übertragen worden ist, dann auch tatsächlich nichts anderes verkündigen und praktizieren als das, was die Apostel damals verkündigt und getan haben.
Schwestern und Brüder, wir leben heute in einer Zeit, in der eine kurzlebige Mode auf die nächste folgt, in der die Halbwertszeiten von Trends und Institutionen immer kürzer werden. Die eine, heilige, christliche und apostolische Kirche schwimmt hier bewusst gegen den Strom: Sie ist keine modische Eintagsfliege, sondern ihre Geschichte reicht zurück bis ins Alte Testament, sie ist gegründet auf das, was die Apostel vor 2000 Jahren verkündigt haben, und sie hat in ihrer Mitte einen Dienst, der seit 2000 Jahren immer weitergereicht worden ist. Diejenigen, die diesen Dienst versehen, mögen immer wieder Versager sein; doch Christus lässt deswegen seine Kirche nicht fallen, bewahrt sie dennoch auf dem Grunde der Apostel und Propheten. Wie gut, dass uns daran gerade der heutige Aposteltag in besonderer Weise erinnert. Amen.