07.01.2007 | St. Johannes 1, 29-34 (Fest der Taufe Christi)

FEST DER TAUFE CHRISTI – 7. JANUAR 2007 – PREDIGT ÜBER ST. JOHANNES 1,29-34

Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser. Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist's, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.

Heute möchte ich euch zwei moderne Theaterstücke vorstellen, in denen beide Male Jesus vorkommt. Das eine Theaterstück wurde in den vergangenen Wochen mehrfach hier in Berlin aufgeführt und fand dabei ein riesiges Medieninteresse: Es handelt sich um die Inszenierung von Mozarts Oper Idomeneo durch den Regisseur Hans Neuenfels. In dieser Oper geht es eigentlich darum, dass der kretische König Idomeneo in einem schweren Sturm dem Meeresgott Poseidon gelobt, ihm das erste Lebewesen, das er bei einer glücklichen Ankunft des Schiffes am Strand antrifft, zu opfern. Blöderweise steht da am Ufer dann aber als erstes sein eigener Sohn, und nun geht es in der Oper darum, wie Idomeneo versucht, aus dieser misslichen Lage wieder rauszukommen und das Leben seines Sohnes zu schonen. Doch Poseidon bleibt hartnäckig, schickt sogar ein Meeresungeheuer, sodass dem armen Idomeneo nichts anderes übrigbleibt, als tatsächlich seinen Sohn im Poseidontempel zu opfern. Erst im allerletzten Augenblick ertönt ein Orakel – Poseidon erklärt sich bereit, Idomeneos Sohn zu verschonen, wenn Idomeneo auf den Thron verzichtet und stattdessen seinen Sohn zum König macht. Soweit die Mozartoper selber. Doch das war dem Regisseur Hans Neuenfels zu wenig. Und so erfand er flugs einen Epilog, bei dem sich Mozart selber vermutlich die Fußnägel hoch- und wieder runtergerollt hätten: Idomeneo erscheint noch mal auf der Bühne und holt aus einer Tüte vier Köpfe heraus: Die Köpfe von Poseidon, Buddha, Jesus und Mohammed. Unten suppt noch ein wenig das Ketchup heraus, denn mit dieser wenig appetitlichen Darbietung will Neuenfels zum Ausdruck bringen, dass Idomeneo sich nun endgültig befreit hat, indem er gleich alle Götter und Religionsstifter auf einmal geköpft und damit umgebracht hat. Frei ist der Mensch nun endgültig, wo er nicht mehr von Ungeheuern wie Poseidon oder Jesus bedroht wird. Man kann mit Recht feststellen, dass das Ganze eine recht billige Effekthascherei und dazu eine ziemliche Verhunzung der Oper Mozarts darstellt und dass der Epilog zu der sonstigen Oper etwa so gut passt wie ein Schuss Currysauce auf ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte. Doch zugleich ist die Art und Weise, in der Jesus bei seinem Kurzauftritt in der Mozartoper dargestellt wird, wieder sehr bezeichnend für die Sichtweise, die heutzutage viele Menschen von Jesus haben, kommt dies noch deutlicher zum Ausdruck, wenn wir diese Idomeneo-Inszenierung vergleichen mit dem anderen modernen Theaterstück, das ich euch nun vorstellen will. Besser gesagt: Das muss ich euch eigentlich gar nicht mehr vorstellen, das habe ich euch eben in der Predigtlesung schon vorgetragen. Ja, was wir da eben gehört haben, das ist nun tatsächlich modernes Theater vom Feinsten, keine billige Effekthascherei, sondern eine Darbietung, die gleichsam hinter die Kulissen blicken lässt, Wahrheit erkennen lässt, die wir sonst vielleicht gar nicht gleich wahrgenommen hätten.
Das Stück, das Johannes uns hier in dieser Predigtlesung darbietet, ist uns längst bekannt; wir haben es in einer klassischen Inszenierung eben noch einmal im Heiligen Evangelium wahrnehmen dürfen: Es handelt sich um die Taufe Christi. Johannes wusste, dass die Hörer und Leser seines Evangeliums diese Geschichte von der Taufe Christi längst aus anderen Evangelien kannten, und so leert er die Bühne, auf der dieses Stück von der Taufe Christi spielt, hier radikal: Nein, er bietet uns keinen Sandalenfilm mit Hunderten von grölenden Statisten, keine romantische Landschaft mit plätscherndem Fluss, keine Massenszenen. Sondern in diesem Stück stehen nur zwei auf der Bühne, und von diesen beiden redet nur einer: Er, Johannes der Täufer. Und der andere, Jesus, erscheint auf der Bühne, tritt in den Vordergrund und geht dann wieder weiter, sagt dabei kein Wort. Keine Action, keine Schau für Vogelfreunde. Wichtig ist allein zweierlei: Der, der da kommt, in den Vordergrund tritt und weitergeht, und die Worte des anderen, der von diesem einen Zeugnis ablegt. Nein, Johannes betreibt keine Effekthascherei, drängt sich nicht selber in den Vordergrund wie jener besagte Regisseur, fügt nichts zu dem Geschehen nach eigenem Gutdünken hinzu. Ihm geht es nur um eins: Dass wir, die Zuschauer und Zuhörer, mitbekommen, wer der ist, von dem er hier redet, dass wir merken, dass sich hier das wichtigste Drama der Menschheit überhaupt vollzieht, ein Drama, das sich eben gerade nicht auf einen abgeschlagenen Kopf reduzieren lässt. Und so wollen wir uns dieses Drama, das uns der Evangelist Johannes hier schildert, nun noch einmal genauer anschauen, dieses Drama, das auf dem Hintergrund dessen, was der Herr Neuenfels da angestellt hat, nur noch schärfere Konturen gewinnt.

I.

Da steht er mit einem Mal auf der Bühne, nein, besser gesagt: Er kommt, kommt ohne lange Einleitung und ist einfach da: Er, Jesus. Wobei das so ganz auch wieder nicht stimmt, dass er da auf der Bühne ohne lange Einleitung erscheint. Denn eigentlich war von ihm ja schon vom ersten Vers des Evangeliums an die Rede: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“ Und da kommt er nun, hat hier seinen ersten Auftritt im Evangelium, kommt und geht auf Johannes den Täufer zu. Gott selber kommt leibhaftig auf ihn, Johannes, zu. Und er, Johannes, wie reagiert er darauf? Gleich zweimal betont er hier: Ich kannte ihn nicht. Ich habe es nicht erkennen können, dass er es ist, er, der lebendige Gott, er, durch den alle Dinge gemacht sind und ohne den nichts gemacht ist, was gemacht ist. Wenn Gott mir nicht die Augen geöffnet hätte, wenn er es mir nicht gezeigt hätte – ich wäre nicht drauf gekommen, wer das ist, der da zu mir kommt.
Das, Schwestern und Brüder, ist das Drama schlechthin, das uns der Evangelist Johannes hier schildert: Gott schickt nicht bloß einen Boten in diese Welt, um den Menschen ein paar interessante Geschichten mitzuteilen. Sondern er kommt selber. Aber dabei macht er sich so klein und unauffällig, dass er glatt übersehen werden konnte und kann. Der Schöpfer des Weltalls – mitten unter den Menschen, ja, einer von ihnen! Und die meisten bekommen es gar nicht mit!
Und was macht der Herr Neuenfels in seiner Inszenierung aus Jesus? Einen Religionsstifter macht er aus ihm, einen Religionsstifter wie Buddha oder Mohammed! Ach, Brüder und Schwestern, wenn Jesus irgendetwas nicht war, dann war er ganz sicher kein Religionsstifter. Als ob es ihm darum gegangen wäre, irgendwelche klugen Sprüche über Gott abzusondern, die möglichst auch noch fürs Poesiealbum taugen sollten! Nein, es ist kein Zufall, dass in dieser Szene, die Johannes hier schildert, Jesus kein einziges Wort spricht. Es geht nicht bloß um das, was Jesus sagt, es geht nicht um religiöse Vorstellungen, die er entwickelt und verbreitet hat. Es geht darum, wer er ist: Gottes Sohn, Gott selber in Person, er, der nicht gebunden ist an Raum und Zeit, der alle zeitliche Logik auf den Kopf stellt: „Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich“, ja, so müsste man es vom Griechischen her zugleich wiedergeben: Er war und ist der Erste überhaupt, der Erste und der Letzte, das A und das O. Der kommt auf die Bühne dieser Welt, und da wird dann in der Tat alles andere drumherum unwichtig; da zählt nur noch eins: Er ist gekommen, er ist da, in unserer Mitte: Der lebendige Gott.

II.

Und dann tritt er, Jesus, das Wort, das Fleisch geworden ist, dann tritt er nach vorne, in den Vordergrund. Und die Zuhörer und Leser des Evangeliums, sie wissen: Jetzt findet seine Taufe statt, jetzt steigt er ins Wasser, jetzt kommt der Geist Gottes auf ihn herab. Doch die Taufe selber schildert St. Johannes gar nicht, berichtet nur, was Johannes der Täufer bezeugt, was er gesehen hat: Er sah, dass der Geist Gottes herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und auf ihm blieb. Wichtig ist nur, dass Johannes der Täufer das mitbekommt und es weiterbezeugen kann, damit es auch andere hören und weitererzählen können: Dieser Jesus ist es tatsächlich, der ewige Sohn Gottes. Nein, er wird nicht in der Taufe als Sohn Gottes adoptiert, so wie wir in unserer Taufe von Gott als seine Söhne und Töchter adoptiert worden sind: Er, Jesus, ist es von Anfang an; es geht nur noch darum, dass die Menschen das auch erkennen und wahrnehmen: Der Heilige Geist, er bleibt auf ihm, ja, Jesus und sein Vater, sie sind in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes unlöslich miteinander verbunden, ach, was sage ich: Sie sind nicht bloß miteinander verbunden, sie sind, so sagt es Jesus später selber, sie sind eins.
Und dann höre genau hin, wie Gott selber seinen Sohn hier den Menschen vorstellt: Er ist’s, der mit dem heiligen Geist tauft. Er ist’s, der Menschen beschenkt, sie durch den Heiligen Geist aufnimmt in die Gemeinschaft mit Gott, in die Gemeinschaft des göttlichen Lebens. Er ist’s, der gekommen ist, um Menschen zu beschenken, zu retten, um ihnen das Leben, das ewige Leben zu geben. So sieht er aus, der lebendige Gott, so lässt er sich hier selber ins Herz blicken.
Und da kommt ein Herr Neuenfels allen Ernstes auf die Idee, ihn, Jesus, Seite an Seite mit Poseidon zu rücken, der von einem Menschen verlangt, seinen eigenen Sohn zu töten! Da kommt er auf die Idee, Jesus Seite an Seite mit Poseidon zu rücken, der seiner Forderung mit der Entsendung eines furchtbaren Ungeheuers Nachdruck verleiht! Jesus Seite an Seite mit einem Gott, der mit seiner drohenden Übermacht Menschen in die Verzweiflung treibt! Was für ein Irrsinn, Jesus zu solch einem Gott zu erklären! Was für ein Irrsinn, aus ihm, Jesus, der schenkt, der mit dem heiligen Geist tauft, einen Tyrannen zu machen, gegen den die Menschen sich zur Wehr setzen müssen, der die Menschen unterdrückt und versklavt und der schließlich umgebracht werden muss, damit die Menschen endlich freiwerden! O nein, genau das Gegenteil ist in deiner Taufe geschehen: Da bist du nicht der Herrschaft eines blutrünstigen Tyrannen unterworfen worden, sondern da bist du einem wahrlich blutrünstigen Tyrannen aus dem Rachen gerissen worden, dem Teufel, der in der Tat dich ins Verderben, in die Verzweiflung treiben wollte. Vor dem hat dich dieser Jesus gerettet, als er auch dich getauft hat mit dem heiligen Geist im Bad der Wiedergeburt, in deiner Heiligen Taufe. Nein, Jesus nimmt dir nicht deine Freiheit, er schenkt sie dir, schenkt sie dir gerade so, dass er die Herrschaft über dein Leben übernimmt. Ja, schau ihn dir an, wie er hier in dieser Szene vor dir steht: Der lebendige Gott, der nichts anderes will, als dich zu beschenken und zu beschenken und noch einmal zu beschenken.

III.

Und dann geht er weiter, er, Jesus, er, der fleischgewordene ewige Gott, er, der gekommen ist, mit dem heiligen Geist zu taufen. Er geht weiter, und wie sein weiterer Weg aussieht, das bringt Johannes der Täufer hier ganz kurz und knapp auf den Punkt: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt.“
Nein, er, der Sohn Gottes, ist nicht in diese Welt gekommen, um hier einen Spaziergang zu unternehmen und dann anschließend wieder zu verschwinden. Sondern er ist gekommen, um all das wegzunehmen und wegzuschaffen, was die Menschen, was auch dich daran hindern könnte, für immer in der Gemeinschaft mit ihm, Gott, zu leben. Nein, der Gott, der sich uns hier bei Johannes vorstellt, der fordert nicht von den Menschen ein Versöhnungsopfer, sondern er bringt es selber dar, erleidet den Konflikt des Idomeneo selber, drückt sich nicht, weicht nicht aus, sondern lässt in der Tat seinen eigenen Sohn sterben – nicht, um die eigene Haut zu retten, sondern uns Menschen. Der ewige Sohn Gottes, er wird zum Opferlamm, geschlachtet am Stamm des Kreuzes, lenkt die Strafe, die wir Menschen mit unserer Schuld verdient haben, auf sich, nimmt sie auf sich und trägt sie weg, endgültig, ein für allemal!
Nein, lieber Herr Neuenfels, Sie kommen zu spät mit Ihrer Hinrichtung Jesu. Die hat schon längst stattgefunden, damals auf Golgatha. Und so hübsch einfach, wie Sie das in Ihrem Idomeneo darstellen, hat Jesus es damals nicht gehabt. Der hätte sich, menschlich gesprochen, auch lieber den Kopf abhauen lassen, statt sich kreuzigen zu lassen, statt langsam qualvoll zu verrecken. Ja, auch für Sie hat er da gehangen, genau wie für mich und für uns alle, ja, auch die Strafe für Ihre Blasphemie hat er da schon getragen. Und Sie wollen ihm dafür noch den Kopf abhauen, ihm, der nicht nur für die Frommen gestorben ist, sondern auch für die Gottlosen, auch für die Muslime, auch für die Atheisten, ja, der wirklich der Welt Sünde trägt?! Ja, was für eine Befreiung versprechen Sie sich denn bloß davon?
Und so stehen sie sich nun gegenüber als die beiden Alternativen, vor denen wir in unserem Leben stehen: Idomeneo in der Version des Herrn Neuenfels auf der einen Seite und Johannes der Täufer mit seinem Christuszeugnis auf der anderen Seite. Idomeneo, der glaubt, seine Freiheit, ja sein Leben dadurch gewinnen zu können, dass er sich radikal von Christus löst und ihm den Hals durchschneidet, und Johannes der Täufer, der ihn verkündigt, ihn, den Mensch gewordenen Gott, der gekommen ist, uns zu beschenken, ja, der gekommen ist, um sich für uns, für unsere Freiheit, für unser Leben abschlachten zu lassen. Ja, das sind sie, die beiden Alternativen, die Botschaft vom Menschen als dem Maß aller Dinge, der sich von der Herrschaft Christi befreien muss, auf der einen Seite, und die Einladung zum Heiligen Mahl auf der anderen Seite, wo er zu uns kommt, er, der lebendige Gott, wo er zu uns kommt als das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, um nicht weniger als sich selbst uns zu schenken.
Idomeneo oder Johannes, der auf Christus weist – jede Woche stehst du von Neuem vor dieser Entscheidung. Ob Idomeneo Christus nun den Kopf abschneidet, um sich von ihm zu befreien, oder ob du am Sonntagmorgen ihm, Christus, einfach im Bett den Rücken zuwendest, frei sein möchtest ohne ihn – das macht letztlich keinen entscheidenden Unterschied aus. Höre darum immer wieder auf das Zeugnis Johannes des Täufers, und lass dich von ihm einladen, wenn du seine Worte hörst: Seht, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Ja, lasse dir diese Worte des Täufers in den Ohren klingen, dass du gar nicht anders kannst, als dich immer und immer wieder zu ihm zu drängen, hier an seinen Altar, hier, wo du ihm selber begegnen kannst, dem Sohn des lebendigen Gottes. Nein, Brüder und Schwestern, es geht hier nicht bloß um Unterhaltung, wir spielen hier nicht bloß Theater. Hier geht es um letzte Wirklichkeit – ja, hier geht es um dein Leben! Amen.